Die Bankenkrise

Buch Die Bankenkrise

Ursachen und Folgen im Risikomanagement

Bank-Verlag Medien,


Rezension

Tragen Banken und Ver­sicherun­gen die Schuld an der Finanz- und Wirtschaft­skrise? Die Antwort von Risiko­man­age­ment-Ex­perte Frank Romeike ist ein klares Jein. Eine eindeutige Klärung bleibt sein Buch Die Bankenkrise dem Leser letztlich schuldig: Jeder der von Romeike einge­bun­de­nen Experten tritt mit Paten­trezepten für die un­ter­schiedlich­sten Risiken, die in Banken nun mal vorkommen, auf den Plan. Am Ende fragt man sich vor allem, wie eine Krise von solchem Ausmaß überhaupt möglich war. Hätten all diese Risikokon­trollen nicht seit Jahrzehnten im Einsatz sein sollen? Aber nachher ist man immer schlauer, und das fällt bei der Lektüre dieses Buches besonders ins Auge. Die Experten hätten sich etwas besser un­tere­inan­der abstimmen können, denn es gibt einige störende Wieder­hol­un­gen. Leser sollten am besten profunde Con­trol­ling- und BWL-Ken­nt­nisse mitbringen. BooksInShort empfiehlt das Buch vor­dringlich allen im Fi­nanzbere­ich und speziell im Risiko­man­age­ment Tätigen.

Take-aways

  • Die vorrangigen Aufgaben einer Bank sind die Vermittlung von Zahlungsströmen und das Treffen einer Risikoauswahl, wenn Kredite vergeben werden.
  • Die Ursachen der Finanzkrise allein in einzelnen schwarzen Schafen und zügelloser Gier zu suchen, greift zu kurz.
  • Das Unheil zog herauf, als Fi­nanzin­sti­tute die strengen Basel-Richtlin­ien durch Ver­briefun­gen und Aus­lagerun­gen zu umgehen versuchten.
  • Als im Herbst 2008 praktisch alle Garanten und Kred­it­nehmer gle­ichzeitig auszufallen begannen, war das Chaos an den Finanzmärkten perfekt.
  • Die von den Banken einge­set­zten Risiko­mod­elle lieferten nur Schein­ge­nauigkeiten.
  • In Zukunft muss die Her­aus­forderung gemeistert werden, mittels Risiko­man­age­ment zerstörerische Ex­tremereignisse abzuwenden.
  • Sich selbst verstärkende Effekte wie Herdentrieb oder Ex­tremab­we­ichun­gen von Fun­da­men­tal­daten sind und bleiben schwer zu modellieren.
  • Wichtig ist eine Sichtweise, die gesamt­bankbe­zo­gen ist und nicht nur von einzelnen Abteilungen ausgeht.
  • Mithilfe von Stresstests lassen sich alle denk- und undenkbaren Szenarien durch­spie­len.
  • Auch Rep­u­ta­tion­srisiken (Risiken in der Außen­wahrnehmung) sollten als eigene Risikokat­e­gorie Eingang in Krisen­szenar­ien finden.
 

Zusammenfassung

To­ta­laus­fall

Die zurückliegende Finanzkrise hat jeden Erdbewohner im Schnitt umgerechnet ca. 1500 $ gekostet – in der Summe 10,5 Billionen. Dieser gigantische Betrag ergibt sich aus den direkten Ab­schrei­bun­gen und Insolvenzen bei Banken (1,6 Billionen), den Wertver­lus­ten bei Immobilien in den USA und Großbritannien (4,6 Billionen) sowie schließlich den Folgen für die Weltwirtschaft, die zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten geschrumpft ist. Mit wenigen Hundert Milliarden direkten und indirekten Kosten kam Deutschland noch ver­gle­ich­sweise glimpflich davon. Unseriöse Kred­itver­gabe, Unterschätzung von Risiken durch die Fi­nanz­mark­t­teil­nehmer und natürlich die berüchtigte Gier in den Chefetagen der Fi­nanzin­dus­trie – das waren die Gründe, so meint man, für die haus­gemachte Krise. Doch liefert diese Sichtweise keine Erklärung dafür, weshalb in­tel­li­gente Menschen in Lan­des­banken und Pri­vatin­sti­tuten in ramschige US-Hy­potheken­ver­briefun­gen in­vestierten. Schließlich basiert das Geschäftsmodell von Banken und Ver­sicherun­gen auf einem pro­fes­sionellen Management von Risiken und Chancen. Es gilt also, in Bezug auf das Fi­nanz­mark­t­man­age­ment einige Lehren aus der Krise zu ziehen.

Was tut eigentlich eine Bank?

Das Einmaleins der Volk­swirtschaft­slehre besagt, dass verhängnisvolle Fehler beim Kred­it­man­age­ment in einer Wirtschaft­skrise münden: Auf erste panikartige Verkäufe, die den Beginn einer Kreditkrise einläuten, folgen typ­is­cher­weise ein Liquiditätsschock (d. h. die Banken beginnen Geld zu horten) und dann zahlreiche Kred­itver­luste. Dies wiederum hat makroökonomische Auswirkun­gen, weil die betroffenen Banken weniger Kredite an die Unternehmen vergeben und diesen dann schlimm­sten­falls die Insolvenz droht. Das war auch in der jüngsten Krise zu beobachten. Hintergrund der rasch um sich greifenden Liquiditätsprobleme im Fi­nanzsys­tem ist, dass Banken als eine Art Vermittler von Zahlungsströmen fungieren: Sowohl Unternehmen als auch Pri­vat­per­so­nen nehmen einerseits Kredite in Anspruch, bringen an­der­er­seits aber auch Einlagen auf die Bank. Eine weitere Aufgabe der Fi­nanzin­dus­trie, die in der jüngsten Wirtschaft­skrise von den Banken bei der Kred­itver­gabe vernachlässigt wurde, war die Risikose­lek­tion. Das bedeutet, dass Banken darüber entscheiden müssen, was förderungswürdig ist und was nicht. Dies ist elementarer Bestandteil einer Mark­twirtschaft. Falsch in­vestiertes (oder gar ver­nichtetes) Kapital fehlt dann an anderer Stelle und schlägt für die Re­al­wirtschaft doppelt negativ zu Buche.

Au­far­beitung: aus den Augen, aus der Bilanz

Um das Zu­s­tandekom­men der his­torischen Fi­nanz­mark­tkrise und ihrer Auswirkun­gen zu verstehen, muss man sie in ihre Einzelteile zerlegen. So zeigt sich rasch: Ein verhängnisvoller Schritt folgte dem nächsten, die Krise war nicht von heute auf morgen da, sondern näherte sich in Zeitlupe. Ein Meilenstein auf dem Weg in die Krise war, dass Fi­nanzin­sti­tute die Eigenkap­i­ta­lan­forderun­gen der Basel-Richtlin­ien zu umgehen suchten, indem sie Kred­it­forderun­gen verbrieften. Eine Verbriefung ist vereinfacht ausgedrückt eine Bündelung von Krediten in ein forderungs­besichertes Wertpapier. Dieses kann an Dritte verkauft oder auch ausgelagert werden. Dafür erfanden die Fi­nanzin­sti­tute Zweck­ge­sellschaften. Der Effekt: Das neue Wertpapier fiel nicht mehr unter die strengen An­forderun­gen an die Eigenkap­i­talmit­tel der Bank (wonach eine Bank nicht beliebig viele Kredite ausreichen kann, sondern immer nur eine Anzahl, die sich pro­por­tional zur Eigenkap­i­tal­ba­sis verhält), generierte aber trotzdem Erträge – das moderne Füllhorn war erfunden.

Die Erfindung der guten Tat

Die später zu unrühmlicher Ehre gekommene IKB Deutsche In­dus­triebank wies schon Mitte 2005 im Rahmen einer internen Studie darauf hin, dass sich am US-Markt eine Im­mo­bilien­preis­blase entwickle, aus der auch Risiken für das Institut erwüchsen. Für die Chefetage des Fi­nanzin­sti­tuts offenbar nicht Alarmsignal genug: Die IKB-Zweck­ge­sellschaft Rhineland Funding be­ab­sichtigte unbeirrt, ihr In­vesti­tionsvol­u­men innerhalb von drei Jahren auf 20 Milliarden Euro fast zu verdoppeln. Später sollte die IKB als eines der ersten Fi­nanzin­sti­tute in die sich auftuenden Kreditabgründe stürzen, mehrere staatliche Ret­tungspakete folgten. In Deutschland, den USA und praktisch überall sonst auf der ganzen Welt brachen Fi­nanzin­sti­tute mit Beginn des Jahres 2008 unter den Schulden­las­ten zusammen, die nunmehr auf sie zurückfielen. Of­fen­sichtlich war die Idee, Kredite zu verbriefen, zu verkaufen und auszulagern, doch nicht so brillant gewesen: Die Kred­it­nehmer bzw. Garanten für die komplexen Wert­pa­pierver­briefun­gen begannen überall gle­ichzeitig auszufallen.

„Ak­tien­mark­tkrisen sind zwar uner­freulich für die jeweiligen Investoren, sie haben aber meistens keine größeren gesamtwirtschaftlichen Auswirkun­gen. Bei Kred­itkrisen ist das anders. Die münden fast zwangsläufig in einer Wirtschaft­skrise.“

Kein Fi­nanzin­sti­tut fand mehr Deckung. Der 15. September 2008 ging als „Schwarzer Montag“ in die Annalen ein: Die 1850 von zwei Geschwis­tern aus Würzburg gegründete US-In­vest­ment­bank Lehman Brothers wurde wider Erwarten nicht vom Staat gerettet, sondern lief geradewegs in eine un­kon­trol­lierte Insolvenz. Chaos breitete sich an den Finanzmärkten aus. Wer würde der Nächste sein? Den his­torischen Fehler einsehend, gaben Regierungen dies- und jenseits des Atlantiks umgehend Kom­plettgarantien für Sparein­la­gen und damit de facto für das gesamte Banken- und Ver­sicherungswe­sen ab. Lehman Brothers blieb so die einzige Großbank, die in die Knie ging. Mit Island und anderen Ländern gerieten dann noch ganze Staaten in eine finanzielle Schieflage, doch sprangen auch hier let­ztin­stan­zliche Kreditgeber in Form von IWF und Notenbanken ein. Den letzten Akt der weltweiten Ret­tungspakete bildeten die „Bail-outs“ schlingern­der In­dus­trie­un­ternehmen wie General Motors.

Schönwet­ter­mod­elle

Eine direkte Lehre aus der Krise: Die Risiko­mod­elle, die in den vergangenen Jahren Einzug in die Fi­nanzin­sti­tute gehalten haben, waren offenbar geeignet, den gesunden Men­schen­ver­stand über weite Strecken auszuschal­ten. Fehler in den Ziel- und An­reizsys­te­men sowie unsinnige Annahmen des Risiko­man­age­ments führten zum Desaster. Schon beim Börsencrash im Oktober 1987, der ein Ausmaß erreichte, das eigentlich nur alle 1087 Jahre einmal hätte auftreten dürfen, erwiesen sich die bestehenden Risiko­mod­elle als anfällig. Empirisch gewonnene Erken­nt­nisse, dass derartige Zusammenbrüche wesentlich häufiger vorkommen als bislang angenommen, hielten sich offenbar nur kurz im Gedächtnis der Banker. Schlimmer noch: Bei einer Überprüfung der Risiko­mod­elle stellte sich heraus, dass Banken extremen Mark­tbe­din­gun­gen, wie sie beispiel­sweise schon im September 2001 vorzufinden waren, mangels Mod­el­lierungsmöglichkeiten einfach eine Ein­trittswahrschein­lichkeit von null zugeordnet hatten. Ver­meintliches Wissen erzeugte eine Schein­ge­nauigkeit der Systeme, die umso trügerischer war, als Ex­trem­si­t­u­a­tio­nen von vornherein aus­geklam­mert wurden. So lautet eine Auf­gaben­stel­lung für die Zukunft, dass die Risikobewältigung speziell auf die Abwendung zerstörerischer Ex­tremereignisse gelenkt werden soll. Zudem ist das Modell vom perfekten Markt nicht länger haltbar: An seine Stelle treten sich selbst verstärkende Effekte wie Herdentrieb oder Ex­tremab­we­ichun­gen von Fun­da­men­tal­daten. Kurzum: Die wesentlichen Großrisiken müssen adressiert werden, statt Details zu modellieren.

Ket­ten­reak­tio­nen vermeiden

Um das Kred­it­con­trol­ling zu verbessern, lassen sich aus math­e­ma­tis­cher Sicht vor allem drei Lektionen lernen:

  1. Sämtliche Prognosen müssen künftig kon­ser­v­a­tiver angesetzt werden, wenn ein entsprechen­der Risikop­uffer gebildet werden soll. Damit würden auch die so genannten Fat-Tail-Ereignisse (Ereignisse, die deutlich von der Annahme einer Nor­malverteilung abweichen) besser berücksichtigt.
  2. Die Mark­t­teil­nehmer sollten auch die Grenzen der Vorher­sagekraft zur Kenntnis nehmen: Dem kritischen Sachver­stand muss, allen neuronalen Netzen, genetischen Algorithmen und qua­dratis­chen Effekten zum Trotz, mehr als bisher ein eigener Platz eingeräumt werden.
  3. Es muss sichergestellt werden, dass die Risikokon­trollmod­elle robust sind, d. h. dass nicht schon eine ver­gle­ich­sweise geringe Ver­schiebung (z. B. eine geringfügige Erhöhung der Kred­i­taus­fall­rate) dazu führt, dass der Kred­itver­gabe­prozess in einer Ket­ten­reak­tion zum Erliegen kommt. Es darf nicht gleich das gesamte Geschäftsmodell „Kred­itver­gabe“ infrage gestellt werden, wenn sich Uner­wartetes ereignet.

Weniger Stress durch Stresstests

Fairerweise muss man zugeben, dass die Banken in den vergangenen Jahren kein einfach zu bear­bei­t­en­des Geschäftsfeld vorfanden, vor allem aufgrund des Trends rückläufiger Zinsspannen (Differenz aus Kredit- und Ein­la­gen­zin­sen). Weil alle versuchen, noch profitabler zu arbeiten und alle Skalen­ef­fekte auszunutzen, liegt auf der gesamten Branche ein hoher In­no­va­tions­druck und es kommt immer häufiger zu Fusionen. Um die Ver­wund­barkeit einer bestimmten Bank durch Mark­trisiken zu beurteilen, werden Risiko­mod­elle so genannten Stresstests unterzogen. Dabei geht es um extreme Veränderungen folgender Parameter:

  • Risikotragfähigkeit, z. B. durch Verluste im Kreditgeschäft,
  • Zinsstruk­turkurve (z. B. durch Niedrig- oder Hochzin­spoli­tik der Notenbanken),
  • Mark­tliq­uidität in wichtigen Mark­t­seg­menten,
  • Bonitätsrating einer Bank,
  • zentrale Annahmen in den Risiko­mod­ellen, z. B. Ko­r­re­la­tio­nen (Zusammenhänge zwischen ver­schiede­nen An­lageklassen wie Anleihen oder Aktien) oder Eigen­mit­telverfügbarkeit/-mo­bil­isierung,
  • Abziehen von In­ter­bankenein­la­gen oder von Sparein­la­gen,
  • Inanspruch­nahme von Kred­itlin­ien, Kred­itzusagen oder Bürgschaften,
  • Reputation des Fi­nanzin­sti­tuts, z. B. durch Gerüchte.
„In der Praxis findet das Management von Rep­u­ta­tion­srisiken allenfalls dann statt, wenn eine Krise bereits eingetreten ist.“

Zu empfehlen sind Steuerungsgrößen wie Liquidity at Risk (LaR), die die Liquiditätsbelastung mit vorgegebener Wahrschein­lichkeit und bestimmter Zeitdauer misst, oder Liquidity Value at Risk (LVaR), die den Vermögensverlust aufgrund hoher Re­fi­nanzierungskosten zu beziffern versucht. Entschei­dend ist es, immer eine gesamt­bankbe­zo­gene Sichtweise einzunehmen, nie die einer einzelnen Abteilung.

Keine Patzer beim guten Namen

Während der Auf- bzw. Ausbau einer Reputation nur über einen langen Zeitraum möglich ist, kann man sie u. U. über Nacht verlieren. Der Anteil des Marken­na­mens am Firmenwert liegt bei den 15 weltweit be­deu­tend­sten Fi­nanzin­sti­tuten zwischen knapp 10 % (Chase) und 61 % (American Express). Darum müssen auch Rep­u­ta­tion­srisiken, Risiken in der Außen­wahrnehmung, als eigene Risikokat­e­gorie Eingang in Krisen­szenar­ien finden. Zudem können Rep­u­ta­tion­srisiken die Folge anderer Risiken sein, her­vorgerufen durch unethische Praktiken etwa, schlechte finanzielle Performance, eine feindliche Übernahme – oder nicht zuletzt durch einen Fehlauftritt des Managements. Weil keine verlässlichen Berech­nun­gen des Rep­u­ta­tion­srisikos möglich sind, fordern staatliche Regulatoren auch keine Eigenkap­i­talun­ter­legung. Lassen sich Rep­u­ta­tion­srisiken also erst managen, wenn die Krise schon eingetreten ist? Rep­u­ta­tion­srisiken können sowohl auf einen Schlag als auch zeitverzögert sichtbar werden. Obwohl keine Paten­trezepte zu ihrer Quan­tifizierung existieren, können Sie einige Punkte berücksichtigen: Rep­u­ta­tion­srisiken sollten regelmäßiger Tage­sor­d­nungspunkt bei Vor­standssitzun­gen sein. Ide­al­er­weise ist dieser wichtige Auf­gaben­bere­ich auch direkt beim Vorstand angesiedelt, denn der gute Name des Un­ternehmens ist zu wichtig, um die Ve­r­ant­wor­tung dafür auf un­ter­ge­ord­nete Ebenen abzuwälzen.

Über den Autor

Frank Romeike ist Geschäftsführer und Eigentümer der Risknet GmbH sowie Chefredak­teur der Zeitschriften Risiko Manager und Risk, Compliance & Audit. Er nimmt regelmäßig Lehraufträge an ver­schiede­nen europäischen Universitäten und Hochschulen wahr. Er ist auch Autor von Balanced Scorecard in Ver­sicherun­gen sowie Koautor diverser anderer Bücher. Weitere Autoren dieses Bandes sind Un­ternehmens­ber­ater und Hochschul­pro­fes­soren.