Verhandeln kann man lernen
Verhandlungstalent ist nicht naturgegeben. Wer sich optimal vorbereitet, die Spielregeln beachtet, strukturiert vorgeht und die verschiedenen Stufen des Verhandlungsprozesses optimal managt, hat am Ende die Nase vorn. Erfolgreiche Verhandler haben fünf Kernkompetenzen, die ihnen helfen, alle Phasen einer Verhandlung zu meistern:
- Klärungskompetenz: Welche Machtverteilung liegt vor? Welche Verhandlungsstrategie wollen Sie verfolgen, welche Ziele erreichen?
- Interessen-Steuerungskompetenz: Wie bestimmen Sie die Interessen und Ziele Ihres Verhandlungspartners?
- Prozess-Steuerungskompetenz: Wie steuern Sie den gesamten Verhandlungsablauf?
- Kommunikations-Steuerungskompetenz: Wie verhandeln Sie effizient und bremsen unfaire Verhandlungspartner aus?
- Argumentations- und Überzeugungskompetenz: Wie räumen Sie Bedenken aus, wie kommen Sie zum Abschluss?
Situation klären
Der erste Schritt zum Erfolg ist die Identifikation der Stakeholder, also der Interessengruppen, die evtl. durch Widerstand den Abschluss gefährden könnten. Dazu gehören beispielsweise die Mitarbeiter, der Staat oder die Kapitalgeber. Listen Sie alle betroffenen Stakeholder auf und bewerten Sie sie hinsichtlich ihres Einflusses und ihres Interesses am Gesamtergebnis. Stakeholder mit niedrigem Interesse und Einfluss können sie ignorieren. Solche mit hohem Interesse und Einfluss müssen dagegen von Anfang an intensiv eingebunden werden, damit sie die Verhandlungen oder die erzielten Abschlüsse nicht torpedieren. Die Gruppen mit hohem Interesse, aber niedrigem Einfluss werden mit Nutzeninformationen beruhigt, jene mit hohem Einfluss und niedrigem Interesse müssen Sie als Unterstützer gewinnen.
„Sie entscheiden schon vor der Verhandlung, ob und wie Sie verhandeln wollen.“
In einem zweiten Schritt klären Sie die eigene Verhandlungsmacht. Sie wird bestimmt durch sachliche Faktoren (Kompetenzen, Glaubwürdigkeit) und durch persönliche Faktoren (Fachwissen, formelle Position). Grundsätzlich verhandelt man immer nur dann, wenn beide Parteien aufeinander angewiesen sind und keine ihre Interessen einseitig durchsetzen kann. Je ausgeglichener die Machtverteilung, desto kooperativer und kompromissbereiter müssen Sie sein. Haben Sie wenig Verhandlungsmacht, müssen Sie nachgeben, haben Sie viel, können Sie Ihre Forderungen ohne große Zugeständnisse durchsetzen. Allerdings sind die tatsächlichen Machtverhältnisse oft unklar und entsprechend anfällig für Manipulation. Zudem besteht das Risiko, dass einer der beiden Partner aussteigt; dann entsteht eine so genannte Verlierer-Verlierer-Situation.
„Verhandelt werden muss nur, wenn die Verhandlungsmacht auf beiden Parteien ähnlich verteilt ist.“
Im dritten Schritt formulieren Sie Ihre Verhandlungsziele mit der Methode der drei so genannten Brennglasziele: Bestimmen Sie Ihre Untergrenze (Rückzugsziel) und das für Sie optimale Ziel (Idealziel) sowie die dazwischenliegenden Ziele (Kernziele). Wichtig ist, dass die Ziele der SMART-Formel entsprechen, dass sie also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sind. Strukturieren Sie Ihre Ziele als hierarchische Zielkaskade: Auf der obersten Ebene befinden sich die gemeinsamen Verhandlungsziele, auf der zweiten die Interessen der beiden Partner. Auf der dritten Ebene liegen die jeweiligen Hauptziele, aus denen sich wiederum die verschiedenen Einzelziele der vierten Ebene ableiten.
Interessen steuern
Ergebnislose Verhandlungmarathons frustrieren. Wenn es Ihnen aber gelingt, Verhandlungen richtig zu steuern, machen sie Spaß und motivieren. Damit dies funktioniert, darf eine Verhandlung nicht unterfordernd oder langweilig, aber auch nicht zu schwierig sein. Gestalten Sie die Verhandlung also genau so, dass die bisherigen Leistungsgrenzen knapp überschritten werden – nur so kommen die Beteiligten in den Genuss eines Flow-Erlebnisses. Analysieren Sie außerdem, zu welchem Motivtyp Sie und Ihr Verhandlungspartner gehören (LKE-Diagnose): eher inhaltlich bzw. leistungsmotiviert (Typ L), sozial bzw. kontaktmotiviert (Typ K) oder macht- bzw. einflussmotiviert (Typ E)? Diese drei Motivtypen sind normalerweise sehr stabil. Wer seinen Verhandlungspartner richtig einordnet, kann auch dessen Interessen und Ziele besser einschätzen und damit in der Verhandlung die optimalen Angebote unterbreiten.
„Es ist nicht möglich, das Motivprofil Ihres Verhandlungspartners zu verändern.“
Um einen Partner zum Handeln zu bewegen, muss er grundsätzlich einen erkennbaren Nutzen aus der Verhandlung ziehen; sie muss sich für ihn lohnen. Oft müssen aber noch Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Befolgen Sie hierfür das so genannte Vier-Hürden-Modell: Analysieren Sie das momentane Problem Ihres Verhandlungspartners. Überlegen Sie sich, was er selbst tun kann, um seine Situation zu verbessern. Stellen Sie sich dann die Frage, welches Ergebnis er erreichen will, und klären Sie schließlich, welche längerfristigen Interessen er damit befriedigt. Wenn Ihnen all das bewusst ist, sollte es einfach sein, Ihren Verhandlungspartner zu motivieren. Wenn die vier Hürden überwunden sind, ist damit eine so genannte Rubikon-Entscheidung gefallen: Ab jetzt geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Stellschrauben zur Steigerung der Motivation sind: anspruchsvolle Anforderungen, vollständige Absprachen hinsichtlich der einzelnen Verhandlungsschritte, Verhandlungspunkte, die für die Erreichung individueller Ziele relevant sind, angemessene Handlungsspielräume und rasche Kommunikation der Verhandlungsergebnisse.
Prozesse steuern
Jede Verhandlung durchläuft verschiedene typische Phasen, die man weder beschleunigen noch überspringen kann.
„Menschen sind nur dann bereit zu handeln, wenn sie sich einen erkennbaren Nutzen versprechen.“
Nach der sehr wichtigen Planungsphase, die häufig aus Zeitgründen vernachlässigt wird, steht die eigentliche Verhandlung. Diese erfolgt in fünf Phasen, den so genannten KOALA-Phasen: In der Kontaktphase sorgen Sie für ein positives Gesprächsklima und finden mithilfe gezielter Zukunftsfragen (z. B. „Was sind anstehende Themen in Ihrem Unternehmen?“) heraus, zu welchem Motivationstyp Ihr Verhandlungspartner gehört. Sie sondieren seine Interessen und erhalten Hintergrundinfos. In der Organisationsphase klären Sie die Rahmenbedingungen, Entscheidungskriterien und Spielregeln der Verhandlung. Offene Regeln schützen vor Missverständnissen und Manipulationen. Dann kommen die Fakten auf den Tisch und Sie diskutieren die unterschiedlichen Interessen und Ziele (Analysephase). Erst jetzt fällt die Rubikon-Entscheidung Ihres Verhandlungspartners: die Entscheidung, ob er tatsächlich mit Ihnen – und nicht mit einem anderen Anbieter – nach einer Lösung suchen will. Danach geht es an die Entwicklung sinnvoller Lösungsoptionen (Lösungssuchphase).
„Jeder Verhandler muss mit miesen, oft kurzsichtigen Tricks der anderen Seite rechnen.“
Wichtig ist dabei Offenheit für neue und kreative Lösungsideen. Indem Sie schrittweise Zugeständnisse machen, tasten Sie sich in einer Art Pingpongspiel zunehmend an eine für beide Seiten tragbare Lösung heran, bis dann die eigentliche Entscheidung getroffen werden kann (Abschlussphase).
Häufig unterschätzt wird die nach der Verhandlung anstehende Reviewphase, in der Sie Bilanz ziehen.
Kommunikation steuern
Natürlich gibt es immer auch Verhandlungspartner, die Sie manipulieren wollen. Normalerweise sind das Anfänger, trotzdem sollte man auf sie vorbereitet sein, um gezielt gegensteuern zu können. Typische Manipulationen sind künstlicher Zeitdruck oder Versuche, Ihren Einfluss zu minimieren. Auch durch überzogene Versprechungen oder gezielte Fehlinformationen kann Ihre Entscheidung beeinflusst werden. Manche setzen Sie zudem mit emotionalem Stress (z. B. Erniedrigung) unter Druck. Andere wenden suggestive Taktiken wie Selbstbekräftigung an oder wollen Sie durch die Ansprache unbewusster Reiz-Reaktions-Muster zu Zugeständnissen verführen, etwa über den Mechanismus von Geschenk und Gegengeschenk. Aber Achtung: Nicht immer will die Gegenseite Sie manipulieren, oft hat sie einfach noch Informationsbedarf.
„Die Ebene der Einzelargumente ist die unwichtigste Ebene.“
Ihre wichtigste Abwehrmöglichkeit ist die Kenntnis dieser Manipulationsmethoden. Grundsätzlich können Sie sich entweder wehren, indem Sie sich verteidigen, beispielsweise indem Sie sich Zahlen belegen lassen. Oder Sie starten einen Gegenangriff, etwa indem Sie Gegendrohungen aufstellen. Letzteres ist aber immer mit dem Risiko der Eskalation verbunden.
„Einwände sind eigentlich nur ein Hilferuf Ihres Verhandlungspartners.“
Eleganter läuft es mit der Stopp-Konter-Methode: Stoppen Sie das unfaire Verhalten, indem Sie es öffentlich machen. Erziehen Sie Ihr Gegenüber in einem zweiten Schritt, etwa mithilfe eines konstruktiven Vorschlags, um die Verhandlung wieder in das richtige Fahrwasser zu lenken. Die hohe Kunst ist die Tit-for-tat-Methode: Bei manipulativem Verhalten schlagen Sie sofort zurück, machen aber gleich danach wieder ein kooperatives Angebot. Kooperiert der Verhandlungspartner, ist alles okay, wenn nicht, kommt die nächste Bestrafung mit anschließendem Kooperationsangebot – so lange, bis die Sache läuft.
„Die meisten Verhandlungen scheitern am Widerstand wichtiger Menschen im Verhandlungsumfeld.“
Zunehmend werden in Verhandlungen die Entscheidung, Beratung und Verhandlungsführung personell getrennt. Es kommen so genannte Ghost Negotiators zum Einsatz. Solche Personen arbeiten verdeckt und coachen den Verhandler aus dem Hintergrund, um das Ergebnis zu optimieren. Die eigentlichen Entscheidungen trifft dagegen eine dritte Person: der Decision Maker, der ebenfalls nicht direkt an den Verhandlungen teilnimmt.
Argumentieren und überzeugen
Damit Diskussionen erfolgreich verlaufen, bestimmen Sie zunächst die wichtigsten Bedürfnisse Ihres Verhandlungspartners. Listen Sie anschließend die Vorteile Ihres Unternehmens auf und wählen Sie die drei aus, die für Ihr Gegenüber am relevantesten sind. Präsentieren Sie diese Argumente nach der Sandwichmethode, also zuerst das stärkste, dann das schwächste und schließlich das mittlere Argument. Machen Sie dann Ihren Abschlussvorschlag. Scheuen Sie sich dabei nicht, Preise zu nennen! Wenn Sie keinen gangbaren Weg finden, entwickeln Sie mit den folgenden Schritten neue kreative Lösungen: Benennen Sie das Problem, analysieren Sie die Ursachen, sammeln Sie zusätzliche Lösungen in einem Ideenpool und entwickeln Sie Durchführungsvorschläge.
„Wählen Sie für Ihren speziellen Verhandlungspartner die drei wesentlichen Nutzenargumente aus.“
Oft sind Verhandlungen schwierig, weil viele Personen mit unterschiedlichen Zielen und Interessen am Tisch sitzen. In diesem Fall sollte man die Argumente und Vorschläge der Teilnehmer systematisch durchleuchten und, ähnlich wie bei der Bestimmung der Zielkaskade, in eine hierarchische Struktur bringen.
„Lassen Sie Ihrem Verhandlungspartner den Glauben, dass er gewonnen habe! Ein positiver Abschlusseindruck sichert Ihnen die Umsetzung!“
Oft bringen Verhandlungspartner auch Bedenken vor – Profis deuten dies nicht als störendes Querulantentum, sondern als Signal für einen berechtigten Klärungsbedarf. Deshalb sollten Sie Einwände nicht unterdrücken, sondern zulassen und durch aktives Zuhören zum Konkretisieren einladen. Stellen Sie zunächst sicher, dass es sich um den einzigen noch offenen Aspekt handelt (Isolation), klären Sie die Frage inhaltlich und prüfen Sie abschließend, ob wirklich alles erledigt ist. Kommen neue Einwände dazu, drehen Sie weitere Runden. Wenn es mehr als drei Durchgänge braucht, können Sie davon ausgehen, dass es sich um einen verdeckten Ausstiegswunsch handelt. Unterbrechen Sie in diesem Fall die Verhandlung oder beenden Sie sie, ohne jedoch die Tür zu erneuten Gesprächen zuzuschlagen.