Führung in Management und Märchen

Buch Führung in Management und Märchen

Unternehmerische Kompetenzen und Leitsätze

Luchterhand,


Rezension

Dieses Buch unternimmt einen ziemlich schwierigen Spagat: Zum einen führt es in 20 ausgewählte Märchen und ihre tiefere Bedeutung ein. Zum anderen legt Autor Rolf Wunderer seine wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse über Führung und Management dar. Wer sich an diese ungewöhnliche Kombination wagt, wird überrascht sein, dass Unternehmen und Führungskräfte tatsächlich etwas aus Märchen lernen können. Leider sind Wunderers Ausführungen über Management, mit ihren Fach­be­grif­fen, Anglizismen und ihrem Hochschul­jar­gon, an vielen Stellen ungleich schwerer zu verdauen als die präsentierten Märchen. Dennoch: Wer sich durch diese Passagen hindurchkämpft, wird am Ende belohnt. Denn die Schlussfol­gerun­gen, die der Wis­senschaftler aus den Märchen für die Mi­tar­beit­erführung zieht, sind allemal lesenswert. BooksInShort ist der Meinung: Allen Un­ternehmern und Managern, die men­schliches Verhalten besser verstehen möchten, ist das Buch zu empfehlen.

Take-aways

  • Märchen liefern viele Erken­nt­nisse über men­schliches Verhalten.
  • In der deutschen Man­age­mentlit­er­atur und -forschung spielen Märchen bisher keine Rolle.
  • Märchen wie Unternehmen formulieren Leitsätze für erwünschtes Verhalten.
  • Er­fol­gre­iche Firmen bauen auf Mitarbeiter, die sich als Mi­tun­ternehmer verstehen.
  • Märchenhelden zeigen un­ternehmerische Fähigkeiten wie z. B. kreatives Problemlösen.
  • Märchen verdeut­lichen die Bedeutung von emotionaler und sozialer Intelligenz.
  • Im Gegensatz zu Märchen verzichten Unternehmen auf Lernen durch Sanktionen.
  • Ego­is­tis­ches Verhalten führt in Märchen zu Misserfolg.
  • Die Erken­nt­nisse der Märchen erschließen sich über Selb­stre­flex­ion und Gespräche.
  • Märchen sind ein gutes Mittel, um Mitarbeiter anzuregen, über ihr Verhalten nachzu­denken.
 

Zusammenfassung

Eine merkwürdige Verbindung

Auf den ersten Blick mag es merkwürdig erscheinen, dass Unternehmer und Manager etwas aus Märchen lernen könnten. Doch wer sich intensiver etwa mit den von den Gebrüdern Grimm vor rund 300 Jahren pub­lizierten Geschichten befasst, wird schnell erkennen, dass Märchen einen großen Fundus an Erken­nt­nis­sen über men­schliches Verhalten und dessen Veränderungspoten­zial liefern. In der Man­age­ment­forschung spielt diese Tatsache bislang jedoch keine Rolle.

„Man kann die Man­age­ment­forschung als ,märchenfrei‘ charak­ter­isieren.“

Der Begriff „Märchen“ taucht in der deutschen Wirtschaft­slit­er­atur nicht auf. Und auch in der Praxis gelten die oft wundersamen und geheimnisvollen Geschichten fast nur noch als Vor­le­sev­ergnügen für Kinder bis zur Grundschule. Waren noch vor wenigen Jahrzehnten Märchen in fast jedem Haushalt bekannt, so weiß heute kaum noch jemand, wer etwa das tapfere Schnei­der­lein, der gestiefelte Kater, der Froschkönig, die Bremer Stadt­musikan­ten oder Hans im Glück sind.

„Mi­tun­ternehmer sind neben der un­ternehmerischen Ori­en­tierung noch am Unternehmen und seinen Bezugs­grup­pen, an sozialen Netzwerken sowie an langfristigem Austausch orientiert.“

Dabei sind diese Geschichten exzellente Fallstudien für Führungskom­pe­ten­zen oder den Umgang mit Veränderungen. So stehen der gestiefelte Kater für kreatives Un­ternehmer­tum, der Froschkönig für gehaltene Versprechen oder die Bremer Stadt­musikan­ten für gute Teamarbeit.

Management und Märchen

Ein Unternehmen setzt sich aus Menschen zusammen, die Projekte gemeinsam umsetzen wollen und z. T. bewusst Risiken eingehen. Aufgabe des Managements ist es dabei, Mitarbeiter zu finden, die sich als Mi­tun­ternehmer verstehen, also Menschen einzustellen, die sich mit ihrem Wissen und Handeln für das Unternehmen stark machen und sich gle­ichzeitig teamor­i­en­tiert verhalten. Dies gelingt allerdings nur in einem Umfeld, in dem Offenheit und Vertrauen herrschen und die Führung den Mi­tar­beit­ern Ve­r­ant­wor­tung überträgt, Freiräume gewährt, Aufgaben delegiert und sie individuell fördert. Ein Mittel, auf das Manager häufig zurückgreifen, um eine solche Un­ternehmen­skul­tur zu etablieren, sind Leitsätze, Ver­hal­tensregeln und Visionen. Hierin ist auch die entschei­dende Parallele zu den Märchen zu sehen, deren Ker­naus­sagen vor allem in moralischen Ver­hal­tensnor­men für die Menschen bestehen. Im Vergleich zum Management sind diese Leitsätze im Märchen aber konkreter und wesentlich öfter mit Sanktionen verbunden.

„In der Man­age­ment­praxis sollen Leitsätze die strate­gis­che Ebene, die taktischen Programme sowie die operative Umsetzung zugleich bee­in­flussen.“

Unternehmen dagegen beschreiben ihre Verhaltenswünsche an die Mitarbeiter umfassender und abstrakter und sie setzen Schulungsmaßnahmen ein. Gerade der Verzicht auf Sanktionen ist jedoch für Unternehmen ein großer Nachteil, da dies ego­is­tis­ches Verhalten eher begünstigt. Ein Vergleich von 70 Leitsätzen aus Grimms Märchen mit 70 Firmenleitsätzen zeigt, dass es zahlreiche Übere­in­stim­mungen in den genannten Werten gibt. Gemeinsame Leitsätze sowohl in den Märchen als auch im Management sind etwa: Verhalte dich intelligent, lerne aus Fehlern, halte dein Wort, rechne mit Prüfungen und Kon­se­quen­zen und verdränge nicht deine Gefühle.

„In der Psy­cho­analyse und -therapie zeigen Märchen oft erkennbare Wirkungen bei Pro­jek­tio­nen auf eigene En­twick­lungsphasen und -konflikte.“

Darüber hinaus zeigen die Helden in den Märchen eine Reihe von Eigen­schaften, die in der Un­ternehmenswelt sehr gefragt sind. So gehen sie Probleme ziel­gerichtet an – auch wenn sie ihr eigenes Verhalten dabei nicht unbedingt auf den Prüfstand stellen –, sie gehen Risiken ein und sie beziehen ihre Stärke aus ihrer emotionalen Intelligenz, vor allem Armen und Schwachen gegenüber.

„Kinder- und Hausmärchen vermitteln noch heute gültige gesellschaftliche Werte einer geforderten Soll-Kultur auch von Unternehmen.“

Auch lassen sie sich nicht durch gebrochene Verträge etwa von höhergestell­ten Personen entmutigen. Im Gegenteil, sie erhöhen in diesen Fällen sogar ihre Anstren­gun­gen. Während Unternehmen die Au­seinan­der­set­zung mit Ver­hal­tensweisen vor allem über Mi­tar­beit­erge­spräche, Assessments oder An­erken­nun­gen fördern, lassen sich die Erken­nt­nisse der Märchen eher über Selb­stre­flex­ion und das Diskutieren über die Geschichten verin­ner­lichen.

Kreativität als Er­fol­gs­ge­heim­nis von Märchenhelden

Um als Unternehmen Gewinne zu er­wirtschaften, braucht es In­no­va­tionsfähigkeit. Wer dauerhaft in hart umkämpften Märkten bestehen will, muss Her­aus­forderun­gen kreativ bewältigen können. Dies verlangt von den Menschen vor allem Offenheit für Neues, den Willen zur Zusam­me­nar­beit, das Einhalten von sozialen Regeln, Forscher­drang, Begeis­terungsfähigkeit und den Aufbau von Netzwerken.

„Weil Firmenleitsätze neben Normen auch unterstützende Instrumente, Führungsstile und Fördermaßnahmen enthalten, sind sie umfassender, struk­turi­erter und abstrakter als die aus einem Fall­beispiel abgeleit­eten und meist am Schluss platzierten Märchen­maxi­men.“

Das zentrale Thema in vielen Märchen ist die Fähigkeit des Helden, Probleme kreativ zu lösen. Bestes Beispiel ist die Geschichte des gestiefel­ten Katers. Mit einer Reihe von ungewöhnlichen Ideen und Einfällen verhilft der Kater seinem Herrn zur Herrschaft im Königreich. Aschenbrödel dagegen verdankt die Hochzeit mit dem Prinzen zuallererst ihrer Gutherzigkeit und der Fre­und­schaft mit Verbündeten. In beiden Fällen allerdings ist der Erfolg nur möglich, weil Kreativität mit sozialer und emotionaler Intelligenz verbunden wird.

„Neben Problemlösungs- und Sozialkom­pe­ten­zen zeigen Helden und Heldinnen entschlossenes, aber un­re­flek­tiertes Um­set­zungsver­hal­ten.“

Das Management kann von den Märchen im Umgang mit Her­aus­forderun­gen aber noch etwas viel Wesentlicheres lernen: Neue Ideen lassen sich nur durch die Tat ver­wirk­lichen. Gerade in Unternehmen wird die Fähigkeit, Dinge konsequent umzusetzen, nicht ausdrücklich gefördert. Weitere Aspekte, die die Märchen verdeut­lichen, sind das Scheitern von klugen, aber asozial handelnden Menschen sowie das Bestrafen von Mis­ser­fol­gen.

Lern­poten­zial Fehler

Mit Leitsätzen und Ver­hal­tensregeln sollen in Unternehmen vorrangig Fehlen­twick­lun­gen und Konflikte vermieden werden. In der For­mulierung der Normen betonen die Manager oft eine fehler­tol­er­ante Fir­menkul­tur. In der Praxis kollidieren diese abstrakt gefassten Maximen jedoch nicht selten mit den tatsächlichen Ver­hal­tensweisen. Per­son­alen­twick­lungsmaßnahmen wie Coaching sollen die Missstände dann mithilfe von Rückmeldungen beheben oder das Fehler­be­wusst­sein der Mitarbeiter schärfen.

„Firmenleitsätze haben auch ide­al­isierte Ansprüche und sind dabei indikativ statt als Leitziele formuliert.“

Märchen dagegen befassen sich von vornherein mit dem in­di­vidu­ellen und sozialen Lernen aus Fehlern durch Selb­stre­flex­ion, Erfahrung sowie Sanktionen. Wer konkret handelt, erzielt konkrete Ergebnisse. Da Märchenhelden Fehler als Chance betrachten, zeigen sie oft Mut, geben nicht auf, bitten um Hilfe, vertrauen sich selbst und lassen sich nicht durch äußere Reize wie Geld oder Status motivieren. Allerdings gehen sie oft auch allzu le­icht­fer­tig hohe Risiken ein.

„Märchen schildern Kreativität nicht nur als mentale Kreativität, sondern erweitern sie um soziale Kreativität.“

Unabhängig davon, dass die Gebrüder Grimm die schon vor ihrer Zeit bestehenden Märchen unter dem Einfluss der damals herrschen­den Werte bear­beit­eten, bieten die Geschichten auch für heutige Gen­er­a­tio­nen viel Lernstoff. Hierzu zählt vor allem, dass Fehler neue Chancen eröffnen, dass gemeinsame Reflexion gegen­seit­iges Verständnis fördert und dass Sanktionen nicht von vornherein aus­geschlossen werden sollten.

Die Bedeutung der emotionalen Intelligenz

Während in Un­ternehmensleitsätzen und -visionen das rationale Denken betont wird, handeln Märchen vor allem von Gefühlen und sozialen Beziehungen. Emotionale Intelligenz ist ein Haupt­merk­mal von Märchenhelden. Was genau darunter zu verstehen ist, lässt sich jedoch nur schwer erfassen.

„Viele Märchen vermitteln implizit die Botschaft, prosoziales Verhalten lohne sich.“

Eine konkrete Definition konnte bislang auch die Wis­senschaft nicht erarbeiten. Der Amerikaner Daniel Goleman, der den Begriff geprägt hat, bezeichnet emotionale Intelligenz als das „Erzeugen von Resonanz“, um gemeinsam mit anderen Menschen Dinge in die Tat umzusetzen. Aus Sicht der Hirn­forscher wird die emotionale Intelligenz durch Gene, Erziehung, frühge­burtliche Bindungen und die Entwicklung des Gehirns geprägt. Zudem gelten rationales Denken und Gefühle als eng miteinander verbunden.

„Selb­stver­trauen scheint als Basis für Fremd­ver­trauen ebenso wichtig, auch weil man mit Ver­trauensbrüchen dann besser umgeht.“

In Märchen bedeutet emotionale Intelligenz immer ein Verhalten, das sozial aus­gerichtet ist. Der Erfolg der Helden beruht sogar meist darauf, dass sie sich für andere Personen einsetzen, ohne einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen. Besonders trifft das auf Figuren zu, die mit mäßigen in­tellek­tuellen Fähigkeiten aus­ges­tat­tet sind. Emotionale und soziale Intelligenz machen in den Märchen zudem häufig den Nachteil mangelnden Vermögens oder fehlender Macht wett.

„Märchenleitsätze bewirken Selb­stre­flex­ion und Kom­mu­nika­tion, wenn sie damit konkrete Erfahrungen verbinden.“

Es ist eine der Ker­naus­sagen der alten Geschichten, dass die Kooperation mit anderen, Einfühlungsvermögen, kon­struk­tives Streiten und Respekt Glück verheißen. Auch eigenständiges Denken und eigen­willige Handlungen sind möglich, solange die Beweggründe sozialer Art sind. Damit emotionale Intelligenz wirkt, wird allerdings die Selb­stre­flex­ion der eigenen Sozialkom­pe­tenz vo­raus­ge­setzt.

Auch wenn die Bedeutung von Emotionen in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert wird, herrscht in der Man­age­men­taus­bil­dung noch immer die Vermittlung von fachlichen und kognitiven Fähigkeiten vor. Die Potenziale von Mi­tar­beit­ern lassen sich jedoch nur dann optimal entwickeln, wenn die emotionale Prägung, die jeder Mensch erfährt, berücksichtigt und regelmäßig reflektiert wird.

Un­ter­suchun­gen zeigen zudem, dass Menschen, die ihre eigenen Gefühle immer wieder auf den Prüfstand stellen, eine deutlich stabilere Persönlichkeit aufweisen. Deshalb sollte man bei Ausbildung und Auswahl von Führungskräften künftig das Haup­tau­gen­merk auf die emotionale und soziale Intelligenz legen.

Ethisches Verhalten als Führungskap­i­tal

Ver­tragstreue gilt schon seit jeher als Marken­ze­ichen eines guten Un­ternehmers. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben und Verträge nur noch selten per Handschlag abgeschlossen werden, zählt das Worthalten zu einem der wichtigsten An­forderungskri­te­rien für Manager.

Genauso bedeutet die Einhaltung von Versprechen und Absprachen für Märchenhelden eine ständige Her­aus­forderung. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte des Froschkönigs, der darauf besteht, dass die Prinzessin ihr Versprechen hält und den Frosch zum Dank für das Wieder­brin­gen ihrer goldenen Kugel in ihr Schloss holt. Die Haupt­per­so­nen in Märchen rechnen allerdings oft mit Ver­trauens­bruch und verfolgen hartnäckig ihre Ziele. Unterstützend verwenden sie auch Sanktionen, damit das Gute letztlich über das Böse siegen kann.

Das Management setzt dagegen auf die Selb­stverpflich­tung. Die Realität zeigt jedoch, dass das freiwillige Worthalten kein zuverlässiges Mittel ist, um Vertrauen in einem Unternehmen aufzubauen. Führungskräfte sollten sich daher an die Erken­nt­nisse der Märchen halten und durchaus die Möglichkeit in Betracht ziehen, z. B. Lohnbe­standteile wie Boni nicht zu zahlen oder aufzuschieben, wenn Mitarbeiter nicht glaubwürdig handeln.

Der Vergleich von Leitsätzen in Märchen und Management belegt, dass die alten Geschichten ein sehr gutes Mittel sind, um die Menschen zum Überdenken ihrer Gefühle und ihres Handelns anzuleiten.

Märchen können als Fall­beispiele für konkrete Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen, Pro­jek­ther­aus­forderun­gen oder Weit­er­bil­dun­gen eingesetzt werden. Die gemeinsame Diskussion über die gesellschaftlichen Werte der Märchen fördert nicht nur eine offene, ver­trauensvolle Un­ternehmen­skul­tur, sondern verstärkt auch die Verbreitung von erwünschten Ver­hal­tensweisen. Unternehmer und Manager, die sich dafür starkmachen, tragen dazu bei, dass Märchen nicht mehr ausschließlich eine entschei­dende Rolle bei der Sozial­isierung von Kindern spielen. Sie machen vielmehr deutlich, dass auch Erwachsene ihre emotionale Intelligenz bis ins hohe Alter schulen können.

Über den Autor

Rolf Wunderer ist Gründer und Partner des Instituts für Führung und Per­sonal­man­age­ment an der Schweizer Universität St. Gallen. Seit 45 Jahren forscht und publiziert der emeritierte Professor zu Un­ternehmer­tum und Mi­tar­beit­erführung. In diesem Rahmen beschäftigt er sich seit zehn Jahren mit der Verbindung von Management und Märchen. Wunderer leitet darüber hinaus den Ar­beit­skreis „Märchen und Management“ der Schweiz­erischen Märchenge­sellschaft (SMG).