Ein Teamleiter in der Zwickmühle
Gottfried Sellingstroh startet mit einer Menge Vorschusslorbeeren in seine neue Position als Leiter der Logistikabteilung: Er ist jung, kompetent und vom Vorstand höchstpersönlich protegiert. Doch dann tut sich vor dem Enddreißiger ein Inferno auf: In seiner neuen Abteilung gibt es so viele Machtkämpfe und Feindseligkeiten, dass es nicht lange dauert, bis er mit Spott und heimlichen Sabotageakten zu kämpfen hat. Der vormals so souveräne Erfolgsmensch hat nun regelmäßig Schweißausbrüche, kann keine Nacht mehr ruhig schlafen und verflucht jeden Tag, den er inmitten dieses Teams verbringen muss. Team? Nein, das ist überhaupt kein Team, sondern ein großer Haufen von Einzelkämpfern mit spitzen Ellenbogen. Dabei braucht er gerade jetzt dringend ein Team, das zusammenarbeitet, wenn er die Probleme der Abteilung lösen will. Wie aber kann man aus Einzelkämpfern ein echtes Team machen?
„Die Teamsitzung ist das zentrale Führungsinstrument der Teamleitung.“
Vielleicht haben Sie sich diese Frage auch schon gestellt und waren in einer ähnlichen Situation. Dann können Ihnen die folgenden neun „Kunststücke“ genauso weiterhelfen wie dem verzweifelten Teamleiter Sellingstroh.
Erstes Kunststück: Streiten
Streiten bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, sich gegenseitig verbal zu zerfleischen. Es geht vielmehr darum, zäh um eine Sache zu ringen. Viele Entscheidungen innerhalb von Teams werden mit Scheuklappen getroffen. Man blendet alles aus, was einem ungelegen kommt. Dieser „Entscheidungsautismus“ führt zwangsläufig zu Fehlurteilen. So können Sie ihn vermeiden:
- Wenn Sie dazu neigen, sich abzuschotten, öffnen Sie sich für Meinungen von außen.
- Kontroversen im Team mag keiner, aber sie sind notwendig, wenn neue Vorschläge geprüft werden sollen. Tipp: Bestimmen Sie einen allgemein anerkannten „Advocatus Diaboli“, der zu jedem Vorschlag einen Gegenvorschlag unterbreitet.
- Wenn Sie allzu autoritär führen, werden Ihnen die wenigsten Teammitglieder widersprechen. Vereinbaren Sie ein Zeichen, das Ihnen ein Teammitglied gibt, wenn Sie übers Ziel hinausschießen.
- Hüten Sie sich vor Probeabstimmungen im Team: So etwas zementiert ein erstes Bauchgefühl, das Sie später nicht mehr loswerden.
- Harmonie im Team kann auch nach hinten losgehen: Dann nämlich, wenn alle abweichenden Meinungen zugunsten der Einigkeit torpediert werden. Mögliche Lösungen: Jobrotation und frischer Wind durch neues Personal.
Zweites Kunststück: Aufrütteln
Wenn Sie Ihre Mitarbeiter oder Vorgesetzte für ein Thema gewinnen wollen, müssen Sie sie begeistern. Das gelingt vor allem mit einer gelungenen Themensetzung. Nur wenn das Team bemerkt, dass es sich um etwas Wichtiges handelt, wird es Aufmerksamkeit dafür zeigen. Überlegen Sie sich, welche Mitarbeiter Sie unbedingt auf Ihre Seite ziehen müssen und wie lange es dauern wird, um einen Konsens zu erzielen. Beteiligen Sie die Mitarbeiter: Statt ihnen den Umsetzungsplan vor die Nase zu setzen, sollten Sie alle daran mitarbeiten lassen. Nur so identifizieren sie sich mit der Idee. Legen Sie aber die Rahmenbedingungen genau fest, sodass die Entwicklung von Ideen in geordneten Bahnen verläuft. Erläutern Sie Ihren Mitarbeitern die Zusammenhänge, damit sie begreifen, worum es geht. Ebenfalls wichtig: Formulieren Sie Arbeitsaufgaben nicht problem-, sondern lösungsorientiert. Statt die Feststellung „Unsere Reklamationsrate ist zu hoch“ in den Raum zu werfen, fragen Sie: „Wie gelingt es uns, die Reklamationsrate auf unter 1 % zu drücken?“
Drittes Kunststück: Beratschlagen
Wenn Sie mit Ihrem Team ein Thema erörtern, kann es schon mal drunter und drüber gehen. Meist sagt zwar nach der Präsentation erst einmal niemand etwas. Dann jedoch prasselt ein regelrechtes Vorschlagsgewitter auf Sie ein. Sie sollten sich klarmachen, dass solche Diskussionen immer zwei Phasen durchlaufen: Zunächst wird Material gesammelt, dann erst geht es um die kühle und rationale Ordnung und Prüfung der Ideen. Wenn eine Diskussion kein Ergebnis bringt, ist das immer die Folge falscher Führung. Den mauen Start von Diskussionen müssen Sie geduldig ertragen. Geben Sie Anregungen und bitten Sie auch mal offensiv einen Mitarbeiter um einen Vorschlag. Wenn einer spricht, werden es die anderen auch bald tun. Als Leiter sollten Sie sich selbst jedoch zurücknehmen. Fungieren Sie eher als stiller Moderator und Impulsgeber. Lassen Sie auch aufgeregte Diskussionen zu: Damit vermeiden Sie den oben erwähnten Entscheidungsautismus, und es wird kreativ gestritten.
Viertes Kunststück: Zupacken
Nun stellt sich die Frage, wann der Augenblick kommt, in dem Sie „den Sack zumachen“, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Um diesen Moment zu finden, müssen Sie Fingerspitzengefühl beweisen, denn das Tempo der Diskussion variiert von Situation zu Situation. Faustregel: Je hitziger diskutiert wird, desto eher wird dieser „magische Moment“ erreicht, in dem Sie die Diskussionsphase beenden und die Entscheidungsphase einläuten können. Das kann z. B. dann der Fall sein, wenn sich die Diskussion im Kreis dreht. Die Luft ist raus, und Sie können abbrechen.
Fünftes Kunststück: Entscheiden
Während Sie sich bei der Diskussion als Moderator noch im Hintergrund gehalten haben, müssen Sie jetzt das Heft in die Hand nehmen. Es gilt, einen Konsens über das weitere Verfahren zu finden. Dabei müssen Sie die Sachfragen und die persönlichen Interessen der Beteiligten unter einen Hut bringen. Der Augenblick, in dem sich alle einig sind, ist außerordentlich wichtig für die Teambildung: Es ist der Moment des höchsten Glücks und eines gemeinsamen Stolzes auf die gute Leistung. Ziehen Sie diesen Moment in die Länge, denn er schafft ein Wirgefühl, von dem Sie zukünftig noch profitieren werden. Was aber tun Sie, wenn einige Streithähne in Ihrem Team es partout nicht lassen können, ihren Privatkrieg bei der Lösungsfindung auszutragen? Appellieren Sie an den guten Willen jedes Einzelnen, denn nur so kann die Diskussion überhaupt sinnvoll geführt werden. Wenn die Fronten verhärtet sind, brechen Sie ab und entlassen Sie die Teilnehmer. Die Diskussion wird dann am folgenden Tag fortgesetzt. In den allermeisten Fällen werden sich die Kontrahenten beruhigen und am nächsten Tag einen anderen Umgang pflegen. Der gute Wille stellt sich eben oft erst über Nacht ein. Wenn die Entscheidungsfindung ein steiniger Weg ist, trösten Sie sich: Je härter man für einen Konsens gekämpft hat, desto wertvoller erscheint er dem Team anschließend.
Sechstes Kunststück: Durchsetzen
Als Teamleiter müssen Sie den Entscheidungsprozess dirigieren. Es geht nicht darum, Ihre eigenen Entscheidungen durchzusetzen, sondern die Teamsitzungen in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen. Sie werden immer wieder auf Teammitglieder treffen, die sich nicht an die Regeln halten wollen oder einen Schubs in die richtige Richtung benötigen. Dann müssen Sie einschreiten, und zwar so:
- Dauerredner sollten Sie sanft, aber energisch in die Schranken weisen. Differenzieren Sie aber, ob der Sprecher nicht anders will oder nicht anders kann. Seien Sie konkret, wenn Sie ihn zur Kürze mahnen, z. B. indem sie ihn darauf hinweisen, dass er abschweift, sich in Details verstrickt oder seine Zuhörer nicht einbezieht.
- Sie müssen die stillen Teammitglieder nicht permanent ins Gespräch holen, aber Sie sollten sie doch ab und zu fragen, wie sie die Dinge sehen. Von ihrer beobachtenden Position aus behalten sie meist einen guten Überblick.
- Unwillige und augenscheinlich lustlose Teilnehmer sollten Sie immer zur Teilnahme aufrufen – sonst haben sie nichts im Team verloren.
- Lockern Sie die Starrsinnigen auf, die partout nicht von ihrem Standpunkt abweichen wollen. Sie können versuchen, sie zu überzeugen, an sie zu appellieren, sie zu konfrontieren – oder einfach eine Pause bei der Verhandlung zu machen.
- Kompetenzgerangel gibt es immer, es ist geradezu notwendig. Daher sollten Sie bei auflodernder Rivalität nicht allzu schnell eingreifen. In Ihrem Team muss sich erst noch eine Hierarchie etablieren.
Siebtes Kunststück: Jonglieren
Viele Führungskräfte betrachten Meetings als nutzlose Zeitfresser. Doch je höher die Position, desto mehr Zeit wird in Sitzungen verbracht. Manche Dinge lassen sich tatsächlich nur im Team klären. Jammern hilft also nichts, aber Meetings müssen so gestaltet werden, dass sie die Arbeit vorwärtsbringen und nicht behindern. Wichtig: Gehen Sie nie unvorbereitet in eine Sitzung. Es bringt Ihnen und Ihren Mitarbeitern nichts, wenn Sie die Themen des Meetings ad hoc festlegen. Statt eine Agenda aufzustellen und ein Sitzungsprotokoll zu führen, hat sich in der Praxis ein rollierendes Protokoll bewährt. Dabei handelt es sich um eine Tabelle, in der alle Projekte sämtlicher Teammitglieder aufgelistet werden, inklusive Aktionen, Verantwortlichkeiten und Terminen. Wenn eine Frist nicht eingehalten wurde, wird der Ersatztermin nicht einfach an deren Stelle gesetzt, sondern in einer weiteren Spalte angefügt: Deadlines, die immer wieder verschoben werden, springen auf diese Weise schnell ins Auge. Das hat auch eine erzieherische Funktion für den jeweiligen Verantwortlichen. Mithilfe des rollierenden Protokolls lässt sich in der Sitzung schnell und effizient der Status quo des Teams ermitteln. Erledigte Aufgaben werden gelöscht, neue Aufgaben hinzugefügt. Dem Abarbeiten des Protokolls schließt sich der zweite Sitzungsteil an, in dem Neuigkeiten und Probleme besprochen werden. Noch ein paar Tipps: Treffen Sie sich regelmäßig im Rahmen eines „Jour fixe“. Lassen Sie das Meeting nach spätestens 90 Minuten ausklingen. Achten Sie auf Pünktlichkeit, Anwesenheit und Disziplin. Besprechen Sie im Meeting nur Themen, die alle Beteiligten etwas angehen.
Achtes Kunststück: Wertschätzen
90 % aller Arbeitnehmer in Deutschland haben gar keine oder nur eine geringe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. Dieses Ergebnis einer Gallup-Umfrage von 2008 spricht Bände. Die Ursache: Die meisten Arbeitnehmer bekommen von ihren Vorgesetzten zu wenig Anerkennung. Selbst konstruktive Kritik ist eher selten. Anerkennung aber ist das Schmiermittel für betriebliche Höchstleistungen. Sie ist allerdings nicht mit Lob zu verwechseln. Gelobt wird von oben herab – so wie Erwachsene mit Kindern verfahren. Anerkennung hingegen zollen Sie auf Augenhöhe und sprechen damit Ihren ehrlichen Respekt für die Leistung eines Teammitglieds aus. Machen Sie davon Gebrauch, es lohnt sich.
Neuntes Kunststück: Scheitern
Wie bitte? Scheitern soll ein Kunststück sein? Ja, natürlich, denn jeder Fortschritt wird mit Fehlern erkauft. Auch Sie und Ihr Team machen Fehler, darum sollten Sie nach Projektabschluss Ihre Fehler oder Ihr Scheitern genau analysieren und daraus entsprechende Lehren ziehen. Schachspieler nennen die Analyse ihrer Partie nach dem Ende „Post-Mortem-Analyse“, und diese gilt als wirkungsvollste Methode, das eigene Spiel zu verbessern. Auch Sie können nach Projektabschluss im Rahmen eines Post-Mortem-Workshops Ihr Projekt noch einmal kritisch unter die Lupe nehmen. Identifizieren Sie die Highlights und Tiefpunkte, lernen Sie aus den Fehlern und festigen Sie Ihre Stärken. Nutzen Sie die Erkenntnisse, um die Teamprozesse für die Zukunft weiterzuentwickeln.