Free – Kostenlos

Buch Free – Kostenlos

Geschäftsmodelle für die Herausforderungen des Internets

Campus,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Im Internet ist fast alles gratis. Horden von bösartigen Raubkopier­ern, Tauschbörsennutzern und Trit­tbret­tfahrern fallen über unser bewährtes Wirtschaftssys­tem her und nehmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Ganze Branchen sind vom Bankrott bedroht. Chris Anderson hat für derartige Un­ter­gangsszenar­ien nur ein müdes Lächeln übrig. Sein Credo: „Free“ ist das einzige Modell, mit dem man im Internet überhaupt Geld verdient. Denn nur wer seine Netze weit auswirft, kann irgendwann einen richtig dicken Fisch fangen. Der Autor präsentiert dem Leser unzählige fette Lecker­bis­sen aus der Praxis: Google, Disneys Club Penguin, Open-Source-Di­en­stleis­ter oder der Buchautor Anderson höchstpersönlich – sie alle haben mit Gratismod­ellen angeblich gutes Geld gemacht. Ob das für jedes Unternehmen funk­tion­iert, ist allerdings fraglich. Doch der auch schon als „Freetard“ verunglimpfte Anderson schreibt mit so viel Schlauheit und Charme, dass man sich das Buch – nach dem kostenlosen Download – sofort zum Schmökern auf dem Sofa kaufen möchte. BooksInShort empfiehlt es allen Un­ternehmern, die auf einen möglicher­weise unaufhalt­samen Zug aufspringen wollen.

Take-aways

  • Grati­sange­bote im Internet sind kein Mar­ket­ingtrick, sondern ein eigenes Wirtschaftsmod­ell.
  • Onlinemärkte sind liquider als herkömmliche Märkte, weil eine maximale Anzahl von Menschen daran teilhat.
  • Der In­ter­net­markt ist gigantisch, deshalb gehen Preise nur in eine Richtung: nach unten.
  • Sie können versuchen, sich dagegen zu wehren – oder Ihr Geschäftsmodell anpassen und profitieren.
  • Google etwa verschenkt vieles, verdient aber gewaltig mit be­nutzer­rel­e­van­ter Werbung.
  • Ein anderes Modell ist „Freemium“: Hier wird ein Basismodell gratis angeboten und mit einem kostenpflichti­gen Pre­mi­u­mange­bot sub­ven­tion­iert.
  • Bei einem Freemium-Mod­ell sollten 5 % zahlende Kunden ausreichen, um die Kosten zu decken.
  • Geld ist nicht die einzige Währung: In nichtmonetären Märkten arbeiten die Leute für Anerkennung, Imagegewinn oder einfach aus Spaß.
  • Musiker und Autoren stellen ganze Alben und Bücher kostenlos zum Download bereit und verdienen an Konzerten bzw. Lesungen, Hörbüchern oder Be­ratungsverträgen.
  • Das „Free“-Modell vernichtet keine Werte, sondern verteilt sie um.
 

Zusammenfassung

Gratis ist nicht umsonst

Als in den USA um 1900 der Wack­elpud­ding erfunden wurde, verstaubte das bunte Pulver jahrelang in den Regalen. Dann brachten Fir­men­vertreter kostenlose Rezeptbücher unters Volk – und die Nachfrage explodierte. Der wichtigste Werbetrick des 20. Jahrhun­derts war erfunden: Verschenke etwas und schaffe so den Bedarf an etwas anderem. Natürlich ist gratis meistens nicht kostenlos. Bei den klassischen Quer­sub­ven­tio­nen wird Geld zwischen Produkten hin- und hergeschoben, mit den folgenden zwei Spielarten:

  • Direkte Quer­sub­ven­tion: Ein Produkt wird kostenlos oder stark reduziert angeboten, damit die Kunden für etwas anderes mehr zahlen.
  • Drei-Parteien-Markt: Um an dem kostenlosen Tauschhan­del zweier Parteien teilzunehmen, bezahlt ein Dritter. Nach diesem Schema funk­tion­ieren z. B. wer­be­fi­nanzierte Medien: Dem Me­di­en­nutzer erscheint der Service kostenlos. Tatsächlich werden die Werbekosten aber auf die von ihm gekauften Produkte umgelegt.

Ein Versprechen wird wahr

Ganz anders ist es mit den Quer­sub­ven­tio­nen in der Onlineökonomie: Hier ist gratis für die einen wirklich kostenlos, weil die anderen mit ihrem Geld oder ihrer Arbeitszeit bezahlen. Es gibt zwei Möglichkeiten:

  • Freemium: Ein Ba­sisange­bot wird kostenlos, die Pre­mi­umver­sion aber kostenpflichtig angeboten. Beispiele sind Xing oder Skype.
  • Nichtmonetäre Märkte: Jemand verschenkt etwas, ohne eine finanzielle Gegen­leis­tung zu erwarten. Beispiele sind Wikipedia oder das Ver­schenknet­zw­erk Freecycle. Die Anreize sind nichtmonetär: Imagegewinn, Spaß oder einfach das Gefühl, Gutes zu tun.
„,Free‘ ist ein Markt, und ein Preis – ganz gleich in welcher Höhe – ist ein anderer Markt. In vielen Fällen ist es der Unterschied zwischen einem großen Markt und gar keinem.“

In der digitalen Ökonomie ist „Free“ kein Trick mehr, um Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Kosten für viele über das Internet angebotene Waren und Di­en­stleis­tun­gen gehen tatsächlich gegen null. In der Ökonomie der Atome, d. h. nahezu aller All­t­agspro­dukte, steigen die Preise zwangsläufig. In der Ökonomie der Bits ist es umgekehrt, denn der wichtigste Rohstoff für die Erfindung und Verbesserung von High­tech­pro­duk­ten sind Ideen. Und die breiten sich aus, ohne Kosten zu verursachen.

In­for­ma­tio­nen wollen kostenlos sein

Der Autor Stewart Brand prägte 1984 einen Satz, der bis heute oft missver­standen wird: „In­for­ma­tio­nen wollen kostenlos sein.“ Brand formulierte die Aussage als Teil eines Paradoxes: Einerseits seien seltene In­for­ma­tio­nen sehr wertvoll; sie zu veröffentlichen werde jedoch immer billiger. In der IT-Welt halten sich beide Ansätze gegenseitig am Leben. Bill Gates etwa verdammte die ersten Raubkopierer in Grund und Boden. Doch er verstand schnell, dass sie Microsoft den roten Teppich ausrollten: Ohne sie wären nie so viele Anwender von Windows abhängig geworden. Auch gegen die Open-Source-Be­we­gung rund um Linux kämpfte das Unternehmen zunächst erbittert an. Heute hat es sein eigenes Open-Source-La­bor und Software, die mit Open Source kompatibel ist. Für sämtliche Varianten auf dem Soft­ware­markt gibt es eine Nachfrage: alles umsonst, Gratis­soft­ware mit bezahltem Support oder beides gegen Geld.

Wie Gratis die Kassen klingeln lässt

Google hat zur Geschäftsstrate­gie gemacht, wovon andere nicht einmal zu träumen wagten: Im Googleplex, der Hochburg von „Free“, hecken Tech­nikf­reaks Ideen und Angebote aus, ohne dass ir­gend­je­mand die Frage nach dem Einkom­mensmod­ell stellt. Google verschenkt vieles und verdient Geld mit wenigen, aber äußerst lukrativen Angeboten – vor allem Werbung. Das Unternehmen rev­o­lu­tion­iert die Arbeit mit Computern, indem es lokale Festplatten zunehmend überflüssig macht. Man kann ein ganzes Buch über seinen Webbrowser schreiben und es in Googles „Rech­n­er­wolke“ speichern, einem der vielen Daten­zen­tren des Un­ternehmens. Deren Leistungsstärke verdoppelt sich alle 18 Monate, und somit sinken die Kosten dafür. Je geringer die Grenzkosten, desto größer sind die Vorteile eines maximalen Mark­tvol­u­mens. Dies ist die „Max-Strate­gie“. Mithilfe von Komplementärprodukten wie Google Maps sammelt das Unternehmen wertvolle In­for­ma­tio­nen über Nutzer, auf deren Basis es später neue Produkte entwickelt und das Werbegeschäft ankurbelt.

„Faule Tricks und Bauernfängereien sind nicht länger ein wesentlicher Bestandteil von ,Free‘.“

Aber haben wir es im Fall der Gratisökonomie nicht mit einer gi­gan­tis­chen Wertver­nich­tung zu tun, wie viele meinen? Nicht unbedingt. Oft werden Werte nur umverteilt. Beispiel Kleinanzeigen: US-Zeitungsver­lage machen den On­line-Kleinanzeigen­di­enst Craigslist für Mil­liar­den­ver­luste im Zeitungs­geschäft ve­r­ant­wortlich. Für die Nutzer ist der Service jedoch günstiger und ungleich besser geworden, sodass sie ihre Zeit und ihr Geld in andere Wirtschaft­szweige investieren. Und dabei macht das Unternehmen Craigslist nur einen Bruchteil der Gewinne, die den konkur­ri­eren­den Zeitungen verloren gegangen sind. Auf Craigslist funk­tion­iert der Markt besser, weil mehr Menschen daran teilnehmen. Ökonomen nennen das Liquidität.

Marktplatz der Ideen

„Free“ ist dabei, die tra­di­tionellen Märkte umzuwälzen. Mit Sicherheit wird es einige Verlierer geben. Der Erfolg vieler Gratismod­elle beweist aber, dass man mit kreativen und mutigen Ideen sehr gut verdienen kann:

  1. Werbung: Die tra­di­tionelle Werbung funk­tion­iert nach dem Gießkan­nen­prinzip. Alle werden begossen, um einige wenige zu erreichen. Bei der Google-Wer­bung ist es umgekehrt: Über das Programm AdSense verbindet Google redak­tionelle Inhalte mit Werbung. Bei Suchan­fra­gen verweisen Wer­beanzeigen auf entsprechende Anbieter, die nur dann zahlen, wenn ihr Link angeklickt wird. Google verkauft also keine Werbeplätze, sondern Ver­braucher­in­ter­esse. Amazon geht mit seinem Part­ner­pro­gramm noch weiter: Hier wird nur gezahlt, wenn der Interessent tatsächlich etwas kauft.
  2. Videospiele: Die Zeiten, in denen Com­put­er­spiele im Laden gekauft oder kopiert wurden, sind vorbei. Heute sind alle großen On­line-Mehrspieler-Games wie World of Warcraft (WoW) gratis. Als Spieler können Sie entweder viel Zeit investieren, um vo­ranzukom­men, oder sich gegen echtes Geld einen Vorsprung erkaufen. Im Idealfall (für den Hersteller) werden Sie zu einem loyalen Kunden, der jahrelang für Umsatz sorgt. In der virtuellen Welt Second Life haben Sie die Möglichkeit, gegen eine monatliche Pacht, zahlbar in echter Währung, ein eigenes Grundstück zu erwerben. Andere Spiele können Sie in der Ba­sisver­sion gratis spielen oder mithilfe eines monatlichen Abonnements aufwerten. Manche Spiele werden auch durch Werbung finanziert: von virtuellen Plakatwänden bis hin zum Prod­uct-Place­ment. Und warum nicht einfach die Ökonomien des 20. und 21. Jahrhun­derts elegant miteinander verbinden? Der Stofftier­her­steller Webkinz verkauft Plüschtiere mit einem Code, der Zugang zu einem virtuellen Spiel im Internet bietet.
  3. Musik: Den großen Plat­ten­fir­men mag es wegen „Free“ schlecht gehen – der Mehrheit der Musiker aber nicht. Denn die Schlauen unter ihnen nutzen das Internet längst als Wer­be­plat­tform. Sie stellen ihre Musik kostenlos zum Download bereit und verdienen ihr Geld mit Konzerten und Mer­chan­dis­ing-Ar­tikeln.
  4. Bücher: Können Sie sich vorstellen, Bücher nur noch auf dem Com­put­er­bild­schirm zu lesen? Wohl kaum. Möglicher­weise wecken kostenlos ins Netz gestellte Inhalte aber Ihr Interesse an einem Autor. Wenn Sie mögen, was er schreibt, kaufen Sie als Nächstes seine Bücher oder Hörbücher. Wenn er Sach­buchau­tor ist, buchen Sie ihn vielleicht für Vorträge, Seminare oder Be­ratungs­ge­spräche.
„Jeder hat die Chance, ein Geschäftsmodell um ,Free‘ herum aufzubauen, doch nur die Nummer eins verdient sich damit eine goldene Nase.“

Wie sieht es mit der Kostenkalku­la­tion aus? Rechnen Sie bei einem Freemium-Mod­ell so, dass 5 % zahlende Kunden zur Deckung Ihrer Kosten ausreichen. 10 % wären ideal, und alles, was darüberliegt, ist zu viel. Denn das würde bedeuten, dass die Ba­sisver­sion nicht attraktiv genug ist, um einen echten Massenmarkt zu erreichen.

Ein Plädoyer für die Ver­schwen­dung

Weshalb verwenden wir so viel wertvolle Zeit darauf, im Überfluss Vorhandenes wie ein knappes Gut zu behandeln? Beispiel Spe­icher­platz: Nach wie vor traktieren IT-Abteilun­gen ihre Mitarbeiter mit der Bitte, nicht benötigte Dateien zu löschen. Und das in einer Zeit, in der die Kosten für Spe­icher­vol­u­men gegen null gehen – ganz im Gegensatz zur Arbeitszeit. Ein anderes Beispiel: YouTube wird oft als gi­gan­tis­cher, ver­schwen­derischer Marktplatz für Videoschrott ge­brand­markt. Umso besser: Nur wenn genug Platz ist, wird ein Samen auf fruchtbaren Boden fallen, und etwas Neues kann daraus entstehen. Wer hätte z. B. gedacht, dass von Neunjährigen gedrehte Filme, in denen Star Wars mit Legosteinen nachgestellt wird, ein Riesenhit würden? Die Moral für Unternehmer und Manager: Wenn Sie Überfluss verwalten, lassen Sie die Zügel locker und der Kreativität Ihrer Mitarbeiter freien Lauf.

Geld regiert nicht die Welt

Im Internet sind Aufmerk­samkeit und Image zu einer eigenen Währung geworden, die sich ziemlich genau messen lässt. Bei Google heißt diese Währung PageRank: Sie zählt und bewertet die Links, die auf eine Website verweisen. Bei Facebook und MySpace ist es die Anzahl von Freunden, die man hat, bei eBay die Bewertung von Käufern und Verkäufern usw. Natürlich bieten auch Profis im Netz ihre Dienste an und verdienen z. B. mit dem Verfassen von Artikeln Geld.

„Sie müssen sich etwas einfallen lassen und kreativ darin sein, wie sich ein guter Ruf und die Aufmerk­samkeit, die man Ihnen wegen ,Free‘ schenkt, in klingende Münze umwandeln lässt.“

Doch die Armee der Menschen, die in Blogs, in Hil­f­s­net­zw­erken oder auf Wikipedia ihre Zeit un­ent­geltlich zur Verfügung stellen, ist riesig. Warum? Weil es uns glücklich macht, etwas Sinnvolles zu tun und kreativ zu sein. Das war schon immer so, aber das Internet hat dazu geführt, dass wir dieses Potenzial voll entfalten können.

„,Free‘ mag zwar der beste Preis sein, darf aber nicht der einzige bleiben.“

Die Entwicklung, die das Internet mit seiner Gratisökonomie ausgelöst hat, ist unumkehrbar. Sie müssen also umdenken. Hier die neuen Regeln:

  1. Alles Digitale wird früher oder später kostenlos sein. Die Grenzkosten für Bits gehen gegen null. Sie haben keine andere Wahl als mitzumachen.
  2. Auch physische Produkte möchten kostenlos sein. Verschenken Sie Ihr Kernprodukt und verdienen Sie Geld mit etwas anderem.
  3. „Free“ ist eine Tendenz, die sich nicht aufhalten lässt. Verkaufen Sie lieber Upgrades, als mit allen Mitteln gegen Piraten anzukämpfen.
  4. Mit „Free“ können Sie Geld verdienen. Nutzen Sie es als Türöffner und verlassen Sie sich darauf, dass Kunden zahlen, wenn Sie ihnen einen Mehrwert bieten.
  5. Suchen Sie sich einen neuen Markt. Erfinden Sie neue Geschäftsmodelle rund um die etablierten Anbieter.
  6. Runden Sie die Preise ab. Wer als Erster bei „Free“ ankommt, gewinnt.
  7. Ver­schwen­dung ist ein Grund zur Freude. Wenn etwas so billig wird, dass es sich nicht mehr lohnt, es zu messen und einen Preis dafür zu berechnen, hören Sie damit auf.
  8. Durch „Free“ erhöht sich der Wert anderer Dinge. Wenn es irgendwo ein Überangebot gibt, wird anderswo etwas knapp. Schöpfen Sie den Wert genau dort ab.
  9. Passen Sie Ihren Führungsstil dem Überfluss an. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter Fehler machen, solange diese kostenlos sind.

Über den Autor

Chris Anderson ist Chefredak­teur des US-amerikanis­chen Tech­nikmagazins Wired. Zuvor hat er für den Economist, Nature und Science gearbeitet. Für sein erstes Buch The Long Tail – Der lange Schwanz erhielt er den BooksInShort In­ter­na­tional Book Award 2006.