Produktivkraft Natur

Buch Produktivkraft Natur

Hoffmann und Campe,


Rezension

Naturschutz gilt Wirtschaftsvertretern gemeinhin als Kosten­fak­tor. Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille: Eine intakte Natur ist nicht nur die Grundlage des men­schlichen Lebens, sondern trägt auch entschei­dend zum Wirtschaftswach­s­tum bei – und das völlig kostenlos. Ken­nt­nis­re­ich erläutern die Autoren anhand zahlreicher Beispiele, was Mutter Natur alles für uns tut, und sorgen dabei für so manche Überraschung. Wer weiß schon, dass viele technische En­twick­lun­gen in der Au­to­mo­bil­branche und sogar in der chemischen Industrie ihre Vorbilder in der Natur haben? Eher als Überblick konzipiert, zeigt das Buch die ganze Bandbreite der Naturleis­tun­gen auf und bleibt trotz komplexer Sachver­halte allgemein verständlich. BooksInShort empfiehlt es allen ökonomisch und ökologisch in­ter­essierten Lesern, ins­beson­dere allen Managern und Un­ternehmern, die mit Profit grün wirtschaften wollen.

Take-aways

  • Der Naturschutz verursacht nicht nur Kosten: Er ist zugleich eine wirtschaftliche Investition.
  • Das Forschungs­feld der Bionik bedient sich der Natur für zahllose lukrative Erfindungen.
  • Viele Medikamente und Heilmittel basieren direkt oder indirekt auf Vorbildern aus der Natur – je größer die Arten­vielfalt, desto mehr In­spi­ra­tionsquellen gibt es.
  • Eine intakte Natur ist die Grundlage der gesamten Touris­mus­branche.
  • In den Städten sind Grünflächen und Na­her­hol­ungs­ge­bi­ete ein wichtiger Stan­dort­fak­tor.
  • Die ökologische Lebens­mit­tel­erzeu­gung verbraucht weniger Ressourcen und schafft mehr Arbeitsplätze als der kon­ven­tionelle Anbau.
  • Der in­dus­trielle Fischfang sowie die illegale Abholzung und Übernutzung der Wälder bringen nur kurzfristig Gewinn, haben aber langfristig hohe Folgekosten.
  • Den re­gen­er­a­tiven Energien gehört die Zukunft, da die fossilen Energieträger bald weitgehend verbraucht sein werden.
  • Intakte Ökosysteme, der Schutz der Wälder und eine ökologische Land­wirtschaft tragen erheblich zum Klimaschutz bei.
  • Die Natur selbst schützt uns vor Naturkatas­tro­phen und den damit verbundenen Folgekosten.
 

Zusammenfassung

Naturschutz ist Wirtschaftsförderung

Dass Naturschutz nicht nur eine Attitüde ir­gendwelcher Ökospinner ist, sondern unsere Lebens­grund­la­gen sichert, hat sich inzwischen herumge­sprochen. Dennoch wird der Umweltschutz in der Wirtschaft zumeist als reiner Kosten­fak­tor gesehen, der den ökonomischen Er­fordernissen wider­spricht und die wirtschaftliche Entwicklung, speziell in Schwellenländern, bremst. Diese Haltung ist grundfalsch: Die Natur erbringt zum Nulltarif eine Vielzahl von Leistungen, die technisch nur zu sehr hohen Kosten oder gar nicht bere­it­gestellt werden könnten – vom Hochwasser­schutz bis hin zur Ermöglichung von technischen und wis­senschaftlichen In­no­va­tio­nen. Bereits vor zehn Jahren schätzten Experten den Gesamtwert dieser Leistungen auf 33 Billionen US-Dollar – das damalige weltweite Brut­tosozial­pro­dukt betrug dagegen nur rund 18 Billionen Dollar. Auch wenn eine intakte Natur ein Wert an sich ist, ist der Schutz der Natur darum nicht nur Selbstzweck, sondern zugleich eine ebenso sinnvolle wie gewinnbrin­gende Investition in das Wirtschaftswach­s­tum und den Wohlstand.

Bionik: Von der Natur inspiriert

Viele bahn­brechende technische En­twick­lun­gen sind nicht dem men­schlichen Gehirn entsprungen, sondern der Natur entlehnt – Stichwort Bionik. Schon der Stachel­draht entstand nach dem Vorbild dorniger Zweige. Der Salzstreuer wurde von einer Mohnkapsel inspiriert und der Klettver­schluss – der Name verrät es – von Kletten. Im Au­to­mo­bil­bau werden Material sparende Le­icht­baukon­struk­tio­nen nach dem Vorbild von Bäumen und Knochen gebaut, Kieselalgen waren das Vorbild für eine Autofelge, und durch das Studium von Katzenpfoten und Bienenwaben wurden die Autoreifen sicherer. Bekannt ist auch der Lotoseffekt, der Vorbild für unzählige selb­streini­gende Oberflächen vom Fas­saden­lack bis zur Sanitärkeramik ist. Schiffe werden wie Wal- oder Delfin­schnau­zen geformt; das Struk­tur­prinzip der Haihaut schützt sie vor Al­gen­be­wuchs und lässt in den neuen Su­per­schwim­manzügen die Weltrekorde nur so purzeln. Außerdem ist es gelungen, Fasern zu entwickeln, die so stabil wie Spin­nen­seide sind, sowie Linsen, die nach dem Prinzip des Krakenauges arbeiten. Je nach Fragestel­lung stehen immer andere Tier- und Pflanzenarten im Fokus. Natürlich weiß man nicht immer, welches wirtschaftliche Potenzial eine Neuen­twick­lung hat, doch eines ist sicher: Je größer die Arten­vielfalt, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit, dass die Natur auch in Zukunft genügend Lösungen für technische Probleme bereithält.

Medi­zinis­che Grundlagen

Viele Menschen setzen auf Naturheilmit­tel – in zahlreichen ärmeren Ländern gibt es gar keine Al­ter­na­tiven zu diesen Arzneien. Aber auch in den hoch en­twick­el­ten Ländern basieren viele Medikamente auf Naturstof­fen bzw. sind syn­thetis­che Nachbauten natürlicher Substanzen. Mit der Natur wird also direkt oder indirekt viel Geld verdient; Deutschland ist dabei eines der großen Han­del­szen­tren für Medi­z­inpflanzen. Doch diese Nutzung der Natur hat auch ihre Schat­ten­seiten: Viele Pflanzen können nicht angebaut werden, sondern stammen aus Wild­samm­lun­gen. Übernutzung und mangelnde Nach­haltigkeit können hier zu Knappheit führen.

„Für die meisten von der Natur erbrachten Leistungen existiert kein Markt.“

Dazu kommt eine ungerechte Verteilung der Erträge: Die Naturvölker, deren Wissen bei der Erforschung der Natur genutzt wird, gehen oft leer aus, die großen Phar­makonz­erne dagegen verdienen bestens. Derzeit wird aber – vor allem dank des Engagements von NGOs – intensiv an neuen ver­traglichen Strukturen gearbeitet, die auch die Ein­heimis­chen angemessen beteiligen. Darüber hinaus wirkt eine intakte Natur an sich heilend bzw. vorbeugend auf die Gesundheit: Nach­weis­lich belebt der Blick in die Natur, fördert Heilungs- und Gene­sung­sprozesse und ist eine wichtige Ressource für Entspannung und Erholung. Auch Wellness und Natur gehören eng zusammen – und der Well­ness­markt wird für 2010 auf rund 100 Milliarden Euro geschätzt.

Wirtschafts­fak­tor Tourismus

Ob Wander- oder Fahrradurlaub, Angeln oder Whale­watch­ing: Eine intakte Natur ist eine wichtige Grundlage für den Wirtschafts­fak­tor Tourismus und bringt damit ganz unmittelbar gutes Geld. Bereits heute hängen weltweit rund 8 % aller Jobs und ein Drittel aller Di­en­stleis­tun­gen am Tourismus.

„Heute sind etwa 50 % aller weltweit zuge­lasse­nen Medikamente pflan­zlichen Ursprungs.“

Dazu kommt die Wertschöpfung aufgrund von In­vesti­tio­nen in Schutzge­bi­ete oder in den Bau von Be­sucherzen­tren, Radwegen und anderen In­fra­struk­turmaßnahmen. Allein die Angler sichern in Deutschland etwa 52 000, in den USA sogar rund 300 000 Arbeitsplätze. In Australien, dessen Naturparks wie z. B. das welt­bekan­nte Great Barrier Reef zu den wichtigsten touris­tis­chen At­trak­tio­nen gehören, kann ein einziger in ein Naturschutzge­biet in­vestierter Dollar bis zu 21 $ Gewinn er­wirtschaften. Umgekehrt kann ein gestörtes Ökosystem (z. B. die Algenblüte in Florida) zu empfind­lichen Ein­nah­meausfällen und erheblichen Kosten für die Re­gen­er­a­tion des Systems führen.

„Die natürliche Umgebung fördert die Belebung nach mentaler Ermüdung, wirkt aufbauend und hilft beim Heilung­sprozess.“

Speziell für ärmere Länder und wirtschaftlich schwache Regionen bietet der Natur­touris­mus (z. B. Tier­beobach­tung) große ökonomische Chancen. Natürlich gibt es auch In­ter­essenkon­flikte, wenn die Natur touristisch genutzt wird. Nicht immer ist diese Nutzung unbe­den­klich für die jeweiligen Ökosysteme, und die ein­heimis­che Bevölkerung steht Schutzzonen nicht grundsätzlich positiv gegenüber. Allerdings werden zunehmend Systeme entwickelt, um die Besucherströme zu lenken und eine In-Wert-Set­zung der empfind­lichen Ökosysteme zu erreichen, etwa über Konzes­sio­nen, Steuern, Eintritte und Nutzungsgebühren.

Stan­dort­fak­tor Natur

Leben im Grünen – wer will das nicht? Die Natur bietet Leben­squalität und genau diese Leben­squalität ist es, die den Wert eines Standorts bestimmt: für die Menschen, die dort leben, und für die Unternehmen, die qual­i­fiziertes Personal anziehen wollen. Auch und gerade in Städten ist Grün ein wesentliches Qualitätsmerkmal: Je mehr Freiräume und Grünflächen, desto teurer werden die Grundstücke. Ganz nebenher tun die Städte damit etwas für die Arten­vielfalt, denn diese Grünflächen bilden nicht nur Miniökosysteme, sondern bieten auch Lebensräume für z. T. seltene Tier- und Pflanzenarten. Die Na­her­hol­ungs­ge­bi­ete im Umkreis der Bal­lungszen­tren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Attraktivität der Städte. Speziell stadtnahe Wälder sind ein wichtiger Faktor für die Re­gen­er­a­tion und Freizeit­gestal­tung.

„Well­ness-Urlaub und Tourismus sind ohne intakte Natur nicht denkbar.“

Früher lieferte das Umland die Nahrungsmit­tel und die Arbeitskräfte, die Stadt dagegen Güter und Di­en­stleis­tun­gen. Dieser alte Stadt-Um­land-Ver­trag gilt so heute nicht mehr. Die land­wirtschaftlichen Produkte haben immer weniger Wert, gle­ichzeitig verursacht die intensive Land­wirtschaft immer mehr kost­spielige ökologische Schäden. Der neue Stadt-Um­land-Ver­trag sollte deshalb den Wert der Natur für die Städte, der bislang kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, angemessen berücksichtigen und so zu mehr Umweltschutz und einem neuen Gle­ichgewicht zwischen Stadt und Land führen.

Nachhaltige Natur­nutzung

Es ist kein Geheimnis, dass wir alle von der Natur leben. Wir ernähren uns von land­wirtschaftlichen Produkten; eine nicht nachhaltige Land­wirtschaft erzeugt ver­schmutzte Gewässer und verarmte Böden und bedroht somit unsere Lebens­grund­lage. Daneben führt sie zu einer enormen Ver­min­derung der land­wirtschaftlich genutzten Arten, mit allen damit verbundenen Folgen für die genetische Vielfalt. Das gilt sowohl für Pflanzen als auch für Tiere. Beispiel­sweise werden von den ehemals 2000 Reissorten in Sri Lanka heute nur noch fünf angebaut, und in Deutschland gibt es praktisch nur noch drei Schweine- und eine einzige Hühnerrasse. Trotz einer durchin­dus­tri­al­isierten land­wirtschaftlichen Produktion mit enormen Überschüssen leiden über 900 Millionen Menschen an Hunger. Der Grund ist vor allem die un­zure­ichende Verteilung, die vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung zunehmend an Dramatik gewinnt.

„Eine nachhaltige En­ergiev­er­sorgung für die Zukunft ist nur zu leisten, wenn gle­ichzeitig die En­ergieef­fizienz gesteigert und der En­ergie­ver­brauch deutlich reduziert wird.“

Studien zeigen, dass eine ökologisch aus­gerichtete Land­wirtschaft sich weniger negativ auf die Umwelt und das Klima auswirkt und weniger Energie und Ressourcen verbraucht. Ökobetriebe schaffen in Deutschland mehr Arbeitsplätze und er­wirtschaften trotz höherer Per­son­alkosten höhere Gewinne als kon­ven­tionelle Betriebe. Allerdings hätte allein in Deutschland eine vollständige Umstellung auf Ökolandbau einen um 24 % höheren Flächenbedarf zur Folge. Um dies auszu­gle­ichen, müssten sich die Ernährungs­ge­wohn­heiten ändern: weniger flächen­in­ten­sive tierische, mehr pflanzliche Produkte.

„Die Schädigung von Ökosystemen setzt mehr CO2 frei als der weltweite Verkehr.“

Der in­dus­trielle Fischfang bedroht das ökologische Gle­ichgewicht. Die zunehmende Überfischung entzieht den kleinen Fischern in den ärmeren Ländern die Ex­is­ten­z­grund­lage. Dadurch ver­schlechtert sich nicht nur die Ernährung der lokalen Bevölkerung, sondern es entsteht auch ein teuer zu bezahlender sozialer Sprengstoff – aktuelles Beispiel ist die Piraterie vor Somalia. Auch Aquakul­turen, also die Zucht von Fischen und anderen Meer­estieren, schaden oft der Umwelt, denn sie zerstören beispiel­sweise empfind­liche Man­grovenge­bi­ete, die sich nur schwer re­gener­ieren. Fangquoten, Schutzge­bi­ete und Zer­ti­fizierung sind Ansätze einer nach­halti­gen Fis­cherei­wirtschaft.

Ökologische En­ergiev­er­sorgung

Die fossilen Brennstoffe werden nur noch wenige Jahrzehnte reichen, eine Umstellung auf erneuerbare Energien ist unumgänglich. Sie verursachen geringere ökologische Folgekosten und schaffen Arbeitsplätze. Allerdings hat die Energie aus Sonne, Wasser und Wind ebenfalls ihre Schat­ten­seiten: Nicht immer sind beispiel­sweise Wasserkraftan­la­gen mit den Bedürfnissen von Fischen und anderen Lebewesen zu vereinbaren; Windräder ver­schan­deln in den Augen mancher die Landschaft und sind laut; die Erzeugung von Biomasse verbraucht Anbauflächen, die für die Lebens­mit­tel­pro­duk­tion gebraucht werden. Auch haben die re­gen­er­a­tiven Energien rein quantitativ ihre Grenzen. Trotz vielver­sprechen­der Tech­nolo­gien muss darum die En­ergieef­fizienz deutlich gesteigert und der En­ergie­ver­brauch gesenkt werden.

Klimaschutz und Naturkatas­tro­phen

Die men­schengemachte Klimaveränderung wird inzwischen von den meisten Experten anerkannt. Die Folgen des Kli­mawan­dels sind enorm: Erderwärmung, weniger Niederschläge, mehr Unwetter und vieles mehr. Neben den Emissionen durch Produktion und Verkehr sind in erster Linie die zunehmende Abholzung der Wälder sowie die Vernichtung von Mooren und Feucht­ge­bi­eten für diese Entwicklung ve­r­ant­wortlich. Der Schutz dieser Flächen, die Erhaltung intakter Ökosysteme und eine ökologische Land­wirtschaft verbessern das Klima erheblich und sparen damit das Geld für Gegenmaßnahmen.

„Manches Na­tur­ereig­nis ist erst zu einer Katastrophe aus­gewach­sen, weil der Mensch zu sehr in die Natur einge­grif­fen hat.“

Viele Naturkatas­tro­phen sind das Ergebnis von direkten Eingriffen des Menschen in die Natur und führen zu hohen Folgekosten. Allein das Hochwasser an Donau und Elbe im Jahr 2002 verursachte in Deutschland Schäden im Wert von 9,2 Milliarden Euro. Die Natur selbst hilft dabei, solche Schäden zu verhindern oder zu begrenzen: Überflu­tungsflächen verhindern Hochwasser; Feucht­ge­bi­ete, Mangroven und Ko­ral­len­riffe bieten einen effektiven Küstenschutz; Bäume bremsen Lawinen; Wälder und Flussauen filtern das Trinkwasser; Bakterien bekämpfen Öl im Meer. Je intakter die Ökosysteme, desto effizienter funk­tion­ieren sie. Sind sie allerdings erst einmal kollabiert, sind die Gratisleis­tun­gen der Natur kaum mehr mit Geld aufzuwiegen.

Über die Autoren

Prof. Dr. Beate Jessel ist Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. Sie ist studierte Diplom-In­ge­nieurin und war Professorin an der Universität Erfurt und der Technischen Universität München. Geograf Olaf Tschimpke ist Präsident des Naturschutzbun­des Deutschland. Zudem ist er in ver­schiede­nen Stiftungsku­ra­to­rien und Aufsichtsräten aktiv. Ver­wal­tungswis­senschaftler Manfred Walser ist Pro­jek­tleiter an der Universität St. Gallen und Mitinhaber eines privaten Beratungsbüros für Kommunal- und Re­giona­len­twick­lung.