Wir haben die Wahl

Buch Wir haben die Wahl

Ein Plan zur Lösung der Klimakrise

Riemann,


Rezension

„Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, zitiert Al Gore den französischen Dichter Victor Hugo. Ohne Zweifel, die Zeit für eine En­ergiewende ist so reif wie ein Korb faulender Äpfel, der auf dem Speicher vergessen wurde. Leider hält das die von der Öl-, Kohle- und En­ergiein­dus­trie fi­nanzierten Lob­by­is­te­n­armeen nicht davon ab, Politiker zu schmieren und der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen; gewisse Medien lassen sich vor den gleichen Karren spannen. Der Reko­rd­win­ter 2009/2010 auf beiden Seiten des Atlantiks schaufelt zu allem Überfluss noch tonnenweise Schnee auf die Mühlen der Kli­maskep­tiker. Hämisch fallen sie über Gore her und werfen ihm vor, bewusst übertrieben und sich an der angeblichen „Klimalüge“ bereichert zu haben. Die Zeit mag reif sein für die Idee – viele Menschen sind es offenbar noch nicht. Genau deshalb ist dieses Buch so wichtig: Al Gore vermittelt Laien bilderreich und in klarer Sprache die nötigen In­for­ma­tio­nen und Emotionen, um entschlossen gegen die Vernebelungstak­tiken gewisser In­ter­es­sen­grup­pen vorzugehen. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die im Kampf gegen den Klimawandel keine Zeit mehr verlieren möchten.

Take-aways

  • Die Klimakrise ist lösbar. Was fehlt, ist der politische Wille.
  • Das En­ergiepoten­zial von Wind, Sonne und Geothermie ist unendlich.
  • Die Kosten für erneuerbare Energien werden in Zukunft drastisch sinken.
  • Sobald wir den wahren Preis für CO2 bezahlen, werden fossile Brennstoffe teurer.
  • Die Zerstörung der Wälder schadet dem Klima doppelt: CO2 entweicht in die Luft und wird nicht mehr von den Bäumen absorbiert.
  • Böden können große Mengen an Kohlenstoff aufnehmen – wenn sie ökologisch nachhaltig be­wirtschaftet werden.
  • Wir können unseren CO2-Fußabdruck wirksam verringern, indem wir weniger Energie ver­schwen­den.
  • Das Supernetz wird in der En­ergiewende eine ähnliche Rolle spielen wie das Internet in der In­for­ma­tion­srev­o­lu­tion.
  • Kli­maschutzmaßnahmen bekämpfen zugleich die Ursachen von Armut, Krieg und Terrorismus.
  • Unsere Kinder und Enkel werden uns zur Rechen­schaft ziehen für das, was wir heute tun oder unterlassen.
 

Zusammenfassung

Eine Botschaft für die Nachwelt

Der amerikanis­che Autor Kurt Vonnegut schlug vor knapp 20 Jahren vor, dass wir vor dem ökologischen Kollaps unseres Planeten die folgende Nachricht für außerirdische Besucher hin­ter­lassen sollten: „Vielleicht hätten wir uns retten können, aber wir waren zu faul, es ernsthaft anzupacken – und zu kleinkari­ert.“ Es liegt an uns, unseren Kindern und Enkelkindern das Gegenteil zu beweisen. Eine gute Nachricht zum Kohlen­dioxid, dem Klimakiller Nummer eins: Wenn wir ab morgen kein überschüssiges, d. h. von der Natur nicht ab­sorbier­bares CO2 mehr produzieren würden, würde die Hälfte des vom Menschen verur­sachten Treib­haus­gases innerhalb von 30 Jahren aus der Atmosphäre ver­schwinden. Und die schlechte: Der Rest wird sehr viel langsamer abgebaut werden. 20 % des Kohlen­diox­ids, das wir in diesem Jahr in die Luft pusten, werden die Erdatmosphäre noch in 1000 Jahren aufheizen.

Erneuerbare Energien

Wir müssen von fossilen Brennstof­fen wie Kohle, Erdöl und Erdgas loskommen. Insgesamt produzieren sie 86,5 % der von uns genutzten Primärenergie – Energie, die uns unterm Strich ein Vermögen kostet. Denn die Kosten für die Umweltver­schmutzung und die geopoli­tis­che Instabilität sind in den Mark­t­preisen nicht inbegriffen. In den erneuer­baren Energien steckt hingegen ein riesiges ungenutztes Potenzial: 50 Tage Sonnenlicht enthalten z. B. so viel Energie, wie durch die Verbrennung sämtlicher Öl-, Kohle- und Erdgasvorräte auf der Erde gewonnen würde. Die Kosten für erneuerbare Energien werden in Zukunft drastisch zurückgehen. Das Moore’sche Gesetz, wonach die Spe­icherka­pazität von Com­put­er­chips sich alle 18–24 Monate verdoppelt, schuf die Grundlagen für die In­for­ma­tion­srev­o­lu­tion. Auf ähnliche Weise werden In­no­va­tio­nen, Ef­fizien­zsteigerun­gen und Skalen­wirkun­gen die Kosten für umwelt­fre­undliche Tech­nolo­gien senken. Und wenn die In­fra­struk­tur erst einmal steht, ist der „Brennstoff“ kostenlos:

  • Solar: In Sonnenwärmekraftwerken wird Wasser durch riesige Spiegel erhitzt und über Turbinen in Strom umgewandelt. Eine andere Methode besteht darin, über fo­to­voltais­che Zellen Sonnenlicht direkt in Elektrizität umwandeln. Die Fotovoltaik profitiert enorm von Skalen­ef­fek­ten, die sich durch höhere Pro­duk­tion­szahlen ergeben.
  • Wind: Windenergie basiert auf einer aus­gereiften und ver­gle­ich­sweise kostengünstigen Technologie. Der Ausbau potenter Off­shore-Wind­parks hat gerade erst begonnen. Die natürlichen Schwankun­gen von Wind- und So­laren­ergie bleiben allerdings ein Problem: Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, fließt kein Strom. Plug-in-Hy­brid­fahrzeuge könnten als fahrende En­ergiespe­icher einen Ausgleich schaffen.
  • Geothermie: Energie aus dem Innern der Erde steht für mehr als heiße Quellen, Vulkane und Geysire. Moderne ge­ot­her­mis­che Anlagen zapfen Hitze mehrere Kilometer tief unter der Erde an, sodass heute viele Regionen dafür infrage kommen. Wärmeaus­tausch­pumpen nutzen Erdwärme dezentral zum Heizen und Kühlen von Gebäuden.
  • Nachwach­sende Rohstoffe: Nicht alles, auf dem „erneuerbar“ steht, ist kli­mafre­undlich: Die Herstellung von Kraft­stof­fen aus Nahrungsmit­teln wie Mais schadet mehr, als sie nützt. Biokraft­stoffe der zweiten Generation werden hingegen aus schnell wachsenden Pflanzen mit hohem Zel­lu­losege­halt und aus organischen Abfällen gewonnen. Auf Mülldeponien entstehen durch Zer­set­zung­sprozesse beträchtliche Mengen an klimaschädlichem Methangas, das ohne große Zusatzkosten abgefangen und in Energie umgewandelt werden kann.
  • CO2-Ab­schei­dung und -Spe­icherung: Die Technologie verspricht zurzeit mehr, als sie halten kann. Erstens müsste man für die en­ergiein­ten­sive Abscheidung ein Drittel mehr Kohle verfeuern, um den gleichen Stand der Stromerzeu­gung zu halten. Zweitens gibt es nach wie vor keine sicheren Lagermöglichkeiten für das verflüssigte CO2. Drittens würden die vielen anderen umweltschädlichen Be­gleit­er­schei­n­un­gen der Kohlegewin­nung und -ve­r­ar­beitung weiter bestehen. Die Kohlein­dus­trie nährt die Illusion, dass die Technologie kurz vor einem Durchbruch stünde, um weiter Kraftwerke bauen zu können. Umgekehrt tut sie aber nichts, sie zu realisieren.
  • Kernenergie: Ein Hauptgrund für den langjährigen Niedergang der Atomkraft ist die Tatsache, dass sie schlicht un­wirtschaftlich ist. Kein privater Investor will heute noch sein Geld dafür hergeben. Zudem birgt die Wieder­auf­bere­itung von nuklearem Brennstoff das Risiko, dass waffenfähiges Plutonium in die Hände von Terroristen gerät. Und der CO2-Fußabdruck dieser Technologie ist größer als sein Ruf: Er beträgt zwar nur ein Drittel im Vergleich zur Kohle, aber das Acht- bis Dreißigfache ver­gle­ich­barer Wind-, Solar- oder Ge­ot­her­miekraftwerke.

Wälder als grüne Lungen bewahren

Zwischen 20 und 23 % der globalen CO2-Emis­sio­nen entstehen durch die Abholzung von Wäldern. Jedes Jahr ver­schwindet eine riesige Fläche Wald von unserem Planeten. Dem Klima schadet das gleich doppelt: Bei der üblichen Brandrodung entweicht das im Holz gebundene CO2. Und verbrannte Bäume sind nicht mehr in der Lage, CO2 aus der Luft zu absorbieren. Doch Wälder tun noch viel mehr: Sie verhindern Bo­den­ero­sion und Verwüstung, speichern Feuchtigkeit und lassen Wolken regnen. Um zu verhindern, dass weiterhin Millionen Hektar tropischen Regenwaldes in Weideland oder Palmölplantagen verwandelt werden, müssen wir den Wald aufwerten. Wenn man Bäume an ihrer Fähigkeit messen würde, CO2 zu „atmen“, wären sie mit einem Schlag mehr wert als das Holz ihrer Stämme oder der Boden, auf dem sie stehen. Experten schätzen, dass die weltweite Entwaldung bei einem Preis von 30 $ pro Tonne CO2 um 80 % reduziert würde.

Potente CO2-Kammern im Boden

Jeder Gärtner weiß: Je schwärzer der Boden, desto fruchtbarer ist er. Der Grund ist der Kohlenstoff. In unseren Böden lagert ca. viermal so viel Kohlenstoff wie in den darauf wachsenden Pflanzen und doppelt so viel, wie sich gegenwärtig in der Atmosphäre befindet. Ökologisch nachhaltige An­baumeth­o­den sind zugleich kli­mafre­undlich, da sie die Böden mit Kohlenstoff anreichern. Möglichkeiten sind:

  • Direktsaat ohne Pflügen: Pflanzen­reste bleiben liegen, damit sich der Boden von selbst regeneriert und gegen Erosion geschützt wird.
  • Schutz von Feucht­ge­bi­eten und Torfmoorwäldern: Diese enthalten – noch vor den arktischen Permafrostböden – die größten Kohlen­stof­fre­ser­ven.
  • Abhängigkeit von Stickstoffdünger reduzieren: Er ist en­ergiein­ten­siv in der Herstellung, verschmutzt Gewässer und verringert den Kohlen­stof­fge­halt der Böden.
  • An­reizsys­teme verändern: Landwirte müssen für die An­re­icherung, nicht den Abbau von Kohlenstoff in ihren Böden belohnt werden.
  • Einsatz von Biokohle: Sie wird hergestellt, indem Biomasse sauer­stof­farm verbrannt wird. Biokohle hilft den Böden, sich zu re­gener­ieren, und entzieht der Atmosphäre CO2.
  • Einsatz von Knöllchen­bak­te­rien und Myk­o­r­rhiza­pilzen: Sie beschle­u­ni­gen die Bo­den­re­gen­er­a­tion und unterstützen die Aufnahme von Kohlenstoff.
„Die Vereinigten Staaten borgen sich nach wie vor Geld von China, um Öl vom Persischen Golf zu kaufen und es auf eine Weise zu verbrennen, die den Planeten zerstört. Das muss sich ändern, und zwar komplett.“

Besser bestellte Böden könnten nach Ansicht von Experten bis zu 15 % der von fossilen Brennstof­fen verur­sachten Emissionen pro Jahr aufnehmen. Viele der genannten Methoden würden vor allem den armen Ländern zugutekom­men und dazu beitragen, drohende Hungerkatas­tro­phen abzuwenden.

Weniger ist mehr – Energie sparen

Am schnellsten und einfachsten können wir CO2-Emis­sio­nen reduzieren, indem wir weniger Energie ver­schwen­den. Einige Möglichkeiten:

  • Energie zweimal nutzen: Die meisten amerikanis­chen Kraftwerke gewinnen nur aus einem Drittel der Energieträger Elektrizität. Durch Kraft-Wärme-Kop­plung lässt sich diese Menge verdoppeln: Anstatt die bei der Stromerzeu­gung anfallende Wärme verpuffen zu lassen, wird sie zum Heizen oder – per Wärmetauscher – Kühlen von Gebäuden genutzt.
  • Prozesse verbessern: z. B. in­ef­fiziente In­dus­triemo­toren durch ef­fizien­tere austauschen.
  • Recyceln: Papier, Getränkeflaschen und -dosen, Bau­ma­te­ri­alien usw. wiederver­w­erten.
  • Grüner wohnen: bessere Isolierung, modernes Fen­s­ter­de­sign, ef­fizien­tere Licht­sys­teme, Warmwasser­sys­teme, Haushalts­geräte einsetzen.
„Die Wahl ist Ehrfurcht gebietend und potenziell für die Ewigkeit. Sie liegt in den Händen der heutigen Generation. Es ist eine Entschei­dung, um die wir uns nicht drücken können, und eine Wahl, die von allen noch kommenden Gen­er­a­tio­nen betrauert oder gefeiert werden wird.“

Ef­fizien­zsteigerung ist wie Geld­ver­mehrung: Jeder ausgegebene Dollar zahlt sich doppelt aus. Leider fehlt in den USA das technische Rückgrat für viele der vorgeschla­ge­nen Maßnahmen: ein neues Hochspan­nungsstrom­netz, das Supernetz. Dieses könnte schwankende Stromein­speisun­gen z. B. aus Solar- und Wind­kraftwerken über weite Ent­fer­nun­gen und ohne große Verluste trans­portieren. In­tel­li­gente, online gesteuerte Verteil­er­netze würden eine wech­sel­seit­ige Kom­mu­nika­tion zwischen Stro­man­bi­etern und Ver­brauch­ern erlauben.

Ein neues Steuer­mod­ell

Unser Wirtschafts- und Fi­nanzsys­tem krankt an chronischer Kurzsichtigkeit: Vor 50 Jahren hielten Investoren Aktien durch­schnit­tlich sieben Jahre. Im August 2009 waren es noch sechs Monate. Manager versuchen durch aben­teuer­liche Zahle­nakro­batik die Quar­talsergeb­nisse hochzutreiben, anstatt in langfristige, nachhaltige Ziele zu investieren. Dramatisch schwankende Ölpreise und inkon­se­quente Fördermaßnahmen führen dazu, dass In­vesti­tio­nen in erneuerbare Energien einer Achter­bah­n­fahrt gleichen. Diese irreführenden Mark­t­mech­a­nis­men lassen sich nur durch eine Kombination der folgenden Maßnahmen korrigieren: eine Steuer auf alle CO2-Emis­sio­nen, Emis­sion­shan­del mit festen Obergrenzen und die direkte Regulierung von Treib­haus­gase­mis­sio­nen über Gesetze. Für das Steuer­mod­ell werden sich in den USA vorerst keine politischen Mehrheiten finden. Auf lange Sicht geht aber kein Weg daran vorbei.

Fragen, die uns unsere Kinder stellen werden

In den USA kommen auf jeden Ab­ge­ord­neten vier von der Kohle-, Öl- und En­ergiein­dus­trie bezahlte Lobbyisten. Die Koalition der größten Klimasünder beschloss bereits Anfang der 90er Jahre, „die globale Erwärmung als Theorie statt als Tatsache neu zu po­si­tion­ieren“. Erdacht wurde die Kampagne übrigens von den gleichen Strategen, die zuvor im Dienst der Tabakin­dus­trie die Schädlichkeit von Tabak geleugnet hatten. Die Medien spielen ihnen in die Hände, indem sie mit einer scheinob­jek­tiven „Ein­er­seits-an­der­er­seits“-Berichter­stat­tung so tun, als gehe es beim Klimawandel um politische Meinungen statt um wis­senschaftlichen Konsens. Moderne In­for­ma­tion­stech­nolo­gien können helfen, den Nebel aus erkauften Lügen zu durch­drin­gen und die Her­aus­forderung des Kli­mawan­dels sicht- und begreifbar zu machen. IT-An­wen­dun­gen wie interaktive Strommesser haben das Potenzial, unser Verhalten nachhaltig zu verändern. Und das Internet ermöglicht es Aktivisten weltweit, sich zu vernetzen, Wissen auszu­tauschen und sich politisch zu or­gan­isieren. Nach­fol­gende Gen­er­a­tio­nen werden einmal auf diese Zeit, in der wir leben, zurückschauen und uns eine von zwei Fragen stellen. Entweder: Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Habt ihr die Warnungen nicht gehört? Oder: Wie habt ihr den Mut gefunden, die Klimakrise abzuwenden? Es liegt an uns, welche dieser beiden Fragen wir in 30 Jahren beantworten.

Über den Autor

Al Gore war von 1993 bis 2001 Vizepräsident unter Bill Clinton. Bereits vor seiner erfolglosen US-Präsidentschaft­skan­di­datur gegen George W. Bush engagierte Gore sich für den Umweltschutz. Sein Doku­men­tarfilm Eine unbequeme Wahrheit wurde 2007 mit einem Oscar aus­geze­ich­net. Im selben Jahr erhielt er zusammen mit dem Weltk­li­marat den Frieden­sno­bel­preis.