Web 2.0: Aktive Beteiligung statt passiver Konsum
Dank steigender Bandbreiten verwenden bereits 20 % der Internetnutzer Web-2.0-Anwendungen. Anstatt nur einseitig zu konsumieren, sind sie bereit, selbst Inhalte zu schaffen und ihre Person mehr oder weniger öffentlich kenntlich zu machen. Die klassischen Grenzen zwischen Urhebern und Nutzern verschwimmen.
„Neu am Web 2.0 ist vor allem, dass es einer großen Anzahl von Benutzern leicht möglich ist, im Internet nicht mehr nur zu konsumieren, sondern auch mitzugestalten.“
Web-2.0-Anwendungen haben folgende Eigenschaften:
- Dienste werden über Schnittstellen bereitgestellt, statt abgekapselte Softwarelösungen zu wählen.
- Die Daten und damit die Inhalte sind wichtiger als die Programmierung selbst.
- Die Nutzer beteiligen sich an den interaktiven Anwendungen, entwickeln und veröffentlichen sie selbst.
Blog, Wiki & Co
„Social Software“ lautet der Überbegriff für Anwendungen, die Menschen in einem Netzwerk miteinander verbinden. Ziele dieser Vernetzung sind, dass die Nutzer miteinander kommunizieren, sich gegenseitig informieren und Wissen untereinander austauschen. Einige Unternehmen haben Social Software bereits für sich entdeckt – deshalb wurde 2006 der Begriff „Enterprise 2.0“ geprägt.
„Eine große Hürde zur Etablierung der Nutzung von Social Software ist die Dominanz des Einsatzes von E-Mails.“
Folgende Werkzeuge des Web 2.0 eignen sich zum Einsatz in Wirtschaft und Forschung:
- Ein Weblog oder Blog wird von einer Person ins Leben gerufen, die anderen etwas zu sagen hat. Es ist eine Art Tagebuch, nur ist der Aufbau umgekehrt chronologisch, das Neueste kommt also zuerst. Andere Nutzer können laufend neue Inhalte lesen und sie online kommentieren. Wird ein Blog mit anderen Blogs verlinkt, entsteht eine Blogosphäre. Suchmaschinen wie Technorati sind auf Blogs spezialisiert. Nutzer können neue Blog-Einträge über RSS-Feeds abonnieren. Anders als bei E-Mails wird die Information nicht über ein Push-System (Empfangen), sondern per Pull (Einholen) übermittelt. Im Unternehmenskontext können Blogs z. B. zur Ideenfindung oder zur Erkundung der Stimmungslage eingesetzt werden. Die weltweit am meisten eingesetzte, kostenlose Blog-Software ist WordPress. Daneben gibt es viele kommerzielle Lösungen.
- Ein Wiki verfolgt den Zweck, Wissen gemeinsam festzuhalten. Mehrere Autoren arbeiten zusammen und erstellen Inhalte, die für alle nützlich sind. So kann eine mehrere Hundert Internetseiten umfassende Informationssammlung entstehen. Bekanntestes Beispiel ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Wiki-Editoren-Programme wie das frei verfügbare MediaWiki oder das kommerzielle ConfluenceWiki stellen einfache Layout-Funktionen bereit, um HTML-Text zu formatieren. Es ist möglich, Dokumente zu überarbeiten, deren Historie zu verfolgen und bei Bedarf eine ältere Version wiederherzustellen. Ein Wiki bietet sich an, um wertvolles Know-how zu dokumentieren. Hilfreich sind eine vorgegebene Struktur und abgestimmte Qualitätskriterien. Eine Besonderheit stellen Gruppeneditoren wie ThinkFree Online dar, mit denen mehrere Anwender gleichzeitig an einem Dokument arbeiten können.
- Beim Social Tagging ordnen Anwender eigene Schlagwörter (Tags) bestimmten Inhalten (z. B. Fotos) zu. Solche Metadaten vereinfachen dem Benutzer die Suche nach Informationen. Eine Tag-Cloud stellt die Tags aller Anwender visuell dar: Je öfter ein Tag verwendet wurde, desto größer ist seine Schrift. Social Bookmarks bezeichnen kommentierte Lesezeichen, die ein Anwender öffentlich bereitstellen kann, um andere Nutzer auf interessante Seiten zu einem Thema hinzuweisen. Beide Methoden sind ortsunabhängig und einfach anzuwenden, zudem profitieren andere rasch. Nachteilig beim Tagging sind Mehrdeutigkeit und synonym verwendete Begriffe. Für jedermann zugängliche Anbieter sind z. B. del.icio.us und Mr. Wong.
- Social Networking Services dienen der Beziehungspflege in und zwischen sozialen Gruppen. Private oder berufliche Bekanntschaften können gepflegt und neue gewonnen werden. Schließlich kennt jeder jeden über sechs Ecken, so die Theorie. Social Networking Services bieten folgende Funktionen: Darstellung des eigenen Profils, Suche nach Experten, Visualisierung von Verbindungen, Statusmeldungen, Kontaktmanagement und kommunikativer Austausch. Beliebte Netzwerkdienste sind Xing und LinkedIn. Unternehmen profitieren von diesem Service durch schnellen Wissenszugang und Vertrauensaufbau.
- Instant Communication ist schnell und einfach anstatt umständlich eine E-Mail zu formulieren, tippen Nutzer beim Instant Messaging einen kurzen Text und kommunizieren in Echtzeit mit dem Empfänger. Dank Statusmeldungen wissen sie, ob der Empfänger gerade am Computer arbeitet, und können mit einer schnellen Antwort rechnen. Instant-Messaging-Dienste senken die Hürden bei der Kontaktaufnahme und vermindern am Arbeitsplatz Störpotenzial durch Telefonklingeln oder überlaufende Postfächer.
Social Software im Unternehmen
Für einen erfolgreichen Einsatz von Social Software im Unternehmen sind dessen Kultur und Prozesse sowie die Anforderungen und Erfahrungen der Anwender elementar. Nicht jedes Werkzeug ist für jedes Einsatzszenario geeignet – allerdings müssen sich ursprünglicher Zweck und tatsächliche Anwendung nicht immer genau entsprechen. Social Software im Unternehmen eignet sich bestens, um Wissen zu erhalten, Projekte zu koordinieren und Informationen transparent zu machen. Darüber hinaus kann sie die Mitarbeiter bei folgenden Aufgaben unterstützen:
- Dokumente gemeinsam erstellen: Dokumente oder Produkte wie Software in einem Team zu entwickeln, erfordert die Koordination der Mitarbeiter, geeignete Kommunikation, Medienintegration und das Management zeitgleicher Arbeitspakete. Eine gute Abstimmung ist das wichtigste Erfordernis. Geeignete Hilfsmittel sind Änderungsmitteilungen durch RSS und Präsenzmeldungen über IM-Clients. Um die eigentlichen Inhalte parallel zu erstellen, eignen sich Wikis, die eine Texthistorie unterstützen, oder Gruppeneditoren, die mehr Formatierungsoptionen bieten. Werden Dokumente zeitlich nacheinander bearbeitet, können sie einfach per E-Mail ausgetauscht werden. Der internationale Konzern ABB unterhält Kommunikationsabteilungen in verschiedenen europäischen Ländern. Deren Mitarbeiter können in einem Wiki ihr Fachwissen und neueste Trends an andere Kollegen weitergeben, z. B. Best Practices oder Informationen über externe Partner. ABB gelang es so, die Kommunikation zu beschleunigen, Mitarbeiter zu entlasten und die Kreativität zu steigern. Schulungen und ein Newsletter begleiteten die Einführung des Wikis. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auf Nutzergruppen beschränkte Informationsbereiche besser angenommen wurden als solche, die für alle offen sind.
- Kontakte verwalten und Spezialisten suchen: In großen und internationalen Unternehmen verliert man leicht den Überblick, wer für eine Aufgabe zuständig ist oder sich auf ein Thema spezialisiert hat. Abhilfe bieten Social Networking Services, in denen jeder Mitarbeiter seine eigenen Daten wie berufliche Schwerpunkte und private Interessen selbst eingibt und aktualisiert. Im Beratungsunternehmen Accenture arbeiten über 180 000 Mitarbeiter in internationalen Projekten. Um Zugriff auf das Know-how der Kollegen zu gewährleisten, hat der Konzern intern einen Social Networking Service eingeführt, die so genannten People Pages. Ziel dieses Dienstes war, eine stärkere Verbindung zwischen den Mitarbeitern zu schaffen, Interessengruppen zu bilden und Experten schneller zu finden. Auf den People Pages kann sich jeder Mitarbeiter vorstellen, sich mit anderen vernetzen und mit anderen Dokumente austauschen. Wichtig für die Akzeptanz dieses Instruments waren die Integration vorhandener Dienste und begleitende Werbemaßnahmen. Als hinderlich stellte sich die mangelnde Unterstützung durch das Management heraus.
- Wissen verteilen: Um ihre Aufgaben zu erfüllen, sind Mitarbeiter darauf angewiesen, das eigene Wissen laufend zu erweitern und es an andere weiterzugeben. Unternehmen und Bildungsträger können zur Wissensverbreitung Plattformen wie Wikis oder Blogs bereitstellen. An der Universität Regensburg stellt der Fachbereich Multimediales Lernen und Lehren die Wissensplattform Tagblog bereit, die Studenten über Präsenzveranstaltungen hinaus begleitet und ihnen erlaubt, sich kritisch mit den Lehrinhalten auseinanderzusetzen und sie zu verschlagworten. Durch das Schreiben von Blogbeiträgen wird eigenes Wissen externalisiert, aufgearbeitet und vertieft. Kommentare, Bewertungen und Feedbacks machen es möglich, Beiträge zu überprüfen und zu hinterfragen. So entsteht ein Gemeinschaftsgefühl.
Alles beta, aber keiner online?
Damit Mitarbeiter Social Software im Unternehmen nicht ignorieren, sondern aktiv nutzen, müssen Sie folgende Faktoren berücksichtigen:
- Motivation: Nur eine hohe Beteiligung macht eine Social Software erfolgreich. Anstatt auf monetäre Anreize zu setzen, unterstützen Sie am besten intrinsische Motive wie Geltungsbedürfnis. Machen Sie z. B. die Anzahl der von einer Person veröffentlichten Beiträge sichtbar und lassen Sie Freiräume bei der Nutzung. Achten Sie auf hohe Benutzerfreundlichkeit – keep it simple!
- Konkurrenz durch andere Medien: E-Mail-Programme sind ein großes Hindernis bei der Einführung neuer Medien. Blogs oder Wikis werden im Gegensatz zu E-Mails als zusätzlicher Aufwand wahrgenommen. Um dem entgegenzuwirken, können Sie die Regelung einführen, dass E-Mails nur noch zu privaten Zwecken verschickt werden dürfen. Alle informativen Inhalte sind in einem anderen Medium besser aufgehoben.
- Change-Management: Studien haben gezeigt, dass die nützlichsten Anwendungen von den Nutzern selbst stammen. Um diesen Bottom-up-Prozess zu fördern, müssen Sie die teilnehmende Gestaltung der Mitarbeiter in der Unternehmenskultur verankern. Fördern Sie die Partizipation, indem Sie geeignete Technologien bereitstellen und gemeinsame Regeln und Ziele erarbeiten.
- Sicherheit der Daten: Wenn Sie personenbezogene Daten erfassen, benötigen Sie die Zustimmung der Betroffenen. Um Missbrauch zu vermeiden, müssen Sie im Enterprise 2.0 eine klare Grenzen zwischen innen (Intranet) und außen (Internet) ziehen.
- Produktivität und Return on Investment: Durch die Verbreitung von Wissen kann ein Unternehmen als Ganzes profitieren. Es kann aber sein, dass einzelne Mitarbeiter weniger Zeit für operative Aufgaben haben. Mit Kennzahlen wie Anzahl der E-Mails, Menge der gesammelten Informationen und Grad der Beteiligung können Sie den Erfolg einer Social Software messen.
- Mehrsprachigkeit: Internationale Unternehmen nutzen meist Englisch als Firmensprache. Dadurch können Schreibhürden entstehen und weniger Sprachsichere können ausgeschlossen werden. Zudem ist lokales Wissen nicht für alle nützlich. Um die Sprachbarriere zu senken, können Sie Ausnahmen erlauben oder ein Wiki je Sprache ermöglichen.
Prof. Dr. Michael Koch ist promovierter Informatiker und leitet die Forschungsgruppe Kooperationssysteme an der Universität der Bundeswehr in München. Alexander Richter ist Dipl.-Kaufmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Kooperationssysteme und an mehreren Projekten im Unternehmenskontext beteiligt.