Reklamationen gehören dazu
So wünschenswert eine Null-Fehler-Politik ist, so unrealistisch ist sie in der Praxis: Menschen machen nun mal Fehler, und wenn der Kunde davon betroffen ist, kommt es zu einer Reklamation. Wenn Sie nicht gerade in einer Abteilung arbeiten, die ausschließlich mit Beschwerden beschäftigt ist, trifft es Sie meist völlig unerwartet. Plötzlich steht er da, mit hochrotem Kopf und erhobener Stimme: der genervte Kunde, der sich Luft machen will.
„Kein Verkauf, der nicht die Gefahr einer Reklamation in sich birgt.“
Je nach Typ laut und unmissverständlich oder auch sehr ruhig und in schneidendem Ton. Das stört die Alltagsroutine und kickt Sie schlagartig aus der Komfortzone der geregelten, planbaren Abläufe. Kein Wunder, dass Sie den Kunden in diesem Moment als Störenfried, vielleicht sogar als Feind empfinden. Auch verständlich, wenn Sie sich erst einmal angegriffen fühlen – Sie persönlich haben ja gar nichts verbrochen und werden quasi aus dem Nichts heraus mit Kritik konfrontiert. Jeder reagiert spontan ein wenig anders. Vielleicht gehören Sie zu denen, die sofort zum Gegenangriff übergehen? Oder würden Sie sich am liebsten in ein Mauseloch verkriechen? So oder so: Bedenken Sie, dass der Kunde auch nur ein Mensch ist, und dieser Mensch will Ihnen persönlich nichts Böses. Im Gegenteil: Er gibt Ihnen die Chance, Verbesserungspotenzial in Ihrem Unternehmen zu erkennen und Fehler abzustellen. Ihr Ziel sollte es deshalb sein, eine regelrechte Reklamationskultur zu schaffen. Machen Sie es den Kunden leicht, sich zu beschweren! Wenn Sie es schaffen, eine Reklamation erfolgreich zu bearbeiten, bleibt der Kunde Ihnen mit größter Wahrscheinlichkeit erhalten. Und das ist erheblich billiger als die Gewinnung eines Neukunden. Ein einziger Unzufriedener dagegen kostet Sie 9–15 potenzielle Abnehmer, weil er einer Vielzahl von Personen von seinen Negativerlebnissen erzählt.
„Versetzen Sie sich in den Kunden, nehmen Sie seine Perspektive ein.“
Je natürlicher, authentischer und sympathischer Sie auf den Kunden zugehen, desto besser. Die Beziehung von Mensch zu Mensch ist das Erfolgsgeheimnis einer gelungenen Reklamationsbearbeitung. Damit dies gelingt und Sie nicht spontan mit Ablehnung oder Selbstverteidigung reagieren, müssen Sie sich schon vorher mit der Möglichkeit einer Beschwerde auseinandergesetzt haben, sich also sozusagen im Standby-Modus befinden.
Professionelle Reklamationsvorbereitung
Zu einer professionellen Reklamationsvorbereitung gehört zunächst einmal, dass Sie sich Ziele setzen. Je positiver, konkreter und motivierender, desto besser. Malen Sie sich also in den schönsten Farben aus, welchen Soll-Zustand Sie mit Ihrer Reklamationsbearbeitung verbinden möchten, und formulieren Sie dabei immer positiv („Kunde ist begeistert“).
„Erst ist die Emotion wieder ins Lot zu bringen, danach die Sache.“
Auch die organisatorische Vorbereitung ist wichtig: Machen Sie sich Checklisten und arbeiten Sie mithilfe eines Leitfadens; so vergessen Sie nichts und haben den Kopf frei für das eigentliche Gespräch. Trotzdem dürfen Sie Kunden niemals nach Schema F abfertigen. Eine erfolgreiche Reklamation ist so individuell wie der Kunde. Dokumentieren Sie alles schriftlich, geben Sie alle Informationen aus dem Gespräch – egal ob berufliche oder private – in die Datenbank ein. Schreiben Sie direkt in den Computer, nicht erst handschriftlich auf Papier. So vermeiden Sie die weit verbreiteten Übertragungsfehler, die den verärgerten Kunden noch wütender machen.
„Einfühlungsvermögen ist die elementare Fertigkeit in der Reklamationssituation.“
Wichtig ist auch Ihre eigene Stimmung: Gehen Sie Reklamationen nicht wie Ärgernisse an, sondern sehen Sie sie als Chance. Prüfen Sie Ihre Haltung zu den Produkten Ihrer Firma. Wenn Sie nicht von den Leistungen Ihres Unternehmens überzeugt sind, können Sie auch nicht überzeugend, glaubwürdig und authentisch auftreten. Durch entsprechende Übungen können Sie lernen, Ihre Stimmlage vorteilhaft zu beeinflussen, richtig zu atmen und ausdrucksstark zu sprechen. Verwenden Sie möglichst viele positive Begriffe und so genannte „magic words“ wie „zukunftssicher“ oder „einfach“, um Menschen zu begeistern.
Typgerechte Ansprache
Trotz aller Individualität kann man die Menschen in drei Typen einteilen, die jeweils unterschiedlich angesprochen werden müssen. Natürlich gibt es in der Praxis viele Mischtypen.
- Der Beziehungstyp legt viel Wert auf funktionierende Beziehungen und ein gutes Klima. Er ist eher kooperativ, will aber, dass sich jemand persönlich um seine Angelegenheit kümmert. Er braucht Freundlichkeit und Herzlichkeit.
- Der Handlungstyp dagegen will in erster Linie Ergebnisse. Er ist ungeduldig, aufbrausend und neigt zu cholerischen Anfällen. Dieser Typ will in erster Linie eine Lösung des Problems, keine Streicheleinheiten.
- Der Sachtyp ist sehr analytisch und detailorientiert. Hier geht es um Fakten, Fakten, Fakten. Er will umfangreich informiert werden und genau wissen, was bis zu welchem Zeitpunkt von wem getan wird.
Welcher Typ sind Sie?
Auch Sie selbst gehören in eine dieser Kategorien – machen Sie sich bewusst, zu welcher. Sie müssen Ihr Verhalten auf den Kunden abstimmen, nicht umgekehrt. Sind Sie derselbe Typ wie der Kunde, gelingt dies meist leicht. Bei abweichenden Typen dagegen müssen Sie sich entsprechend vorbereiten:
- Sind Sie selbst ein Beziehungstyp, neigen Sie dazu, die Wutanfälle des Handlungstyps persönlich zu nehmen und den distanzierten Diskussionsstil des Sachtyps durch besondere Freundlichkeit zu überbrücken – was der jedoch als Anbiederung empfindet.
- Als Handlungstyp neigen Sie dazu, den Beziehungstyp mit vorschnellen Lösungen zu überrollen, statt ausreichend zuzuhören. Vom Sachtyp können Ihre schnellen, pragmatischen Lösungen als zu oberflächlich wahrgenommen werden.
- Wenn Sie als Sachtyp Beschwerden entgegennehmen, fällt es Ihnen eher schwer, auf die emotionale Ebene des Beziehungstyps einzusteigen. Beim Handlungstyp kann Ihre exakte Arbeitsweise weitere Wutanfälle auslösen: Er will keine Analyse des Problems, sondern eine Lösung.
Das Reklamationsgespräch
Der Einstieg ist das Wichtigste: Er stellt die Weichen für die gesamte Reklamation. Bevor Sie zu einer Lösung des eigentlichen Problems kommen können, müssen Sie zunächst einmal das gestörte Vertrauen wiederherstellen, ohne dabei die Interessen Ihrer Firma aus dem Blick zu verlieren. Der Kunde ist enttäuscht, vertraut Ihnen nicht mehr, hat Angst, abgewiesen zu werden und auf seiner Enttäuschung sitzen zu bleiben.
„Die gute Reklamationsbearbeitung ist die, die professionell vorbereitet ist.“
Versuchen Sie, entspannt zu bleiben, auch wenn Ihnen geballte Wut entgegenschlägt. Langsam, aber sicher wird sich Ihr Gegenüber von Ihrer Stimmung anstecken lassen und sich beruhigen. Achten Sie auf Ihre Körpersprache und noch mehr auf die des Kunden. Fühlen Sie sich in den Kunden ein, gehen Sie emotional mit, zeigen Sie Verständnis, versuchen Sie, die Welt mit den Augen Ihres Gegenübers zu sehen. Diese Fähigkeit zur Empathie ist uns angeboren – sie ist nur manchmal etwas verschüttet.
„Checklisten und Leitfäden machen den Kopf frei für andere Wahrnehmungen.“
Fragen Sie viel, aber machen Sie das Gespräch nicht zum Verhör. Wichtig ist die Einwilligungsfrage zu Beginn: „Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Beginnen Sie mit einfachen Fragen, heikle gehören an den Schluss. Stellen Sie immer nur eine Frage auf einmal, formulieren Sie kurz und präzise, sprechen Sie langsam, laut und deutlich und geben Sie dem Kunden genügend Zeit zu antworten. Lassen Sie den Redefluss des Kunden nicht unbeteiligt an sich vorbeirauschen, sondern hören Sie aktiv zu, geben Sie Rückmeldungen („Verstehe ich Sie richtig, dass …“).
„Der Königsweg des Zuhörens ist das aktive Zuhören.“
Wenn irgend möglich, splitten Sie das Reklamationsgespräch in zwei Teile. Im ersten Gespräch nehmen Sie die Beschwerde auf, im zweiten unterbreiten Sie Ihren Lösungsvorschlag. Die Vorteile: Sie können den Fall genau prüfen, und der Kunde hat inzwischen Gelegenheit, sich zu beruhigen. Präsentieren Sie Ihren Lösungsvorschlag als hochwertig, verdeutlichen Sie, dass Sie das Maximum für den Kunden herausgeholt haben. Mit der Methode der Drastifizierung erscheinen selbst mittelmäßige Lösungen in einem guten Licht („Normalerweise kann die nächste Lieferung erst in einer Woche raus. Sie bekommen das Teil aber schon übermorgen, weil …“). Bieten Sie außerdem mehr als das, was angemessen wäre. Dadurch fühlt sich der Kunde verpflichtet, wohlwollend zu reagieren.
Einwände entkräften
Einwände des Kunden gehören zum Spiel. Teils sind es berechtigte Bedenken, teils Vorwände, um sich nicht mehr so machtlos zu fühlen oder um noch mehr herauszuschlagen. Sehen Sie Einwände positiv: als Signal des Kunden, dass er weiter mit Ihnen im Gespräch bleiben will. Patentrezepte gibt es nicht. Je nach Kunde können Verständnis oder taktvolles Überhören, Humor (aber kein Sarkasmus!) oder freundliche Sachlichkeit angemessen sein.
„Führen Sie die Gespräche in zwei zeitlich voneinander getrennten Abschnitten.“
Besonders heikel sind Drohungen („Dann gehe ich zur Konkurrenz, zum Anwalt usw.“). Die Ursache ist meist, dass der Kunde sich unverstanden und nicht ernst genommen fühlt. Falsch sind Gegendrohungen; besser ist es, auf Deeskalation zu setzen, Verständnis zu zeigen und Lösungen anzubieten. Will sich der Kunde an die Medien wenden, ist das ein Hilfeschrei. Bieten Sie ihm also die Hilfe, die er braucht.
„Mit jedem Einwand signalisiert der Kunde Gesprächsinteresse.“
Bei unberechtigten Reklamationen sollten Sie niemals die Schuld auf den Kunden abwälzen. Aus seiner Sicht ist die Reklamation nämlich fast immer berechtigt. Sprechen Sie lieber von einem Missverständnis oder einem Übermittlungsproblem. Und bei Kandidaten, die mit sportlichen Ehrgeiz so viel wie möglich herausschlagen wollen und deshalb auf Rabatten bestehen, gilt: Prüfen Sie, wie wichtig Ihnen der Kunde ist. Gewähren Sie möglichst kleine Nachlässe, bevorzugen Sie Naturalrabatte und koppeln Sie Kulanzleistungen an Folgebestellungen.
Zum Abschluss kommen
Erkennen Sie die Entscheidungssignale des Kunden, um das Gespräch zu beenden. Wenn er beispielsweise nach Details der Lösung oder nach Beispielen fragt, ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Weitere Debatten würden die gefundene Lösung nur zerreden. Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn das Reklamationsgespräch nicht funktioniert – nicht jede Beschwerde kann zu einem positiven Abschluss kommen. Sehen Sie jedes Reklamationsgespräch, gerade auch die erfolglosen, als Chance, sich zu verbessern. Führen Sie ein Umsetzungstagebuch, in dem Sie notieren, was gut und was schlecht gelaufen ist. Planen Sie regelmäßige Reflexionszeiten ein, in denen Sie Ihr Verhalten bei Beschwerden analysieren.
„Die große Zahl aller Kunden ist fest davon überzeugt, berechtigt zu reklamieren.“
Führen Sie nach jeder Reklamation ein Nachfassgespräch, in dem Sie fragen, ob jetzt alles zur Zufriedenheit gelöst ist. Das kostet nur wenige Minuten, führt aber zu einer intensiveren Kundenbindung, die weitere Beschwerden erheblich vereinfacht. Oft entschuldigt sich der Kunde sogar für unangemessenes Verhalten und lobt Sie für den gelungenen Abschluss der Angelegenheit. In diesem Gespräch können Sie außerdem Verbesserungsvorschläge wie etwa frühzeitigere Bestellungen anbringen, um zukünftige Reklamationen zu vermeiden.
„Nachfassgespräche verstärken die Beziehung zu Ihrem Kunden.“
Doch das Nachfassgespräch kann noch mehr: Es bietet die Möglichkeit, Zusatzverkäufe zu generieren, beispielsweise nach einer Reparatur einen Wartungsvertrag abzuschließen. Ist der Kunde wirklich zufrieden, können Sie auch um Empfehlungen und Referenzen bitten. Wenn Sie stets fair waren, hat das nichts Dubioses. Auch wenn der Kunde keineswegs begeistert ist, ist das kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Bleiben Sie weiterhin freundlich, informieren Sie ihn wie gewohnt – schließlich kann er seine Meinung ja bald schon ändern.