HR in der Führungsspitze
Personalangelegenheiten werden viel zu selten auf höchster Unternehmensebene abgehandelt, sieht man einmal von öffentlichkeitsrelevanten Fragen wie Leistungsbeurteilung, Honorierung sowie Trennung von Mitgliedern der Geschäftsführung ab. Umfragen zeigen, dass auf der obersten Führungsetage das Fachwissen und die Kompetenz für Personalfragen in der Regel fehlen. Speziell dem Aufsichtsrat mangelt es oft an Kenntnissen in den Bereichen Arbeitsrecht und Tarifverträge. Folglich liegt im Hinblick auf das Management des Personalbereichs durch Aufsichtsrat und Geschäftsleitung einiges im Argen. Die HR-Governance versucht, dem abzuhelfen, indem das Thema Human Resources fest in Aufsichtsrat und Geschäftsleitung verankert wird.
Der Aufsichtsrat braucht Vielfalt
Ein effektiver Aufsichtsrat, der eine klare HR-Strategie vorgibt, zeichnet sich durch drei Arten von Vielfalt aus:
- Vielfalt des Know-hows: Der Aufsichtsrat muss nach bestimmten Kriterien zusammengesetzt sein, damit er seinen Kontroll- und Gestaltungsaufgaben erfolgreich nachkommen kann. Erfassen Sie die Kompetenzbereiche, um die sich das Aufsichtsgremium kümmern muss. Erfragen Sie unter den Mitgliedern des Aufsichtsrats und der Geschäftsleitung sowie unter den Aktionärsvertretern, wie zufrieden sie mit der aktuellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats sind. Wichtig ist, dass das Gremium hinsichtlich seines Know-hows der Geschäftsleitung nicht unterlegen ist. Der Aufsichtsrat ist besonders effizient, wenn seine Mitglieder komplementäre Kompetenzen abdecken, beispielsweise Unternehmertum und Risikomanagement. Wichtig ist auch, dass das Gremium in Personalangelegenheiten bewandert ist.
- Vielfalt der Rollen: Ähnlich vielfältig wie die Kompetenzverteilung sollte die Verteilung der zentralen Rollen im Aufsichtsrat sein (z. B. kreativer Denker oder Networker). Dazu sollten sich die Mitglieder zunächst ihrer Rollenstärken und -schwächen via Selbstbeurteilung bewusst werden. Die einzelnen Mitglieder müssen auch die Qualitäten und Schwächen ihrer Kollegen kennen. In speziellen Fällen kann ein Mitglied zwei Rollen übernehmen oder eine Rolle kann auf mehrere Mitglieder verteilt werden. Auch hier ist es hilfreich, wenn der Aufsichtsrat komplementäre Ansprüche abdeckt, sodass beispielsweise dem Promotor der Controller gegenübersteht oder dem Umsetzer der kritische Denker.
- Vielfalt der sozialen Merkmale: Es ist ebenfalls von Belang, dass die im Unternehmen vorhandenen sozialen Merkmale unter den Aufsichtsratsmitgliedern wiederzufinden sind. Dazu schätzt jedes Mitglied seine vorherrschenden Eigenschaften ein. Zu diesen sozialen Merkmalen zählen Geschlecht, Nationalität, eine mögliche Behinderung und das Alter. Wenn ein Mitglied beispielsweise 60 Jahre alt ist, verfügt es vielleicht über einen reichen Erfahrungsschatz, kann aber u. U. Innovationen gegenüber – speziell hinsichtlich neuer Informationstechnologien – verhalten eingestellt sein. Deshalb sollte zu dieser Merkmalsausprägung ein Gegenpol im Aufsichtsrat gefunden werden. Die Diversität im Aufsichtsrat sollte die Vielfalt im Unternehmen widerspiegeln. Übertreiben Sie aber den Diversitätsgedanken nicht: Warum sollte etwa ein Amerikaner im Aufsichtsrat sitzen, wenn das Unternehmen nur in der Schweiz tätig ist?
„Das Ziel der HR-Governance besteht in der wirksamen Führung und Steuerung des HR-Managements auf Boardebene sowie in einer ganzheitlichen Entwicklung und Umsetzung der HR-Strategie auf GL-Ebene.“
Die Kunst besteht darin, den Aufsichtsrat mit seiner begrenzten Zahl an Mitgliedern so zusammenzusetzen, dass er alle wesentlichen Kompetenzen, Rollen und sozialen Merkmale abdeckt. Eine Anforderungsanalyse erweist sich dabei als nützlich. Diese dient ebenfalls als Grundlage zur Erstellung des Profils eines neuen Aufsichtsratsmitglieds. Der Aufsichtsrat darf weder zu klein noch zu groß sein. Angemessen sind drei Mitglieder bei kleinen, fünf Mitglieder bei mittelgroßen und sieben Mitglieder bei großen Unternehmen. Für Großunternehmen kann es sinnvoll sein, einen repräsentativen Vernetzungsrat ins Leben zu rufen, der aus Vertretern wichtiger Anspruchsgruppen besteht. Er kann bei bestimmten Vorhaben unter der Führung eines Gestaltungs- oder Controllingrats mitarbeiten. Dieser Vernetzungsrat ist nicht mit dem traditionellen Beirat zu verwechseln, dem – wegen mehr Prominenz als Kompetenz mancher Mitglieder – kein gutes Image anhaftet.
Konstruktiv-kritische Vertrauenskultur und Vernetzung
Um mögliche Probleme im Verhältnis zwischen Geschäftsleitung und Aufsichtsrat zu ermitteln, sollte jedes Aufsichtsratsmitglied schriftlich festhalten, was ihm hinsichtlich der Zusammenarbeit am besten und was ihm am wenigsten gefällt. Entwickeln Sie aufgrund der Ergebnisse für jedes Problemfeld eine Kooperationsregel. Dieses Verfahren können Sie ebenso in Bezug auf die Zusammenarbeit mit anderen Interessengruppen wie Personal, Kunden oder Aktionärsvertreter anwenden.
Das Personalmanagement als Topaufgabe
Ein gutes Personalmanagement ist wettbewerbsentscheidend. Es ist nur dann wirklich erfolgreich, wenn Aufsichtsrat und Geschäftsführung bei dieser wichtigen Aufgabe eng zusammenarbeiten. Die Geschäfts- und die Personalleitung haben die Aufgabe, die vom Aufsichtsrat erarbeiteten HR-Maßnahmen umzusetzen. Zukünftig stehen die Unternehmen vor dem Problem, dass sie aufgrund der Globalisierung und Dynamisierung der Wirtschaft hoch qualifizierte und mobile Führungskräfte benötigen, während die demografische Entwicklung und der abnehmende Bindungswille vieler Mitarbeiter aber gleichzeitig für Engpässe bei wichtigen Know-how-Trägern sorgen. Das Personalwesen, das sich zukünftig stärker als bisher als strategischer Partner statt als administrativer Experte positionieren muss, hat vor diesem Hintergrund drei Kernaufgaben. Es muss:
- gute Mitarbeiter unterstützen und binden,
- sich auf Veränderungen in der Unternehmenskultur einstellen und
- eine innovative Organisations- und Lernkultur aufbauen.
Steuerung der HR-Kernprozesse
Folgende zentrale Aufgaben im Personalmanagement müssen Sie auf Geschäftsleitungsebene gestalten und bewältigen:
- Arbeitgeberpositionierung: Die Rolle von Unternehmen als Arbeitgeber prägt wesentlich deren Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit. Deshalb ist es auch wichtig, Weiterbildung anzubieten oder eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Ihre Marke als Arbeitgeber, Ihr Employer-Brand, wird zunehmend ergänzt durch das Employee-Branding: Das Web 2.0 führt nämlich dazu, dass die Onlineaktivitäten Ihrer Mitarbeiter in Blogs, Podcasts und sozialen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn den Ruf Ihres Unternehmens in der Öffentlichkeit mitgestalten.
- Demografischer Wandel: Die meisten Unternehmen kümmern sich zu wenig um die demografischen Entwicklungen, die darauf hinauslaufen, dass junge Facharbeitskräfte rar werden und der Anteil der Mitarbeiter über 50 sich erhöht. Analysieren Sie die Altersstruktur in Ihrem Unternehmen, und zwar aufgeschlüsselt nach Unternehmensbereich und Abteilung. Schließen Sie von der aktuellen Altersstruktur auf die zukünftige Entwicklung. Bewerten Sie, in welchen Bereichen Sie Handlungsbedarf haben. Wahrscheinlich stehen Sie vor Herausforderungen hinsichtlich der Rekrutierung junger qualifizierter Mitarbeiter und hinsichtlich der Weiterbildung, Versetzung oder Verabschiedung Ihres älteren Personals.
- Globalisierung: Im Zuge der Globalisierung werden Unternehmen mit mehreren Veränderungsprozessen konfrontiert. Sie müssen internationale Teams bilden, die Unternehmenskultur muss der Vielfalt in der globalen und lokalen Belegschaft Rechnung tragen, und Versetzungen von Mitarbeitern über Landesgrenzen hinweg nehmen zu. Diese Entwicklungen erfordern den Aufbau von Kompetenz- und Forschungszentren, die Förderung von Talentmanagement und internationaler Rotation, die Bereitstellung lokal erfahrener Manager sowie eine globale Zusammensetzung der Geschäftsleitung. Dadurch wird es einfacher, die lokalen und globalen Ansprüche miteinander zu vereinbaren.
- Kompetenz- und Talentmanagement: Analysieren Sie, welche Kompetenzen Ihr Unternehmen benötigt, damit es seine Strategien optimal umsetzen kann. Eine Lückenanalyse offenbart Ihnen, welche Qualitäten in Ihrem Unternehmen noch fehlen. Beurteilen Sie die Qualifikationen von Mitarbeitern nicht danach, was diese über sich selbst mitteilen, sondern danach, wie sie konkret in kritischen Situationen handeln. Der Aufbau und die Zusammenführung von Kernkompetenzen bewirken einen Wettbewerbsvorteil.
- Performance-Management und Incentivierung: Richten Sie die Entlohnung der Führungskräfte an deren längerfristigen Leistungen aus, an der Nachhaltigkeit der von ihnen bewirkten Unternehmensleistung sowie daran, inwieweit sie risikobegrenzt planen und arbeiten. Die leistungsorientierte Vergütung sollte aus drei Komponenten bestehen: einem festen Grundgehalt, einer flexiblen Vergütung und einer flexiblen Aktienbeteiligung.
- Restrukturierungsmanagement und Trennungskultur: Die Art, wie Mitarbeiter verabschiedet werden, wirkt sich auf das Image des Unternehmens aus, ebenso auf die weggehenden Mitarbeiter und die verbleibende Belegschaft. Zunächst sollten Sie Ihr Bestmögliches unternehmen, Trennungen ganz zu vermeiden. Das fängt bei einer quantitativ und qualitativ gut durchdachten Rekrutierung an: Achten Sie darauf, dass die Bewerberprofile zur Unternehmenskultur passen. Klären Sie im Fall von Stellenabbau oder Unternehmensveränderungen ab, ob es Alternativen zur Entlassung gibt, z. B. den Einsatz von Mitarbeitern in anderen Unternehmensbereichen, Weiterbildungen zwecks höherer Qualifizierung, Umgestaltung der Tätigkeit oder Umverteilung von Arbeitszeit oder Lohnkosten. Überprüfen Sie ferner das In- oder Outsourcing relevanter Bereiche und greifen Sie Ihren Mitarbeitern bei einem eventuellen Sprung in die Selbstständigkeit unter die Arme. Kommunizieren Sie Restrukturierungspläne so frühzeitig und offen wie möglich und begründen Sie sie. Unterstützen Sie Mitarbeiter, die gehen müssen, professionell bei der Planung ihrer Zukunft.
Messung des strategischen Beitrags des Personalmanagements
Vernachlässigtes HR-Management zieht verdeckte Kosten nach sich, erfolgreiches hingegen nützt dem Unternehmen mittel- und langfristig. Um die wichtige Rolle des Personalmanagements deutlich zu machen, muss sein Wert in Zahlen gemessen und ausgedrückt werden. Beim Industriekonzern Georg Fischer etwa kommt zu diesem Zweck ein HR-Navigator zum Einsatz, der den Personalbereich in seine wichtigsten kritischen Felder aufteilt: Personalstruktur und -kosten, Personalgewinnung, Personalführung, Training, Ressourcen und Leistungen. Die Sektoren werden in jedem Jahr nach Handlungsbedarf priorisiert, und für alle kritischen Bereiche werden ein bis zwei Ziele gesetzt (insgesamt maximal zehn), die wiederum je eine oder zwei Maßnahmen nach sich ziehen. Auch das Risikomanagement des Unternehmens sollte Personalangelegenheiten mit berücksichtigen. Dabei geht es darum, die Risiken zu kennen und ein Früherkennungssystem zu installieren. Gefahren für das Unternehmen könnten sich etwa aus einer quantitativen oder qualitativen Unterdeckung von Know-how-Trägern, aus Leistungsminderungen durch unzureichendes Engagement, aus mangelnder Qualifikation durch fehlende Ausbildungsbereitschaft oder aus Kündigungen durch mangelnde Loyalität ergeben.