Von der Kanzlei zum Anwaltsunternehmen
Die Verteidigung von rechtlichen Interessen Dritter ist ein Handwerk mit über 2000-jähriger Tradition. Es erfordert Argumentationsgeschick, Menschenkenntnis, umfassendes Rechtswissen und den bedingungslosen Willen zum Kampf für fremde Anliegen. Dabei sind die Anwälte genauso vom Rechtssystem geschützt wie ihre Mandanten. Allerdings obliegen ihnen auch besondere Pflichten: Sie müssen verschwiegen sein, die rechtlichen Interessen ihrer Auftraggeber achten und ihre Unabhängigkeit wahren. Zwar gelten diese Grundprinzipien nach wie vor, doch hat die unternehmerische Organisation der Anwälte insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg einen radikalen Wandel erfahren.
„Wir sehen auch dann, wenn es um unsere eigenen Unternehmen geht, die Welt aus der Perspektive des Boxers – wer immer sonst noch in den Ring steigt, kann nur ein Gegner sein!“
Ursprünglich waren Anwälte allein und nicht selten von zu Hause aus tätig. Ihr Arbeitsfeld erstreckte sich meist auf unterschiedlichste rechtliche Fragestellungen und Mandate aus allen gesellschaftlichen Schichten. Als die juristischen Anforderungen mit der Zeit komplexer wurden, begannen sich mehr und mehr Anwälte auf einzelne Gebiete wie Straf-, Arbeits- oder Wirtschaftsrecht zu spezialisieren. In der Folge schlossen sich Juristen auch zu Bürogemeinschaften, Sozietäten oder Netzwerken zusammen.
„Jeder Anwalt und vor allem jeder Partner muss lernen, dass Managementaufgaben keine streitigen Mandate sind, sondern Aufgaben, die man gemeinsam lösen muss.“
Vorteile dieser Strukturen sind neben niedrigeren Kosten ein regelmäßiger Austausch mit Kollegen, das Abfedern von Risiken, die Arbeit in Teams und eine leichtere Akquisition von Mandaten. Im Zuge der Globalisierung internationalisierten sich die Aufgaben der Rechtsvertreter. Es entstanden Aufträge im Zusammenhang mit Fusionen von Konzernen oder Börsengängen, die eine Vielzahl an rechtlichen Themen in verschiedenen Ländern berühren. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, entwickelten sich internationale Anwaltsunternehmen, die bis zu 3500 spezialisierte Anwälte beschäftigen.
Die Bedeutung des Managements
Auch wenn juristisches Fachwissen nach wie vor die Grundvoraussetzung für einen guten Anwalt ist: Über den Erfolg eines Anwaltsunternehmens entscheiden heute konsequentes Management und verantwortungsvolle Menschenführung. Diese Eigenschaften braucht es, um Strategien zu entwickeln, notwendige Veränderungen zu realisieren, umsatzstarke Mandate zu akquirieren, Risiken zu vermeiden, Gewinne zu erzielen und Stresssituationen abzubauen. Das gilt für den Einzelanwalt genauso wie für eine internationale Sozietät.
„Einzelanwälte tragen in ihrer beruflichen Arbeit die höchsten Risiken.“
Für die meisten Anwaltsunternehmen besteht die größte Herausforderung darin, die Interessen dreier unterschiedlicher Anwaltsgruppen in Einklang zu bringen. Die erste Gruppe besteht aus den erfahrenen Seniorpartnern ab 55 Jahren. Sie wollen oft kürzertreten und weniger Mandate bearbeiten. Gleichzeitig stellen sie ihr Wissen und ihre Kontakte der Firma zur Verfügung. In einer am Umsatz orientierten Lohnstruktur haben diese älteren Anwälte allerdings einen schweren Stand. Die zweite Gruppe umfasst die Sozietätspartner. Sie sind meist ab Mitte 30 und tragen die Hauptarbeit in einem Anwaltsunternehmen. Sie verfügen über viel Wissen und Energie, um lukrative Mandate zu akquirieren und erfolgreich abzuschließen. Die Mitglieder stehen allerdings nicht selten unter einer hohen Doppelbelastung, etwa wenn sie eine Familie gründen möchten. Lange Arbeitszeiten erlebt auch die dritte Gruppe der jungen Anwälte bis Anfang 30. Von ihnen wird nicht nur ein hoher Einsatz verlangt; oft reicht ihr Wissen auch noch nicht aus, um Mandate allein betreuen zu können, und sie müssen sich mit weniger attraktiven Aufgaben begnügen.
Die richtige Strategie
Voraussetzung für ein umsatzsteigerndes Management ist eine grundlegende Strategie. Viele Anwälte halten die Auseinandersetzung damit jedoch noch für überflüssig. Dabei bildet eine Strategie die Basis für alle weiteren Entscheidungen, Ziele und alltäglichen Maßnahmen. In ihr wird das Unternehmen in seiner Gesamtheit betrachtet und darauf aufbauend werden klare Strukturen entwickelt, die eine Richtschnur für jedes einzelne Mandat liefern. Zur Strategie gehört etwa, die eigenen Stärken genau zu kennen und sich nicht in vielen Aufgabengebieten, Ländern, Branchen, Mandantengruppen oder Projekten zu verzetteln.
„Nach Erfahrungssätzen kann ein Anwalt drei bis fünf größere Mandanten und etwa eine gleiche Zahl Fachgebiete gut beherrschen.“
Eine Strategie gibt aber auch umfassende Antworten über den in der Sozietät gepflegten Führungsstil. So ist eine offene Kommunikation, die auf Vertrauen basiert und in der Konflikte, Emotionen und Kritik nicht unter den Teppich gekehrt werden, für Juristen unverzichtbar. Um den Interessen der Mandanten gerecht werden zu können, müssen sowohl die Ziele der Sozietät wie auch die der einzelnen Anwälte gemeinsam vereinbart und deren Umsetzung regelmäßig beurteilt werden. Darüber hinaus sollten die persönlichen Fähigkeiten und Vorlieben jedes Anwalts in der Firmenorganisationen ausdrücklich berücksichtigt werden. Vor allem junge Anwälte müssen sich durch die Zusammenarbeit mit erfahrenen Kollegen laufend weiterentwickeln können. Eine solche Unterstützung garantiert eine hohe Arbeitsmotivation.
Das Geheimnis erfolgreicher Führung
Im Arbeitsalltag lassen sich die grundsätzlichen Führungsprinzipien mithilfe konkreter Werkzeuge umsetzen. Die wichtigste Maßnahme ist die Festlegung von Regeln, u. a. für die Unternehmenskultur, die Kommunikation, die Weitergabe von Wissen, die Fortbildung und die Teamstrukturen. Für Konferenzen kann beispielsweise gelten, dass Jüngere zuerst reden, dass ein Sprecher nicht unterbrochen wird oder dass generell offene Fragen zu stellen sind. Weitere Führungsmethoden sind Anerkennung, konstruktive Kritik, eine transparente Zeiterfassung oder richtiges Delegieren. Diese Maßnahmen zeigen aber nur dann ihre Wirkung, wenn sie auf der Basis von Kennzahlen umgesetzt werden. Neben den selbstverständlichen Finanzdaten wie Umsatz, Kosten oder Liquidität sollten Anwaltsunternehmen auch so genannte Wirkungsindikatoren wie die Zahl ertragsstarker Dauermandate, den Zeitraum von der Rechnungserstellung bis zur Bezahlung oder die Anzahl der Veröffentlichungen der Anwälte erfassen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, das Geschäft über festgelegte Budgets etwa für Investitionen oder Ausbildung zu steuern. Aber: So wichtig die Planung auch ist, Anwaltsunternehmen schaffen sich nur dann einen guten Ruf, wenn sie ihren Mitarbeitern Raum geben, neue Wege auszuprobieren.
Unterschiedliche Persönlichkeiten integrieren
Eine weitere wichtige Führungsaufgabe ist es, möglichst viele unterschiedliche Anwaltstypen ins Unternehmen zu integrieren und sie zu einer harmonischen Truppe zu entwickeln. Dies gilt besonders für die Auswahl der Partner, die im Gegensatz zu einfachen Anwälten Gesellschafter des Unternehmens sind. Sie sind direkt an Gewinn und Verlust beteiligt. Grundsätzlich werden unter den Juristen vier Hauptpersönlichkeiten unterschieden, die alle in einer Sozietät vertreten sein sollten: der „Finder“, der mit Leidenschaft Aufträge hereinholt, der „Minder“, der die gemeinsame Unternehmensvision im Blick hat, der „Grinder“, der jedes Detail verfolgt und für Genauigkeit sorgt, und der „Binder“, der bei Konflikten alle Parteien an einen Tisch bringen kann. Alle zusammen müssen sich heute, insbesondere in großen Sozietäten, zuallererst als Händler verstehen, die Rechtswissen und Beratung verkaufen.
„Anwälte lassen sich nicht hierarchisch führen wie eine Industriefirma.“
Neben diesen allgemeinen Kriterien müssen bei der Personalwahl auch individuelle Qualifikationen geprüft werden, etwa die Fähigkeit zur Selbstkritik, Charakterfestigkeit oder der Nachweis, Teams führen zu können. Große Potenziale können Anwaltsunternehmen zudem erschließen, wenn sie Frauen eine Chance geben, in die Führungsetage zu gelangen. Obwohl Anwältinnen beim Aufstieg zum Partnerstatus noch immer benachteiligt werden, haben sie längst bewiesen, dass sie im Gegensatz zu vielen männlichen Kollegen keine Titel benötigen, um ergebnisorientiert zu arbeiten.
Die richtigen Mandanten gewinnen
Anwälte haben eine äußerst anspruchsvolle Kundschaft: Verlangt werden u. a. umfassende Spezialkenntnisse, eine schnelle Bearbeitung von Anfragen, ein enges Vertrauensverhältnis, Wissen auf allen Rechtsgebieten und niedrige Preise. Um sich diesen teilweise widersprüchlichen Bedürfnissen zu stellen, müssen sich Anwaltsunternehmen jeder Größe auf bestimmte Rechtsthemen spezialisieren. Allerdings liegt darin auch die Gefahr, sich von Moden abhängig zu machen, nicht flexibel auf Marktveränderungen reagieren zu können oder sich zu einseitig auszurichten. Deshalb sollten jährlich rund 5 % Mandanten akquiriert werden, die das Themenspektrum erweitern.
„Wichtig ist die Erkenntnis, dass hinter Konflikten immer auch Machtkämpfe verborgen sind, die man aufdecken muss, um ein Ergebnis zu erreichen.“
Das Akquisitionsmanagement umfasst zahlreiche Maßnahmen wie Werbung, Public Relations oder persönliche Kontaktaufnahme. Dabei ist ein einheitlicher Auftritt in Form einer Corporate Identity unerlässlich. Internetseiten, Prospekte, Briefe oder Anzeigen müssen so gestaltet werden, dass sie leicht zu erfassen sind und dass das Anwaltsunternehmen sofort wiedererkannt wird. Das Vertrauen zu den Mandanten lässt sich durch Arbeitsproben, Referenzen oder Empfehlungen vertiefen. Zudem sollten Kunden ihre verantwortlichen Ansprechpartner jederzeit erreichen können.
„Anwälte entwickeln ähnliche Teamkulturen wie Zeitungsredaktionen, und wie bekannt ‚wird die Zeitung auf dem Flur gemacht‘.“
Ein kritischer Aspekt in jeder Mandantenbeziehung ist die Honorarfrage. Inzwischen sind zahlreiche Abrechnungsmodelle entwickelt worden. Neben der Gebührenordnung werden Honorare nach Zeitaufwand, Streitwert, Festpreisen, Erfolg oder wirtschaftlicher Beteiligung an Projekten des Kunden festgelegt. Welche Abrechnungsstruktur gewählt wird, hängt letztlich von der Gesamtstrategie des Anwaltsunternehmens ab. Für die Mandanten ist nur entscheidend, dass die Honorarstruktur transparent und der erbrachten Leistung angemessen ist. Sollte es dennoch zu Konflikten kommen, hilft ein offenes Gespräch, um die Situation zu klären. Das Gleiche gilt für Beratungsfehler der Anwälte und mögliche Haftungsfragen.
Das Gesamtunternehmen im Blick
Gute Manager sind immer in der Lage, das große Ganze zu betrachten. Für Anwaltsunternehmen ist es daher sinnvoll, einen so genannten Managing Partner zu bestimmen, der das Gesamtunternehmen ständig im Blick hat. Er kümmert sich darum, wie die Aufgaben verteilt sind, ob der Informationsaustausch zwischen den Anwälten funktioniert, ob die Ziele eingehalten werden, ob die Vergütungsstruktur festgelegt ist, und im Fall von Fehlern auch um die Durchsetzung von Sanktionen.
„Fehler und Irrtümer führen nicht immer dazu, dass ein Projekt instabil wird.“
Zu den weiteren Aufgaben des Managing Partners gehört es, die im Unternehmen vereinbarten Regeln auf ihre Umsetzung zu prüfen, regelmäßig Zertifizierungen durchführen zu lassen und Qualitätshandbücher zu organisieren sowie ein Meldesystem für Risiken zu etablieren. Darüber hinaus soll der Managementverantwortliche auf die Arbeitsbedingungen achten, etwa eine ausreichende Haftpflichtversicherung, gesundheitsfördernde Arbeitsplätze, ein effektives IT-System, Heimbüros oder die Organisation von Akten und Daten.
„Viele Anwälte haben nicht den Mut, ihre Mandatsstrukturen bewusst zu beschränken.“
Für den Erfolg eines Anwaltsunternehmens ist auch ein umfassendes Finanzmanagement wichtig. Dazu zählen eine detaillierte Buchhaltung, aussagefähige Kennzahlen sowie Budgets. Zudem muss eine faire und transparente Gewinnverteilung vereinbart werden, die auf Rang- oder Leistungskriterien basiert. Schließlich sollte die rechtliche Struktur immer wieder auf ihre Vereinbarkeit mit der Gesamtstrategie überprüft werden. Dabei ist Vorsicht angesagt, denn diese Struktur kann sehr komplex sein: Neben einfachen Absprachen existieren in vielen Sozietäten auch Gesellschafts-, Partner-, Netzwerk- und Bürogemeinschaftsverträge. Grundsätzlich gilt für alle Vereinbarungen: Sie müssen leicht verständlich und konkret sein sowie die Verantwortlichkeiten klar definieren.