Der ehrbare Kaufmann

Buch Der ehrbare Kaufmann

Leistungsfaktor Vertrauen - Kostenfaktor Misstrauen

Bank-Verlag Medien,


Rezension

Der ehrbare Kaufmann lebt. Zu dumm nur, dass man davon so wenig mitbekommt. In den Medien nämlich sieht es nach genau dem Gegenteil aus: Raffgier und Ver­fehlun­gen bestimmen das Bild. Doch dieses Bild ist einseitig und darum falsch, sagen die Autoren und kleiden ihre Au­far­beitung der jüngsten Wirtschaft­skrisen in ein moral­philosophis­ches Gewand. Das Kapitel „Der ehrbare Kaufmann im Zeitraffer der Historie“ lädt zum Überspringen ein, denn seinem Titel zum Trotz braucht es einen recht langatmigen Anlauf, ehe man endlich zu des Pudels Kern durchdringt. Den Transfer des bis in die Antike zurück­re­ichen­den Konzepts vom ehrbaren Kaufmann in die Gegenwart kann man als größtenteils durchaus gelungen bezeichnen, das eine oder andere Prax­is­beispiel zur Un­ter­mauerung hätte der Be­stand­sauf­nahme aber gut getan. Trotz solcher Schwächen ist das Buch ein kurzweiliger, philosophisch ange­hauchter Man­age­mentleit­faden, meint BooksInShort und empfiehlt es allen Führungskräften, die nach ethischer Ori­en­tierung suchen.

Take-aways

  • 99 % der deutschen Unternehmen gehören dem Mittelstand an. Dieser ist nicht ve­r­ant­wortlich für die jüngste Wirtschaft­skrise – er ist ihr Opfer.
  • Profit und moralische Prinzipien müssen einander nicht ausschließen.
  • Der deutsche Cor­po­rate-Gov­er­nance-Kodex ist ein Papiertiger. Die meisten Vorgaben sind Selbstverständlichkeiten oder reine Empfehlun­gen.
  • Dotcom- und Sub­prime-Krise erklären sich durch das of­fen­sichtliche Fehlen eines gemeinsamen Wertesys­tems.
  • Der Un­ternehmensführer von heute, eine Art moderner ehrbarer Kaufmann, sollte drei Figuren gle­ichzeitig verkörpern: Diener, Vater und Pilger.
  • Die erste der vier Kar­dinal­tugen­den ist die Klugheit: Eine Führungskraft muss die Zeichen der Zeit erkennen.
  • Die zweite Tugend ist die Gerechtigkeit: Aus Sicht des Un­ternehmens entspricht sie dem Ausgleich zwischen den Interessen der ver­schiede­nen Anspruchs­grup­pen.
  • Zur Tapferkeit, der dritten Kar­dinal­tugend, gehören auch Gründerwille und Un­ternehmergeist.
  • Das richtige Maß, die vierte Tugend, steht für Angemessen­heit, Be­hut­samkeit und Kom­pro­miss­bere­itschaft in den un­ternehmerischen Entschei­dun­gen.
  • Doch macht die Dosis das Gift: Ein Zuviel an Tu­gend­haftigkeit ist wiederum kon­trapro­duk­tiv.
 

Zusammenfassung

Das Ideal des ehrbaren Kaufmanns – und die Realität

Die Wirtschaftswelt steht unter dem Eindruck der gerade eben noch so abgewen­de­ten Weltwirtschaft­skrise. Nicht nur die Aufräumarbeiten bei den Folgen der Krise dauern an, auch diejenigen bei den Auslösern, in erster Linie den Banken. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sind gleichermaßen betroffen vom um sich greifenden Ver­trauensver­lust. Und das nicht erst seit Kurzem: Die jüngste Krise war nur die bislang letzte innerhalb nur eines Jahrzehnts.

„Die Zeit ist reif für die Renaissance des ehrbaren Kaufmanns. Die Anhäufung der immer gleichen Fehler innerhalb eines Jahrzehnts sollte dazu Anlass genug sein.“

Kann das Zufall sein? In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, das gesamte Wirtschaftssys­tem sei nur noch von entweder inkom­pe­ten­ten oder un­ehren­haften, raf­fgieri­gen Managern durch­drun­gen. Jedoch zählen 99 % der ca. 3,3 Millionen deutschen Unternehmen zum so genannten Mittelstand, die Mehrzahl sind reine Fam­i­lienun­ternehmen. Natürlich haben diese praktisch gar nichts zur Entstehung der Wirtschaft­skrise beigetragen, im Gegenteil: Sie sind ihre Opfer. Eine Un­ter­schei­dung zwischen der unbescholte­nen Mehrheit und spektakulären Betrugsfällen oder Megain­sol­ven­zen wie bei Enron, General Motors, Arcandor (Karstadt) oder Holzmann tut dringend not.

„Besonders gerne redet man über Werte, wenn sie abhanden gekommen sind.“

Dabei wäre ehrbares Handeln so einfach – auch ohne gesetzliche Vorschriften, die ohnehin ihre Wirkung verfehlen. Die vier Kar­dinal­tugen­den Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maßhalten sind in der abendländischen Kultur seit über 2000 Jahren verankert und der Begriff des ehrbaren Kaufmanns ist seit rund 500 Jahren bekannt. Dieses historische Fundament sollte auch in Zeiten der Glob­al­isierung weiter gelten.

Profite und Prinzipien

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, heißt es in der Dreigroschenoper von Brecht. Aber stimmt es wirklich, dass moralische Prinzipien und Profite einander ausschließen? Ver­schiedene Interessen lassen sich generell auf drei Arten ausgleichen: bürokratisch, solidarisch oder mark­twirtschaftlich. Das bürokratische Verteilungssys­tem ist Kennzeichen vieler Regierungsap­pa­rate. Das sol­i­darische System ließ sich vier Jahrzehnte in der DDR beobachten, bevor es in sich zusam­men­brach. Das mark­twirtschaftliche System ist gerecht und baut auf freie Entschei­dun­gen: Man kann nicht dauerhaft zulasten Dritter wirtschaften, ohne dafür vom Markt abgestraft zu werden. Hier setzt das Bild des ehrbaren Kaufmanns an.

Unternehmer vs. Manager

Mittelständische Unternehmen gelten zu Recht als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die Einheit von Eigentum und Haftung erhebt die Ve­r­ant­wor­tung zur Hand­lungs­maxime des Un­ternehmers. Gerade sie ist es, die den mittelständischen Kaufmann vom angestell­ten Manager auf Zeit un­ter­schei­det. Seine berufliche und meistens auch private Existenz ist direkt mit der Existenz seines Un­ternehmens verknüpft, häufig ist sogar die gesamte Familie in den Betrieb einbezogen.

„Es gilt die Erkenntnis, dass immer dann, wenn sich der Staat in mark­twirtschaftliche Prozesse einmischt, der finanzielle Erfolg für alle Beteiligten ausbleibt.“

Dies alles führt zu einem besonderen An­forderung­spro­fil an die Führungskraft: Sie muss entschei­dungs­freudig und -sicher sein und sie muss ihre Mitarbeiter überzeugen und führen können. Außerdem darf ein gesundes Maß an Risikobere­itschaft nicht durch die Sorge um die eigene Existenz oder die der Familie überlagert werden. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Fehltritten von Managern einiger namhafter deutscher Großunternehmen in der jüngeren Ver­gan­gen­heit.

Zahnlose Papiertiger

Möglicher­weise fehlt ein allgemeingültiges Wertesystem, das den Ve­r­ant­wortlichen einen Rahmen für ihr Handeln setzen würde. Versucht wurde es zwar mit dem Cor­po­rate-Gov­er­nance-Kodex, einem Leitfaden für gute Un­ternehmensführung. Der Öffentlichkeit wird vorge­gaukelt, dass mit diesem Kodex um­fan­gre­iche und verbindliche Regelungen für eine gute und ordnungsgemäße Un­ternehmensführung und -kontrolle installiert wären.

„Die Grundidee des Modells des ,ehrbaren Kaufmanns‘, das in Hamburg seit 1517 erfolgreich besteht, ist eine an Werten orientierte Un­ternehmer­schaft.“

Doch leider hat sich die Selb­stverpflich­tung der deutschen Wirtschaft als zahnloser Papiertiger erwiesen. Nicht nur, dass lediglich ein winziger Prozent­bruchteil der Unternehmen darunter fällt – nämlich die börsen­notierten –, auch sind die meisten Vorgaben reine Empfehlun­gen. Und die lassen sich missachten. Auch Porsche und Volkswagen hatten sich zum Cor­po­rate-Gov­er­nance-Kodex bekannt – was sie nicht davon abhielt, sich in einer wahren Übernahmeschlacht bis aufs Messer zu bekämpfen.

„Das, was unsere abendländische Kultur so lange zusammenhält, kann auch für die heutige Un­ternehmen­spraxis so schlecht nicht sein.“

Genauso zahm wirkt der Selb­st­be­halt bei Haftpflichtver­sicherun­gen für Manager, der bislang kaum angewendet wird. Eine persönliche Haftung des angestell­ten Managers könnte sicherlich ihren Teil dazu beitragen, die Rolle des ehrbaren Kaufmanns aufzuwerten. Ganz im Gegensatz dazu stehen Be­stre­bun­gen, auch Auf­sicht­sratsmit­glieder erfolgsabhängig zu entlohnen.

„Jedem das Seine bedeutet nicht: Jedem das Gleiche!“

Diese neuerliche Überbetonung des so genannten Share­holder-Value-Gedankens (dessen Ziel die Maximierung des Un­ternehmenswerts ist) würde das Kon­trol­lor­gan in ein Boot mit dem Management setzen und damit einer kurzfristi­gen Gewin­nori­en­tierung weiteren Vorschub leisten – dabei ist es das Gegenteil dessen, was angestrebt werden sollte. Die Komplexität des Kodex steigt von Jahr zu Jahr, u. a. schon deshalb, weil er mit un­ternehmerischen Selbstverständlichkeiten überladen ist.

Aus der Krise in die Krise

Genau diese einfachsten kaufmännischen Grundregeln hätte es um die Jahrtausendwende gebraucht: Da bildete sich am Neuen Markt, dem Börsene­in­stiegsseg­ment für wach­s­tum­sori­en­tierte Unternehmen, eine bis dahin nicht für möglich gehaltene Speku­la­tions­blase.

„Im Zeitalter des Ein­drucks­man­age­ments, in dem eine Brustvergrößerung oder eine Serie von Botoxspritzen als Wei­h­nachts­geschenk dienen, ist Eitelkeit nur noch dann eine Sünde, wenn die Selb­stin­sze­nierung misslingt.“

Unternehmen, Banken, Jour­nal­is­ten, Anwälte und Wirtschaft­sprüfer waren gleichermaßen vom Wunsch beseelt, am großen Rad zu drehen. Dass die meisten Neuer-Markt-Un­ternehmen mit ihren tollen Storys bis dahin außer horrenden Verlusten nicht viel zu bieten hatten, in­ter­essierte nicht. Alle lebten wie in einem Rausch. Die Deutsche Börse beerdigte ihr Ein­stiegsseg­ment 2003, als sich her­ausstellte, dass die ver­meintlich wach­s­tum­sori­en­tierten Firmen lediglich wachsende Verluste vorzuweisen hatten. Viele Unternehmen waren 2003 bereits wieder un­terge­gan­gen.

„Wird ein Gerücht dementiert, kann es brenzlig werden. In der Regel muss die komplette Geschichte noch einmal aufgerollt und erneut in Umlauf gebracht werden.“

Nachdem die Dot­com-Blase schon ungehindert entstehen konnte, mag es kaum noch verwundern, dass mit der Sub­prime-Blase (min­der­w­er­tig besicherte Hy­pothekenkred­ite) bereits wenige Jahre später die nächste Krise his­torischen Ausmaßes ihren Lauf nahm. Die aller­meis­ten Kunden, denen in den USA das eigene Haus regelrecht aufgeschwatzt wurde, hätten in Deutschland – absolut zu Recht – niemals einen Im­mo­bilienkredit bekommen. Ein ehrbarer Kaufmann hätte von einem solchen zwar kurzfristig lukrativen, langfristig jedoch desaströsen Geschäftsgebaren Abstand genommen. Ebenso wenig ehrbar handelten allerdings die Käufer, die sich offenbar nie die Frage gestellt hatten, ob sie sich eine kred­it­fi­nanzierte Immobilie überhaupt leisten konnten. Diese immer wieder entste­hen­den Speku­la­tions­blasen zeigen deutlich, dass Ehrbarkeit in der Wirtschaft nur dann Aussicht auf Akzeptanz hat, wenn alle Beteiligten auf Basis gemeinsamer und allgemein akzep­tierter Werte handeln.

Der dreifache Führungsstil

Was unsere abendländische Kultur über Jahrtausende zusam­menge­hal­ten hat, kann auch in der modernen Un­ternehmen­spraxis nicht falsch sein. Begriffe wie „Tugenden“ und „Laster“ klingen zwar etwas altbacken, aber sie lassen sich in die heutige Ter­mi­nolo­gie kleiden. Das gilt auch für den dreifachen Führungsstil, wie er von Mönchsvater Benedikt von Nursia etwa 500 n. Chr. definiert wurde:

  • Der Führende als Diener: Er erwartet von seinen Mi­tar­beit­ern nichts, was er nicht selbst zu leisten imstande wäre.
  • Der Führende als Vater: Er stärkt seinen Mi­tar­beit­ern den Rücken und fördert sie darin, selbst etwas zu wagen.
  • Der Führende als Pilger: Er übernimmt Ve­r­ant­wor­tung und ist sich über seine Kompetenzen im Klaren, muss aber auch mit sich selbst ve­r­ant­wor­tungsvoll umgehen.

Die vier Kar­dinal­tugen­den im heutigen Gewand

Eine Wirtschafts­ge­sellschaft ohne Bindung durch gemeinsame Werte besitzt keinen inneren Halt. Als ethische Grun­dori­en­tierung sind die alten Kar­dinal­tugen­den Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maßhalten immer noch eine gute Aus­gangs­ba­sis. Sie sind die Dreh- und Angelpunkte moralischen Handelns. Tugenden sind keineswegs angeboren. Stattdessen entstehen sie, indem Menschen eine Handlung der anderen vorziehen. Tugenden müssen im Unternehmen von Vorbildern und Persönlichkeiten gelebt werden, nur dann haben sie eine Chance, in die „Corporate Identity“ einzugehen. Die Überführung der zwei Jahrtausende alten Tugenden in heutige Be­grif­flichkeiten könnte folgendermaßen aussehen:

  • Klugheit ist die Fähigkeit, in einer Situation das Richtige zu erkennen und zu tun. Eine Führungskraft, die klug handelt, ist vo­rauss­chauend, sie erkennt die Zeichen der Zeit. Nicht zu verwechseln ist Klugheit mit Cleverness und Geris­senheit.
  • Gerechtigkeit aus Sicht des Un­ternehmens ist der Ausgleich zwischen den Interessen der un­ter­schiedlichen Anspruchs­grup­pen, beispiel­sweise der An­teil­seigner, Kunden, Lieferanten, Banken oder der Öffentlichkeit.
  • Tapferkeit ist die Fähigkeit und Entschlossen­heit, ein als richtig erkanntes Vorhaben auch gegen Widerstände durchzuset­zen. Tapferkeit ordnet sich ein zwischen den beiden Extremen Angst und Tollkühnheit. In gewissem Sinn gehört zur Tapferkeit auch der Gründerwille oder Un­ternehmergeist.
  • Maßhalten bedeutet persönliche Beschei­den­heit. Diese allein auf den Handelnden bezogen, nicht wie andere Tugenden. Dem richtigen Maß entsprechen Angemessen­heit, Be­hut­samkeit und Kom­pro­miss­bere­itschaft in den un­ternehmerischen Entschei­dun­gen.

Große und kleine Laster

Es stellt sich die Frage, ob das Gegenteil der Kar­dinal­tugen­den – die so genannten Laster wie Hochmut, Habgier und Faulheit – un­ternehmerischen Erfolg verhindern. Ein Blick auf die Börsen­gewin­ner des Jahres 2007 (Fast­food­ket­ten, Waf­fen­pro­duzen­ten, Luxu­sauto­her­steller oder Betreiber von Spiel­casi­nos) zeigt, dass dies offenbar nicht der Fall ist. Generell gilt: Die Dosis macht das Gift, sowohl bei den Tugenden als auch bei den Lastern. So kann ein Zuviel an Gerechtigkeit zu Sturheit führen, ein Zuviel an Tapferkeit zu riskanten Un­ternehmensentschei­dun­gen, ein Zuviel an Wahrhaftigkeit zu Belei­di­gun­gen. Dagegen kann ein gewisses Maß an Neid anspornend wirken, oder ein Hang zum Geiz kann als vorübergehender Sparwille zum Ausdruck kommen, der spätere An­schaf­fun­gen überhaupt erst ermöglicht. Nicht zuletzt steht hin und wieder „Fünfe gerade sein lassen“ für Lebens­freude, ohne gleich Schaden zu hin­ter­lassen.

Der ehrbare Kaufmann braucht Kom­mu­nika­tion

Leitbild, Un­ternehmensethik, Sozial­bi­lanz – schöne und gute Begriffe, doch wollen sie auch kom­mu­niziert sein. Sowohl die verbale als auch die nonverbale Kom­mu­nika­tion in den Medien entscheiden heute über Existenzen. Aufstieg und Fall liegen nahe beieinander. Kom­mu­nika­tion ist Realität, die Medien erzeugen diese. Daher ist für den ehrbaren Kaufmann als Un­ternehmenslenker der bewusste und ve­r­ant­wor­tungsvolle Umgang mit seiner Funktion als In­for­ma­tion­s­ge­ber, als Vermittler und als In­for­ma­tion­sempfänger enorm wichtig – und zwar nicht erst, wenn es in der Öffentlichkeit zu Fehlin­ter­pre­ta­tio­nen gekommen ist.

Über die Autoren

Prof. Dr. Jürgen Wegmann ist Vorstand der KWU Gesellschaft für Mit­tel­stands­ber­atung. Dieter Zeibig ist Geschäftsführer der Smart Cologne Wer­beagen­tur. Dr. Hubertus Zilkens ist Mitbegründer und Partner der Valores Strate­gieber­atung.