Marketing gegen den Strom

Buch Marketing gegen den Strom

Misstrauen Sie Trends und Experten – Finden Sie Ihren eigenen Weg!

Schäffer-Poeschel,


Rezension

Mar­keting­ex­perten ist nicht zu trauen – sagt Mar­keting­ex­perte Christian Belz. Wer von seinem Buch allerdings eine Breitseite gegen die ganze Zunft vermutet, liegt falsch. Es sind hauptsächlich die wohlfeil­sten Methoden und Gemeinplätze, an denen sich Belz stört. Dagegen setzt er seine „Denkplätze“ – Einsichten, die er im Lauf seiner 20-jährigen Professur gewonnen hat und die er nun mit allen Praktikern teilen möchte. Es geht um Trends, Strategien, In­no­va­tio­nen, Chancen, um Dif­feren­zierung, Kom­mu­nika­tion und natürlich immer wieder um die Kunden. Dass Belz so manches Mar­ket­ing-Buzz­word auf den Boden zurückholt, ist dankenswert. Dabei driftet der Text immer wieder von handfesten Tipps ins Feuil­leton­is­tis­che ab. Das ist zweifellos sehr angenehm zu lesen, und viele Passagen bedenkt man mit einem wohlwol­len­den Nicken. Direkt umsetzbare Konzepte sucht man hingegen vergeblich, aber darum geht es dem Autor auch nicht – er will zum grundsätzlichen Denken anregen. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Mar­ket­ingspezial­is­ten, die alte Zöpfe abschneiden und ihre eigenen flechten wollen.

Take-aways

  • Hecheln Sie nicht jedem Trend hinterher, lassen Sie In­no­va­tio­nen Zeit, bis sie ausgereift sind.
  • Blicken Sie beim Bench­mark­ing über den Tellerrand hinaus und greifen Sie Ideen aus anderen Märkten auf.
  • Erleichtern Sie Ihren Kunden die Kaufentschei­dung mit Gratis- oder Ein­stiegsange­boten.
  • Versuchen Sie nicht, etwas zu vertuschen. Offenheit steigert die Kun­den­loy­alität.
  • Fördern Sie In­bound­mar­ket­ing: Jeder Kunde, der von sich aus mit dem Unternehmen Kontakt aufnimmt, sollte priv­i­legiert behandelt werden.
  • Lernen Sie von den jüngsten Unternehmen Ihrer Branche und wagen Sie auch einmal un­kon­ven­tionelle Mar­ketingak­tivitäten.
  • Maßnahmen wie Di­rek­t­mar­ket­ing, Events oder Kun­den­schu­lun­gen sind oft effizienter und flexibler als die Stan­dard-Mar­ket­ing­w­erkzeuge (Plakate, Inserate usw.).
  • Fokussieren Sie Ihr Angebot auf Ihren Kernbereich und bieten Sie innerhalb dieses Segments Vielfalt.
  • Einzi­gar­tigkeit um jeden Preis muss nicht sein. Es reicht, wenn Sie als besonders solider Anbieter in Ihrer Branche wahrgenom­men werden.
  • Transparenz ist entschei­dend: Ihre Produkte müssen klar und sofort verständlich sein.
 

Zusammenfassung

Fehlende Skepsis

Manchmal sind Mar­ket­ingleute wie die Lemminge: Sie folgen blind den Trends der Branche und vergessen, ihr eigenes Gehirn einzuschal­ten. Das ist gefährlich, denn allzu schnell schleichen sich Glaubenssätze und Rituale ein, deren Nutzwert kaum hinterfragt wird. Glaubenssätze basieren auf Erfahrungen, werden aber irgendwann einfach geglaubt, ohne dass sie erneut auf den Prüfstand gestellt werden. Rituale bauen auf Glaubenssätzen auf und werden immer weitergeführt, optimiert und verbessert, ohne dass sie als Ganzes überdacht werden. Beides verbaut den klaren Blick auf die Wirk­lichkeit. Wenn man einige der bekan­ntesten Ex­perten­mei­n­un­gen und Mar­ket­ing­weisheiten kritisch hinterfragt, stellt sich schnell heraus, dass nicht alles in der Mar­ket­ing­welt so ist, wie wir es seit Jahren und Jahrzehnten annehmen.

Hor­i­zon­ter­weiterung

Tren­da­pos­tel gibt es viele. Aber die ständige Hetzjagd nach dem neuesten Trend ist schädlich für viele In­no­va­tio­nen. Die meisten Manager wollen sofort „schlüsselfertige“ Lösungen, die sie unmittelbar nutzen können. Deshalb begnügen sie sich mit 60 %-Lösungen, und bevor die neuen Produkte und Ideen richtig ausgereift sind, kommen schon die nächsten dran. Das ist im Marketing nicht anders. Investieren Sie in In­no­va­tio­nen, aber lassen Sie den Lösungen Zeit zu reifen!

„Manche Erklärungen im Marketing sind nicht nur ziemlich falsch, sie wirken sich gle­ichzeitig schlecht aus.“

Im Unternehmen bilden Tech­nikabteilung und Mar­ketingabteilung zwei Pole. Am einen Pol wird an Pro­duk­t­spez­i­fika­tio­nen gedacht und eine tech­nikzen­tri­erte Sichtweise gepflegt, am anderen geht es um Nutzen­ver­sprechen, Kun­de­nori­en­tierung und Mark­t­tauglichkeit. Beide Pole müssen zusam­menwach­sen, denn weder selb­stver­liebtes Tech­nikgeschwurbel noch der aalglatte Mar­ket­ingslang können alleine bestehen.

„Technik und Marketing betrachten das Gleiche aus un­ter­schiedlicher Perspektive.“

Betreiben Sie Bench­mark­ing? Gut so, aber machen Sie bitte nicht den Fehler, Ihr Wet­tbe­werb­sum­feld zu klein zu definieren. Wenn Sie immer nur reaktiv das machen, was andere auch tun, werden Sie keine In­no­va­tio­nen schaffen. Orientieren Sie sich lieber an den Kunden und schielen Sie über den Tellerrand: Vielleicht hat ein Unternehmen, das nicht zu Ihren Wet­tbe­wer­bern gehört, gerade die Lösung gefunden, die Ihren Kunden noch fehlt. Der Kunde ist König: Beteiligen Sie ihn an Pro­duk­ten­twick­lun­gen, wie es in der Open-Source-Gemeinde bei Soft­ware­pro­duk­ten der Fall ist. Das Minimum ist, dass Sie Ihre Kunden regelmäßig befragen.

Kunden ernst nehmen

Nehmen wir an, ein bestimmter Aktienfonds notiert leicht über dem Index. Was macht die Bank? Klar, sie lässt ihre Mar­ketingabteilung aus allen Rohren feuern und posaunt es in die Welt hinaus. Und was macht sie, wenn die Kurse vollkommen abgestürzt sind? Nor­maler­weise nichts. Der Kunde soll stillhalten. Und nun will man sich allen Ernstes einreden, dass dieser Kunde zum Unternehmen dazugehört wie Buchhaltung oder Per­son­al­abteilung? Allzu oft streicht das Marketing die Vorteile heraus und kehrt die Nachteile elegant unter den Teppich. Die Kunden fühlen sich laufend getäuscht und haben damit meist auch Recht. Wenn der Kunde wirklich König wäre, wie immer wieder betont wird, würde die Bank ihn gerade dann aktiv beraten, wenn die Kurse sinken. Vielleicht gibt es ja ein besseres Angebot für ihn, das die Verluste kompensiert?

Den Kaufstau lösen

Überdenken Sie die Zu­mut­barkeit Ihres Marketings. Wollen Sie die Nachteile für die Kunden wirklich weiterhin wegreden, oder lässt sich auch ehrlich und vielleicht humorvoll damit umgehen? So hat es IKEA gemacht und bewusst mit den Unwägbarkeiten des Eigen­trans­ports und dem Selb­stauf­bau der Möbel geworben, um den günstigen Preis zu recht­fer­ti­gen. Es ist ein him­mel­weiter Unterschied, ob der Hersteller sagt: „Sie als Kunde müssen ein wenig mitarbeiten, dafür bekommen Sie die Möbel zum un­schlag­baren Preis“ – oder ob er den Preis hochjubelt und die Nachteile verschweigt. Der Kunde fühlt sich ernst genommen, wenn er selbst entscheiden kann, ob er die Nachteile in Kauf nehmen will oder lieber für den besseren Service etwas drauflegt.

„Wer neue Märkte öffnen will, sollte sich nicht an der Konkurrenz ausrichten, sondern neue Lösungen für Kunden entwickeln.“

Viele Kunden haben einen regel­rechten „Kaufstau“: neue Möbel, die geplante Reise, neue Garderobe. Nur: Sie kaufen nicht. Das liegt oft daran, dass sie sich nicht entscheiden können. Der Nichtkauf lässt ihnen alle Optionen offen. Hier muss kaufauslösendes Marketing ansetzen, z. B. mit Grati­sange­boten oder „Jetzt kaufen, später zahlen“-Lösungen. Auch die Strategie von Druck­er­her­stellern – der Drucker ist billig, das Ver­brauchs­ma­te­r­ial teuer – kann die Reizschwelle zum Kauf herabsetzen.

Inbound statt Outbound

Marketing versucht permanent, die passiven Kunden unter Druck zu setzen. Diese aggressive Haltung schädigt das Geschäft. Die Kunden werden noch passiver und merken sich die Hersteller mit der pen­e­tran­testen Werbung als in­akzept­able Anbieter. Nutzen Sie die Chance zu mehr In­bound­mar­ket­ing. Nicht Sie sollten den Kunden auf den Wecker gehen, sondern die Kunden sollten sich bei Ihnen melden. Das schließt Beschwerden mit ein, denn gerade im Rekla­ma­tion­s­man­age­ment haben viele Unternehmen ihre Hausauf­gaben noch nicht gemacht. Jeder Kunde, der freiwillig mit dem Unternehmen Kontakt aufnimmt, sollte besonders geschätzt und geehrt werden. Stattdessen wird er oft in die Warteschlangenhölle der Callcenter geschickt. Haben auch Sie Ihre Kunden in A-, B-, und C-Kunden aufgeteilt? Die A- oder Großkunden sind für das Volumen wichtig, die C-Kunden für die besseren Margen. Viele C-Kunden muss man aber wie A-Kunden behandeln, sonst wandern sie ab. Deshalb sollten Sie sich überlegen, spezial­isierte Ansprech­part­ner für jede Kun­den­gruppe einzuführen.

Mar­ket­ingchan­cen erkennen

Die Instrumente im Marketing wachsen und wuchern ungezügelt. Fokussieren Sie! Sie müssen nicht jede angebliche Mar­ketingin­no­va­tion für sich nutzen. Sonst verhalten Sie sich wie eine Fußball­mannschaft, die keine Tore schießt und deshalb den Sieger im Schwimmen rekrutiert. Was fehlt, sind nachhaltige und geschlossene Mar­ket­ingsys­teme, die zusammenfügen, was zusammengehört.

„Der Kunde wird bedrängt, belästigt, von Marken angeschrien.“

Wann sind Sie besonders in­no­va­tions­freudig? Wahrschein­lich in der Krise, denn so geht es auch dem Rest der Wirtschaft­sun­ternehmen. Wenn das Wasser bis zum Hals steht, lernen viele Geschäftsführer das Fliegen. Welche Unternehmen sind für den Wettbewerb am gefährlichsten? Die jungen, neuen, die Start-ups. Diese stehen einer gewaltigen Kraftanstren­gung gegenüber und müssen den etablierten Markt bezwingen. Entsprechend modern und ein­fall­sre­ich, kreativ und un­kon­ven­tionell machen sie Marketing. Lernen Sie von ihnen! Wer glaubt, dass vor allem die großen Konzerne wirklich gutes Marketing machen, täuscht sich. Gerade die vielen Mittelständler sind gut darin, die richtigen Kun­denseg­mente anzus­prechen. Da wird kein Mil­lio­nen­bud­get verbrannt, sondern es werden ganz gezielt Klein- und Kle­in­stak­tio­nen mit überzeu­gen­dem Ergebnis lanciert. Marketing mit Augenmaß.

Mod­erieren­des Marketing

Viele Strategen drängen fortdauernd darauf, dass ihre Unternehmen die Pro­duk­t­palette erweitern, di­ver­si­fizieren und neue Lösungen anbieten. Manchmal geht das aber am Bedarf vorbei. Dann wird nicht mehr nach einer Lösung für ein Problem gesucht, sondern Lösungen suchen ein Problem. Vere­in­fachen und entschlacken Sie, wo immer Sie können. Setzen Sie auf Vielfalt, aber innerhalb Ihres Kern­bere­ichs. Es ist nur wichtig, dass Sie den richtigen Fokus finden und alles Unnütze weglassen.

„Viele Merkmale, die mit Mil­lio­nen­bud­gets propagiert werden, nimmt der Kunde entweder gar nicht wahr oder hält sie für unerheblich.“

Apropos Fokus: Alle reden von der In­di­vid­u­al­isierung und vom Wegbrechen des Vol­u­mengeschäfts. Doch in­di­vidu­elles Marketing findet in den seltensten Fällen wirklich statt – obgleich ständig davon gesprochen wird. Das führt zu der Vermutung, dass das Massengeschäft immer noch funk­tion­iert und noch lange nicht out ist. Statt der In­di­vid­u­al­isierung mit halb­herzi­gen Lösungen nachzu­laufen, sollten sich Unternehmen viel mehr um Stan­dar­d­isierung und Mod­u­lar­isierung kümmern. Das ist derzeit noch die bessere Wahl.

„Wo Ideen fehlen, wuchern die Konzepte.“

Wie steht es um die permanente Forderung nach Einzi­gar­tigkeit? Tatsache ist, dass die meisten Mar­ket­ing­fach­leute nach Schema F vorgehen. Sie glauben, Er­wartung­shal­tun­gen bedienen zu müssen. Eine Bank, die anders als alle anderen Banken ist, wird nicht mehr als Bank akzeptiert. Her­aus­fallen aus der Masse: Diese Forderung können eigentlich nur Topmarken wie Coca-Cola oder Nike erfüllen, weil sie nicht erklärungsbedürftig sind. Mittlere und kleine Marken sollten versuchen, „mod­erieren­des Marketing“ einzusetzen. Soll heißen: Keine Einzi­gar­tigkeit propagieren, sondern im Konzert der Marken eine solide Rolle einnehmen und „den Markt moderieren“.

Echte Emotionen und Transparenz

Es wird viel darüber geschrieben, wie der Kaufprozess von Kunden abläuft und wie man ihn begleiten kann. Vieles davon ist zu oberflächlich. Es gibt nicht nur eine Phase vor dem Kauf, sondern viele kleine Etappen, die auf den Kauf zulaufen. Hier muss die Mark­t­forschung unbedingt aktiver werden, damit diese Etappen wirkungsvoll begleitet werden können. Werbung soll Emotionen wecken – klar, das ist landläufig bekannt. Aber leider wird Marketing häufig zu einer sterilen und un­wirk­lichen Kitschkulisse aufgeblasen, die kein Kunde mehr wahrnimmt. Deshalb gilt: Weg von künstlicher Emotionalität, hin zu echten Emotionen, die das Produkt weckt. Das Produkt steht im Mittelpunkt. Basta.

„Be­low-the-line-Mar­ket­ing entspricht der Philosophie des Bot­tom-up-Mar­ket­ing.“

Ist Marketing transparent? Das sollte so sein, aber durch die immer verzweigteren Lösungen vieler Unternehmen bewegt es sich oft im Nebel. Zu viele Angebote, zu viele Tarife, zu viele Wahlmöglichkeiten. Transparenz und Einfachheit tun not. Der Telekom­mu­nika­tion­san­bi­eter Orange rechnet mit seinen Kunden automatisch den günstigsten Tarif ab. Da gibt es keine Qual der Wahl mehr, entsprechend zufrieden sind die Kunden.

Bottom-up statt top-down

Gute Einfälle zählen in der Praxis mehr als formale Konzepte. Wichtig: Jeder Mar­ket­ing­plan sollte verbindlich sein, damit alle Beteiligten ihn nicht als nebulöses Wolkenge­bilde auffassen und innerlich ablehnen können. Innerhalb des Un­ternehmens sind die Mar­ket­ingleute meist die Frohnaturen vom Dienst. Vor allem am Anfang des Jahres, wenn das Budget noch erreichbar scheint, drücken sie heftig aufs Gas. Doch spätestens wenn im zweiten Quartal die Ist-Zahlen nicht so schwarz sind wie die Soll-Zahlen, treten ihre natürlichen An­tag­o­nis­ten auf den Plan: die Controller. Das Zerren der beiden Kräfte ist normal. Je nach wirtschaftlicher Lage behält einmal die eine, dann die andere die Oberhand.

„Wir brauchen wieder mehr Gen­er­al­is­ten mit ‚Kraft und Saft‘ im Marketing, sonst werden die Unternehmen hand­lung­sunfähig.“

Marketing wird gerne top-down vorgegeben, doch diese Strategie funk­tion­iert selten. Besser ist es, auf die Kräfte zu vertrauen, die direkt am Markt arbeiten, also Bot­tom-up-Mar­ket­ing zu betreiben. Noch mehr Gewicht als bisher wird zukünftig die Be­low-the-line-Kom­mu­nika­tion erhalten. Was „unterhalb“ der Stan­dard-Mar­ket­ing­w­erkzeuge (Plakate, Inserate, TV-Spots usw.) angewendet wird, also z. B. Di­rek­t­mar­ket­ing, Events oder Kun­den­schu­lun­gen, ist oft effizienter und flexibler, es lässt sich besser von unten nach oben planen. Zum Schluss eine wichtige Erkenntnis: Im Marketing braucht es wieder mehr Gen­er­al­is­ten! Die Themen und Fragestel­lun­gen haben sich in den letzten Jahren so dramatisch vervielfacht, dass man jetzt Leute braucht, die den Überblick behalten.

Über den Autor

Christian Belz ist or­dentlicher Professor für Marketing an der Universität St. Gallen und Mither­aus­ge­ber der Mar­ket­ingzeitschrift Thexis. Belz hat eine Reihe von Ver­wal­tungsrats­man­daten und ist Autor zahlreicher Fach­pub­lika­tio­nen.