Neurofinance

Buch Neurofinance

Wie Vertrauen, Angst und Gier Entscheidungen treffen

Haufe,


Rezension

Vor die Wahl gestellt, nimmt das menschliche Gehirn lieber Geld als Sex, behaupten Hirn­forscher. Aus solchen Erken­nt­nis­sen schließen die Autoren dieses Buches, dass beim Geld die Vernunft aufhört. Sie liefern eine Fülle von Beispielen, die die Ir­ra­tionalität fi­nanzieller Entschei­dun­gen belegen. In den Hirn­win­dun­gen wallen durchaus die Emotionen, wenn über Geld nachgedacht wird. Der Vorschlag der Autoren, sich vor fi­nanziellen Entschei­dun­gen die emotionalen, unbewussten und sogar zufälligen Einflüsse bewusst zu machen, stimmt allerdings etwas ratlos. Die wenigen Ratschläge, die das Buch bereithält, sind kaum geeignet, praktische Hil­festel­lung zu leisten. Der Hinweis, sich lieber mit Verlusten abfinden zu lernen, ist wohl eher als Trost denn als Tipp zu verstehen. Dennoch empfiehlt BooksInShort das Buch allen Anlegern und Ver­brauch­ern, die die psy­chol­o­gis­chen Fallen des Kaufens und Verkaufens kennen lernen wollen.

Take-aways

  • Viele finanzielle Entschei­dun­gen werden le­icht­fer­tig getroffen und später bereut.
  • Oft scheitert man an der Komplexität der An­lageentschei­dun­gen.
  • Die Hirn­forschung liefert wichtige Erken­nt­nisse, wie Menschen in Geldfragen ticken.
  • Die neue Wis­senschaft der Neuroökonomie sucht nach neuronalen Erklärungen dafür, wie sich Menschen in ökonomischen Fragen entscheiden.
  • Bargeld wird vom Gehirn als größere Belohnung empfunden als Sex.
  • Emotionale, unbewusste Prozesse sind nicht von rationalen Erwägungen zu trennen.
  • Der Umgang mit Geld lässt sich schwieriger erlernen als andere Fähigkeiten.
  • Je besser Sie sich der unbewussten Einflüsse auf Ihre Fi­nanzentschei­dun­gen bewusst sind, desto weniger Fehler werden Sie machen.
  • Wenn Sie positiv denken, hat Ihr Gehirn auch Spaß daran, sich mit Fi­nanzdin­gen zu befassen.
  • Lernen Sie, Zufälle und Verluste zu akzeptieren.
 

Zusammenfassung

Ökonomische Entschei­dun­gen aus dem Bauch heraus

Der Mensch kann zwar logisch denken und rechnen. Wird eine Aufgabe aber zu komplex, riskant oder unsicher, ist es vorbei mit der Vernunft. Viele Menschen machen sich darüber keine Gedanken, sie suchen auch nicht nach besseren, fundiert­eren Lösungen. Sie trainieren ihre Muskeln, nicht aber ihre Hirn­win­dun­gen. Dabei könnte sich diese Arbeit lohnen: Gerade ökonomische und finanzielle Entschei­dun­gen sollten Sie stärker als bisher hin­ter­fra­gen. Viele davon werden le­ichtsin­nig getroffen – und später bereut. Wenn Sie wissen, wie Ihr Gehirn in Geldfragen tickt, werden Sie lernen, Ihre Entschei­dun­gen dis­tanzierter zu betrachten. Abnehmen kann Ihnen diese Aufgabe ohnehin niemand.

Fehler werden wiederholt

Einer der Gründe, weshalb dreiste Anlagebetrüger wie Bernard Madoff Erfolg haben und weshalb viele Menschen auf Börsenblasen here­in­fallen, ist schlicht und einfach das Vergessen. Madoffs Masche – ein Pyra­mi­den­sys­tem der Geldzu- und -abflüsse plus ma­nip­ulierende Beziehungspflege – war nicht neu. Ebenso wenig ist die aktuelle Finanzkrise die erste ihrer Art. Von psy­chol­o­gis­chen Mechanismen wie der Gier getrieben, gehen Anleger seit jeher in bestimmte Fallen, sei es auf der Jagd nach Tulpen­zwiebeln, Eisen­bah­nak­tien oder Dot­com-Un­ternehmen. Sie lernen nicht aus der Ver­gan­gen­heit, vertrauen zu sehr auf die Aufsicht staatlicher In­sti­tu­tio­nen und scheitern an der Komplexität der Fi­nanzpro­dukte. Bei Geld hört die Vernunft auf. Und die Psychologie fängt an.

Von der Börsenpsy­cholo­gie zur Neuroökonomie

Im Zuge der In­dus­tri­al­isierung geriet das ökonomische Verhalten der Menschen ins Blickfeld von Sozial­wis­senschaftlern und Psychologen. Sie un­ter­suchten Phänomene wie die Anfälligkeit der Anleger für Gerüchte. Aus diesen Forschungen entwickelte sich schließlich die wis­senschaftliche Disziplin der Fi­nanzpsy­cholo­gie, später folgte die Behavioral Finance. Deren Vertreter untersuchen mithilfe von Ex­per­i­menten z. B. die so genannte Geldil­lu­sion. Das ist die Unfähigkeit der Menschen, konsequent zwischen nominalem und realem Wert des Geldes zu un­ter­schei­den. Denken Sie auch in Zahlen statt in Werten? Das könnte zum Problem werden, etwa bei Lohnerhöhungen, Zinsver­sprechen oder Preisen, die günstig erscheinen, aber tatsächlich un­vorteil­haft sind. Dass uns die absolute Einkommenshöhe weniger in­ter­essiert als die relative, lässt sich nur psy­chol­o­gisch erklären: Verdient der Nachbar mehr, dann wurmt uns das, selbst wenn wir genug zum Leben haben.

„Das menschliche Gehirn ist ein soziales Organ, aber kein ökonomisches.“

Die Neuroökonomie macht sich solche fi­nanzpsy­chol­o­gis­chen Erken­nt­nisse zunutze und verknüpft sie mit dem aktuellen Wissen über die Funk­tion­sweise des Gehirns. Die relativ junge Wis­senschaft sucht nach neuronalen Erklärungen für die Entschei­dun­gen der Menschen in ökonomischen Fragen. Der Teilbereich Neu­ro­fi­nance widmet sich speziell dem Kalkül und der Risikowahrnehmung von Investoren. Grundlage des neuen Wis­senschaft­szweigs sind die Fortschritte in der Hirn­forschung, auch wenn diese von vielen überschätzt werden. Obwohl derzeit mehr als 50 000 Forscher weltweit der Funk­tion­sweise des Gehirns auf den Grund gehen, hat man erst einen Bruchteil der Abläufe begriffen.

Ade, Homo oeconomicus!

Die Neuroökonomie trägt dazu bei, dass das Modell des Homo oeconomicus, also des sowohl vollständig rationalen als auch vollständig in­formierten Mark­t­teil­nehmers, der Realität angepasst werden muss. Dazu hat die neue Wis­senschaft das Konzept der eingeschränkten Rationalität entworfen, das nicht mehr von der Suche nach der perfekten, sondern lediglich von derjenigen nach einer zufrieden­stel­len­den Lösung ausgeht und das Modell des Homo oeconomicus um irrationale Komponenten erweitert. So geraten Phänomene ins Blickfeld, die finanzielle Entschei­dun­gen auf emotionaler Ebene bee­in­flussen. Den Abschluss eines riskanten Aktiengeschäfts z. B. können Sie durchaus aus einem Motiv heraus tätigen, das mit der Fahrt in einer Geisterbahn oder dem Anschauen eines Horrorfilms ver­gle­ich­bar ist: Die so genannte Angstlust sorgt für be­friedi­gen­den Kitzel.

Der Mensch denkt, aber das Unbewusste lenkt

Bei fi­nanziellen Entschei­dun­gen spielen vier Systeme des Gehirns eine Rolle: die Systeme der Belohnung, der Emotion, der Entschei­dung und des Gedächtnisses. Mehr als 99 % Ihrer Entschei­dun­gen treffen Sie unbewusst. Das heißt, dass Ihnen auch die meisten Ihrer Emotionen nicht bewusst sind. Das Lernen findet seinen Nieder­schlag im Hirn, indem neue Verbindun­gen (Synapsen) und sogar neue Ner­ven­zellen gebildet werden – auch bei Erwachsenen. Am besten funk­tion­iert dieses Lernen, wenn es mit Erfolgen, folglich mit Belohnungen verbunden ist. Allerdings gilt für finanzielle Entschei­dun­gen eine wichtige Einschränkung: Gel­dan­gele­gen­heiten wie Kaufen oder Verkaufen lösen im Gehirn sehr komplexe Prozesse aus, die nicht mit anderen ver­gle­ich­bar sind. Der Umgang mit Geld lässt sich daher schwieriger erlernen als beispiel­sweise das Lösen einer handw­erk­lichen Aufgabe.

On­line­han­del ändert die Ver­hal­tensan­reize

Es macht einen großen Unterschied, ob ein Fonds­man­ager durch einen Klick am PC Tausende Arbeitsplätze vernichtet oder ob er dies dadurch erreicht, dass er persönlich in der Fabrik ein Feuer legt. Das zugespitzt formulierte Beispiel soll den Einfluss von persönlichem Engagement und Gefühlen demon­stri­eren. Der Siegeszug der On­linekom­mu­nika­tion und des On­line­han­dels hat durch den Mangel an persönlichen Beziehungen zwischen Fi­nanz­mark­t­teil­nehmern einige psy­chol­o­gis­che Schranken gelöst, die vorher vor allzu riskanten und falschen Entschei­dun­gen zumindest gebremst haben. Ebenso haben sich die Gewis­sens­bisse bei Fehlentschei­dun­gen durch die fehlende persönliche Einbindung verringert. Eine solche Kluft lässt sich auch im Vergleich zwischen Einkäufen mit Kreditkarte und jenen mit Bargeld beobachten: Wer mit der Un­ter­schrift bezahlt, greift stärker zu als jemand, der eine Rechnung in bar begleicht oder den Gegenwert an Ort und Stelle abarbeiten muss.

Ignorant, bis es zu spät ist

Bei Geldfragen wirken sich bestimmte Ar­beitsweisen des Gehirns, die sonst gute Dienste leisten, negativ aus. Das Hirn arbeitet permanent mit Erwartungen, die es auf Basis von Erfahrungen und Vor­a­bin­for­ma­tio­nen gebildet hat. Beim Vergleich dieser Erwartungen mit den tatsächlichen Ereignissen gibt es Differenzen, z. B. wegen zufälliger Ereignisse oder besonders drastischer Ab­we­ichun­gen wie der derzeitigen Finanzkrise. Die Entschei­dungsregeln, die dann angewandt werden, können eine sinnvolle Reaktion verzögern. So wollten es viele Zeitgenossen angesichts der Eskalation der Finanzkrise schlicht nicht wahrhaben, dass ihre Bank auch pleitegehen könnte. Sie überbrückten die Abweichung der tatsächlichen Ereignisse von der persönlichen Erwartung so lange mit Ignoranz, bis es zu spät war. Ebenso schwer fällt es im Krisenfall ver­meintlichen Profis wie Fonds­man­agern, sich von al­therge­brachten Denkmustern zu lösen.

Die her­aus­ra­gende Bedeutung des Geldes

Eine Un­ter­suchung mithilfe der funk­tionellen Mag­ne­tres­o­nanz­to­mo­grafie hat gezeigt, welch her­aus­ra­gende Rolle Geld für unser Gehirn spielt. Der Teil des limbischen Systems, der für Belohnungen zuständig ist, der so genannte Nucleus accumbens, reagiert weder auf sexuelle Reize noch auf Gewalt­mo­tive so stark wie auf Bargeld. Geld wird offenbar vom Gehirn nicht als Möglichkeit zur Bedürfnis­be­friedi­gung angesehen, sondern als Bedürfnis­be­friedi­gung an sich. Mit Geld verbinden wir nicht nur ökonomische Funktionen, sondern auch soziale. Als Beleg genügt schon allein das Stichwort „Neid“. Für den Einzelnen ist die soziale Vergleichsmöglichkeit, die Geld bietet, aber selbst dann keine reine Freude, wenn man genug Geld hat – es sei denn, man ist vor Verlustängsten gefeit. Beim Vergleich von Preisen rechnen die Menschen nicht wirklich, sondern tappen in psy­chol­o­gis­che Fallen. Viele davon stellen sie sich selbst, z. B. wenn sie beim Verkauf ihrer Immobilie deren ökonomischen Wert mit dem emotionalen verwechseln. Klar, dass Ihnen in dem Fall die Preisange­bote der Käufer unverständlich niedrig vorkommen – sie wollen nicht für Fam­i­liener­in­nerun­gen bezahlen.

„Wahrschein­lich werden wir alle damit leben müssen, dass wir immer wieder die falschen Geldentschei­dun­gen treffen.“

Viele Menschen stehen Fi­nanzthe­men mit Unkenntnis, Misstrauen und Abwehr gegenüber, darunter nicht wenige Jüngere. Deren Umgang mit Geld gilt als prob­lema­tisch. Gleichwohl überschätzen viele von ihnen ihre Fi­nanzkom­pe­tenz, überbewerten Bekanntes gegenüber Unbekanntem und hegen eine Abneigung gegen Veränderungen und Verluste. Außerdem können sie nicht zwischen Entschei­dun­gen unter Risiko und solchen unter Ungewis­sheit un­ter­schei­den. Bei Letzteren sind die Ein­trittswahrschein­lichkeiten nicht bekannt. Gewiefte An­lage­ber­ater werden Ihnen darum lieber etwas von „An­lagerisiken“ erzählen, statt ko­r­rek­ter­weise auf die Ungewis­sheit der Wer­ten­twick­lung hinzuweisen.

Die Tricks der Fi­nanzber­ater

Die Fi­nanzber­atung in Deutschland ist schlecht. 50–80 % der langfristi­gen Geldanlagen werden vor ihrer Ablauffrist und mit Verlust beendet. Warum ist das so? Zu einem großen Teil liegt es an neuroökonomischen Mechanismen in der Branche. Während z. B. viele Anleger eine kurzfristige Belohnung einer langfristi­gen vorziehen, bevorzugen Berater den raschen Geschäftsab­schluss gegenüber einer langfristig vertrauenswürdigen Geschäfts­beziehung. Das Pro­vi­sion­ssys­tem unterstützt dieses Verhalten. Nicht ohne Grund suchen Ver­sicherungsvertreter Kunden gerne zu Hause auf: Sie nutzen damit deren Gefühl der Ver­trautheit mit der Umgebung für ihre Zwecke aus. Zudem erhöhen Banken und Ver­sicherun­gen den In­for­ma­tions­be­darf für den Anleger durch ver­schachtelte Produkte oft so weit, dass dieser den Überblick verliert.

Sechs Regeln für die Geldanlage

Viele Börsenregeln setzen ein zu rationales, weltfremdes Men­schen­bild voraus. Es ist aber gar nicht möglich, die eigenen Emotionen und Erfahrungen auszublenden. Machen Sie sich diese Unmöglichkeit bewusst und versuchen Sie, die Funk­tion­sweise des Gehirns bei der Geldanlage zu berücksichtigen, indem Sie typische Fehler vermeiden und Fallen umgehen.

  1. Sie sollten Prognosen und Gerüchte weder ignorieren noch eins zu eins befolgen: Es handelt sich zwar um unvollständige In­for­ma­tio­nen, aber deswegen nicht automatisch um falsche. Wer immer mit der Herde läuft, darf keine besonderen Gewin­ner­wartun­gen hegen. Hören Sie daher auch auf Ideen aus Ihrem Unbewussten.
  2. Führen Sie ein Gefühlsregister: In einer Art Tagebuch notieren Sie die Gefühle, die Sie bei bestimmten fi­nanziellen Entschei­dun­gen empfunden haben, z. B. beim Ak­tiener­werb oder bei Alltagseinkäufen. Das hilft Ihnen, sich über Ihre unbewussten Emotionen klar zu werden, und erleichtert ähnliche zukünftige Entschei­dun­gen. Der Investor George Soros bekam immer Rück­en­schmerzen, wenn er seine Speku­la­tion­spo­si­tion an der Börse veränderte. Als er sich dessen bewusst wurde, betrachtete er das Symptom als berufliches Alarmsignal zum Handeln.
  3. Beziehen Sie Ihre Glücksgefühle nicht ausschließlich aus Ihrer Geldanlage – deren Erfolg lässt sich nicht erzwingen. Lernen Sie, mit Verlusten zu leben.
  4. Befassen Sie sich mit fi­nanziellen An­gele­gen­heiten dann, wenn Sie sich positives Denken angeeignet haben. Sie werden aufmerk­samer an Geldfragen herangehen und bessere Lösungen finden, wenn Sie Ihre Fi­nanzentschei­dun­gen nicht als Last empfinden, sondern Freude daran haben.
  5. Nutzen Sie Er­fol­gser­leb­nisse, um zu lernen. Belohntes Lernen ist besonders effektiv.
  6. Erwarten Sie Überraschun­gen: Der Zufall wird Ihren Prognosen immer wieder in die Quere kommen. Rechnen Sie damit und akzeptieren Sie es.

Über die Autoren

Prof. Dr. Christian E. Elger ist Direktor der Klinik für Epilep­tolo­gie der Universität Bonn. Zudem ist er Wis­senschaftlicher Geschäftsführer der Life & Brain GmbH und Autor des Buchs Neu­rolead­er­ship. Friedhelm Schwarz ist Wirtschaft­sjour­nal­ist und beschäftigt sich mit den Themen Börse, Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist Autor der Bücher Wirtschaft­sim­perium Kirche, Die Deutsche Bank, Das Multi­gen­er­a­tio­nen-Un­ternehmen sowie Und jetzt ... die Wirtschaft­saus­sichten.