Korea, das unbekannte Land
Der Koreakrieg ist den meisten Menschen ein Begriff – mehr wissen Nichtasiaten kaum von der Halbinsel, die im Nordwesten an China, im Norden an Russland grenzt und im Osten Japan als Nachbar hat. Dabei ist Korea eine wichtige Industrienation mit einem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von knapp 20 000 $. Doch weder diese Tatsache noch die Rolle Südkoreas als Gastgeber der Olympischen Sommerspiele 1988 und der Fußballweltmeisterschaft 2002 (zusammen mit Japan) haben das Land bisher nachhaltig ins Bewusstsein der Weltbevölkerung gerückt. Ungeachtet dessen möchte Südkorea künftig eine Spitzenposition in Sachen Finanzdienstleistung, Logistik und Wissenschaft einnehmen.
Politischer Pragmatismus
Nach der Kapitulation Japans 1945 und dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft in Korea – dem letzten Kapitel in einer langen Geschichte von Invasionen – kam das Land noch immer nicht zur Ruhe. Es folgten die Trennung in Nord- und Südkorea durch die Großmächte UdSSR und USA und bald darauf der von Nordkorea ausgehende Koreakrieg (1950–1953), der drei Millionen Tote forderte und letztlich die Zweiteilung zementierte. Die ältere Bevölkerung Südkoreas sieht in den USA die Befreier aus der japanischen Umklammerung, die jüngere Generation dagegen gibt den Amerikanern die Schuld an der Kolonialisierung und der Teilung des Landes. Das kann aber die Amerikanisierung des Landes nicht aufhalten: Fastfood-Ketten und Anglizismen sind allgegenwärtig. Die Japaner sind bei allen Koreanern unbeliebt. Dennoch arbeitet man auf wirtschaftlicher Basis zusammen, was Korea durchaus Vorteile gebracht hat. Das Motto der Koreaner lautet: „Japan einholen und überholen.“ Südkoreas wichtigster Handelspartner ist allerdings China, das zudem Nordkorea wirtschaftlich unterstützt und so dessen Zusammenbruch und einen Flüchtlingsstrom nach Süden verhindert.
Der wirtschaftliche Aufstieg des Südens
Nach dem Koreakrieg zählte das Land zu den ärmsten der Welt. In verschiedenen Fünfjahresplänen wurde ab den 1960er Jahren der wirtschaftliche Aufschwung in Angriff genommen. In den 80er Jahren stieg die jährliche Wachstumsrate auf 9,9 % und bescherte Südkorea die „goldenen 80er“. Nutznießer der damaligen Wirtschaftspolitik waren die so genannten Jaebeols, Mischkonzerne wie Samsung, Daewoo, Hyundai oder LG. Diese Konglomerate hatten weitverzweigte Geschäftsbereiche, wenig Eigenkapital und hohe Schuldenquoten. Die Regierung unterstützte sie vor allem in Bezug auf ihren Export aber auch durch vergünstigte Kredite. Die anderen 99,8 % der Unternehmen, nämlich die Klein- und Mittelständler, hatten das Nachsehen.
Schamanen, Buddhisten und Atheisten
In Korea findet man alle großen Weltreligionen und dazu die in Korea älteste Glaubensrichtung, den Schamanismus. Viele Koreaner gehen auch heute noch am liebsten zum Schamanen, wenn es um Krankheiten geht oder darum, Unglück zu verhindern und Wünsche zu erfüllen. Auch wer z. B. ein neues Geschäft eröffnet, stimmt die Geister mit einer schamanischen Zeremonie freundlich – und greift dafür tief in die Tasche. Die meisten Anhänger in Korea aber hat der Buddhismus. Es genügt, wenn man nach der buddhistischen Lehre lebt, eine formale Mitgliedschaft ist nicht nötig. Einmal jährlich allerdings sollte der Besuch eines Tempels auf dem Terminplan stehen. Neben dem Christentum spielt in Korea auch Konfuzius eine bedeutende Rolle. Immerhin 47 % der Bevölkerung Südkoreas leben allerdings ohne Religion.
Leben und Werte in der koreanischen Gesellschaft
Zwei Dinge sind Koreanern wichtig: die Gruppenorientierung und die Familie. Heiraten hat einen zentralen Stellenwert, wobei den Frauen – obwohl meist gleich ausgebildet wie die Männer – traditionell die Aufgabe zukommt, die Familie zusammenzuhalten. Die immens hohen Lebenshaltungskosten erfordern aber, dass beide Partner arbeiten, und folglich erwarten die Frauen eine Arbeitsteilung auch im Haushalt. Wo das nicht gelingt, bleibt die Frau auf der Doppelbelastung sitzen, zumal kaum Teilzeitarbeit angeboten wird. Die aktuell hohe Scheidungsrate spricht eine deutliche Sprache.
„Als Spielball großer Nationen prägte sich ein stark national orientiertes Volk heraus, dessen engagiertes Streben nach wirtschaftlichem Erfolg und Selbstbestimmung verständlich ist.“
Es erleichtert das Verständnis des koreanischen Wertesystems, wenn Sie das Prinzip der fünf Beziehungen nach Konfuzius kennen:
- Der Herrscher trägt Verantwortung und erwartet die Loyalität seiner Untertanen.
- Der Vater ist für seine Kinder verantwortlich, die im Gegenzug Gehorsam zeigen.
- Älteren begegnet man mit Respekt, Jüngeren mit Toleranz.
- Mann und Frau teilen sich verschiedene Aufgabenbereiche im Alltag.
- Freunde begegnen sich gegenseitig mit Vertrauen und Treue.
„Koreanische Firmen haben, vor allem im Hightech-Segment wie beispielsweise der LCD- und Flachbildschirm-Produktion, ihre japanischen Konkurrenten hinter sich gelassen.“
Das Alter ist in Korea ein zentrales Kriterium für die Stellung eines Menschen. Alter bedeutet Lebenserfahrung, und die erfordert Respekt, egal welche Fachkenntnisse ein Mensch hat. Ältere und Ranghöhere haben das Sagen, in der Familie ebenso wie in der Firma, ihre Entscheidungen werden akzeptiert und ihre Anweisungen ohne Murren ausgeführt. Dafür sind sie dann aber auch für das Fehlverhalten der Jüngeren mitverantwortlich. Wer wo sitzt oder in welcher Reihenfolge man einen Raum betritt, all das legt die Rangordnung fest. Um bei Geschäftsbeziehungen also nicht ins Fettnäpfchen zu treten, sollten Sie vorher herausfinden, welchen Status Ihr Gesprächspartner hat.
Die Gruppe ist mehr als der Einzelne
Koreaner sind keine Einzelkämpfer, sie brauchen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Die Familie ist die wichtigste, aber auch die Firma, der Clan, das Dorf, die Schule und die Religion stärke das Wir-Gefühl. „Wir“ und „uns“ kommen weit vor „ich“ und „mein“. Zur Familie gehören nicht nur Vater, Mutter und Kinder, sondern alle nahen Blutsverwandten wie Geschwister, Tanten, Cousins usw.
„Die Bevölkerung sieht den finanziellen und internationalen Aufstieg der Jaebeols als Ergebnis illegaler bzw. sozial ungerechter Geschäftspraktiken.“
Auch die Firma ist eine Art Familie mit Wir-Gefühl, repräsentiert durch Firmenuniform, Hymne oder Sportmannschaft. Gruppenfremde dürfen in der Regel nicht auf Rücksichtnahme, Toleranz oder menschliche Wärme hoffen. Wenn Sie mit Koreanern arbeiten, müssen Sie folglich ein Gruppengefühl erzeugen, sonst wird es schwer werden, Erfolg zu haben.
„Obwohl der Schamanismus bis heute Teil der koreanischen Kultur ist, wurde er immer wieder als Aberglaube verurteilt, seine Anhänger benachteiligt und verfolgt.“
Es gibt einige Werte, auf die Sie in der Zusammenarbeit mit Koreanern unbedingt achten sollten: Jeder sollte sein Gesicht wahren können (kritisieren Sie keinen Koreaner öffentlich), investieren Sie viel Zeit in die Pflege von Beziehungen und beweisen Sie Loyalität und Flexibilität. Verhandlungen dauern deutlich länger, als man das aus Deutschland kennt. Der Wandel, den Korea in den letzten 50 Jahren vom Agrarland zur Industrienation durchschritten hat, bringt das traditionelle Wertesystem ins Wanken. Der Respekt gegenüber älteren Menschen bröckelt, Großfamilien gibt es immer weniger und man konzentriert sich mehr auf die Jüngeren. Die wiederum möchten mehr Selbstverwirklichung, Urlaub und Freizeit, und das kratzt oft an den tradierten Mustern.
Koreanische Mitarbeiter richtig verstehen
Wenn Sie in Korea einen neuen Mitarbeiter suchen, wird er Ihnen vor allem in KMUs vermutlich aus den eigenen Reihen empfohlen. Das entspricht dem Gruppendenken und hat seine Vorteile: Sie sparen sich teure Rekrutierungsmaßnahmen, der Fürsprecher wird sich um seinen Schützling kümmern, und dieser strengt sich mächtig an, um jenen nicht zu enttäuschen.
„Wenn sich ein Ehepaar scheiden lässt, wird die Schuld meist der Frau angelastet, denn es ist ja traditionell ihre Aufgabe, die Familie zusammenzuhalten.“
Braucht ein Kollege eine Information oder eine Mithilfe, legt man die eigene Arbeit erst mal zur Seite. Ebenso, wenn ein Vorgesetzter zu einem Spontanmeeting mit offenem Ende ruft. Die Terminplanung ist daher ein Lotteriespiel und auch die wenigen Urlaubstage (oft nur eine Woche im Jahr) werden meist kurzfristig entschieden. Koreaner planen nicht gern, sie setzen gleich um, und wenn es nicht klappt, wird eben alles umgeworfen und angepasst.
„Arbeiten Sie zum ersten Mal mit koreanischen Mitarbeitern, sollten Sie sich und Ihren Mitarbeitern Zeit geben, um sich gegenseitig kennenzulernen und die jeweilige Arbeitsweise zu verstehen.“
Große Diskussionen gibt es nicht, Informationen werden lieber in kleinen Gruppen ausgetauscht und die inoffiziellen Kommunikationswege sind meist die effizienteren. Koreaner können ohnehin nicht gut auf der Sachebene diskutieren und nehmen Kritik schnell persönlich. Überhaupt kritisiert man möglichst nicht, denn offene Konflikte sind Koreanern ein Gräuel, zu leicht verliert einer dabei das Gesicht. Kommt es doch zu einem Streit, versucht ein Vermittler, beide Parteien zum Stillhalten zu bewegen – nicht etwa, der Sache auf den Grund zu gehen und dann einer Seite Recht zu geben.
Väterliche Führungskräfte und harte Verhandlungspartner
Sie treffen in Korea auf Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern an Fachkenntnis unterlegen sind. Koreanische Vorgesetzte müssen vorrangig ihre Mitarbeiter motivieren und eine fürsorgliche Vater-Sohn-Beziehung zu ihnen aufbauen. Auch ins Privatleben ihrer Mitarbeiter sind sie vollkommen involviert, werden um Rat gefragt und bieten Problemlösungen an. Als Gegenleistung darf der Vorgesetzte bedingungslosen Gehorsam erwarten, und wenn er eine Sache als eilig ansieht, dann rennen die Mitarbeiter durch die Räume. Bemühen Sie sich als Vorgesetzter um eine familiäre Atmosphäre, und laden Sie Ihre Mitarbeiter zum Essen ein. Nur so werden Sie erfahren, ob die Mannschaft mit Ihnen zufrieden ist. Wenn ja, gehen die Mitarbeiter für Sie durch dick und dünn.
„In Deutschland ist man es gewohnt, aus Fehlern zu lernen, und betreibt akribisch Fehleranalysen. In Korea sucht man schnellstmöglich nach Lösungen.“
Bis es so weit ist, müssen Sie vor allem eines tun: Vertrauen aufbauen. Darauf basieren in Korea auch die Geschäftsbeziehungen. Verträge sind natürlich der Rahmen, aber viel stärker verpflichtet das soziale Netzwerk dazu, sich an Vereinbarungen zu halten. Verträge bleiben in Korea deshalb immer verhandelbar und flexibel, je nach sich ändernden Bedingungen. Ohne sich vorschnell auf Änderungswünsche einzulassen, sollten Sie gesprächsbereit bleiben und nicht stur auf einen unterschriebenen Vertragstext pochen.
Der Kunde ist König – und lädt zum Trinkabend
In Korea ist der Kunde der wahre König, dem man mit äußerstem Respekt gegenübertritt. Das Bewusstsein, als Lieferant vom Geld des Kunden zu leben, ist hier fest verankert. Bei Verhandlungen nehmen Koreaner immer die Position des Kunden für sich in Anspruch. Um die Stärke noch zu demonstrieren, kommt dieser Kunde nur sehr selten allein.
„Beeinträchtigen private Umstände die berufliche Leistung, kümmern sich koreanische Vorgesetzte durchaus auch um die privaten Belange ihrer Mitarbeiter.“
Der Ranghöchste eröffnet das Gespräch und trifft Entscheidungen. Fallen Sie ihm keinesfalls ins Wort, schon gar nicht, wenn Sie jünger sind, das quittiert er u. U. mit einem Faustschlag auf den Tisch. Locken Sie Koreaner auch nicht mit Schnäppchen, dadurch werden sie nur misstrauisch. Bringen Sie lieber genügend Zeit mit, denn in Korea drängt man nicht auf ein Ergebnis; viel wichtiger ist es, eine gute Position für die künftige Zusammenarbeit zu erreichen.
„Koreaner hinterfragen misstrauisch jeden Punkt, auch einen ggf. aus Freundlichkeit gewährten Nachlass.“
Eine positive Grundstimmung hilft dabei, und die erreichen Koreaner bei einem gemeinsamen Trinkabend. Dabei ist es durchaus üblich, auch in wachsender Runde, aus einem einzigen Glas zu trinken, das immer wieder gefüllt wird. Bier oder Soju (Branntwein) schaffen die Atmosphäre, in der Freundschaften geschlossen werden. Da müssen Sie durch, und wenn Sie Pech haben, dürfen Sie anschießend auch noch in eine Karaoke-Bar.
„Koreaner halten es für selbstverständlich, dass Menschen, die so lange und ausdauernd in der Firma verweilen, neben der Arbeit noch andere Dinge tun dürfen; Kurzschlaf, private Telefonate und kleine Besorgungen neben der Arbeit sind nicht ungewöhnlich.“
Diese „after business hour“ ist in Korea auch unter Kollegen und Freunden wichtig. Kein Wunder, dass Koreaner bei einem 14-Stunden-Tag in der U-Bahn oder am Arbeitsplatz ein Nickerchen machen – völlig legal übrigens, und im Fernsehen gibt es dazu Tipps – für eine angenehme Schlafhaltung im Büro.