Sach- und Beziehungskulturen
Ein kurzer Small Talk mag in Deutschland für die Anbahnung einer Geschäftsbeziehung reichen, nicht aber in Ländern, die familien-, gruppen- und beziehungsorientiert sind. Ein asiatischer Geschäftspartner etwa will wahrscheinlich etwas über Ihre Familie erfahren – haben Sie keine, gelten Sie vielleicht sogar als verantwortungslos. Greifen Sie darum lieber zu einer Notlüge, als gar nicht zu antworten.
„Immer öfter haben Berufstätige heute vom heimischen Schreibtisch aus Kontakte mit Angehörigen verschiedener Kulturen.“
Gewöhnen Sie sich im internationalen Umfeld indirekte Kommunikationsweisen an. Hier können Sie von den Engländern lernen: „Eventuell“ und „vielleicht“, Ausdrücke, die in Deutschland, wo es um Genauigkeit und Perfektion geht, verpönt sind, mildern Ihre Aussagen ab. Die meisten Kulturen streben nach zwischenmenschlicher Harmonie. Daher eckt in der internationalen Kommunikation niemand so sehr an wie die Deutschen mit ihrer direkten und oft barsch wirkenden Art. Der kulturelle Hintergrund macht dies verständlich: In den wenigsten Kulturen wird so stark zwischen Sache und Person unterschieden wie in Deutschland. Beziehungsorientierte Kulturen sehen eine Kritik an einer Sache auch als eine Kritik an einer Person.
„Wer die so genannten ‚weichen Faktoren‘ vernachlässigt, bekommt rasch die harten Folgen zu spüren: Widerstände, Konflikte, Verzögerungen, Mehrkosten bis hin zum Scheitern von Projekten.“
Umgekehrt überhören Deutsche in Ländern wie England oder den USA allzu leicht kritische Bemerkungen und sogar Anweisungen. Denn diese erfolgen in abgeschwächter Form und werden oft als Tipps oder Anregungen verpackt. Die Amerikaner bringen Kritik gern auch beiläufig nach einer überschwänglichen Lobeshymne an. Die kulturellen Hintergründe: In England mischt man sich nicht gern in die Angelegenheiten seiner Mitarbeiter und Kollegen ein, und in den USA herrscht die Ideologie der gleichen Chancen und Rechte. Hierarchien werden daher möglichst kaschiert. Die Japaner kommunizieren noch indirekter. Hier liegt der Grund in ihrem Bestreben nach Höflichkeit und Respekt. Während Sie in den USA und in Deutschland eine Person loben dürfen, stößt dies in Japan, China, Russland und Polen auf Befremden, weil eine Leistung dort nicht von einem Einzelnen, sondern von der Gruppe vollbracht wird.
Verhandlungen und Verträge
Für viele Deutsche gibt es ein böses Erwachen, wenn sich Geschäftspartner anderer Kulturen nicht an vertragliche Abmachungen halten. Zwar ist man, wenn man auf die Einhaltung des Vertrages pocht, juristisch betrachtet im Recht, doch in manchen Ländern, etwa Frankreich oder Japan, werden Verträge als unverbindliche Richtschnur angesehen. Ändern sich irgendwelche Parameter, z. B. Wechselkurse oder Kosten für bestimmte Produkte, sehen sich die Vertragspartner berechtigt, ihr Handeln den neuen Bedingungen anzupassen.
„Mit kaum einem anderen Verhalten ecken wir derart oft an wie mit unserer direkten Art, anderen die Meinung zu sagen.“
Bereits im Vorfeld einer Verhandlung sollten Sie beachten, dass Japaner nur Partner gleicher Hierarchiestufe akzeptieren. Auf weitaus jüngere Verhandlungspartner lassen sie sich nicht ein. Da sie aber höflich sind, bringen sie dies meist nur versteckt zum Ausdruck. Ihr Harmoniebedürfnis führt auch dazu, dass sie gerade schwierigen Verhandlungspunkten aus dem Weg gehen und stattdessen weiter das thematisieren, was bereits geklärt ist.
Besprechungen mit multikulturellen Teilnehmern
Als Leiter einer Besprechung müssen Sie die kulturellen Hintergründe der Teilnehmer und ihrer Reaktionen berücksichtigen. Wenn Sie etwa um die Bewertung eines eigenen Vorschlags bitten, dürfte ein Deutscher geradeheraus seine Meinung präsentieren und womöglich mit Verbesserungsvorschlägen aufwarten. Ein Chinese muss zu seiner Stellungnahme erst aufgefordert werden, und dann wird er sich in der Regel lobend äußern. Nickt er freundlich während Ihrer Ausführungen, bedeutet das nicht zwangsweise Zustimmung: Er signalisiert nur, dass er Ihnen aufmerksam zuhört.
„Mit unserer ausgeprägten Sachlichkeit, die mit schonungsloser Offenheit und oft sogar mit Besserwisserei und Belehrung einhergeht, schockieren wir Angehörige beziehungsorientierter Kulturen regelrecht.“
Angehörige von hierarchiebetonten Gesellschaften interpretieren es als Schwäche, wenn der Vorgesetzte Mitarbeiter um ihre Einschätzung fragt, da dies für sie aussieht, als wüsste er nicht Bescheid. Und sie finden das Verhalten des Deutschen respektlos, der sich anmaßt, den Vorschlag seines Vorgesetzten tatsächlich zu beurteilen. Ein Brite wiederum wird der Bitte um Bewertung zwar nachkommen, aber es wird eher Lob und Zustimmung als Kritik zu vernehmen sein – es sei denn, man hört auf die Zwischentöne. Die direkte Äußerung des Deutschen empfindet der Brite als unhöflich. Mitglieder von gruppenorientierten Kulturen halten sich auch deswegen mit kritischen Tönen zurück, weil sie um Harmonie bemüht sind und daher Konflikten aus dem Weg gehen.
„Konflikte resultieren weniger aus Bosheit als vielmehr aus Missverständnissen.“
Brüskieren auch Sie nicht die Vertreter anderer Kulturen: Wenn Sie als Angehöriger einer Sachkultur einen Lösungsvorschlag von einem Mitglied einer personenorientierten Kultur nicht annehmen können, antworten Sie nicht mit einem direkten Nein. Stellen Sie stattdessen in Aussicht, bei Gelegenheit noch einmal darüber nachzudenken. Dadurch kann Ihr Gegenüber sein Gesicht wahren.
Paternalistische Führung in Indien
Eine besonders ausgeprägte Form des autoritären Führungsstils ist der Paternalismus, wie er vor allem in Indien vorkommt. Dort übernimmt der Firmenchef für seine Mitarbeiter gleichsam die Rolle eines Vaters, der auch über alle privaten Verhältnisse und Probleme Bescheid weiß. Er hilft in jeder Hinsicht, wo er nur kann, wodurch ein enormes gegenseitiges Vertrauenspotenzial aufgebaut wird.
„Während wir Deutschen (als sachorientierte Kultur) uns im Beruf gerne schriftlich informieren und austauschen, bevorzugen viele andere Kulturen die mündliche Kommunikation.“
Zugleich wird in Indien das Familienleben, wozu auch die weitere Verwandtschaft zählt, höher bewertet als der Beruf. So ist es dort durchaus üblich, dass ein Mitarbeiter zwei Tage lang nicht an seinem Arbeitsplatz erscheint, weil er einem Verwandten hilft, einen Wasserschaden zu beheben.
Da die Deutschen Arbeit und Privatleben strikt voneinander trennen, wäre dies für einen deutschen Projektleiter ein Konfliktfall. Ferner nehmen es Inder mit der Pünktlichkeit, Dringlichkeit und Zeitorientierung nicht so genau, zumal sie schicksalsgläubig sind und davon ausgehen, dass das Wesentliche im Leben vorherbestimmt ist. Wie führen Sie Mitarbeiter mit einem solchen kulturellen Hintergrund? Zerlegen Sie Arbeitsvorgaben in kleine Schritte und kontrollieren Sie deren Erfüllung. Machen Sie Ihre Mitarbeiter vermehrt mit Selbstständigkeit und Verantwortung vertraut, indem Sie sie zu lösungsorientiertem Denken anregen, wenn sie mit Fragen oder Problemen zu Ihnen kommen.
Schriftlich oder mündlich kommunizieren?
Es entspricht der ausgeprägten Sachorientierung der Deutschen, gut mit Regeln und schriftlichen Anweisungen umgehen zu können. Darum stellt für sie auch ein Auftrag per E-Mail kein Problem dar. In Beziehungskulturen, in denen eine emotionale Bindung zwischen den Geschäftspartnern für eine konstruktive berufliche Zusammenarbeit wichtig ist, sieht das ganz anders aus. Da können kurz und knapp formulierte E-Mails samt Nachfragen schon einmal liegen bleiben. Mit der Einhaltung von Terminen hapert es in Kulturen, in denen Zeitbegriffe dehnbar sind, ohnehin. Die effektive Kommunikationsrangfolge für gruppen- und beziehungsorientierte Kulturen wie beispielsweise Russland lautet darum: persönliches Gespräch, Videokonferenz, Telefonat – und wenn es schon eine E-Mail sein muss, dann bitte mit persönlicher Note.
Kollektivismus und Individualismus beim Teamwork
Einen Russen mutet es befremdlich an, wenn der Deutsche in der Arbeitspause allein in die Kantine geht. In Russland hat das Kollektiv noch überlebt. Arbeitsgemeinschaften machen vor dem Privaten und vor der Freizeit nicht halt. Dabei ordnet sich der Einzelne den Normen der Gemeinschaft unter. Er mag es nicht, wegen guter Leistungen gelobt zu werden, weil er dadurch aus dem Kollektiv herausragt. Chinesen und Japaner weisen – von Ausnahmen abgesehen – Lob ebenfalls von sich, wenn auch aus einem anderen Motiv, nämlich aus Bescheidenheit. Und auch die Briten pflegen aufgrund ihres Gemeinschaftsgefühls, sei es in Schule, Uni, Klub oder Arbeitsgemeinschaft, ihr sprichwörtliches Understatement. Kritik und Ablehnung formulieren sie meist so verhalten, dass sie immer wieder missverstanden werden.
„Wenn Sie auf den Britischen Inseln gut ankommen wollen, sollten Sie es sich angewöhnen, doppelt so oft ‚bitte‘, ‚danke‘ und ‚Verzeihung‘ zu sagen, als Sie es von hier kennen.“
Unterschiede lassen sich bereits zwischen den deutschsprachigen Nachbarländern erkennen: Während die Deutschen ausgesprochene Individualisten sind, bevorzugen Schweizer die Teamarbeit. Die Österreicher liegen dazwischen: Sie schätzen ihren persönlichen Freiraum, sind aber bereit, Fehler gemeinsam zu tragen. Bei den Schweizern wiederum ist es Usus, dass der Einzelne die Verantwortung für eine Fehlleistung übernimmt.
Perfektionismus und Improvisation
Unvorhergesehene Probleme während der Arbeit bringen Deutsche oftmals aus dem Konzept. Sie lieben es nämlich, nach einem festen Zeitplan, zielorientiert, gründlich und perfektionistisch zu arbeiten. Sie tun alles in ihrer Macht Stehende, um Unwägbarkeiten zu vermeiden. Nachteil des Perfektionismus: Die deutsche Belegschaft arbeitet starr, verpasst Chancen, die sich gerade ergeben, und hängt auch bei Kollegen fremder Kulturen die Messlatte ziemlich hoch. In anderen Ländern, etwa in Polen, ist dagegen das Improvisationstalent ein hoch geschätzter Wert. In Brasilien gibt es sogar mehrere Begriffe dafür. Während die Deutschen erst warten, bis ein Produkt ausgereift ist, handeln die Amerikaner, teilweise auch die Briten und Niederländer, rasch, bringen es trotz Mängel auf den Markt und bessern lieber erst hinterher nach. Sie besitzen eine höhere Fehlertoleranz.
Internationales Projektmanagement
Multikulturelle Teams arbeiten effektiver und kreativer als homogene Teams – sofern Missverständnisse ausgeräumt und förderliche Rahmenbedingungen vorhanden sind. Dazu gehört eine längere Anlaufphase, da gerade in kollektiv geprägten Kulturen der Beziehungs- und Vertrauensaufbau einen wichtigen Schlüssel zum Erfolg darstellt. Leider unterliegen deutsche Führungskräfte oft einem Mangel an Soft Skills, da sie in der Regel aufgrund ihrer Fachkompetenz und nicht ihrer sozialen Fähigkeiten aufgestiegen sind.
„Multikulturelle Teams sind homogenen Arbeitsgruppen in ihrer Effizienz immer dann überlegen, wenn es um neuartige und unstrukturierte Aufgaben geht.“
Die ersten Treffen einer Projektrunde sind erfolgsentscheidend. Stellen Sie Konzepte und Rezepte hintan und handeln Sie stattdessen situativ. Die Projektsprache ist oftmals englisch, aber nicht immer. Muttersprachler sollten ihre Sprachfähigkeiten u. U. bewusst zurückschrauben, um sich verständlich auszudrücken, beispielsweise indem sie kurze Sätze formulieren, langsamer und mit Pausen sprechen oder auf landesspezifische Redewendungen verzichten.
„Ein deutscher Projektleiter muss sich darauf einstellen, dass viele andere Kulturen eher an grobe als an sehr detaillierte Pläne gewöhnt sind und eher kurzfristig als langfristig denken.“
Thematisieren Sie als Projektleiter etwaige Schwierigkeiten und Konflikte innerhalb der Gruppe möglichst rasch und klären Sie deren Ursachen. In den meisten Fällen liegen sie in kulturellen Unterschieden und Missverständnissen. Freunden Sie sich damit an, sich von westlichen Standards zu verabschieden: Manchen Kulturen ist die sachliche Diskussion fremd, stattdessen geht es sehr laut und emotional zu. Anderswo wiederum ist es verpönt, sich gegenseitig zu bewerten und Feedbacks zu geben. Trotzdem braucht der Projektverlauf eine Strukturierung und auch die Prinzipien der Entscheidungsfindung müssen festgelegt werden. Besprechen Sie diese Aspekte mit Ihren Teammitgliedern. Fragen Sie sie, wie sie diese Angelegenheiten in ihrem Land handhaben, und einigen Sie sich auf eine Vorgehensweise.
„Für die Leitung multikultureller Teams gelten weder Technik noch Methodik, sondern Kommunikation und Beziehungsarbeit als die wesentlichen Erfolgsfaktoren.“
Besonders schwierig sind virtuelle multikulturelle Teams zu handhaben. Mindestens zu Beginn eines Projekts sollten sich alle Mitglieder physisch treffen, damit sie sich als Menschen kennen lernen können. Später agieren die Mitglieder gewöhnlich von ihrer gewohnten Umgebung aus, dennoch müssen sie sich anderen kulturellen Standards anpassen. Wählen Sie für virtuelle multikulturelle Teams von vornherein gezielt Mitarbeiter aus, die die nötigen Voraussetzungen und Erfahrungen mitbringen, z. B. solche, die selbstständiges Arbeiten gewöhnt sind.