Antrieb für die Zukunft

Buch Antrieb für die Zukunft

Wie VW und Toyota um die Pole Position ringen

Schäffer-Poeschel,


Rezension

VW erklärte 2007, innerhalb von zehn Jahren Toyota überholen und Weltmarktführer werden zu wollen. Die Autoren von Antrieb für die Zukunft nehmen das Vorhaben zum Anlass, die Wet­tbe­wer­ber einander gegenüberzustellen und darüber hinaus den gegenwärtigen Zustand der Branche zu analysieren. Ihr etwas reißerischer Titel, der ein spektakuläres Duell suggeriert, ist aus Mar­ketingerwägungen verständlich. Und da das Buch selbst keineswegs plakativ, sondern sehr sachlich verfasst ist, stört diese Masche nicht weiter. Ohne Parteinahme werden zwei sehr gegensätzliche Mitbewerber verglichen, deren Strategien ebenso un­ter­schiedlich sind wie ihre Stärken und Schwächen. Eine gründliche Zusam­men­fas­sung und eine komplette Gegenüberstellung in Zahlen fehlen leider – die entsprechen­den Daten muss der Leser sich mühsam her­ausklauben. Doch das ist das einzige Manko dieses ken­nt­nis­re­ichen Werks. BooksInShort empfiehlt es allen, die sich in die Branche einarbeiten wollen oder eine schnelle Ori­en­tierung darin benötigen.

Take-aways

  • Volkswagen will im Jahr 2018 mindestens 10 Millionen Autos produzieren und größter Hersteller sein.
  • In Japan ist jedes zweite Auto ein Toyota. Daneben ist China der wichtigste Wach­s­tums­markt.
  • Die Japaner sind für die Konkurrenz nicht mehr un­err­e­ich­bar: 2009 dämpfte die Krise ihren Absatz erheblich.
  • Außerdem zeigte Toyota erstmals seit Jahrzehnten struk­turelle Schwächen.
  • Das Haupt­prob­lem war miserable PR nach Qualitätsdefiziten, die das Image ram­ponierten.
  • Die gesamte Branche steht vor der Her­aus­forderung, das Auto neu zu erfinden.
  • Alternative Antriebe verlangen gewaltige In­vesti­tio­nen in Forschung und Entwicklung.
  • Insgesamt stagniert der Automarkt – nur in Schwellenländern wächst der Bedarf.
  • Die globale Nachfrage verlagert sich zunehmend von großen auf sehr kleine Fahrzeuge.
  • Kleinwagen bringen nur bei effizienter Produktion und in hoher Stückzahl Gewinn.
 

Zusammenfassung

Ein ehrgeiziger Plan

2007 verkündete VW-Chef Martin Winterkorn, sein Konzern wolle bis 2018 weltgrößter Au­to­pro­duzent werden und damit Toyota überholen. Die Vision: VW wird Jahr für Jahr um 10 % produktiver und verkauft 2018 nicht weniger als 10 Millionen Fahrzeuge, die Rendite beträgt über 8 % und die Pro­duk­tqualität sowie Kunden- und Mi­tar­beit­erzufrieden­heit sind top. Kann VW das alles schaffen? Und vor allem: Was macht Toyota?

Aktuelle Entwicklung gibt VW Recht

Bis 2009 hielten die meisten Winterkorn wohl für ein Großmaul. Doch nachdem Toyota ins Taumeln geraten ist, VW dagegen die Branchenkrise besser überstanden hat als die Mitbewerber, scheint der Wach­s­tum­s­plan re­al­isier­bar. Während Toyota vor allem Ostasien beherrscht, dominiert VW in Europa. Die beiden Duellanten in Zahlen:

  • Die Volkswagen AG beschäftigt weltweit ca. 368 000 Mitarbeiter und baute 2009 rund 6,3 Millionen Autos in 63 Werken. In Deutschland hat VW 30 % Marktanteil, in den USA 2,9 %, in Japan 1,4 %, weltweit 11 %.
  • Die Toyota Motor Corporation hat weltweit ca. 320 000 Beschäftigte und produzierte 2009 rund 7,2 Millionen Autos in 66 Werken. Toyota hat in Deutschland 4 % Marktanteil, in den USA 17 %, in Japan knapp 50 %, weltweit etwa 14 %.

Ein Anfang und ein Ende

Zwei Ereignisse im März 2010: VW eröffnet feierlich ein Werk in den USA und Toyota muss dort eines schließen. Für den Wolfsburger Konzern bildet die neue Fabrik in den Südstaaten den Kern einer Ex­pan­sion­sstrate­gie: Volkswagen will in den USA Mark­tan­teile gewinnen, um Verluste in Europa zu kom­pen­sieren. Damit Währungsver­luste vermieden werden, ist es notwendig, im Inland zu fertigen. Toyota hat in den USA frühzeitig dominiert und war dort schon in den 70er Jahren bekannt dafür, preiswerte und solide Autos mit niedrigem Verbrauch anzubieten. In Kalifornien wurde das erste US-Werk der Japaner gebaut – aus dem gleichen Grund, der nun auch VW in die USA zieht. Doch der dramatische Rückgang bei den Autokäufen seit 2006 machte Toyota zu schaffen, zudem demolierte vier Jahre später eine spektakuläre Rückrufaktion das Markenimage. Seitdem reduzieren die Japaner weltweit ihre Kapazitäten – auch das alte US-Werk wird abgewickelt.

Überkapazitäten weltweit

VW wächst, Toyota schrumpft – doch das ist nur die halbe Wahrheit: Toyota holt Luft, um sich zu orientieren. Und auch Volkswagen kämpft partiell mit einem Nachfragerückgang. Die gesamte Branche leidet: Derzeit sind die Fer­ti­gungska­pazitäten weit höher als der tatsächliche Bedarf. Staatliche Förderung durch Abwrackprämien und Steuerermäßigungen haben den Nachfragerückgang etwas ausgebügelt, doch mit­tel­fristig muss die Branche gesund­schrumpfen. Heikel sind außerdem die Sub­ven­tio­nen, weil sie vitalen wie todgewei­hten Unternehmen gleichermaßen helfen und so den Wettbewerb verzerren. Zugleich wurde der Rabattkrieg, ein wesentliches Problem auf dem Neuwa­gen­markt, unnötig angeheizt.

Au­toin­dus­trie vor dem Wandel

Die Branche befindet sich am Scheideweg: Für den Elek­troantrieb muss gewaltige En­twick­lungsar­beit aufgewendet werden – die größte Her­aus­forderung seit der Erfindung des Autos. Der Hy­bri­dantrieb, wie ihn Toyota bereits erfolgreich eingeführt hat, fungiert nur als Brück­en­tech­nolo­gie. Viele Fragen sind noch zu klären, bis reine Elek­troau­tos effizient, komfortabel und preisgünstig sind und breit genutzt werden können. Pi­o­nier­markt ist Europa, wo die Kosten für kon­ven­tionelle Kraftstoffe in wenigen Jahren erstmals die Schmerz­grenze erreichen werden. In allen anderen Märkten bleibt der Elek­troantrieb mit­tel­fristig unrentabel.

Globaler Autotrend

Die Branche fährt einer globalen Entwicklung hinterher: Seit Jahrzehnten führt die Landflucht weltweit zu einem Anwachsen der Städte bis zu Mul­ti­mil­lio­nen­metropolen. Viele Bewohner dieser Megacitys sind Aufsteiger, die ihr wachsendes Einkommen auch in komfortable Trans­port­mit­tel investieren – das hofft zumindest die Au­toin­dus­trie. Das Auf­steig­er­auto wird ein kleines, leichtes und wendiges Elek­tro­fahrzeug; es beansprucht wenig Parkfläche und braucht nur eine ver­gle­ich­sweise kleine Batterie, da sein Ak­tion­sra­dius auf innerstädtische Distanzen beschränkt bleibt. Der Antrieb ist den wachsenden An­forderun­gen zur Luftrein­hal­tung geschuldet. An so einem Megac­ity-Ve­hi­cle tüfteln fast alle Hersteller.

Schick­salsseg­ment Kleinwagen

Schlüsselmärkte sind zukünftig die USA und China. Der US-Markt bevorzugt nach wie vor große Autos, wobei die Bedeutung des Verbrauchs jedoch zunimmt. Diese Kon­stel­la­tion deutet VW als Chance, Mark­tan­teile zu erobern. In China und anderen Schwellenländern hingegen müssen die fi­nanzschwachen Massen motorisiert werden. Nachfrage besteht vor allem nach Klein- und Kle­inst­wa­gen – doch hier ist auch die Gewinnspanne am geringsten. Die Hersteller sind also dazu verdammt, ihre neuen Produkte in möglichst großen Mengen zu fertigen. VW kann auf China als größten Wach­s­tums­markt bauen, wo schon frühzeitig investiert wurde. Ein Problem eint die beiden Giganten: VW wie auch Toyota haben einen Großteil ihrer Fertigung in Regionen, wo die Produktion teuer und der Markt schwierig ist. Sowohl Deutschland wie auch Japan sind schrumpfende Märkte mit hohen Stan­dortkosten.

Wolfsburg kämpft mit Gewinnquote

Die Rentabilität ist das größte Problem des deutschen Konzerns. Um den Gewinn pro Auto zu erhöhen, wurden die Plattformen, die das Fundament des Fahrzeugs bilden, mod­u­lar­isiert, was den Aufwand an Zeit und Material stark reduziert. Das heißt: Alle zehn VW-Marken bedienen sich für den un­sicht­baren Unterbau aus dem gleichen Baukasten. Doch ein Auto für weniger als 5000 € Kaufpreis wird VW auch in Zukunft nicht bauen können – das verhindert die tra­di­tionell große Fer­ti­gungstiefe. Eine Kooperation mit dem Bil­ligher­steller Suzuki könnte hier helfen.

Im VW-Programm fehlt ein echter Volkswagen

VW hat sich parallel zum wachsenden Wohlstand der Deutschen entwickelt: Ein Volkswagen im eigentlichen Wortsinn, wie der Käfer, ist seit 30 Jahren nicht mehr im Programm. Das macht sich nun, wo Schwellenmärkte zu erobern sind, schmerzlich bemerkbar. Auch die anderen Konz­ern­marken streben nach oben, ins Hoch­preis­seg­ment. Damit der Überblick nicht verloren geht und eine Marke nicht die andere bekämpft, wacht in Wolfsburg die Pro­dukt-Strate­gie-Kom­mis­sion (PSK) über die Abgrenzung der einzelnen Zielgruppen und Mark­t­seg­mente. Toyota hat es einfacher: Neben der dominanten Kernmarke gibt es nur Lexus, ein separat platziertes Luxuslabel.

Bei VW wird bis zum Schluss optimiert

Ein weiteres Problem bei VW besteht in einer Kon­sen­skul­tur, die unter anderem die Kom­mu­nika­tion von Problemen an die Führungsebene schwieriger macht. Und die ausgeprägte Per­fek­tion­ierungswut verlangsamt das En­twick­lung­stempo: Bis unmittelbar vor Pro­duk­tion­sstart wird ein Modell bei VW noch optimiert, was die Prozesse erheblich verzögern kann. Bei Toyota hingegen ist ein halbes Jahr vor der Markteinführung Schluss mit der Optimierung; das erleichtert die Planung. Der Hersteller ist weltweit führend in effizienter, extrem ver­schlank­ter Fertigung. Zum Vergleich: Um einen VW Golf zu bauen, braucht es 32 Stunden – für den ver­gle­ich­baren Toyota Auris benötigen die Japaner nur 22 Stunden. Das spart viel Geld.

Toyota ist zu schnell gewachsen

Toyota leidet auf hohem Niveau. Zwar verdoppelte sich zwischen 1999 und 2009 der globale Absatz auf rund 8,9 Millionen Fahrzeuge. Doch Konz­ern­struk­turen, Per­son­alen­twick­lung und Un­ternehmen­skul­tur konnten mit dem rasanten Wachstum nicht Schritt halten. Davon zeugen die Rückrufe 2010: Die Qualität blieb auf der Strecke, weil Toyota den Fokus auf die Erhöhung der Stückzahlen setzte. Zu allem Unglück konzen­tri­erte Toyota seine Expansion auf Werke in Japan und den USA. Als gerade dort die Nachfrage einbrach, entstanden Überkapazitäten, während in wachsenden Märkten die Nachfrage nicht bedient werden konnte. Zudem waren speziell die US-Modelle für andere Märkte nur bedingt geeignet.

Hohe Selb­st­mor­drate im Konzern

Das gesamte Toy­ota-Sys­tem ist störanfällig geworden. Es arbeitet zwar hochef­fizient, ist aber nicht sonderlich flexibel. Das zeigte sich, als infolge stark steigender Kraft­stof­fkosten in den USA die Nachfrage nach dem Prius mit Hy­bri­dantrieb drastisch wuchs. Lange konnte Toyota sie nicht bedienen, die Wartezeiten verlängerten sich erheblich. Der Rückruf eines Großteils der Modelle aufgrund von Sicher­heit­srisiken war dann ein katas­trophaler Im­ageschaden, der den bereits fallenden Umsatz noch weiter in die Tiefe trieb. Erstmals in 60 Jahren Fir­mengeschichte wurde 2009 ein Verlust bilanziert. Schwächen zeigt auch die Un­ternehmen­skul­tur: Galt die Firma lange als Heimat ihrer Mitarbeiter, wurde in jüngster Zeit von gewaltiger Stress­be­las­tung und einer daraus re­sul­tieren­den hohen Selb­st­mor­drate beim Personal berichtet.

So will Toyota die Krise meistern

Die Japaner haben aus dem Crash aber gelernt, und die Finanzdecke des Un­ternehmens ist immer noch gewaltig. Als erste Maßnahme wurden weltweit Fer­ti­gungska­pazitäten gestrichen – ein harter Schnitt, denn Ent­las­sun­gen sind für einen Toy­ota-Man­ager das größte Eingeständnis einer Niederlage. Auch Pres­tige­pro­jekte wie etwa das Engagement in der Formel 1 wurden abgesagt. Qualität und Effizienz sollen dagegen noch stärker gewichtet werden. Angestrebt wird eine Mod­el­len­twick­lungszeit von 18 Monaten, dabei werden 70 % des Vorgängers übernommen. Als weiterer Schritt zur Kon­so­li­dierung sollen umwelt­fre­undliche Antriebe noch stärker in den Vordergrund rücken.

Toyota lebt durch seine Werte

Toyota ist eine ganze Welt: Der Hauptsitz befindet sich in Toyota City – hier ist alles Toyota. Ein maßgeblicher Wert des Konzerns, der sich als Großfamilie versteht, ist das Team: Ein Mitarbeiter bleibt oft sein gesamtes Ar­beit­sleben im selben Team, er wird ein Teil davon und erhält Provisionen in Abhängigkeit von der Team­leis­tung. Ziel ist nicht nur eine effiziente Produktion, sondern eine permanente Kostensenkung durch Verbesserun­gen im Ar­beit­sprozess, die Vermeidung fi­nanzieller, zeitlicher und personeller Ver­schwen­dung, schnelles Handeln bei Problemen und eine klare Problemlösungsstrate­gie.

Revolution in der Großse­rien­fer­ti­gung

Toyota hat nicht nur die Autobranche, sondern let­z­tendlich die gesamte Großse­rien­fer­ti­gung rev­o­lu­tion­iert. Das starre Fließbandsystem à la Ford wurde nach und nach zu einem hochflex­i­blen, sich ständig selbst verbessern­den Wach­s­tum­sor­gan, dem „Toyota Way“. Manager aus aller Welt fahren nach Japan, um es zu studieren. Toyota ist außerdem führend in Forschung und Entwicklung. Die Konzen­tra­tion auf umwelt­fre­undliche Antriebe haben die Japaner als erster Au­to­her­steller für sich entdeckt. Mit dem Prius kam der Hy­bri­dantrieb in Großserie auf die Straße. Allerdings kann Toyota – wie jeder andere Hersteller auch – bisher aus Hy­brid­fahrzeu­gen keinen Gewinn ziehen.

Über die Autoren

Engelbert Wimmer ist Un­ternehmens­ber­ater der PA Consulting Group, wo er den Geschäftsbereich Man­u­fac­tur­ing und Automotive leitet. Mark C. Schneider ist Ko­r­re­spon­dent Au­to­mo­bilin­dus­trie für das Han­dels­blatt. Petra Blum ist freie Jour­nal­istin und Autorin.