Der Handel mit der Zukunft
Das unmittelbare Abwickeln von Geschäften ist längst nicht mehr die zentrale Aktivität des modernen Wirtschaftens. Wer produziert oder Handel treibt, ist vor allem bestrebt, drohende Risiken zu vermeiden. So sollen etwa Engpässe beim Einkauf von Rohstoffen, Preisschwankungen von Zulieferprodukten oder Zinserhöhungen von Krediten im Voraus minimiert werden. Eines der effektivsten Mittel dafür sind so genannte Finanztermingeschäfte wie Derivate oder Optionen. Anders als bei den zeitnahen Kassageschäften, die an der Börse, aber genauso gut in jedem Supermarkt stattfinden, werden bei diesen Vereinbarungen über künftige Geschäfte nicht unbedingt Waren ausgetauscht. Es können, etwa im Fall der strukturierten Produkte, sogar ausschließlich Geldströme fließen.
„Ein derivatives Finanzinstrument ist ein Finanztermingeschäft, dessen Wert sich von dem des zugrunde liegenden Basiswerts ableiten lässt und das an Terminmärkten oder im außerbörslichen Handel von Marktteilnehmern erworben und veräußert werden kann.“
Obwohl die Termingeschäfte aufgrund der Finanzkrise weltweit in der Kritik stehen, sind sie grundsätzlich eine sinnvolle Ergänzung für die Finanzmärkte. Zwar kann ihr Missbrauch auch großen Schaden anrichten, aber das ist ja bei fast allem so. Richtig eingesetzt, sind die Termingeschäfte ein unverzichtbares Mittel für jedes Unternehmen, um zu mehr Planungssicherheit zu gelangen. Allerdings eröffnen Finanztermingeschäfte auch den wenig geliebten Spekulanten lukrative Anlagemöglichkeiten. Deren Engagement stärkt immerhin die Liquidität des Marktes, es erhöht die Transparenz möglicher Risiken durch einen gesteigerten Informationsbedarf und es reduziert die Preisspannen.
Finanztermingeschäfte: Die Produkte im Überblick
Das Mittel für den Handel mit der Zukunft sind Finanztermingeschäfte. Sie werden an börseninternen Terminmärkten oder außerbörslich getätigt. Ihr Wert orientiert sich an einem zugrunde liegenden Basiswert in Form von Devisen, Zinsen, Aktien, Rohstoffen oder landwirtschaftlichen Produkten.
„Termingeschäfte ermöglichen den Vertragsparteien größere Planungssicherheit.“
Grundsätzlich werden zwei Formen von Finanztermingeschäften unterschieden: unbedingte und bedingte Transaktionen. Bei Letzteren hat ein Vertragspartner die Wahl, ob er das zu bestimmten Kriterien vereinbarte Geschäft an dem definierten Termin tatsächlich ausführt. Bei unbedingten Transaktionen sind dagegen beide Parteien verpflichtet, ihre Vereinbarung zu erfüllen. Während Börsen den Termingeschäften feste Strukturen und Standards setzen, bietet der außerbörsliche Handel mehr Flexibilität für die Markteilnehmer in puncto individueller Gestaltung der Vereinbarungen. Allerdings ist die Liquidität auf diesen Märkten auch deutlich geringer. Die derivativen Finanzprodukte im Einzelnen:
- Future: Dieses an der Börse gehandelte unbedingte Finanzinstrument fußt auf einem Vertrag zwischen zwei Geschäftspartnern. Gegenstand ist der Verkauf (Short Position) oder der Kauf (Long Position) z. B. einer Aktie, einer Devise, eines Rohstoffs oder eines Agrarprodukts zu einem bestimmten Preis an einem bestimmten in der Zukunft liegenden Termin. Da die Börse als Handelspartner fungiert, fällt bei diesen Transaktionen das Ausfallrisiko der Gegenpartei weg. Allerdings entstehen Brokergebühren.
- Forward: Der Forward ist das Pendant zu den Futures auf dem außerbörslichen Markt. Die flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten setzen allerdings voraus, dass sich zwei Vertragspartner finden, die die jeweiligen Bedingungen akzeptieren. Ein weiterer Nachteil des außerbörslichen Handels ist die im Vergleich zur Börse schlechtere Möglichkeit des Weiterverkaufs. Aufgrund der Ausübungspflicht des Vertrags muss zudem, will eine Partei aus dem Vertrag aussteigen, ein neuer Geschäftspartner gefunden werden. Es besteht zudem das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners. Es fallen keine Brokergebühren an, aber ggf. Anwaltskosten.
- Swap: Beim Swap handelt es sich um weiteres unbedingtes Finanzinstrument, das außerbörslich gehandelt wird. Er besteht aus einer Vereinbarung über mehrere Zahlungen an verschiedenen künftigen Zeitpunkten. Die beliebtesten Basiswerte für Swaps sind Währungen und Zinsen. Diese Termingeschäfte sind grundsätzlich längerfristig ausgerichtet. Ab einer Laufzeit von zwei Jahren gelten z. B. Zinsswaps im Vergleich zu Futures als eine geeignetere Risikoabsicherung.
- Option: Optionen sind typische bedingte Transaktionen, da der Käufer nur das Recht und nicht die Pflicht erhält, das Geschäft in der Zukunft auszuführen. Der Kauf eines Basiswertes heißt dabei „Call“, der Verkauf „Put“. Optionen oder auch Warrants können sowohl an der Börse als auch außerbörslich gehandelt werden. Während europäische Optionen nur am Laufzeitende ausgeübt werden können, können Sie bei amerikanischen Produkten jederzeit Ihr Wahlrecht geltend machen. Für Ihr Recht auf den möglichen Rücktritt vom vereinbarten Geschäft zahlen Sie als Käufer eine Optionsprämie.
„Der Wert einer Option setzt sich grundsätzlich aus zwei verschiedenen Komponenten zusammen: dem inneren Wert sowie dem Zeitwert.“
Der Einsatzbereich derivativer Finanzinstrumente ist groß. Eine Möglichkeit ist das Absichern von Währungsrisiken. So kann z. B. eine im Ausland agierende Tochterfirma eines Konzerns Preisschwankungen für den Einkauf von Maschinen beim Mutterkonzern mithilfe von einem auf den Liefertermin bezogenen Forward absichern. Die Währungsrisiken eines Kredits des Mutterkonzerns an das Tochterunternehmen würden dagegen üblicherweise mit einem Swap begrenzt. Gleiches gilt für mögliche Zinsschwankungen. Alternativ könnten hier aber auch Optionen eingesetzt werden. Auch wenn eine Pensionskasse ihre Rendite verbessern will, sind Optionen die erste Wahl. Zum Beispiel lassen sich mithilfe von Put-Optionen mögliche Verluste aus Aktieninvestitionen begrenzen. Dies setzt allerdings voraus, dass genügend Optionen bezogen werden. Das Bezugsverhältnis – d. h. die Anzahl an Optionen, die für den Erhalt einer Einheit des Basiswertes gekauft werden müssen – liegt meist zwischen 1 und 20.
Das ABC des Terminhandels
Die bedeutendste Terminbörse in Europa ist die Eurex. Aufträge werden dort und an anderen Börsen per Market- oder Limit-Order abgewickelt. Bei Ersterem werden Geschäfte zum nächstbesten Kurs (also per „Bestens-Auftrag“) abgeschlossen. Limit-Orders beziehen sich dagegen auf vom Anleger festgelegte Schwellenwerte: Die Aufträge werden erst durchgeführt, wenn diese Grenzen über- oder unterschritten werden. Wenn limitierte Aufträge ab einem bestimmten Schwellenwert zu Market-Orders werden sollen, spricht man von Stop-Orders.
„Der Handel im vollelektronischen Handelssystem der Eurex basiert auf einem zentralen Orderbuch, in dem sämtliche Kauf- und Verkauforders sowie Quotes eines Börsentags eingegeben und verwaltet werden.“
Die Abwicklung aller Aufträge erfolgt an Eurex nach festen Regeln. Die höchste Priorität haben reine Market-Orders. Werden zwei Aufträge gleichen Typs zur gleichen Zeit an der Börse eingereicht, wird die Order mit dem höheren Geldkurs zuerst ausgeführt. Ansonsten gilt die Zeit des Eingangs.
Der Handel an der Eurex beginnt für die meisten Produkte mit der Pre-Trading-Phase um 7:30 Uhr und endet mit der Post-Trading-Phase um 22 Uhr. Neben Mitgliedern der Clearingstelle und Brokern können auch so genannte Market-Maker aktiv in den Handel eingreifen. Ihre Aufgabe ist es, die Liquidität in den von ihnen betreuten Produktmärkten zu sichern, indem sie verbindliche Geld- und Briefkurse angeben. Weitere Akteure sind – neben Anlegern, die die Risiken ihrer Investitionen minimieren wollen – Arbitrageure, Spekulanten und Hedger. Während Arbitrageure versuchen, an Marktineffizienzen wie z. B. Preisunterschieden an verschiedenen Börsen zu verdienen, streben Spekulanten nach hohen Renditen aufgrund von Markteinschätzungen. Hedger wiederum wollen ihre Anlage durch Derivate absichern. Dabei setzen sie wie die Risikooptimierer vor allem auf die Flexibilität von Optionen.
Neuere Finanzterminprodukte
Eine Weiterentwicklung der klassischen derivativen Finanzinstrumente sind die strukturierten Produkte. Ihre Beliebtheit ist seit den 1990er Jahren rasant angestiegen. Bei diesen Finanzinstrumenten handelt es sich um eine Mischung aus derivativen Produkten und klassischen Finanzanlagen. Bestandteile der strukturierten Produkte sind in der Regel Null-Coupon-Anleihen (Finanzanlage) und Optionen auf einen Basiswert (derivatives Produkt). Als Basiswert fungieren Devisen, Wertpapiere, Indizes, Rohstoffe, Zinsen oder Derivate. Er wird auch als Underlying bezeichnet. Emittenten von strukturierten Produkten sichern Zahlungen zu mindestens einem künftigen Zeitpunkt zu. Neben dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Emittenten besteht für den Investor die Gefahr mangelnder Liquidität des Marktes in extremen Börsenphasen, wenn er das strukturierte Produkt während oder am Ende der Laufzeit verkaufen will.
„Aufgrund regulatorischer Bestimmungen (vor allem in den USA) hat es sich eingebürgert, Credit Default Options als Finanzderivate und nicht als Versicherungen auszugestalten.“
Seit der Gründung des Europäischen Derivate Dachverbandes im Jahr 2008 bestehen in Europa weitgehend einheitliche Kriterien für die Klassifizierung der strukturierten Produkte. Die Unterteilung kann nach Basiswerten oder nach Auszahlungsarten erfolgen. In jedem Land existieren allerdings unterschiedliche Produktnamen und Kategorien. So unterscheidet der Deutsche Derivate Verband Anlage- und Hebel-Produkte. Letztere Kategorie vereint Optionsscheine, Knock-Outs und exotische Produkte. Unter Anlage-Produkten versteht man dagegen Aktienanleihen und Zertifikate wie Garantie-, Discount-, Bonus-Teilschutz- oder Outperformance-Zertifikate. Das Risiko von strukturierten Produkten variiert je nach Ausgestaltung und hängt von zwei Kennzahlen ab: der Verlustwahrscheinlichkeit und dem Maximalverlust.
Die Kreditausfallabsicherung
Einige der neueren Finanztermininstrumente weisen weitere spezielle Eigenschaften auf. Bestes Beispiel dafür sind die Credit Default Options (CDO) oder Kreditderivate. Ihr Ziel ist die Absicherung eines Kreditgebers gegen mögliche Zahlungsausfälle seines Kreditnehmers. Kreditderivate werden oft als Swaps oder Optionen ausgegeben. Beim Credit Default Swap zahlt der Kreditgeber z. B. eine regelmäßige Gebühr an eine dritte Partei, die ihm im Falle des Kreditausfalls den Schaden ersetzt. Das Besondere an diesem Versicherungsvertrag ist, dass er an der Börse als Termingeschäft gehandelt werden kann. Andere Kreditderivate sind etwa Credit-linked Notes oder synthetische Unternehmensanleihen, Total Return Swaps, die das gesamte Risiko eines Kreditausfalls an eine dritte Partei übertragen, oder Credit Spread Options, die sich auf das Risikomaß einer Anleihe beziehen.
„Ein Kreditderivat, z. B. ein Credit Default Swap auf einen einzelnen Kleinkredit, wäre nicht nur unhandlich, sondern auch riskant.“
Da die Absicherung eines einzelnen Kredits sehr riskant und damit kostspielig wäre, werden üblicherweise mehrere Kredite in einem Pool versammelt, auf den dann ein Swap ausgegeben wird. Darüber hinaus können die Risiken eines Pools in unterschiedliche Swaps aufgeteilt werden. So kann man z. B. einen Swap auf den eher unwahrscheinlichen Fall des Ausfalls von mehr als 40 % eines Kreditportfolios ausgeben und einen auf den Ausfall von weniger als 40 %. Der erste Swap ist für den Sicherungsnehmer dann relativ teuer, der zweite relativ günstig.
„Im Zuge der Finanzkrise und der damit verbundenen weltweiten Kursverluste kam es auch auf den Märkten für strukturierte Produkte zu Einbußen.“
Ziel dieses so genannten Tranching ist es, die unterschiedlichen Kosten der verschiedenen Ausfallwahrscheinlichkeiten transparent zu machen und den Markt auch für Anleger zu öffnen, die nur in verhältnismäßig sichere Anlagen investieren wollen. Die Gefahr bei diesem Vorgehen ist, dass Kreditgeber versuchen, so viele Risiken wie möglich abzugeben, ohne dabei auf Gewinne zu verzichten. In Kombination mit laschen Marktkontrollen und einem hohen Anteil an Spekulanten kann dies schnell zu einem Zusammenbruch der Märkte führen, wie in der jüngsten Finanzkrise geschehen. An der weiterhin großen Attraktivität von strukturierten Produkten ändert das jedoch wenig. Besonders in Ländern wie den USA oder Großbritannien, in denen strukturierte Produkte ähnlich wie Aktien angesehen werden, entsteht eine Vielzahl an neuen Finanztermininstrumenten, um lukrative Antworten auf die aktuellen Marktherausforderungen zu finden.