Chinas Megatrends

Buch Chinas Megatrends

Die 8 Säulen einer neuen Gesellschaft

Hanser,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Chinesen produzieren Billigware, kopieren Marken­pro­dukte und verletzen Men­schen­rechte. Das sind die gängigen Vorurteile gegenüber der auf­streben­den Supermacht. John und Doris Naisbitt bieten dem Leser eine neue Perspektive an. Sie erklären, wie es die Kom­mu­nis­tis­che Partei Chinas in nur 30 Jahren geschafft hat, das Volk aus bitterer Armut und Un­wis­senheit zu Wohlstand und Bildung zu führen. Die Autoren glauben sogar, dass China ein neues Gesellschaftssys­tem her­vorge­bracht hat – die vertikale Demokratie –, welches als Vorbild für En­twick­lungsländer dienen könnte. Ihre Bewunderung für Chinas Leistungen verbergen die Naisbitts nicht, im Gegenteil: Sie fordern Amerika und Europa auf, den asiatischen Riesen nicht länger zu verurteilen, sondern als gle­ich­w­er­tig zu akzeptieren. Ihre op­ti­mistis­che Sicht kann man teilen oder nicht – sicher ist sie ein in­ter­es­santes Relativ zum allgegenwärtigen China-Bash­ing. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Un­ternehmern, Politikern und politisch In­ter­essierten, die dem Land un­vor­ein­genom­men begegnen wollen.

Take-aways

  • Deng Xiaoping führte China ab 1978 sys­tem­a­tisch zu Wirtschaftswach­s­tum und Wohlstand.
  • Er lockerte die staatlichen Kontrollen und eröffnete den Menschen Freiräume.
  • Das Studieren wurde wieder attraktiv gemacht, Staats­be­triebe pri­vatisiert und ausländische In­vesti­tio­nen zugelassen.
  • In China hat sich eine kreative Szene etabliert, die Ex­ilchi­ne­sen zur Rückkehr animiert.
  • Eine stabile soziale Ordnung und harmonische Beziehungen sind den Chinesen wichtig.
  • Die vertikale Demokratie Chinas befriedigt diese Bedürfnisse durch ein Wech­sel­spiel zwischen Parteispitze und Bevölkerung.
  • Die Partei darf regieren, weil sie gute Leistungen erbringt.
  • Der Westen sollte China nicht länger wegen Tibet, Taiwan und der Verletzung von Men­schen­rechten verurteilen.
  • In Forschung und Entwicklung hinkt China dem Westen hinterher – noch.
  • China kann die führende Weltmacht werden, wenn es Bildung, Wis­senschaft und Forschung fördert sowie natürliche Ressourcen schont.
 

Zusammenfassung

Phönix aus der Asche

Noch vor rund 30 Jahren war China ein En­twick­lungs­land, so arm wie Malawi. Heute ist es nach den USA und Japan die drittgrößte Wirtschafts­macht der Welt. Deng Xiaoping, der Nachfolger von Mao Zedong, hat China ab 1978 in die Moderne geführt. Mao Zedong hatte China mit seiner Kul­tur­rev­o­lu­tion (1966–1976) vom Rest der Welt isoliert. Er schickte Wis­senschaftler und Gelehrte auf den Acker oder in den Bergbau, um sie zu Arbeitern und Bauern umzuerziehen. Die Partei kon­trol­lierte und unterdrückte die Menschen. Es gab keinerlei Pri­vatbe­sitz, und die Staats­be­triebe arbeiteten unproduktiv. Über eine Milliarde Menschen waren arm, hungrig, unwissend und hoff­nungs­los. Nichts­destotrotz hat es China in Rekordzeit zu Wohlstand, Wissen und Selb­st­be­wusst­sein gebracht. Sein Erfolg fußt auf acht Säulen:

1. Säule: Emanzip­iertes Denken

Deng Xiaoping wollte weniger Ideologie, dafür mehr Wirtschaftswach­s­tum. Damit die Chinesen wieder anfingen, selbstständig zu denken und zu handeln, lockerte er die staatlichen Kontrollen. Er pri­vatisierte viele Staats­be­triebe und erlaubte es ausländischen Unternehmen, sich an Staats­banken und inländischen Firmen zu beteiligen. Bis 1985 wurden zwölf Millionen Unternehmen gegründet. Deng machte das Studieren wieder attraktiv. Im Jahr 1978 hatten 165 000 Chinesen ein Hochschuldiplom in der Tasche, 2007 waren es bereits 4,5 Millionen.

2. Säule: Vertikale Demokratie

Konfuzius war davon überzeugt, dass die soziale Ordnung die Menschen befreit, weil sie definiert, was erlaubt ist und was nicht. Seine Lehre prägt die Chinesen bis heute. Sie brauchen Harmonie und soziale Ordnung. Chinesen glauben, dass alle Menschen von Geburt an miteinander verbunden sind und jeder Teil eines Ganzen ist. In der Politik heißt das: Die Kom­mu­nis­tis­che Partei Chinas (KPCh) steckt den gesellschaftlichen Hand­lungsrah­men so ab, dass der Einzelne sowohl genug Ordnung als auch Freiraum hat, um das gemeinsame Ziel zu erreichen: Chinas Wirtschaftswach­s­tum anzukurbeln. Diese vertikale Demokratie ist neu und von un­ternehmerischem Denken geprägt. Die Partei führt die Menschen wie der Chef seine Mitarbeiter, wobei diese immer mehr auch die Regierung bee­in­flussen. Das System wider­spricht westlichen Vorstel­lun­gen von Demokratie: In einem hor­i­zon­talen System hat jeder Bürger die gleichen Rechte und darf regelmäßig Parteien oder Personen wählen. Wer die meisten Stimmen bekommt, regiert. Die KPCh hingegen leitet ihren alleinigen Führungsanspruch nicht aus Wahler­fol­gen ab, sondern aus ihrer er­fol­gre­ichen Arbeit. Der entschei­dende Vorteil der vertikalen gegenüber der hor­i­zon­talen Demokratie ist, dass Politiker langfristig denken und planen dürfen. Sie müssen keine Angst vor einer Abwahl wegen unbeliebter Entschei­dun­gen beim nächsten Urnengang haben. Das Modell könnte durchaus ein Vorbild für En­twick­lungsländer sein.

3. Säule: Freiheit für die Wirtschaft

Die Regierung passt sich wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen laufend an. So arrangierte das Ministerium für Maschi­nenin­dus­trie schon 1978 ein „Joint Venture“ mit namhaften westlichen und japanischen Au­to­her­stellern. Chinesische Ingenieure schauten sich ganz nebenbei das Fachwissen der ausländischen Kollegen ab. Von entschei­den­der Bedeutung sind die fünf aus­gewiese­nen Son­der­wirtschaft­szo­nen: Dort dürfen Unternehmer und Wis­senschaftler seit 1980 besonders frei arbeiten und von ausländischen In­vesti­tio­nen profitieren. Regeln, die sich dort bewähren, werden auf den Rest des Landes ausgeweitet. 1999 hat der Parteikongress den privaten Sektor zu einem wichtigen Bestandteil der sozial­is­tis­chen Mark­twirtschaft erklärt. Beamte sind bei der Auslegung von Vorschriften großzügig gegenüber Un­ternehmern. Das heißt dann: „Ein Auge offen, eines zu.“ 2007 forderte der 17. Nationale Volk­skongress nicht nur weiteres Wirtschaftswach­s­tum, sondern auch eine Verbesserung der Leben­squalität sowie die Erholung der Umwelt. China will nicht länger nur eine überdi­men­sion­ale Fer­ti­gung­shalle des Westens sein, sondern eigene Ideen und Produkte entwickeln. Im Jahr 2008 hat es 6 % des Brut­toin­land­spro­duk­tes in Forschung und Entwicklung investiert.

4. Säule: Versuch und Irrtum

Die chinesische Regierung nutzt Pi­lot­pro­jekte, um her­auszufinden, was praktikabel ist und was nicht. Egal ob es um neue Konzepte für Schulen, Theater, Ver­sicherun­gen, Ämter oder In­vesti­tio­nen geht – immer werden sie zuerst im Kleinen ausprobiert, bewertet und dann umgesetzt oder gestrichen. So tastet sich China in die Zukunft. Auf der momentanen Ar­beit­sliste stehen: Umwel­ter­hal­tung, Einführung des Rechtsstaats, medi­zinis­che und soziale Grund­ver­sorgung, Ausbau des Sozialver­sicherungssys­tems sowie mehr Bildung im ländlichen Raum.

5. Säule: Inspiration durch Kunst und Bildung

Der Staat erlaubt es chi­ne­sis­chen Künstlern, kreativ zu sein. Sie toben sich in Musik, Malerei, Literatur, Kunst, Mode, Medien oder Filmen aus und schaffen so ein Klima, das viele Ex­ilchi­ne­sen zur Heimkehr veranlasst hat. Nicht nur der Starpianist Lang Lang verbessert Chinas Image im Ausland, sondern auch die 500 Kon­fuz­ius-In­sti­tute weltweit. Die Regierung will das Bil­dungsange­bot weiter verbessern. Die seit 2003 ent­stande­nen Pri­vatschulen zeigen, dass hier längst ein Wettbewerb stattfindet. Ende 2007 wurde an 95 000 Pri­vatschulen 26 Millionen Kinder und Erwachsene un­ter­richtet.

6. Säule: Welt­poli­tis­che Bedeutung

China hat den Anschluss an den Rest der Welt geschafft. Sein Brut­toin­land­spro­dukt (BIP) ist mit vier bis fünf Billionen US-Dollar so hoch wie das Japans. Als Wirtschafts­macht hat China Deutschland damit überholt. Zwar liegen die USA mit einem BIP von 14 Billionen noch vorne. Langfristig aber werden sie sich ihre Rolle als Supermacht mit China teilen müssen – nicht als Gegner, sondern als wirtschaftlich abhängiger Partner. Im Lauf des 21. Jahrhun­derts kann China sogar die Nummer eins werden. Längst beansprucht das Land eine seinem wirtschaftlichen Erfolg angemessene Rolle. Für den Fortschritt stehen folgende Beispiele:

  • Terminal drei des in­ter­na­tionalen Flughafens in Peking ist das größte der Welt, wurde in Rekordzeit gebaut und ist ein ar­chitek­tonis­ches Glanzstück.
  • Die Lo­gis­tikin­dus­trie wächst: 2006 setzte sie 500 Milliarden Dollar um.
  • Chinas Fluglinien sind die sichersten der Welt.
  • China ist der größte Waren­liefer­ant der Welt mit einem großen Hunger nach Rohstoffen.
  • Das Land will eine Versöhnung mit dem einstigen Erzfeind Japan.
  • Es schmiedet neue wirtschaftliche Verbindun­gen zu Lateinamerika und weitet die zu Afrika aus, das 2010 Chinas größter Han­delspart­ner sein wird.

7. Säule: Verbessertes Sozial­sys­tem

Trotz allem ist der Großteil der chi­ne­sis­chen Bevölkerung nicht wohlhabend und zu wenig sozial abgesichert. Hier hinkt China anderen Ländern noch hinterher. Es gibt kein Renten­sys­tem und keine Ar­beit­slosen­ver­sicherung. Die Regierung arbeitet aber daran, diese Missstände zu beheben. So sollen Wan­der­ar­beiter und ihre Kinder mehr Rechte bekommen, das Schulsystem soll kon­tinuier­lich verbessert, Fer­nun­ter­richt und Weit­er­bil­dung sollen gefördert werden. Eine bessere Bildung für die Chinesen ist der Schlüssel zum Erfolg Chinas. Je mehr Chinesen sich bilden können, desto freier und fairer die Gesellschaft. Eine weitere Offensive soll dafür sorgen, dass bis zum Jahr 2010 jeder Ort zumindest ein medi­zinis­ches Zentrum hat. Schon heute nutzen Ärzte die westliche Medizin für die Diagnose und die tra­di­tionelle chinesische zur Behandlung.

8. Säule: Innovation statt Imitation

China ist noch keine In­no­va­tion­s­ge­sellschaft. Immer noch hinkt es hinter dem Westen her, was Wis­senschaft und Technik betrifft. Obwohl neue Forschungszen­tren gegründet wurden, steckt die Grund­la­gen­forschung in Kinder­schuhen. Es werden z. B. viel weniger Patente angemeldet als in den übrigen In­dus­trien­atio­nen. Das wird sich ändern, wenn die Regierung folgende Bereiche verbessert:

  • China braucht mehr Universitäten auf in­ter­na­tionalem Niveau. Die Professoren sollen die Studenten zu selbstständigem, kreativem Denken ermuntern. Wer nur auswendig lernt, wird keine Ideen entwickeln. Die Universitäten sollten nicht nur Lösungen für die Praxis anbieten, sondern Grund­la­gen­forschung betreiben.
  • Der Wettbewerb muss gefördert werden, er treibt Universitäten und Unternehmer zu Spitzen­leis­tun­gen und Ideen an. Der Staat sollte noch weniger in den Markt eingreifen, Urhe­ber­rechte besser schützen sowie das Kartell­recht mod­ernisieren.
  • Um Unternehmer zu motivieren, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren, darf die Regierung hier nicht länger Vorschriften machen. Die mittelständische Industrie muss gestärkt werden.
  • Chinas Bankwirtschaft ist ein Monopol. Viele große unrentable Staats­be­triebe bekommen Kredite, die den kleinen und mittleren Unternehmen fehlen. Neue Firmen mit neuen Ideen müssen gefördert werden.

Die drei verbotenen T: Tibet, Taiwan, Tian’anmen

Westliche Jour­nal­is­ten und Politiker kritisieren China vor allem wegen dessen Tibet- und Tai­wan-Poli­tik sowie wegen der Verletzung der Men­schen­rechte, wofür die Nieder­schla­gung der Volk­sproteste auf dem Tian’anmen-Platz 1989 als krassestes Beispiel herange­zo­gen wird.

„China im Jahr 2009: Der einst marode Betrieb ist in ein profitables Unternehmen verwandelt worden, das drittgrößte seiner Art weltweit.“

Es gibt ver­schiedene Ansichten zu Tibets Geschichte. Die chinesische ist folgende: Bevor die Chinesen in Tibet ein­marschiert sind, haben dort Feu­dal­her­ren die Bevölkerung ausgebeutet. Erst die Chinesen schafften die Sklaverei ab, eröffneten weltliche Schulen und sorgten für fließendes Wasser in der Hauptstadt Lhasa. Die Chinesen sehen sich als Retter, die deshalb regieren dürfen. Zudem genießen Tibeter in China viele Privilegien. Stu­di­en­be­wer­ber müssen z. B. nur die Hälfte der Punkte erreichen wie Chinesen. Im Chi­ne­sis­chen Volk­skongress sind ihnen Sitze garantiert. Die Lage wird sich erst entspannen, wenn die Bildung in Tibet steigt. Das wird allerdings schwierig, solange der Dalai Lama die Tibeter davor warnt, die Sprache Mandarin zu lernen. China und Taiwan sind derzeit daran, eine politische Eiszeit zu beenden. Mit­tler­weile ist Taiwan Chinas wichtigster Han­delspart­ner. Viele Taiwanesen arbeiten in China. Seit 2008 dürfen Chinesen direkt nach Taiwan reisen und seit 2009 sind In­vesti­tio­nen auf der Insel erlaubt.

„In der Beurteilung Chinas beginnen wenige von einem neutralen Standpunkt aus, und ist eine Meinung erst einmal gebildet, entwickelt sie meist ein Eigenleben.“

Alle Länder haben ihre eigene Geschichte. Deshalb haben sie auch un­ter­schiedliche Vorstel­lun­gen von Demokratie und Men­schen­rechten. Philosophen wie John Locke oder Jean-Jacques Rousseau haben das westliche Verständnis geprägt, wonach das freie Individuum im Zentrum steht. Kon­fuzian­is­mus, Taoismus und Buddhismus lehren die Chinesen dagegen, sich als Teil eines großen Ganzen zu sehen. Der Westen greift China an, weil das Land in seinen Augen gegen Men­schen­rechte verstößt und zu wenig zivile und politische Rechte kenne. Aus chi­ne­sis­cher Sicht aber verstößt Amerika gegen Men­schen­rechte, weil viele Menschen obdachlos oder nicht kranken­ver­sichert sind und ungleiche Bil­dungschan­cen haben.

Über die Autoren

John Naisbitt war Unternehmer und Berater mehrerer US-Präsidenten. Der Best­seller­autor und gefragte Redner hält zwei chinesische Professuren sowie 15 Ehren­dok­torate. Er ist auch Autor des Buches Mind Set! Mit seiner Ehefrau, der Verlegerin Doris Naisbitt, leitet er seit 2007 das Naisbitt China Institute in Tianjin.