Die Chancen für westeuropäische Firmen auf dem russischen Markt sind vergleichsweise gut: Es gibt einen Nachholbedarf an Investitions- und Konsumgütern, grosse Rohstoffvorkommen und ein hohes Potenzial an gut ausgebildeten Fachkräften. Auch die Rechtssituation hat sich gebessert. Das in den letzten Jahren entwickelte Bürgerliche Gesetzbuch entspricht grösstenteils europäischem Standard, das Privatrecht ist meist zufrieden stellend geregelt. Beim öffentlichen Recht, v. a. beim Steuer- und Zwangsvollstreckungsrecht, gibt es noch einiges zu tun. Ein Verwaltungsverfahrensgesetz fehlt ganz. In einer Hinsicht ist Russland allerdings stehen geblieben: Korruption und Bestechung gehören weiterhin zum Alltag.
Erste Stolpersteine: Marktanalyse und Partnersuche
Es gibt keine brauchbaren Statistiken oder Wirtschaftsdaten, die Sie für Ihre Vorbereitung nutzen könnten. Eigene Marktanalysen vor Ort sind unentbehrlich! Die Suche nach einem geeigneten Partner ist schwer - der Markt ist noch im Umbruch und oft hat der Staat in Form von Beamten noch ein grosses Mitspracherecht. Für Russen ist Marktwirtschaft schlicht die Aneignung fremden Eigentums. Russische Partner sind selten an einem kontinuierlichen Aufbau des gemeinsamen Geschäfts interessiert. Sie misstrauen langen Entwicklungen, verkaufen ihren Anteil möglichst schnell oder versuchen, die gesamte Firma zu übernehmen. Arbeiten Sie lieber mit einer rechtlich unabhängigen Firma zusammen und verzichten Sie auf Jointventures. Bevor Sie sich für eine konkrete Zusammenarbeit mit einem Partner entscheiden, prüfen Sie dessen Bonität. Dies ist nicht so einfach wie in Europa - Steuerdaten und Registerauszüge sind mit Vorsicht zu geniessen, da sie nicht alle Daten enthalten bzw. die Daten oft nicht der Wahrheit entsprechen. Fragen Sie Ihren künftigen Partner nach einer Referenzliste und sprechen Sie mit seinen bisherigen Geschäftspartnern.
Reisevorbereitung und Einreise
Das russische Aussenministerium MID erlaubt die Einreise mit vier verschiedenen Visen. Für Geschäftsreisen eignet sich das Geschäftsvisum. Es kann verlängert werden und Sie können sich frei im Land bewegen. Allerdings brauchen Sie eine Einladung Ihres russischen Partners. Anreisen können Sie mit Flugzeug, Bus, Zug oder dem eigenen Auto. Auf jeden Fall sollten Sie vorab den Versicherungsschutz prüfen, da viele Versicherungen die GUS-Staaten explizit ausgeschlossen haben.
Wichtige Informationen für Ihren Aufenthalt
Russland ist ungefährlicher, als weithin behauptet wird. Rechnen Sie mit Personenkontrollen auf der Strasse. Tragen Sie immer eine Kopie Ihres Ausweises und Ihres Visums bei sich und bewahren Sie die Originale im Hotel auf. Bezahlt wird mit Kreditkarte oder Rubel. Nehmen Sie trotzdem genügend Dollarnoten in einwandfreiem Zustand mit, die Sie vor Ort in Rubel tauschen können. Beschädigte Dollarnoten werden nicht akzeptiert! Bei Krankheit haben Sie Anspruch auf kostenlose medizinische Grundversorgung. Neben staatlichen Einrichtungen gibt es private und halbstaatliche Kliniken mit westlichem Standard. Dafür müssen Sie allerdings zahlen, und das direkt vor Ort. Klären Sie vorab mit Ihrer bestehenden Krankenkasse, in welchem Mass sie für die anfallenden Rechnungen aufkommt. Das Telefonieren ist in Russland teurer als in Europa, die Qualität der Verbindungen ist jedoch vergleichbar. Seien Sie vorsichtig bei Auslandsgesprächen mit dem Handy. Russische Provider belasten auch eingehende Gespräche. Dokumente können Sie mit der russischen Post befördern oder auf verschiedene Alternativdienste zurückgreifen. UPS, DHL und TNT arbeiten auch auf dem russischen Markt. Warensendungen, die nach Russland geschickt werden, durchlaufen den Zoll und benötigen dementsprechend viel Zeit.
Westeuropäische Firmen in Russland
Ausländer geniessen einen guten Ruf und gelten als vermögend. Für Ihren geschäftlichen Erfolg brauchen Sie ein Netz von Freunden und Bekannten, die Ihnen im Fall der Fälle weiterhelfen können. Diese Hilfe beruht natürlich auf Gegenseitigkeit. Auch Geschenke können oftmals weiterhelfen. Fragen Sie Ihre russischen Freunde, um sicherzugehen, dass das Geschenk dem "Anlass" entspricht. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf dem russischen Markt aktiv zu werden. Eine von ihnen sind grenzüberschreitende Handelsverträge. Achten Sie darauf, dass in einer Schiedsklausel ein Gerichtsstand ausserhalb Russlands festgelegt wird, um möglichst grosse Rechtssicherheit zu erhalten. Je nach Ziel bietet sich die Zusammenarbeit mit einer Agentur vor Ort an.
„Jeder im russischen Markt erfahrene Geschäftsmann wird eines bestätigen: Der russische Markt ist um vieles besser als sein Ruf.“
Streben Sie einen eigenen Vertrieb an, liegt die Gründung einer Tochterfirma nah. Hier bieten sich - je nach eigenem Anspruch - die Rechtsform als AG oder GmbH an. Bei der AG wird zwischen der geschlossenen AG (gAG), einer hundertprozentigen Tochterfirma, und der offenen AG (oAG) unterschieden. Gründen Sie eine offene AG nur, wenn Sie in naher Zukunft an die Börse gehen möchten. Für welche Form Sie sich entscheiden, hängt von Ihrer Zielsetzung auf dem russischen Markt ab. Bei den Geschäftsräumen haben Sie die Wahl zwischen Anmietung und Kauf. Zur Auswahl stehen Businesszentren mit Zusatzservice wie beispielsweise einer Telefonzentrale oder Objekte ohne Zusatzservice. Diese sind in der Regel günstiger. Der Mietpreis hängt auch in Russland von der Lage und Ausstattung ab.
Personalführung und Arbeitsmarkt
Suchen Sie sich Ihr Personal sorgfältig aus und misstrauen Sie Arbeitszeugnissen und anderen Dokumenten. In der Regel entsprechen die Daten nicht der Wahrheit. Das gilt auch für die Gehaltsangaben. Stehen Sie Mitarbeitern, die Ihnen empfohlen werden, besonders misstrauisch gegenüber. Stellen Sie lieber Personal ein, dass über die normalen Wege - Anzeigen oder Personalvermittlung - zu Ihnen gefunden hat und Interesse an einer beruflichen Weiterentwicklung hat. Bei den Lohnstrukturen fehlt jegliche Transparenz, da der Arbeitnehmer - abgesehen vom staatlichen Mindestlohn - oft an den Steuern vorbei in bar bezahlt wird. Immer wieder unterschätzt wird die physische Anwesenheit des Chefs. Sind Sie zu oft unterwegs, wird das als Desinteresse an der Firma interpretiert - weniger Arbeitsleistung oder der Versuch, die Firma zu übernehmen, sind die Folge.
Banken und Versicherungen
Ein funktionierendes Bankwesen, das volkswirtschaftliche Funktionen erfüllen könnte, gibt es nicht. Nutzen Sie für Ihren Zahlungsverkehr eine Bank mit Mutterhaus im Westen. Oft ist es schwierig, Devisen ins Ausland zu transferieren, weil der Staat Kapitalflucht unterbinden möchte. Doch auch hier gibt es Tricks und Tipps, wie man unnötige und langwierige bürokratische Hürden leicht umschiffen kann. Kredite zu vernünftigen Zinsen zu erhalten, ist eine besondere Herausforderung. Greifen Sie bei Bedarf auf internationale Organisationen zurück. Bei Ihrer Versicherung sollten Sie ebenfalls den westlichen Anbietern trauen und Ihre bestehenden Versicherungen behalten bzw. diese der neuen Situation anpassen. Schliessen Sie örtliche Zusatzversicherungen ab, wenn Leistungen, auf die Sie Wert legen, für Russland explizit ausgeschlossen sind.
Steuern und Buchhaltung
In Russland herrscht ein Wildwuchs von Steuervorschriften, in dem sich niemand mehr wirklich auskennt. Änderung ist in Sicht, braucht aber noch Zeit. Bis dahin gilt die Maxime, dass Unklarheiten zugunsten des Steuerzahlers ausgelegt werden. Gezahlt werden müssen Mehrwertsteuer (20 %), Gewinnsteuer und Einkommenssteuer (13 %). Hinzu kommen Sozialversicherungsabgaben und eine Reihe weiterer Steuern wie Bodensteuer und Akzise, eine Luxussteuer auf Autos, Alkohol und Tabak. Eine Doppelbesteuerung von Ausländern, die in Russland arbeiten, wird durch internationale Verträge verhindert. Die Möglichkeit, verschiedene Kosten von der Steuer abzusetzen, sind sehr eingeschränkt. Die vorgeschriebene Buchhaltung ist kompliziert und sagt nichts über den tatsächlichen Umsatz aus. Schonen Sie Ihre Kapazitäten und verlegen Sie diese Aufgabe nach aussen!
„Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind vor allem die wirtschaftlichen Daten irrelevant.“
Zoll Vorsicht ist bei der Einführung von grossen Bargeldreserven geboten. Zwar können Sie jeden Betrag einführen, bei der Ausfuhr von mehr als 1500 US-Dollar müssen Sie jedoch nachweisen können, dass Sie das Geld auch mitgebracht haben. Deklariert werden müssen auch besondere Wertgegenstände wie Gold, Handelswaren und Waren im Wert von mehr als 1000 Dollar. Auch bei der Ausreise gibt es Einschränkungen, beispielsweise bei Kaviar und Kunstgegenständen. Antiquitäten dürfen gar nicht ausgeführt werden. Handelswaren unterliegen bestimmten Regelungen. Für viele Waren besteht bei der Einfuhr eine Zertifizierungspflicht. Die Zollsätze haben je nach Ware eine Höhe von 0 bis 30 %. Selbstverständlich können Sie mit Hilfe des Zollbeamten Geld sparen. Vermeiden Sie Schwierigkeiten, indem Sie die Zollpapiere vorab zu Ihrem Importeur faxen. Der klärt dann, ob alles o. k. ist, ob Papiere fehlen oder ob andere Angaben Schwierigkeiten vermeiden helfen können.
Eigentum und Eigentumsschutz
Halten Sie bei Lieferverträgen schriftlich fest, dass sich Ware bis zu vollständigen Bezahlung in Ihrem Eigentum befindet, und lassen Sie dies notariell beurkunden. Pfandforderungen auf bewegliche Ware können nur auf gerichtlichen Entscheid durchgesetzt werden. Beim Kauf von Grundstücken und Gebäuden gibt es verschiedene Regelungen für Ausländer. Sie dürfen beispielsweise keine Eigentumsrechte an Grund und Boden erwerben, wohl aber Nutzungsrechte. Der Kauf von Immobilien ist gestattet. Geistiges Eigentum geniesst auch in Russland Schutz. Unterschieden wird in Patent- und Urheberrechte, wobei Warenzeichen dem Patentrecht zugeordnet werden. Der Rechtsschutz von Warenzeichen beginnt mit der Eintragung im Patentamt, läuft jedoch nach zehn Jahren ab. Die Frist kann um zehn Jahre verlängert werden. Lassen Sie Ihr Warenzeichen in Russland registrieren. Dies geht zum einen schneller als die Alternative der internationalen Registrierung, zum anderen empfiehlt sich für den russischen Markt ein Warenzeichen mit kyrillischem Schriftzug. Als Ausländer können Sie Patente nur mit Hilfe eines russischen Patentanwaltes anmelden. Urheberrechte werden nach internationalen Standards geregelt. Russland hat Interesse an ausländischen Investoren und schützt sie mit bilateralen Abkommen. Unter Umständen sind Sie bis zu sieben Jahren vor nachteiligen Gesetzesänderungen geschützt - allerdings gilt dies nur für wenige Projekte.
Sicherheit
Ausländische Unternehmer brauchen sich in der Regel nicht vor der Mafia zu fürchten, auch russische Angestellte kommen nur selten mit ihr in Kontakt. Für den Alltag sollten Sie ein paar Regeln berücksichtigen: Tragen Sie nicht zu viel Geld bei sich und geben Sie Ihre Privatadresse und Telefonnummer nicht wahllos weiter. Laden Sie flüchtige Bekannte nicht nach Hause ein. Es ist üblich, sich von Polizisten den Dienstausweis zeigen zu lassen und bei der entsprechenden Behörde nachzufragen, ob alles mit rechten Dingen vorgeht - bevor die Beamten in die Wohnung gelassen werden.
„Der Beamtenapparat ist erstaunlich stabil und auch gegenüber politischen Machtwechseln resistent.“
Unerfreulich sind Geschäftsübernahmen, wobei hier der Gefahrenherd meist innerhalb der eigenen Firma sitzt. Überraschende Steuerforderungen, von den Angestellten initiiert, können Ihre Firma leicht in Bedrängnis bringen. Beugen Sie mit guten Kontakten zu der jeweiligen Konkurrenzbehörde vor. Suchen Sie nie Hilfe bei den Stellen, die Sie unter Druck setzten - Beamte sind käuflich und alle verdienen mit! Versuchen Sie, alles mündlich zu regeln, um eine Verhärtung der Fronten zu vermeiden. Natürlich können Sie Streitigkeiten auch vor Gericht regeln. Diese Möglichkeit wird allerdings selten genutzt. Mit Bestechung kommen Sie bei Richtern nicht weiter, da das Urteil jederzeit von der nächsthöheren Instanz aufgehoben werden kann. Richter beziehen ihre Zusatzeinnahmen aus den Gerichtskassen: Je höher die Einnahmen durch Bussgelder und Gerichtskosten sind, umso mehr profitieren sie.