Recycling war gestern, Cleaner Production ist heute
Umweltschutz kostet nicht nur, wie viele meinen, sondern kann Unternehmen helfen, Geld zu sparen. Das gelingt, wenn Sie systematisch Energie, Abwasser und Abfälle im Unternehmen analysieren und deren Verbrauch bzw. Ausstoß optimieren. Dabei hilft ein Ansatz, der als Cleaner Production bezeichnet wird. Er durchleuchtet alle wichtigen Produktionsprozesse und zielt darauf ab, die Kosten für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie für Energie zu senken und Abfall langfristig komplett zu vermeiden.
„Cleaner Production bedeutet, Prozesse so zu optimieren, dass die eingesetzten Ressourcen möglichst effizient in Produkte umgewandelt werden.“
Cleaner Production beruht auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz. Es fügt sich in die Anforderungen an ein ISO-zertifiziertes Umweltschutzmanagement, wie es für viele Betriebe vorgeschrieben ist, ein. Im klassischen Umweltschutz galt Recycling als das Nonplusultra, um Abfälle und Emissionen zu reduzieren. Heute widmet man sich beim vorausschauenden Umweltschutz der Frage, woher die Abfälle und Emissionen kommen und warum sie überhaupt zu Abfall geworden sind. Cleaner Production versucht also, das Problem sozusagen an der Wurzel zu packen. Es ist ein Konzept, das sowohl große als auch kleine Unternehmen anwenden können. Natürlich muss es jeweils firmenspezifisch umgesetzt werden, wobei Branchenkennzahlen und Beispiele anderer Unternehmen sowie zahlreiche Arbeitsblätter und Sicherheitsdatenblätter helfen können, individuelle Verbesserungen herbeizuführen.
An der Quelle ansetzen
Cleaner Production behandelt nicht nur die Symptome, sondern begibt sich an die Quelle des Problems. Das bedingt, dass alle Prozesse, die zur Produktion notwendig sind, genau unter die Lupe genommen werden. Ein Beispiel: In einem Presswerk hatte man erkannt, dass die Umrüstzeiten der Werkzeuge in den Pressen sehr lange dauerten. Man filmte an einer Beispielsmaschine mit einer Videokamera drei Werkzeugwechsel und analysierte anschließend mit den Mitarbeitern jeden Schritt, wobei Dauer und offensichtliche Fehler beim Wechsel notiert wurden. Daraufhin entwickelte man den idealen Ablauf und schuf die organisatorischen Voraussetzungen dafür: Material an der richtigen Stelle, kürzere Wege, bessere Schulungen zur Fehlervermeidung usw. Dadurch ließ sich der Werkzeugwechsel von vorher 20 Minuten auf acht Minuten verkürzen. Die Folge: bessere Auslastung, weniger Fehler, geringerer Materialverschleiß, motiviertere Mitarbeiter.
„Cleaner Production ist automatisch auch eine vereinfachte Version eines Umweltmanagementsystems.“
Zahlreiche einfache Verbesserungen im Betriebsablauf können die Kosten deutlich senken und den Ressourceneinsatz optimieren. Einige Beispiele:
- Nicht benötigte Apparate und Maschinen abschalten.
- Vorgaben für Reinigungsintervalle, zu verwendende Mittel und Werkzeuge einhalten.
- Viele verschiedene Reinigungsmittel auf wenige reduzieren.
- Reinigungs- und Wartungsintervalle hinterfragen.
- Lösungsmittel rückgewinnen.
- Mehrwegverpackungen einsetzen.
- Angeliefertes Verpackungsmaterial zum Verpacken/Schützen der ausgelieferten Ware wieder verwenden.
- Abfallvorrichtungen (Container, Müllbehälter) mit Aufschriften und Farbmarkierungen sauber trennen.
Die wahren Abfallkosten
Vielen Unternehmen ist das Potenzial nicht bekannt, das in einem verbesserten Einsatz der teuer gekauften Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie der notwendigen Energie steckt. Wer aber verstanden hat, dass Abfälle aus Materialien bestehen, die zuvor teuer eingekauft wurden, wird nach Möglichkeiten suchen, sie zu minimieren und so weit wie möglich der Produktion zuzuführen. Denn die Kosten, die vom Abfall verursacht werden, sind weitaus höher als die Entsorgungskosten allein. Das Beispiel einer Lackiererei zeigt dies deutlich: Sie verbraucht pro Jahr rund 4000 kg Lack zu einem Durchschnittspreis von 15 € pro Kilo. Beim Auftragen werden aus technischen Gründen jedoch nur 40 % des Lackes für das Objekt verwendet, der Rest landet als Lacknebel auf dem Boden. Dieser getrocknete Restmüll, rund 1000 kg jährlich, wird für 300 € pro Tonne entsorgt. Die Gesamtkosten liegen jedoch weit höher, denn sie beinhalten auch den Kaufpreis des zu 60 % nicht verwendeten, aber teuer eingekauften Lacks, was in diesem Fall mit 36 000 € zu Buche schlägt. Dieser Betrieb täte also gut daran, zu überlegen, ob man z. B. mit Lackierkabinen der Lackverschwendung Herr werden könnte.
So gehen Sie vor
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen Cleaner Production einführen möchten, sollten Sie das am besten mit einem Team angehen, das aus Mitarbeitern unterschiedlicher Abteilungen zusammengesetzt ist. So vereinen Sie verschiedene Kompetenzen. Planen Sie das Projekt detailliert. Die erste große Aufgabe ist eine saubere Zuordnung von Abfällen und Emissionen und den zugehörigen Kosten. Die folgenden Analyseverfahren können Ihnen dabei helfen:
- Input-Output-Analyse: Bei dieser Analyse geht es darum, Ineffizienzen aufzudecken. Sie basiert auf dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik: „Masse bleibt stets erhalten.“ Dieser Satz macht deutlich, dass eingesetzte Rohstoffe entweder direkt ins Produkt fließen oder in umgewandelter Form als Abfälle oder Emissionen übrig bleiben. Für die Analyse stellen Sie die Rohstoffe dem Produkt, die Hilfsstoffe den Nebenprodukten, die Betriebsstoffe dem Abfall und die eingesetzte Energie der Abwärme gegenüber. Die Daten für die Mengen und Kosten können Sie aus der Buchhaltung, dem Einkauf, der Produktion, dem Verkauf und evtl. der Abfallwirtschaft zusammentragen, um so ein Gesamtbild zu erhalten.
- Stoffstromanalyse: Sie ergänzt die Input-Output-Analyse und zeigt den Materialeinsatz, den Anfallort, die Mengen und Ursachen von Abfällen und Emissionen auf. Um die zu betrachtenden Stoffe auszuwählen, hat es sich bewährt, den Weg der zehn teuersten und der zehn giftigsten Rohstoffe sowie der zehn wichtigsten Abfälle Ihres Betriebes nachzuzeichnen. Anhand eines so erstellten Fließbildes können Sie erkennen, an welchen Stellen Abfälle entstehen und aus welchen Rohstoffen sie stammen.
- Energieanalyse: Bereits eine Kurzanalyse liefert hier wertvolle Aussagen. Dazu ist ein Gang durch das Unternehmen notwendig sowie eine Analyse aller vorhandenen energiebezogenen Dokumente (Stromverbrauch). Außerdem erfassen Sie Verbrauchsmuster, z. B. den täglichen, monatlichen und jährlichen Energieverbrauch sowie Spitzenzeiten/-verbräuche. Schließlich stellen Sie die Leistungen der wichtigsten Verbrauchsorte im Betrieb zusammen. Nun können Sie oft schon erkennen, wo es teure Spitzenverbräuche gibt, und überlegen, wie sich diese entzerren lassen. Oder Sie stellen z. B. fest, dass der Nachtverbrauch hoch ist, obwohl gar nichts produziert wird. Suchen Sie die Ursache, indem Sie die Mitarbeiter aus dem betreffenden Bereich hinzuziehen.
- Energieflussdiagramm: Es hilft Ihnen, die einzelnen Arbeitsschritte sichtbar zu machen, sie mit Zahlen zu versehen und so eine Basis für die anschließenden Verbesserungen zu schaffen. Neben typischen Verlustquellen wie zu hohem Drucklufteinsatz gibt es auch Lecks im Druckluftnetz, Isolationsschwachstellen in Heiz- und Kühlleitungen oder zu tiefe Stromspannungen: All diese Energiefresser können Sie eliminieren.
Vermeidungsoptionen finden
Sie haben verschiedene Energieflüsse, Stoffverbräuche und Prozessschritte sichtbar gemacht und kennen damit die Ist-Situation. Um Verbesserungen zu entwickeln, können Ihnen Fallbeispiele anderer Unternehmen, Branchenkennzahlen, Unterlagen der Cleaner-Production-Initiative sowie Sicherheitsdatenblätter oder technische Datenblätter Ihrer Lieferanten helfen. Diese können sich z. B. auf die ideale Rezeptur oder Dosierung, die bestmögliche technische Einstellung oder die ideale Luft- oder Raumtemperatur beziehen.
„Ein Projekt zur Einführung von Cleaner Production im Unternehmen lässt sich am besten anhand einer detaillierten Roadmap mit entsprechendem Meilensteinkonzept durchführen.“
Um zu kreativen und brauchbaren Lösungen zu gelangen, sollten Sie Mitarbeiter aus den betroffenen Bereichen einbinden. Es haben sich verschiedene Lösungsansätze bewährt, die Sie z. B. in Verbindung mit einem Brainstorming einsetzen können:
- Abfallkarton: Während einer Woche wird der gesamte Produktionsabfall in einem geeigneten Behältnis gesammelt und anschließend analysiert. Überlegen Sie, ob einzelne Teile ersetzt oder wiederverwendet werden können, warum das Material zu Abfall geworden ist und ob sich dies vermeiden ließe.
- 3 x Warum: Fragen Sie dreimal hintereinander, jedes Mal tiefer gehend, warum an einer bestimmten Stelle Abfall oder z. B. ein hoher Wasserverbrauch entstanden ist. Gehen Sie an den jeweiligen Verbrauchsort und prüfen Sie, ob dort durch einfache Maßnahmen (Bewusstseinsänderung der Mitarbeiter, Wasserzähler) bereits Einfluss genommen werden kann.
- Minus 5 %: Hier geht es ums Experimentieren. Sie könnten z. B. ausprobieren, ob sich die Dosierung bei einem Chemikalieneinsatz problemlos um 5 % reduzieren ließe, ohne Qualitätseinbußen in Kauf nehmen zu müssen. Das Gleiche gilt für den Einsatz von Reinigungsmitteln.
„Der Verbrauch an Energieträgern führt zu enormen Stoffflüssen.“
Die verschiedenen Ideen werden nun bewertet und auf ihre Umsetzbarkeit überprüft; die Investitionen und Einsparungen werden kalkuliert, dann wird entschieden. Wichtig: Cleaner Production ist kein einmaliger Prozess. Vielmehr entwickeln Sie mit ihm unternehmensspezifische Lösungen und eigene Kennzahlen, anhand derer sich auch zukünftig die Ressourceneffizienz messen lässt. Regelmäßige Messungen und Controlling der Kennzahlen sind daher unerlässlich und bilden ihrerseits die Basis für kontinuierliche Verbesserungen.
Cleaner Production im Verbund
Sie müssen Cleaner Production nicht unbedingt im Alleingang umsetzen. Ökoprofit ist ein ganzheitlicher Ansatz, der regionale Unternehmen miteinander verbindet und der eine nachhaltige Wirtschaftsweise zum Ziel hat. Der Ansatz wurde in Österreich seit 1994 von rund 180 Unternehmen unterschiedlichster Größe erprobt. Dabei kamen Ressourceneinsparungen von 40 Millionen Euro zusammen – und das ist nur die Summe der Einsparungen des ersten Jahres.
„Prozessänderungen führen meistens zu einer Veränderung im Energiebereich.“
Das Programm von Ökoprofit besteht aus gemeinsamen Workshops von Unternehmern unterschiedlicher Branchen, individueller Beratung, einer regionalen Auszeichnung und Arbeiten im Netzwerk, um Synergien zu nutzen. Zwei Beispiele:
- Ein Stahlwerk konnte nach Durchlaufen des Programms seinen Wärmeeinsatz pro Tonne Stahl um ganze 25 % reduzieren. Zudem speist es seitdem über 20 GWh Wärme ins Fernwärmenetz der Stadt ein.
- Ein Eloxierbetrieb konnte den Säure- und Laugenverbrauch um 50 % und den Wasserverbrauch um 95 % reduzieren.
„Das Entwickeln von Optionen zum vorsorgenden Umweltschutz ist das eigentliche Herz jedes Cleaner-Production-Projekts.“
Ob Regenwasser zur Kühlung genutzt wird, eine neue Kostenrechnung zu mehr Transparenz und damit zu genaueren Bestellmengen führt oder Prozesswasser durch Vakuumdestillation getrocknet und das Konzentrat als Nebenprodukt weiterverwendet wird – die Möglichkeiten, durch Cleaner Production Kosten zu sparen und umweltschonender zu handeln, sind enorm.
Dr. Johannes Fresner ist Geschäftsführer der Stenum GmbH in Graz und seit Jahren international als Berater im vorsorgenden Umweltschutz tätig. Er hat in rund 200 Betrieben Projekte zur Cleaner Production umgesetzt. Dr. Thomas Bürki ist beratender Ingenieur mit eigenem Unternehmen und Mitglied des Beratungsorgans der Schweizerischen Regierung für Fragen der Klimaänderung. Henning H. Sittel ist Berater im vorsorgenden Umweltschutz und Projektleiter bei der Effizienz-Agentur Nordrhein-Westfalen.