Markt und Marktteilnehmer
Der Markt für pharmazeutische Produkte bleibt selbst in Zeiten größerer Konjunkturschwankungen stabil: Medikamente werden schließlich immer gebraucht. Im Jahr 2007 lagen die Umsätze, die mit Arzneimitteleinkäufen in Apotheken erzielt wurden, in den USA bei 219 Mrd. Dollar, in Europa bei 104 Mrd. Dollar und in Japan bei 57 Mrd. Dollar. Für Arzneimittel gibt es zwei Teilmärkte: den Apothekenmarkt und den bedeutend kleineren Klinikmarkt. Letzterer zeichnet sich durch ein recht freies Spiel von Angebot und Nachfrage aus, während Ersteren Preisstabilität und -transparenz kennzeichnen. Große Gewinne werden vor allem mit den so genannten Megabrands (mehr als eine Milliarde Umsatz in weniger als zwei Jahren, z. B. Viagra) oder Blockbuster-Medikamenten (mehr als eine Milliarde Umsatz über die gesamte Lebenszeit, z. B. Prozac) eingefahren.
„Anders als andere Arbeitsgebiete wie z. B. die Chemie entwickelt sich der Pharmamarkt unbeeinflussbar von Konjunkturzyklen.“
Der Pharmamarkt setzt sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammen. An erster Stelle steht die forschende pharmazeutische Industrie, die gewaltige Aufwendungen im Bereich Forschung & Entwicklung hat. Die Untersuchung von rund 10 000 Substanzen führt nach einer durchschnittlichen Forschungsarbeit von zwölf Jahren zu einem einzigen marktgängigen Produkt. Kein Wunder, dass dieser Markt von großen Unternehmen dominiert wird. Zu den einflussreichsten gehören: Pfizer (USA), Sanofi-Aventis (Frankreich), GlaxoSmithKline (Großbritannien), Novartis und Roche (beide Schweiz).
„Der Staat soll Arzneimittelsicherheit gewährleisten, ohne jedoch Innovationen zu verhindern.“
Biotechunternehmen setzen auf die praktische Nutzung biologischer Systeme. Vor allem die Gentechnologie und die Mikrobiologie sind Schlüsseltechnologien für dieses stark wachsende Segment. Der Umsatz börsennotierter Biotechfirmen erreichte 2007 die Marke von 80 Mrd. Dollar. Der dritte Player, die Generikahersteller, zielt auf den Massenmarkt und die kostengünstige Herstellung von Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist. Contract Research Organizations (CROs) sind Dienstleister, die im Auftrag großer Pharmakonzerne Teilbereiche der Medikamentenentwicklung übernehmen. Schließlich gibt es Medizintechnikkonzerne, die sich auf die Herstellung medizinischer Geräte, bioverträglicher Prothesen und moderner bildgebender Verfahren konzentrieren.
Forschung und Entwicklung neuer Medikamente
Alexander Fleming entdeckte das Penicillin eher zufällig. Als ein Pilz eine seiner Bakterienkulturen „verunreinigt“ hatte, erkannte Fleming intuitiv, dass er eine sensationelle Entdeckung gemacht hatte: das erste Antibiotikum. Heute kann sich die Pharmaindustrie nicht auf glückliche Zufälle verlassen, sondern sucht aktiv nach wirksamen Substanzen.
„Die Situation auf dem Pharmamarkt ist geprägt von zunehmender Austauschbarkeit.“
An dieses so genannte Screening schließt sich die gezielte Veränderung der Strukturen (Drug Design) und die Überprüfung und Beeinflussung der Nebenwirkungen auf den menschlichen Organismus an. Die Forscher haben es auf so genannte Leitstrukturen abgesehen. Dabei handelt es sich um Substanzen, die eine therapeutische Wirkung an bestimmten Proteinen hervorrufen. Sie bilden die Basis für ein Medikament, müssen aber noch hinsichtlich ihrer Wirkstärke, Giftigkeit, Abbaubarkeit und Verfügbarkeit im Körper optimiert werden. Von rund einer Million Leitstrukturen lassen sich meist nur eine oder zwei Substanzen ableiten (die DDCs, Drug Development Candidates), die für die nächste Forschungsrunde taugen. Ein DDC wird in eine Form gebracht, die chemisch nachgebaut werden kann, und die Wechselwirkung mit verschiedenen Hilfsstoffen wird untersucht.
Von vorklinischen Tests bis zur Zulassung
Der DDC muss in eine Struktur gebracht werden, die die therapeutischen Ziele unterstützt und eine ausreichende Bioverfügbarkeit (Aufnahme im Organismus) sicherstellt. Er muss z. B. eine entsprechende Löslichkeit und Säureresistenz aufweisen. Die Herstellung des Medikaments wird zu diesem Zeitpunkt ebenfalls überdacht, denn es muss nach der Zulassung in großen Mengen produzierbar sein. In Tierstudien kümmern sich vor allem die Pharmakologen um die Arzneimitteltoxikologie des neuen Medikaments, d. h. es wird untersucht, wann die therapeutische Wirkung einsetzt und bei welcher Dosis negative Effekte auftreten.
„Auch die umfangreichsten Untersuchungen in der präklinischen Phase können nicht das Risiko eliminieren, das erst bei einer breiten therapeutischen Anwendung erkannt werden kann.“
Pharmakokinetiker untersuchen den Zusammenhang zwischen der Konzentration der Substanzen und ihrer Wirkung. Sind die Tierstudien abgeschlossen, beginnt eine Abfolge von mehreren klinischen Studien mit immer größeren menschlichen Probandengruppen. Von den insgesamt vier Phasen liegen drei vor der Zulassung des Medikaments. Diese dauern mindestens dreieinhalb Jahre. Phase IV der klinischen Studien wird als marktbegleitende Studie parallel zur Markteinführung durchgeführt. Vor der Markteinführung eines neuen Medikaments liegt die Zulassung. Diese erfolgt in Europa durch die European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA).
Produktionsprozesse von Arzneimitteln
Im Mittelalter wurden Arzneien auf Rezept in Apotheken hergestellt. Die moderne Pharmaindustrie ist auf sichere und genau festgelegte Produktionsprozesse angewiesen. Da ein Menschenleben von der Güte der Medikamente abhängen kann, liegt das Hauptaugenmerk auf der Qualitätssicherung.
„Die Unternehmen suchen entweder nach Blockbuster-Medikamenten, die während der Patentlaufzeit längerfristig die Gewinne sichern, oder konzentrieren sich auf kleinere Spezialmärkte.“
Es kommen Regeln zur Anwendung, die in den Good Manufacturing Practices (GMP) festgelegt sind. Diese Regeln sind in Deutschland beispielsweise in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) festgeschrieben. Wichtigste Bestandteile: Für die Herstellung darf nur gut ausgebildetes Personal eingesetzt werden, Rohstoffe und Maschinen müssen qualitativ hochwertig sein, Verunreinigungen und Durchmischungen von Produkten müssen vermieden, mikrobielle Verunreinigungen ausgeschlossen werden, und die Herstellung muss nach einem genauen Prozessschema erfolgen. Die Kontrolle der Qualität und der GMP-Regeln obliegt entsprechend ausgebildetem Fachpersonal. Jeder Betrieb muss hierfür eine so genannte sachkundige Person benennen, der meist ein Produktionsleiter oder ein Leiter Qualitätskontrolle zur Seite gestellt wird. Jede neue Charge Wirk- und Hilfsstoffe muss vor Produktionsbeginn auf sämtliche einzuhaltende Spezifikationen hin überprüft werden. Für gängige Hilfsstoffe gibt es Arzneibuchmonografien, die die Spezifikationen der Stoffe genau festlegen.
Personal, Prozesse und Maschinen
Auch die eingesetzten Maschinen müssen vor Produktionsstart von einem Produktionsleiter überprüft und freigegeben werden. Immer wenn Veränderungen an den Maschinen vorgenommen wurden, muss dieser Qualifizierungsprozess erneut erfolgen. Das Herstellungsverfahren mit seinen einzelnen Verfahrensschritten gehört ebenfalls auf den Prüfstand: Beispielsweise muss genau festgelegt werden, nach welchen Schritten die Mischung eines Wirkstoffs mit anderen Hilfs- und Füllstoffen zu einer genau festgelegten Wirkstoffkonzentration vorgeht. Dieses Verfahren muss zu reproduzierbaren Ergebnissen führen. Nicht nur Menschen und Geräte, auch die Produktionsräume selbst müssen den hochsensiblen Produkten angepasst werden. Das geschieht mittels einer gestuften Produktion auf mehreren Etagen oder mithilfe eines Schleusenkonzepts, bei dem sowohl Rohstoffe als auch Mitarbeiter durch mehrere Schleusen in die Produktionsräume geführt werden. Auf dem Weg dorthin werden Alltagskleidung und Schuhe sukzessive gegen sterile Overalls und Reinraumschuhe getauscht. Jede Kontamination mit Fremdstoffen muss vermieden werden.
Validierung und Risikomanagement
Das Zauberwort bei der Herstellung von Medikamenten heißt Validierung. Der Begriff bezeichnet die Beweisführung darüber, dass ein gewähltes Herstellverfahren funktioniert und das gewünschte Ergebnis hervorbringt.
„Arzneimittel dürfen nicht ohne arzneimittelrechtliche Zulassung in den Handel gebracht werden.“
Die Validierung erfolgt in der pharmazeutischen Industrie auf mehreren Ebenen. Die Prozessvalidierung überprüft, ob der Fertigungsprozess zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Die Reinigungsvalidierung hat das Ziel, die Entfernung von Rückständen an den Maschinen zu überwachen, sodass nicht etwa Reste von Produkt A auf Produkt B übergehen, wenn es zum Wechsel in der Produktion kommt. Die Methodenvalidierung stellt die Verfahren selbst auf den Prüfstand. Bei der Computervalidierung geht es vor allem um Sicherheit und darum zu überprüfen, ob Zugriffsrechte aufrechterhalten und Bedienfehler schnell zurückverfolgt werden können. G
„Validierung kann als übergeordneter Begriff betrachtet werden und fasst alle Aktivitäten zusammen, die den Nachweis der Eignung qualitätsrelevanter Objekte erbringen.“
rundlage jeder Validierung ist die Risikoanalyse. Es sollten alle möglichen Fehlerquellen im Vorfeld der Produktion ermittelt sowie die Häufigkeit ihres Auftretens, der Schweregrad und die Möglichkeiten, den Fehler zu entdecken, quantifiziert werden. Das geht beispielsweise mit der Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA), die für jede Fehlermöglichkeit eine Kennzahl vergibt. Je höher diese Zahl bzw. je kritischer der Fehler, desto genauer muss er unter die Lupe genommen werden; evtl. muss der Prozess gar überarbeitet werden.
Intellectual Property: Patente und Marken
Intellectual Property (IP) bezeichnet das geistige Eigentum, das sich aus der Forschungs- und Entwicklungsarbeit zwangsläufig ergibt. Der Schutz des geistigen Eigentums hat insbesondere im Pharmabereich höchste Priorität.
„Qualitätssicherung ist ein essenzieller Bestandteil zur Gewährleistung der Produktsicherheit in pharmazeutischen Unternehmen.“
Patente schützen vor allem Entwicklungen und Erfindungen. Diese müssen neu und gewerblich nutzbar sein. Diagnoseverfahren oder chirurgische Behandlungsmethoden sind deshalb nicht patentierbar. Patente gelten 20 Jahre und werden beim jeweiligen nationalen oder beim Europäischen Patentamt eingereicht. Üblicherweise wird ein Patent erst im Heimatland des Unternehmens angemeldet. Ausgehend von diesem so genannten Prioritätstag können – und sollten – binnen eines Jahres auch Nachanmeldungen für alle Länder eingereicht werden, in denen Patentschutz bestehen soll.
„Es ist für einen guten Produktionsbetrieb essenziell, qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl zur Verfügung zu haben.“
„Kleine Patente“ bezeichnen Gebrauchsmuster: Sie lassen sich leichter und kostengünstiger beantragen, allerdings wird die Schutzfähigkeit nicht geprüft und der Schutz ist auf zehn Jahre begrenzt. Geschmacksmuster beziehen sich auf das Produktdesign. Dieser Schutz gilt für fünf bis 25 Jahre und wird nicht geprüft. Eine Marke muss eindeutig auf ein Produkt oder eine Dienstleistung verweisen, dann erst ist die Marke auch schutzgeeignet. Markenschutz entsteht durch die Verwendung der Marke und gilt praktisch unbegrenzt. Man kann eine Marke auch eintragen lassen, z. B. ins Markenregister des Deutschen Patent- und Markenamtes. Dieser Schutz muss alle zehn Jahre verlängert werden.
Kooperationsgeschäfte und Pharmamarketing
Kooperationen und Lizenzmodelle bieten sich immer dann an, wenn große Ziele nur in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen erreicht werden können. Beispielsweise kann im Zuge einer Co-Entwicklung die Forschungslast auf mehrere Schultern verteilt werden. Co-Promotion bedeutet, zusammen mit einem Partner das Produkt unter einer Marke zu vertreiben. Mit Co-Marketing verhält es sich ähnlich, allerdings wird dasselbe Produkt in diesem Fall unter zwei verschiedenen Marken verkauft. Pharmamarketing ist kompliziert, weil die Märkte mit immer neuen Alternativprodukten überschwemmt werden. In den meisten Fällen treffen Ärzte und Patienten bei identischen Wirkstoffen ihre Wahl anhand des Preises. Sobald der Patentschutz von Medikamenten abläuft, ist deren Produktion auch Generikaherstellern erlaubt.
„Finanzanalysten bestimmen Forschungsschwerpunkte – eine, so die Kritiker, bedenkliche Entwicklung.“
Offensive Werbung ist in vielen Ländern verboten, sodass der Vertrieb vor allem über Pharmareferenten erfolgen muss, die persönlichen Kontakt zu Kliniken und niedergelassenen Ärzten aufbauen. Man kann Pillen nicht wie einen Schokoriegel verkaufen, weil sich die Kunden mit einer Informationsüberflutung (Hat Produkt B die gleiche Wirkung wie das bewährte Produkt A?) und einem Entscheidungsrisiko (Hat das neue Produkt Nebenwirkungen?) konfrontiert sehen. Die Preisfindung spielt beim modernen Pharmamarketing eine große Rolle, und zwar nicht nur bei der Einführung, sondern auch bei den unterschiedlichen Folgephasen im Produktlebenszyklus.