Innovation ist nicht Erfindung
Wir befinden uns in einer Phase großer Umbrüche in allen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft. Für Unternehmen bedeutet das, dass sie sich anpassen müssen, oder besser: Sie müssen sich laufend weiterentwickeln. Flexibilität, Kreativität und Ideenreichtum werden zur Pflicht. Der Bedarf an neuen Geschäftsmodellen und Märkten ist enorm. Unternehmen werden sich um ihre Fähigkeit zur Innovation rasch Gedanken machen müssen, wenn sie auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen wollen.
„Wir befinden uns am Anfang einer neuen Ära, die ihren Fokus auf die Innovation von Geschäftsmodellen richtet.“
Der Begriff Innovation wird auf die Entwicklung neuer Produkte bezogen und oft mit Erfindung verwechselt. Es geht beim Innovieren aber um viel mehr: darum, neue Märkte und neue Geschäftsmodelle zu schaffen. Produktvarianten und neue Dienstleistungen sind nur Mittel zum Zweck. Sie stellen nicht die eigentliche Innovation dar. Echte Innovatoren sind z. B. eBay, Amazon, Google, Apple oder Dell. Denken Sie an den iPod von Apple in Kombination mit der Internetplattform iTunes zum Downloaden von Inhalten – beides zusammen hatte und hat gewaltige Auswirkungen auf die gesamte Musik- und Filmwirtschaft. Dell entwickelte nicht den Computer neu, wohl aber die Art, wie PCs zusammengestellt und gekauft werden. Und eBay etablierte eine völlig neue Einkaufsmethode: online und als Gemeinschaftserlebnis.
Die Innovationszone: eine Brutstätte
Wirklich innovative Unternehmen haben erkannt, dass Innovation ein Prozess ist, bei dem neue Werte geschaffen werden. Das kann grundlegende Veränderungen in den Unternehmensabläufen oder gar eine strategische Neuausrichtung nötig machen. Innovationen sind daher immer risikobehaftet, und sie bedrohen erfolgreiche Produkte oder Modelle der Vergangenheit. Nichts bleibt, wie es war, wenn sich eine Innovation als erfolgreich herausstellt. Daher machen viele Unternehmen bei einer neuen Erfindung oder Produktvariante Halt und wagen den nächsten Schritt zur echten Innovation nicht.
„Innovation ist ein Veränderungsprozess mit messbarem Wert.“
Um dem Innovationsprozess in einem Unternehmen einen geschützten Raum zu geben, braucht es eine Innovationszone. Damit ist ein Umfeld gemeint, in dem Ideen aufgenommen, geprüft, bewertet, weiterentwickelt, ausprobiert und auch in die Praxis umgesetzt werden können – ohne das Tagesgeschäft zu beeinträchtigen. Als Innovationszone kann eine Abteilung, ein Team, ein interner, webbasierter Bereich oder auch eine gut organisierte Ideenwoche dienen.
Den Innovationsablauf gestalten
Unternehmen, die als innovativ gelten, haben einen genauen Weg definiert, den neue Ideen durchlaufen. Es ist nie der geniale Gedankenblitz eines Einzelnen, der zu Umwälzungen von Geschäftsmodellen und Märkten führt, sondern die harte kollektive Arbeit, die Gesamtheit vieler einzelner Schritte.
„Ironischerweise ist Innovation nicht kompliziert. Das heißt aber nicht, dass Innovation einfach ist.“
Unternehmen, die innovativ sind, sind dies dauerhaft, und nicht nur in Einzelfällen – nämlich, weil sie es müssen. Sie wissen, dass Innovation nicht selbstverständlich ist. Sie haben einen formellen Prozess etabliert und eine Person trägt die Verantwortung für die Entwicklung und Betreuung von Innovationen. Für Erfinder und Ideeneinreicher bestehen klar definierte finanzielle Anreize oder Belohnungen. Es gibt Prüfkriterien, die auf jede Idee anwendbar sind, und klare Bewertungen. Alle eingereichten Ideen werden in einem dafür eingerichteten Informationssystem gesammelt und archiviert. Denn nicht jede Idee ist zu ihrem Entwicklungszeitpunkt reif für eine Umsetzung. Es ist durchaus möglich, dass eine Lösung entwickelt wird, für die es noch gar kein Problem gibt.
Beispiel Partners HealthCare
Die im Gesundheitsbereich tätige US-Firma Partners HealthCare, die u. a. Krankenhäuser betreibt, hat für die Entwicklung von Ideen eine eigene Geschäftseinheit gegründet: die Research Ventures & Licensing (RVL). Sie stellt die Innovationszone des Unternehmens dar. Dieser Einheit gelang es, Ideen aufzugreifen, die das Gesundheitspersonal (Ärzte, Pfleger, Forscher) von Partners HealthCare entwickelte. Allein im Jahr 2006 lancierte RVL insgesamt 449 Erfindungen, von denen rund 50 % zur Patentierung eingereicht wurden. RVL brachte zwölf Firmenneugründungen hervor und erzielte 327 Millionen US-Dollar an Lizenzeinnahmen aus ihren Erfindungen und Ideen. RVL kann bei neuen Ideen auf einen Pool von Rechtsanwälten, Herstellern, Projektleitern und Risikospezialisten zurückgreifen. So können Ideen, die die Bewertungsprüfung bestanden haben, schnell und effizient auf den Markt gebracht werden.
Innovation braucht Führung
Ob Innovation in einem Unternehmen verankert ist, hängt vom Management ab. Ihm obliegt es, eine Kultur des Innovierens zu schaffen, einen klaren Entwicklungsprozess zu etablieren und für permanente Innovation einzutreten. Dabei gilt es, das aktuelle Geschäftsmodell und die Entwicklung von Innovationen zunächst getrennt zu halten. Machen Sie sich die Kernkompetenz Ihres Unternehmens bewusst, die meist bereits mit dessen Gründung definiert wurde. Laut Andy Grove, dem früheren Generaldirektor bei Intel, ist die Kernkompetenz seines Unternehmens, sich um die „Eingeweide des modernen Computings“ zu kümmern. Das umfasst sämtliches Innenleben eines Computers, ob Siliziumwafer, Transistoren oder Mikroschaltkreise, und lässt viel Spielraum für neue Entwicklungen. Wenn sich die Führungsetage traut, auch die Kunden in Neuentwicklungen einzubeziehen, sind die Weichen richtig gestellt. Fragen Sie Ihre Kunden, ob sie das Unternehmen für innovativ halten und welche Werte sie daraus ableiten. Denn auf die Erschaffung neuer Werte, Erlebnisse und Verhaltensweisen kommt es bei Innovationen an.
Innovation im Internetzeitalter
Früher wurden Erfindungen in Labors gemacht; auch F&E-Abteilungen betrieben Forschung und kamen zu neuen Ergebnissen. Im aktuellen, vom Internet geprägten Zeitalter ist Erfindung und Innovation aber zunehmend die Sache von Kollektiven – Open-Source-Software wie Linux oder Typo3 haben es vorgemacht. Viele Internetplattformen leben davon, dass zahlreiche Menschen ihre Inhalte hochladen und anderen zur Verfügung stellen. Ideen, Ansätze, Meinungen oder Verbesserungsvorschläge gehen mit wenigen Klicks um die Welt, über Zeit- und Ländergrenzen hinweg. Innovation findet heute nicht mehr rein unternehmensintern statt, so beängstigend das für manche klingen mag. Die Öffnung eigener und die Einbindung fremder Ressourcen wird in Zukunft zum Standard. Kunden werden an Innovationen beteiligt sein und im Gegenzug maßgeschneiderte, personalisierte Leistungen einfordern. Es wird egal sein, von wem eine gute Idee kommt – Hauptsache, sie kommt.
Beispiel Lego Mindstorms
Die Außenwelt an Entwicklungen teilhaben zu lassen bzw. sie gezielt dafür einzubinden, ist das Prinzip der „offenen Innovation“. Es verlangt radikales Umdenken von Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell und -geheimnis bisher streng gehütet haben. Der Firma Lego kam die Hoheit über ihre Produkte abhanden, als Hacker – Lego-Kunden – in die Mindstorm-Robotersets eindrangen. Nach anfänglicher Konsternation bewertete Lego das vermeintliche Problem positiv: Man erkannte, dass man eine große Fangemeinde mit Entwicklerkenntnissen hatte. Heute gibt es die Lego-Online-Fabrik, wo Nutzer mithilfe einer webbasierten Designsoftware ihre eigenen, personalisierten Bausysteme erstellen können. Die neueste Roboterentwicklung von Lego, Mindstorms NXT, wurde durch Nutzerkooperation entwickelt und von Kunden innoviert. Dies ist ein gutes Beispiel für Crowdsourcing, ein Verfahren, bei dem die Öffentlichkeit als Inspirationsgeber und Quelle für Erneuerungen genutzt wird, indem man ihr eine entsprechende Webplattform zur Verfügung stellt.
Lektionen in Sachen Innovation
Einige Unternehmen haben bereits ein funktionierendes Innovationssystem; es ist quasi in ihrer Firmen-DNS verankert. Unternehmen, die erfolgreich innovieren, zeichnen sich durch bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen aus:
- Ins Unbekannte hinein entwickeln: Jede Innovation verlässt bekanntes Terrain. Der Raumanzug der NASA etwa wurde für Umweltbedingungen entwickelt, die gänzlich unbekannt waren und erst in der Praxis erprobt werden konnten.
- Abbrechen, bevor es zu spät ist: Man muss frühzeitig erkennen, wann eine Innovation nur Geld verschlingt und in die Irre führt. Dann gilt es, beherzt abzubrechen.
- Den Erfolg der Vergangenheit hinter sich lassen: Wer innoviert, muss damit rechnen, neue Märkte zu kreieren, die das bisherige Produkt oder die Dienstleistung des Unternehmens obsolet machen. General Motors baute früher ausschließlich Fahrzeuge. Heute hat das Unternehmen noch eine andere wichtige Einnahmequelle: Das von GE unterstützte und in vielen Autos eingebaute Bedienungs- und Sicherheitssystem OnStar hat einen direkten Kontakt zum Kunden entstehen lassen, eine Beziehung, die sich auszahlt.
- Den Prozess in den Mittelpunkt stellen: Beim Innovieren können Sie auf viele neue Ideen stoßen, nach denen Sie eigentlich gar nicht gesucht haben. Der Firma 3M geht es seit Jahrzehnten so: Sie hat zahlreiche Lösungen für noch nicht akute Probleme parat. Die heute weltweit bekannten Post-ist entwickelte sie eher zufällig, weil sie einen neuartigen Klebstoff für Papier gefunden hatte.
- Bisheriges hinterfragen: Der Firma iRobot gelang es, das konventionelle Staubsaugen durch eine Innovation überflüssig zu machen. Sie verbesserte nicht einfach einen Staubsauger, sondern schaffte das Staubsaugen durch eine Person komplett ab, indem sie den Roomba entwickelte, einen Roboter, der das Staubsaugen selbstgesteuert übernimmt. Die Firma fokussierte auf einen neuen Wert: Zeitersparnis.
Innovationserfolg messen
Unternehmen, die sich mit Innovation beschäftigen, müssen sich auch mit der Messung ihrer Innovationskraft auseinandersetzen. Nur so kann das Ergebnis von Innovationen bewertet werden. Eine Messgröße ist die Geschwindigkeit, mit der innoviert wird. Sie wird anhand der Zeitspanne errechnet, die das Unternehmen benötigt, um von einer Idee zu einem Wert zu gelangen; je kürzer diese Zeitspanne, umso höher die Innovationsgeschwindigkeit. Eine weitere Messgröße ist die Wiederholungsrate, also die Antwort auf die Frage: Wie oft gelingt der Weg von der Idee zum Wert? Um diese Kennzahl zu steigern, können Sie Technologien wie z. B. Innovationsmanagementsysteme einsetzen, die Ihnen helfen, auf verschiedenste Ideen mit einer raschen Anpassung der Abläufe zu reagieren.
Innovation und Globalisierung
Innovation wird in Zukunft noch notwendiger als bisher. Die Globalisierung bringt völlig neues Denken, neues Handeln und neue Märkte mit sich. Innovationskraft muss als fester wirtschaftlicher Entwicklungsbestandteil definiert werden. Dabei sind vier Punkte von besonderer Bedeutung:
- Durch die Globalisierung verstärkt sich die Abhängigkeit der Staaten untereinander, in guten Zeiten ebenso wie während Krisen.
- Höhere Bildung wird unabdingbar, der Bedarf ist enorm.
- Innovationen müssen wirkungsvoll geschützt werden können. Zugleich müssen wir mit der richtigen Technik dafür sorgen, dass Ideenrohmaterial mit vielen geteilt und weiterentwickelt werden kann.
- Innovation muss die Umwelt berücksichtigen: Sie muss „grün“ sein, also den Geboten nachhaltigen Wirtschaftens genügen.