Zurück zum Beschwerdemanagement
Nur ein zufriedener Kunde ist ein guter Kunde, der dem Unternehmen dauerhaft verbunden bleibt und damit nachhaltig für Umsatz sorgt – diese Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt. Deshalb wurde viel Energie und viel Geld in die Einführung umfassender Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM-Systeme) investiert.
„Grundsätzlich sollten Beschwerden als berechtigtes Anliegen des Kunden betrachtet werden.“
Doch die Praxis hat gezeigt, dass die Idee des „gläsernen Kunden“ schwer in die Tat umzusetzen ist. Zu viele Kontaktpunkte, zu viele unterschiedliche Abteilungen und schlecht gesteuerte, oft outgesourcte Callcenter führten dazu, dass die gewünschten Umsatzsteigerungen nicht realisiert werden konnten. Noch komplizierter wurde das Ganze mit dem Aufkommen des Stakeholder-Ansatzes, der das Unternehmen unter Einbeziehung weiterer Anspruchsgruppen wie Lieferanten, Kapitalmärkte usw. betrachtet. Dieses hochkomplexe Beziehungsgeflecht in einem CRM-System abzubilden, ist in der Praxis fast unmöglich. Deshalb ist es empfehlenswert (und in der Umsetzung auch schon anspruchsvoll genug), einen Gang zurückzuschalten und sich auf das klassische Beschwerdemanagement zu konzentrieren.
„Wir sollten Beschwerdekunden als kostenlose Unternehmensberater ansehen und ihnen daher auch eine hohe Wertschätzung entgegenbringen.“
Was ist überhaupt eine Beschwerde? Die Antwort lautet eindeutig: Es kommt darauf an. Jedes Unternehmen muss selbst anhand seiner bisherigen Erfahrungen definieren, ab welchem Punkt eine Kundenäußerung als Beschwerde einzustufen ist und wann das entsprechende Prozedere in Gang gesetzt werden soll. Idealerweise bezieht man bei der Erarbeitung der Beschwerdedefinition die Mitarbeiter mit ein. Ist diese einmal gefunden, ist es wichtig, dass sie von allen Mitarbeitern mit Kundenkontakt richtig verstanden und verinnerlicht wird, denn in der Praxis wendet sich der unzufriedene Kunde an denjenigen Mitarbeiter, den er zufällig erreicht. Die Wege zur Kontaktaufnahme sollten dabei so breit wie möglich sein (Mail, Telefon usw.). Wie mit den zunehmend verbreiteten Internetforen umzugehen ist, muss ebenfalls jedes Unternehmen individuell entscheiden. Eine professionell gemachte, öffentliche Beschwerdekommunikation bietet die Chance, sich als kundenfreundliches Unternehmen zu positionieren. Umgekehrt bleiben unprofessionelle Reaktionen oft sehr lange im Internet abrufbar und schaden damit Ihrem Unternehmen dadurch.
Beschwerden als Chance
Auch wenn Beschwerden oft eher als Störung oder nutzlose Nörgelei betrachtet werden: Sehen Sie sie positiv, denn im Normalfall hat der Kunde für seine Beschwerde einen guten Grund. Mehr noch: Statt dem Unternehmen kommentarlos den Rücken zu kehren und woanders zu kaufen, signalisiert er, dass er weiterhin Interesse an der Geschäftsbeziehung hat. Unzufriedene Kunden geben wertvolle Hinweise darüber, an welchen Stellen es hakt, sie sind quasi ein preiswerter Unternehmensberater. Es ist also sinnvoll, die Ursachen für die Beschwerde zu ermitteln und abzustellen.
„In vielen Fällen wird das Beschwerdemanagement als reiner Kostenfaktor angesehen.“
Natürlich kostet ein professionelles Beschwerdemanagement Geld, aber dieses Geld ist gut angelegt: Nachweislich sind zufriedengestellte Beschwerdekunden besonders loyal, generieren also weiter Umsatz und sorgen auch für eine positive Mundpropaganda. Unzufriedene Kunden dagegen wandern nicht nur ab, sondern erschweren über negative Erfahrungsberichte auch die Neukundengewinnung. Stellt man den Personal- und Verwaltungskosten den Nutzen, nämlich höhere Erträge und verbesserte interne Prozesse, gegenüber, zeigt sich schnell, dass ein professionelles Beschwerdemanagement unterm Strich kein Kostenfaktor, sondern ein Gewinnbringer ist.
„Zeit kostet die Beschwerdebearbeitung in der Tat, aber es ist eine wertvolle Investition.“
Ein professionelles Beschwerdemanagement ist weit mehr als das bloße Abarbeiten von Beschwerden. Ein einzelner Mitarbeiter, der diese Aufgabe nebenher erledigen soll, steht deshalb schnell auf verlorenem Posten. Besser geeignet ist eine Projektgruppe, die die volle Unterstützung der Geschäftsführung genießt. Am Anfang der Einführung eines Beschwerdemanagements steht eine Ist-Analyse, die – unter Einbeziehung der bislang mit diesen Aufgaben betrauten Mitarbeiter – den Status quo ermittelt und aufzeigt, wo Verbesserungsbedarf besteht. Klären Sie, welche Ziele vom Beschwerdemanagement erreicht werden müssen und wo es organisatorisch aufgehängt sein soll, z. B. als Stabsstelle.
Die optimale Struktur
Es gibt kein Patentrezept für die Entwicklung eines passenden Beschwerdemanagements. Bewährt hat sich allerdings eine zweistufige Struktur: Alle Mitarbeiter des Vertriebs, die direkten Kundenkontakt haben, bilden die erste Stufe. Erst wenn der Vertriebsmitarbeiter das Problem nicht lösen kann, leitet er die Beschwerde an das zentrale Beschwerdemanagement weiter. Auch für die Bearbeitungsabläufe gibt es kein Patentrezept. Je größer ein Unternehmen ist, desto standardisierter müssen die Abläufe sein, umgekehrt muss eine Beschwerde oft sehr individuell bearbeitet werden. Die Handlungsfreiheit der Erstkontaktmitarbeiter ist nicht selten zu gering – dadurch wird der Beschwerdekunde zusätzlich verärgert. Eine gewisse Einheitlichkeit bei den Entscheidungsgrundlagen, der verwendeten Sprache, der Wahl der externen und internen Kommunikationskanäle sowie den möglichen Kompensationen (z. B. Kulanzleistungen) ist empfehlenswert, damit die Kunden trotz aller Individualität nicht zu unterschiedlich behandelt werden.
„Wenn jeder Mitarbeiter eines Unternehmens versteht, dass sein Gehalt eben nicht vom Vorgesetzten bezahlt wird, sondern das zur Gehaltszahlung benötigte Geld, zugegebenermaßen recht indirekt, vom Kunden kommt, ist der Grundstein für ein Umdenken gelegt.“
Wenn die Frage der IT-Unterstützung auftaucht, sollten Sie kritisch prüfen, ob extern einzukaufende Tools oder interne Lösungen sinnvoller sind. Oft bestehen gewachsene Strukturen, die sich im Lauf der Zeit zu einer reinen Beschwerdebearbeitung entwickelt haben. Damit das Beschwerdemanagement seinem Namen aber wirklich gerecht wird, müssen von ihm Rückkopplungen auf die Prozesse im Unternehmen ausgehen. Kurzfristig sind Aktionspläne sinnvoll, mit denen die aktuell wichtigsten Beschwerdetreiber mit konkreten Handlungen angegangen werden. Langfristig sollten die Themen Kundenzufriedenheit und Beschwerdenauswertung direkt in die Zielvorgaben sowie die Bewertung der Mitarbeiter einfließen und eine Rolle bei der Vergabe von Prämien, Bonuszahlungen usw. spielen. Statt sich auf reine Finanzziele (z. B. „Umsatzsteigerung Produkt A um 20 %“) zu beschränken, sollten Sie auch Kundenziele vorgeben (z. B. „Mindestens 70 % der Kunden antworten in der Befragung mit ‚gut‘ oder ‚sehr gut‘“).
Intern Vertrauen schaffen
Nicht immer sind die anderen Abteilungen begeistert von der Einführung eines Beschwerdemanagements – oft ist die Angst groß, dass das System zur Leistungskontrolle eingesetzt wird. Dagegen hilft nur, eine Unternehmenskultur zu leben, in der es nicht um die Suche nach einem Schuldigen und seine Bestrafung geht, sondern um Verbesserungen und kundenorientierte Lösungen. Sie sollten Mitarbeiter aller Hierarchieebenen von Anfang an in die Veränderungen einbinden. Nur so kann das Vertrauen wachsen, das nötig ist, damit das Beschwerdemanagement erfolgreich arbeiten kann.
„Die IT-Unterstützung ist nicht das Allheilmittel, um den Erfolg eines Beschwerdemanagements sicherzustellen. Aber ohne eine funktionierende IT geht meist nur wenig.“
Ein sensibler Umgang mit den betroffenen Mitarbeitern und die Suche nach Unterstützern im Unternehmen helfen ebenfalls beim Vertrauensaufbau. Je stärker das Beschwerdemanagement tatsächlich als kompetenter Ansprechpartner fungiert, der den Mitarbeitern etwa durch Recherchen, Musterschreiben oder Argumentationshilfen Arbeit abnimmt, desto mehr Informationen erhält das Beschwerdemanagement von den Mitarbeitern an der Kundenfront.
„Das Problem ist häufig, dass Kunden sich bei dem Mitarbeiter beschweren, der ihnen gerade über den Weg läuft.“
Selbstverständlich darf die interne Weiterleitung solcher Informationen nicht zum bürokratischen Hindernislauf geraten; Sie müssen sie so einfach wie möglich gestalten. Die Mitarbeiter sollten möglichst direkt erfahren, dass die Informationen zu Qualitätsverbesserungen führen. Auch darf die statistische Auswertung nicht zur Kontrolle oder gar Bestrafung einzelner Mitarbeiter oder Abteilungen eingesetzt werden. Transparenz hinsichtlich der verarbeiteten Daten sowie die Berücksichtigung positiver Meldungen erhöhen die Akzeptanz. Oft können Kurzbesuche im Beschwerdemanagement, bei denen die Mitarbeiter der anderen Abteilungen hautnah erleben, was dort geschieht, wahre Wunder wirken. Und last, but not least: Klappern gehört zum Handwerk – eine regelmäßige Darstellung der erzielten Erfolge hilft, Sympathie und Akzeptanz aufzubauen.
Der Beschwerdemanager
Die Aufgaben eines Beschwerdemanagers sind anspruchsvoll und komplex. Häufig werden deshalb langjährige, erfahrene Mitarbeiter damit betraut, die intern gut verdrahtet sind. In solchen Fällen entsteht gern einmal der Verdacht der Vetternwirtschaft. Wählt man dagegen externe Kandidaten, wird oft der Vorwurf laut, es würde ihnen an Verständnis für das Geschäft mangeln. Deshalb empfiehlt sich eine Mischung aus internen und externen Kräften.
„Wichtig ist, dass Sie die Beschwerde zugeleitet bekommen, und nicht, in welcher Form.“
Ideale Kandidaten für das Beschwerdemanagement sollten neben Einfühlungsvermögen, Offenheit und psychologischen Grundkenntnissen auch emotionale Belastbarkeit und eine gehörige Portion Geduld aufweisen, um beim anstrengenden Umgang mit schwierigen Kunden und ständigen Problemdiskussionen gelassen zu bleiben. Wichtig sind natürlich verbale und schriftliche Kommunikationsstärke, damit Diskussionen in die richtigen Bahnen gelenkt werden, und die Fähigkeit, gefundene Lösungen überzeugend zu vermitteln. Unabdingbar sind regelmäßige Schulungen, etwa zu psychologischen Themen, zu Controlling, Kommunikation und Beschwerdewahrnehmung. Gerade Neulinge sollten in Schulungen vor allem das Verständnis von Beschwerden als Chance verinnerlichen.
Reporting und Befragungen
Neben dem direkten Beschwerdemanagement, also dem Umgang mit unzufriedenen Kunden, gibt es noch das indirekte Beschwerdemanagement, und das wird oft vernachlässigt. Darunter versteht man die statistische Auswertung der eingegangenen Beschwerden und das Reporting.
„Beschwerdemanager ist kein einfacher Job, den man ,mal eben so‘ macht.“
Natürlich müssen die verarbeiteten Kennzahlen aktuell, sachlich richtig und verständlich sein. Außerdem darf die Erhebung nicht zu kostspielig sein und sollte – wenn unterschiedliche Abteilungen die Zahlen erheben – mithilfe eines einheitlichen Verfahrens stattfinden. Neben absoluten Zahlen bieten auch relative Werte (z. B. x Beschwerden pro 1000 Kunden) vielfältige Auswertungsmöglichkeiten und erlauben Vergleiche, etwa mit anderen Unternehmen. Daneben sollten Sie aber auch qualitative Auswertungen der Beschwerdeursachen machen sowie nach beschwerdeintensiven Abteilungen, Produkten und Kundengruppen forschen. Ihr Ziel sollte es immer sein, relevante Informationen so aufzubereiten, dass Beschwerdeursachen sinnvoll herausgearbeitet und anschließend beseitigt werden können. Hüten Sie sich vor Datenfriedhöfen!
„Mit der Aufstellung eines Aktionsplans können Sie gezielt an den Hauptbeschwerdetreibern arbeiten.“
Das reine Beschwerdemanagement reicht allerdings nicht aus, um Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu verstehen. Hierfür empfehlen sich Kundenbefragungen, wobei einfache Fragebögen oder die üblichen Zufriedenheitsbenotungen jedoch nicht genügend in die Tiefe gehen.
Besser sind eingehende Befragungen, die detailliert verschiedene Aspekte der Leistung beleuchten. Also nicht: „Wie zufrieden waren Sie mit der Beratung?“, sondern: „Wurden Ihre Fragen ausreichend beantwortet? Hat sich der Berater genügend Zeit für Sie genommen?“ Oft gewinnt man überraschende Ergebnisse, wenn man auch die Mitarbeiter selbst nach der Einschätzung der entsprechenden Sachverhalte befragt. Nicht selten klaffen nämlich Selbst- und Fremdbild erstaunlich weit auseinander.
„Oftmals überschätzt sich der Mitarbeiter bzw. das Unternehmen, und der Kunde hält den Mitarbeitern dann ein Spiegelbild vor.“
Eine Alternative zur Kundenbefragung sind so genannte Fokusgruppen, in denen ausgewählte Kunden zu einem bestimmten Thema diskutieren. Für das Beschwerdemanagement besonders interessant sind natürlich die Meinungen von Beschwerdekunden. Auch diese kann man darüber befragen, ob sie mit der Behandlung ihres Anliegens zufrieden sind. Allerdings ist das nur sinnvoll, wenn eine erfolgreiche Bearbeitung der Beschwerde sachlich möglich war. Die zu befragenden Kunden müssen also dementsprechend sorgfältig ausgewählt werden.