Praxisführer Japan

Buch Praxisführer Japan

Fettnäpfchen gekonnt vermeiden

Königshausen & Neumann,


Rezension

Japaner reden aben­teuer­liches Englisch, machen Heckmeck um ihre Vis­itenkarten und halten scheinbar eine nationale Meis­ter­schaft in „Wer hat den schlaffsten Händedruck?“ ab. Weniger polemisch formuliert: Sie sind ziemlich anders als Europäer. Dass ihr Verhalten einer durchaus nachvol­lziehbaren Logik folgt, macht Rita Menge in Praxisführer Japan deutlich. Die frühere Pro­duk­t­man­agerin hat fünf Jahre in Japan gelebt und berät heute Unternehmen in Fragen des in­terkul­turellen Managements. Aus Workshops mit Führungskräften kennt sie mit­tler­weile die Fettnäpfchen genau, in die Manager aus dem Westen regelmäßig treten. Deshalb sorgt sie erstmal für Zusammenhänge: Warum agieren Japaner in bestimmten Situationen so und nicht anders? Aus diesem Wissen heraus lässt sich oft ableiten, wie man sich als Europäer angemessen verhalten sollte. Liegt das mal nicht auf der Hand, liefert die Autorin jede Menge handfeste Tipps – prax­isori­en­tierter, verständlicher und ein­sichtiger geht’s kaum. Ganz besonders gelungen sind die zahlreichen Fall­beispiele aus den Workshops, die Rita Menge durchführt. BooksInShort empfiehlt das Buch wärmstens allen Geschäftsleuten, die mit Japanern zu tun haben.

Take-aways

  • Wer europäische Ver­hal­tensweisen un­re­flek­tiert nach Japan mitnimmt, wird anecken.
  • Sich auf eine fremde Kultur einzulassen bedeutet zunächst, die eigene zu hin­ter­fra­gen.
  • Wer die Gründe für japanische Ver­hal­tensweisen kennt, kann in vielen Situationen angemessen reagieren.
  • Der einzelne Japaner versteht sich als Teil einer Gruppe, deren Erfolg wichtiger ist als der eigene.
  • Erfahrung wird in Japan wertgeschätzt, entsprechend werden Ältere und Hierarchien respektiert.
  • Ansagen von Chefs werden nicht hinterfragt. Der Nachteil: Wer nur Befehle befolgt, lernt nie eigen­ver­ant­wortliches Arbeiten.
  • Konflikte werden so ausgetragen, dass niemand dabei sein Gesicht verliert – auch wenn das für Westler unnötig umständlich wirkt.
  • Europäer, die den offenen Austausch gewohnt sind, zeigen sich oft überfordert, die subtilen Mit­teilun­gen der Japaner richtig zu deuten.
  • Entschei­dun­gen werden in Japan nicht von oben nach unten dekretiert, sondern entwickeln sich im gegen­seit­i­gen Abgleich.
  • Beziehungen zu Kunden sind von Loyalität und Ent­ge­genkom­men gekennze­ich­net.
 

Zusammenfassung

Nichts ist selbstverständlich

Die Deutschen haben ein klares Japanbild. In diesem Japan leben ebenso höfliche wie emsige Ar­beits­bi­enen auf engen Raum und essen rohen Fisch. Wenn sie ins Ausland kommen, fo­tografieren sie ohne Unterlass. Wer ein wenig länger nachdenkt, kommt auf noch ein paar Eigenarten, die sich zu einem Bild fügen: eine fremde, kaum zugängliche Kultur. Die Japaner ihrerseits kennen ebensolche Stereotype von Deutschland. Sie sehen die Deutschen als logisch denkende, arbeitsame, regelgläubige Pünk­tlichkeits­fa­natiker, die sich hauptsächlich von Wurst und Bier ernähren und mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten.

„Japaner sind sehr freundlich und werden Sie nor­maler­weise nicht spüren lassen, wenn Sie sich falsch verhalten.“

Wer die andere Kultur kennen lernen und verstehen will, muss zuerst begreifen, wie sehr diese Stereotype kulturell geprägt sind. Weil sich Deutsche z. B. in der Regel mit festem Händedruck begrüßen, irritiert sie der als schlaff empfundene Händedruck eines japanischen Gegenübers. Der hingegen wertet das herzhafte Zupacken des Deutschen als zudringlich, oft gar als Ankündigung eines un­fre­undlichen Akts: „Wer so zugreift, der will mir Böses.“ Körperkontakt ist in Japan nämlich über einen leichten Händedruck hinaus tabu. Japaner – oder jede andere Kultur – kennen lernen zu wollen, beginnt daher mit einer grundle­gen­den Einsicht: Nichts ist selbstverständlich.

In der Gruppe stark

Das gilt etwa für den Umgang mit der Wahrheit. Das deutsche Verständnis von Aufrichtigkeit soll Verlässlichkeit sig­nal­isieren. Man steht zu dem, was man sagt – Kon­flik­t­bere­itschaft inklusive. Offene Diskus­sio­nen bringen den Prozess voran und führen zur Lösung, so das Selbstverständnis. Wer seine Meinung oft ändert, wird als nicht vertrauenswürdig empfunden. Diese Offenheit wird in Japan fast immer als unangemessen, häufig sogar als verletzend empfunden. Es ist nicht wichtig, dass der Einzelne sich durchsetzt, sondern das Wohl der Gruppe hat höchste Priorität. Dafür hat der Einzelne sich zurückzunehmen. Erfahrung ist wichtig, deshalb treffen in Japan meist die Älteren die Entschei­dun­gen. Am wichtigsten aber ist, dass niemand sein Gesicht verliert. Damit notwendige oder gewünschte Entschei­dun­gen nicht endlos verschoben werden, schaffen Japaner bewusst Situationen, in denen sie offen reden.

„Bildung ist in der japanischen Gesellschaft ein extrem wichtiger Faktor.“

Das Ganze ist kein Ver­steck­spiel. Es ist der Versuch, gewachsene Traditionen mit modernen Notwendigkeiten zu vereinbaren. Natürlich wollen auch die Japaner erfolgreich Geschäfte machen – wie gut sie das können, haben sie in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen. Sie verstehen sich allerdings immer als Teil einer Gruppe, eines Innen („uchi“). Das kann die Familie, die Firma oder bei Aus­lands­be­suchen ganz Japan sein; die Gruppe ist immer wichtiger als der Einzelne. Wer sich nicht eingliedert, wird in Unternehmen nicht befördert –das nützt dem Grup­pengedanken. Wer nicht „uchi“ ist, ist „soto“, d. h. draußen. Alle Ausländer sind erst einmal „soto“.

Der Weg zum Konsens

Das führt nicht zur Ablehnung von Ausländern, wohl aber zur Distanz. Wer mit Fremden ins Geschäft kommen will, muss verhindern, dass diese ihr Gesicht verlieren. Wenn Sie diesen Ansatz verstanden haben, wundern Sie sich nicht mehr, warum die Entschei­dungs­find­ung in Japan so anders ist. Es beginnt damit, dass In­for­ma­tio­nen zwar sehr früh, allerdings nur in kleinen Prisen weit­ergegeben werden. Aus dem Feedback lässt sich rechtzeitig erkennen, ob noch umgesteuert werden muss. Wenn eine Entschei­dung fällt, ist meist weit­ge­hen­der Konsens erreicht.

„Wer nicht in der Lage ist, seine Gefühle und seine Meinung zu kon­trol­lieren, gilt als selbstsüchtig.“

Dieser Bot­tom-up-Ansatz kollidiert mit dem europäischen Verständnis des „par ordre de mufti“. Das Problem beim hiesigen Top-down-Ansatz: Wenn der Chef ein Machtwort spricht, heißt das noch lange nicht, dass es auch umgesetzt wird. Beim Bot­tom-up-Ansatz ist das viel wahrschein­licher. Schließlich wissen alle, worum es geht, und haben bei der Entschei­dungs­find­ung mitgewirkt. Also setzen sie quasi eine eigene Entschei­dung um.

„Der japanische Angestellte versteht sich als kleiner, aber wichtiger Teil eines großen Ganzen.“

Wichtig ist, sich vor Entschei­dun­gen erst einmal gründlich zu informieren; in dieser Pflicht sehen sich die Japaner. Für Europäer bedeutet das, sich von der Vorstellung zu ve­r­ab­schieden, in Meetings verbindliche Entschei­dun­gen zu fällen. Wird aber im Nachgang des Treffens fest­gestellt, dass Konsens herrscht, dann wird die Entschei­dung umgehend umgesetzt.

Vom Aussitzen

Konflikte werden in Japan selten offen ausgetragen. Nur hi­er­ar­chisch hochrangige Manager dürfen sich einen etwas ruppigen Ton erlauben – allerdings nur rang­niedrigeren Managern gegenüber. Hi­er­ar­chieebe­nen dürfen nie übersprungen werden. Wer als rang­niedriger deutscher Manager ein Problem konstruktiv mit einer hochrangi­gen japanischen Führungskraft lösen will, wird keinen Erfolg haben. Der Japaner wird allein schon die Idee für ehrver­let­zend halten. Offen formulieren wird er das aber nicht: Beide würden ihr Gesicht verlieren. Deshalb werden Konflikte in Japan dann auf die lange Bank geschoben oder umschifft. Direkt angegangen werden können sie jedenfalls nicht. Das bedeutet aber auch, dass sie mitunter lange schwären. Eine Möglichkeit, Konflikte zu entschärfen, ist die Entschuldigung. Sie bedeutet aber – anders als in Europa – nicht das Eingeständnis von Schuld. Es geht nur darum, sein Bedauern zum Ausdruck zu bringen, eben in Form einer Entschuldigung. Das lockert die Fronten entschei­dend auf: Die andere Seite hilft mit bei der Gesichtswahrung.

„Japaner mögen keine Überraschun­gen.“

In Deutschland schimmert oft der Eindruck durch, die Asiaten würden es übertreiben mit dem „Gesicht wahren“. Das täuscht und ist wohl eher eine Frage von Be­grif­flichkeiten, denn auch Deutsche stellen andere ungern bloß und bringen niemand gern in Ver­legen­heit. Einen Unterschied gibt es allerdings: Während Deutsche eher „Schwamm drüber“ sagen, schleppen Japaner einen Gesichtsver­lust lange mit sich herum.

„Japaner versuchen, Konflikte nicht anzus­prechen, sondern auszusitzen.“

Als Gesichtsver­lust gilt auch, anderen etwas schuldig zu bleiben, einen Gefallen etwa. Deshalb ist der Austausch von Gefälligkeiten und kleinen Geschenken („giri“) ebenso wichtig wie komplex. Für Westler sind Geschenke an Japaner Pflicht, um Ver­bun­den­heit zu erzeugen. Und es ist natürlich klug, sich gefällig zu zeigen, um „giri“ aufzubauen.

Verstehen, was nicht gesagt wird

In Deutschland dienen Be­sprechun­gen vordergründig dem Weit­erkom­men des Un­ternehmens durch kon­struk­tive Diskussion. Im Subtext geht es für die Teilnehmer aber auch darum, sich bestmöglich zu präsentieren, also das persönliche Weit­erkom­men zu befördern. In Japan stellen die Teilnehmer den Stand ihrer Arbeit vor und liefern so die Argumente, die für eine Entschei­dung benötigt werden. Diese wird – nach weiteren Be­sprechun­gen – vom Vorge­set­zten verkündet. Wer dies verstanden hat, wird nicht auf Entschei­dun­gen in Meetings drängen. Er wird aber in jedem Fall die Form einhalten, d. h. pünktlich sein (vor allen bei Kunden), korrekt und unauffällig gekleidet erscheinen, auf Small Talk aufgeschlossen und höflich eingehen, keine Diskussion anzetteln.

„Das eigene Gesicht und das der anderen zu wahren sind Ver­hal­tensregeln, die vermutlich jede Kultur kennt.“

Das alles ist schwierig für Deutsche, die klare und verlässliche Aussagen brauchen, weil sie es so gewohnt sind. In Japan bekommen sie die nicht. In Gesprächen ist mitunter wichtiger, was nicht gesagt wird. Es spielt eine entschei­dende Rolle, wer was wann wo sagt. Die Kom­mu­nika­tion ist vielschichtig und schwer zu in­ter­pretieren – oft auch für Japaner selbst. Sie lässt sich durch Zuhören (d. h., die eigene Ungeduld zu bezwingen) und Lesen von nonverbalen Zeichen verbessern.

„Durch Geschenke und Gefälligkeiten baut man Beziehungen aus und kleine Abhängigkeiten auf.“

Ein „Nein“ wird beispiel­sweise nur nonverbal vermittelt, etwa durch das Kreuzen der Finger oder Hände, durch das Wedeln der flachen Hand oder durch das „Wegschieben“ von Luft. Hörbares Einsaugen von Luft sig­nal­isiert: Probleme! Kombiniert mit einem Blick nach oben wachsen die Probleme. Wer zuvor das Wort „mutsukashi“ („schwierig“) – die dichtestmögliche Annäherung an „Nein“ – gehört hat, weiß eh Bescheid.

„Japaner sind im Vergleich zu uns weniger zielo­ri­en­tiert, sondern mehr prozes­sori­en­tiert.“

Das vielschichtig­ste nonverbale Signal ist das Schweigen. Was es bedeutet, hängt ganz vom Kontext ab. Japaner wissen allerdings: Westler tun sich schwer mit dem Schweigen. Oft wird dieses Instrument daher eingesetzt, um Geschäftspartner zu Zugeständnissen zu bringen – nach dem Motto „Mal sehen, ob’s klappt“.

Der allmächtige Chef …

Wer als europäischer Manager japanische Untergebene hat, sollte wissen, was diese von ihm erwarten. Der Chef hat seine Mitarbeiter auf die gemeinsamen Ziele einzuschwören und dafür zu sorgen, dass sie sich tatsächlich dafür einsetzen können. Das bedeutet auch, sich bei Bedarf um deren private Belange zu kümmern. Der Chef wird in Japan niemals offen hinterfragt. Was er sagt, gilt. Diese Medaille mag manche Vorgesetzte freuen, aber sie hat natürlich auch eine Kehrseite: Selbstständiges und weitgehend eigen­ver­ant­wortliches Arbeiten ist unüblich. Die Mitarbeiter müssen geführt werden. Fachken­nt­nisse spielen bei der Einstellung in japanischen Unternehmen keine große Rolle: Was an Wissen benötigt wird, kann auch noch später vermittelt werden. Hauptsache, die Leistung der Gruppe leidet nicht.

„In Japan ist der Kunde nicht König, sondern Gott.“

Die Gruppe geht abends gele­gentlich aus, mindestens einmal pro Monat. Das ist so in Japan. Sich auszuk­linken geht eigentlich gar nicht. Was für Westler wie Grup­pen­zwang wirkt, hat ein praktische Komponente für das Ar­beit­sleben: Weil während der offiziellen Arbeit der Austausch stark rit­u­al­isiert ist, können offene Worte nur im in­of­fiziellen Kontext aus­ge­tauscht werden. Alkohol hilft. Das gemeinsame Trinken ist natürlich ebenfalls rit­u­al­isiert: Oft sind die Kollegen nicht halb so betrunken, wie sie tun, um endlich mal ihrem Herzen Luft machen zu können. Was abends gesagt oder gehört wird, darf am nächsten Morgen auf gar keinen Fall wieder aufge­grif­fen werden. Aber im Hinterkopf sollte (und darf) es behalten werden.

… und der kaum weniger mächtige Kunde

Es hat sicher seine Gründe, wenn Deutschland als Di­en­stleis­tungswüste gilt – dort scheinen die Menschen es ja schon als unanständig zu erachten, Kunden ein Lächeln zu schenken. In Japan ist das anders. Der Wille zur Di­en­stleis­tung ist da, und er wird goutiert. Oft sind die Kun­den­beziehun­gen stark per­son­al­isiert. Sie aufzubauen dauert lange: Bis die Beziehung sich rentiert, wird bis zu zehn Jahren Auf­bauar­beit in Kauf genommen. Um die so mühevoll aufgebaute Loyalität guter Kunden nicht zu gefährden, neigen manche japanische Unternehmen dazu, europäische Mitarbeiter zu Treffen mit Kunden nicht mitzunehmen – zu viel Porzellan könnte zerschlagen werden. Bei jedem geschäftlichen Treffen gilt: Verbeugen statt Händedruck und – wichtig – der formale Austausch von Vis­itenkarten. Diese zeigen in Japan die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (dem Unternehmen als Arbeitgeber), und der Umgang mit ihnen spiegelt die Achtung wider, die diesem Unternehmen ent­ge­genge­bracht wird. Wer nachlässig mit eigenen Vis­itenkarten umgeht, entehrt damit seinen eigenen Arbeitgeber; wer fremde Vis­itenkarten nicht achtet, lässt es an Wertschätzung für das andere Unternehmen mangeln. Vis­itenkarten werden übrigens mit beiden Händen überreicht (und ent­ge­gengenom­men) und zwar so, dass das Gegenüber sie lesen kann. Wieder einmal zeigt sich: Begreifen ist der Anfang von allem.

Über die Autorin

Rita Menge hat nach ihrem Studium als Pro­duk­t­man­agerin gearbeitet, bevor sie für fünf Jahre nach Japan umsiedelte, wo sie als Dozentin beschäftigt war. Während dieser Zeit entdeckte sie ihre Liebe für die japanische Sprache und Kultur. Seit ihrer Rückkehr sorgt Menge in Workshops für mehr in­terkul­turelles Verständnis zwischen Deutschen und Japanern.