Ein ehrgeiziger Plan
2007 verkündete VW-Chef Martin Winterkorn, sein Konzern wolle bis 2018 weltgrößter Autoproduzent werden und damit Toyota überholen. Die Vision: VW wird Jahr für Jahr um 10 % produktiver und verkauft 2018 nicht weniger als 10 Millionen Fahrzeuge, die Rendite beträgt über 8 % und die Produktqualität sowie Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit sind top. Kann VW das alles schaffen? Und vor allem: Was macht Toyota?
Aktuelle Entwicklung gibt VW Recht
Bis 2009 hielten die meisten Winterkorn wohl für ein Großmaul. Doch nachdem Toyota ins Taumeln geraten ist, VW dagegen die Branchenkrise besser überstanden hat als die Mitbewerber, scheint der Wachstumsplan realisierbar. Während Toyota vor allem Ostasien beherrscht, dominiert VW in Europa. Die beiden Duellanten in Zahlen:
- Die Volkswagen AG beschäftigt weltweit ca. 368 000 Mitarbeiter und baute 2009 rund 6,3 Millionen Autos in 63 Werken. In Deutschland hat VW 30 % Marktanteil, in den USA 2,9 %, in Japan 1,4 %, weltweit 11 %.
- Die Toyota Motor Corporation hat weltweit ca. 320 000 Beschäftigte und produzierte 2009 rund 7,2 Millionen Autos in 66 Werken. Toyota hat in Deutschland 4 % Marktanteil, in den USA 17 %, in Japan knapp 50 %, weltweit etwa 14 %.
Ein Anfang und ein Ende
Zwei Ereignisse im März 2010: VW eröffnet feierlich ein Werk in den USA und Toyota muss dort eines schließen. Für den Wolfsburger Konzern bildet die neue Fabrik in den Südstaaten den Kern einer Expansionsstrategie: Volkswagen will in den USA Marktanteile gewinnen, um Verluste in Europa zu kompensieren. Damit Währungsverluste vermieden werden, ist es notwendig, im Inland zu fertigen. Toyota hat in den USA frühzeitig dominiert und war dort schon in den 70er Jahren bekannt dafür, preiswerte und solide Autos mit niedrigem Verbrauch anzubieten. In Kalifornien wurde das erste US-Werk der Japaner gebaut – aus dem gleichen Grund, der nun auch VW in die USA zieht. Doch der dramatische Rückgang bei den Autokäufen seit 2006 machte Toyota zu schaffen, zudem demolierte vier Jahre später eine spektakuläre Rückrufaktion das Markenimage. Seitdem reduzieren die Japaner weltweit ihre Kapazitäten – auch das alte US-Werk wird abgewickelt.
Überkapazitäten weltweit
VW wächst, Toyota schrumpft – doch das ist nur die halbe Wahrheit: Toyota holt Luft, um sich zu orientieren. Und auch Volkswagen kämpft partiell mit einem Nachfragerückgang. Die gesamte Branche leidet: Derzeit sind die Fertigungskapazitäten weit höher als der tatsächliche Bedarf. Staatliche Förderung durch Abwrackprämien und Steuerermäßigungen haben den Nachfragerückgang etwas ausgebügelt, doch mittelfristig muss die Branche gesundschrumpfen. Heikel sind außerdem die Subventionen, weil sie vitalen wie todgeweihten Unternehmen gleichermaßen helfen und so den Wettbewerb verzerren. Zugleich wurde der Rabattkrieg, ein wesentliches Problem auf dem Neuwagenmarkt, unnötig angeheizt.
Autoindustrie vor dem Wandel
Die Branche befindet sich am Scheideweg: Für den Elektroantrieb muss gewaltige Entwicklungsarbeit aufgewendet werden – die größte Herausforderung seit der Erfindung des Autos. Der Hybridantrieb, wie ihn Toyota bereits erfolgreich eingeführt hat, fungiert nur als Brückentechnologie. Viele Fragen sind noch zu klären, bis reine Elektroautos effizient, komfortabel und preisgünstig sind und breit genutzt werden können. Pioniermarkt ist Europa, wo die Kosten für konventionelle Kraftstoffe in wenigen Jahren erstmals die Schmerzgrenze erreichen werden. In allen anderen Märkten bleibt der Elektroantrieb mittelfristig unrentabel.
Globaler Autotrend
Die Branche fährt einer globalen Entwicklung hinterher: Seit Jahrzehnten führt die Landflucht weltweit zu einem Anwachsen der Städte bis zu Multimillionenmetropolen. Viele Bewohner dieser Megacitys sind Aufsteiger, die ihr wachsendes Einkommen auch in komfortable Transportmittel investieren – das hofft zumindest die Autoindustrie. Das Aufsteigerauto wird ein kleines, leichtes und wendiges Elektrofahrzeug; es beansprucht wenig Parkfläche und braucht nur eine vergleichsweise kleine Batterie, da sein Aktionsradius auf innerstädtische Distanzen beschränkt bleibt. Der Antrieb ist den wachsenden Anforderungen zur Luftreinhaltung geschuldet. An so einem Megacity-Vehicle tüfteln fast alle Hersteller.
Schicksalssegment Kleinwagen
Schlüsselmärkte sind zukünftig die USA und China. Der US-Markt bevorzugt nach wie vor große Autos, wobei die Bedeutung des Verbrauchs jedoch zunimmt. Diese Konstellation deutet VW als Chance, Marktanteile zu erobern. In China und anderen Schwellenländern hingegen müssen die finanzschwachen Massen motorisiert werden. Nachfrage besteht vor allem nach Klein- und Kleinstwagen – doch hier ist auch die Gewinnspanne am geringsten. Die Hersteller sind also dazu verdammt, ihre neuen Produkte in möglichst großen Mengen zu fertigen. VW kann auf China als größten Wachstumsmarkt bauen, wo schon frühzeitig investiert wurde. Ein Problem eint die beiden Giganten: VW wie auch Toyota haben einen Großteil ihrer Fertigung in Regionen, wo die Produktion teuer und der Markt schwierig ist. Sowohl Deutschland wie auch Japan sind schrumpfende Märkte mit hohen Standortkosten.
Wolfsburg kämpft mit Gewinnquote
Die Rentabilität ist das größte Problem des deutschen Konzerns. Um den Gewinn pro Auto zu erhöhen, wurden die Plattformen, die das Fundament des Fahrzeugs bilden, modularisiert, was den Aufwand an Zeit und Material stark reduziert. Das heißt: Alle zehn VW-Marken bedienen sich für den unsichtbaren Unterbau aus dem gleichen Baukasten. Doch ein Auto für weniger als 5000 € Kaufpreis wird VW auch in Zukunft nicht bauen können – das verhindert die traditionell große Fertigungstiefe. Eine Kooperation mit dem Billighersteller Suzuki könnte hier helfen.
Im VW-Programm fehlt ein echter Volkswagen
VW hat sich parallel zum wachsenden Wohlstand der Deutschen entwickelt: Ein Volkswagen im eigentlichen Wortsinn, wie der Käfer, ist seit 30 Jahren nicht mehr im Programm. Das macht sich nun, wo Schwellenmärkte zu erobern sind, schmerzlich bemerkbar. Auch die anderen Konzernmarken streben nach oben, ins Hochpreissegment. Damit der Überblick nicht verloren geht und eine Marke nicht die andere bekämpft, wacht in Wolfsburg die Produkt-Strategie-Kommission (PSK) über die Abgrenzung der einzelnen Zielgruppen und Marktsegmente. Toyota hat es einfacher: Neben der dominanten Kernmarke gibt es nur Lexus, ein separat platziertes Luxuslabel.
Bei VW wird bis zum Schluss optimiert
Ein weiteres Problem bei VW besteht in einer Konsenskultur, die unter anderem die Kommunikation von Problemen an die Führungsebene schwieriger macht. Und die ausgeprägte Perfektionierungswut verlangsamt das Entwicklungstempo: Bis unmittelbar vor Produktionsstart wird ein Modell bei VW noch optimiert, was die Prozesse erheblich verzögern kann. Bei Toyota hingegen ist ein halbes Jahr vor der Markteinführung Schluss mit der Optimierung; das erleichtert die Planung. Der Hersteller ist weltweit führend in effizienter, extrem verschlankter Fertigung. Zum Vergleich: Um einen VW Golf zu bauen, braucht es 32 Stunden – für den vergleichbaren Toyota Auris benötigen die Japaner nur 22 Stunden. Das spart viel Geld.
Toyota ist zu schnell gewachsen
Toyota leidet auf hohem Niveau. Zwar verdoppelte sich zwischen 1999 und 2009 der globale Absatz auf rund 8,9 Millionen Fahrzeuge. Doch Konzernstrukturen, Personalentwicklung und Unternehmenskultur konnten mit dem rasanten Wachstum nicht Schritt halten. Davon zeugen die Rückrufe 2010: Die Qualität blieb auf der Strecke, weil Toyota den Fokus auf die Erhöhung der Stückzahlen setzte. Zu allem Unglück konzentrierte Toyota seine Expansion auf Werke in Japan und den USA. Als gerade dort die Nachfrage einbrach, entstanden Überkapazitäten, während in wachsenden Märkten die Nachfrage nicht bedient werden konnte. Zudem waren speziell die US-Modelle für andere Märkte nur bedingt geeignet.
Hohe Selbstmordrate im Konzern
Das gesamte Toyota-System ist störanfällig geworden. Es arbeitet zwar hocheffizient, ist aber nicht sonderlich flexibel. Das zeigte sich, als infolge stark steigender Kraftstoffkosten in den USA die Nachfrage nach dem Prius mit Hybridantrieb drastisch wuchs. Lange konnte Toyota sie nicht bedienen, die Wartezeiten verlängerten sich erheblich. Der Rückruf eines Großteils der Modelle aufgrund von Sicherheitsrisiken war dann ein katastrophaler Imageschaden, der den bereits fallenden Umsatz noch weiter in die Tiefe trieb. Erstmals in 60 Jahren Firmengeschichte wurde 2009 ein Verlust bilanziert. Schwächen zeigt auch die Unternehmenskultur: Galt die Firma lange als Heimat ihrer Mitarbeiter, wurde in jüngster Zeit von gewaltiger Stressbelastung und einer daraus resultierenden hohen Selbstmordrate beim Personal berichtet.
So will Toyota die Krise meistern
Die Japaner haben aus dem Crash aber gelernt, und die Finanzdecke des Unternehmens ist immer noch gewaltig. Als erste Maßnahme wurden weltweit Fertigungskapazitäten gestrichen – ein harter Schnitt, denn Entlassungen sind für einen Toyota-Manager das größte Eingeständnis einer Niederlage. Auch Prestigeprojekte wie etwa das Engagement in der Formel 1 wurden abgesagt. Qualität und Effizienz sollen dagegen noch stärker gewichtet werden. Angestrebt wird eine Modellentwicklungszeit von 18 Monaten, dabei werden 70 % des Vorgängers übernommen. Als weiterer Schritt zur Konsolidierung sollen umweltfreundliche Antriebe noch stärker in den Vordergrund rücken.
Toyota lebt durch seine Werte
Toyota ist eine ganze Welt: Der Hauptsitz befindet sich in Toyota City – hier ist alles Toyota. Ein maßgeblicher Wert des Konzerns, der sich als Großfamilie versteht, ist das Team: Ein Mitarbeiter bleibt oft sein gesamtes Arbeitsleben im selben Team, er wird ein Teil davon und erhält Provisionen in Abhängigkeit von der Teamleistung. Ziel ist nicht nur eine effiziente Produktion, sondern eine permanente Kostensenkung durch Verbesserungen im Arbeitsprozess, die Vermeidung finanzieller, zeitlicher und personeller Verschwendung, schnelles Handeln bei Problemen und eine klare Problemlösungsstrategie.
Revolution in der Großserienfertigung
Toyota hat nicht nur die Autobranche, sondern letztendlich die gesamte Großserienfertigung revolutioniert. Das starre Fließbandsystem à la Ford wurde nach und nach zu einem hochflexiblen, sich ständig selbst verbessernden Wachstumsorgan, dem „Toyota Way“. Manager aus aller Welt fahren nach Japan, um es zu studieren. Toyota ist außerdem führend in Forschung und Entwicklung. Die Konzentration auf umweltfreundliche Antriebe haben die Japaner als erster Autohersteller für sich entdeckt. Mit dem Prius kam der Hybridantrieb in Großserie auf die Straße. Allerdings kann Toyota – wie jeder andere Hersteller auch – bisher aus Hybridfahrzeugen keinen Gewinn ziehen.