Wahre Werte

Buch Wahre Werte

Über Moral, Geld und die Zukunft

FinanzBuch,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Der Topbanker und Laien­priester Stephen Green hat vermutlich alles, was man sich für Geld kaufen kann. Dennoch schreibt er ein Buch darüber, wie die Kräfte des Marktes genutzt werden können, um die Armut zu beseitigen und das Gemeinwohl zu fördern. Sein Aufruf, durch den Dienst an der All­ge­mein­heit ein zufriedenerer Mensch zu werden, zieht sich zwar wie ein roter Faden durch das Buch, verläuft sich aber immer wieder in Schilderun­gen der Historie des Handels und der Glob­al­isierung. Der vielfältig gebildete Polit­ber­ater springt von einem Thema zum anderen und wieder zurück – ein Fest für geschichtlich und philosophisch In­ter­essierte, doch eher verwirrend für alle, die konkreten Rat suchen. So sind die von Green propagierten Lösungen zwar nicht neu, aber allemal in­spiri­erend. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Entschei­dungsträgern in Wirtschaft und Politik als ethischen Leitfaden für ihr Handeln.

Take-aways

  • Die Glob­al­isierung ist nicht das Produkt bewusster Entschei­dun­gen, sondern einfach ein Phänomen der Men­schheits­geschichte.
  • Der heutige Mensch muss sich mit immer neuen Un­ein­deutigkeiten au­seinan­der­set­zen.
  • Handel, Migration und Erfindungen haben zu immer mehr Konsum geführt.
  • Bevölkerungswach­s­tum und Verstädterung führen zu Vere­in­samung und stärken den Drang nach Selb­stver­wirk­lichung.
  • Der Wirtschaft­skrise kann mit Staat­saus­gaben ent­ge­gengewirkt werden.
  • Gle­ichzeitig müssen die Ursachen der Krise angegangen werden: zuvorderst die Überschul­dung der Staaten und das Liquiditäts­man­age­ment der Banken.
  • Es gibt keine Alternative zum Markt.
  • Selbst das Problem der Armut ist über den Markt lösbar. Mikrokred­ite für En­twick­lungsländer sind ein guter Ansatz.
  • Akzeptieren Sie die Tatsache, dass Sie eine Rolle auf dem globalen Basar spielen.
  • Folgen Sie Ihren moralischen Grundsätzen auch im Geschäftsleben.
 

Zusammenfassung

Verwirrende Realität

Die Finanzkrise hat im Frühling 2008 erst einmal Schluss gemacht mit den hohen Wach­s­tum­sraten der Weltwirtschaft. Die Angst vor der Inflation geht um, das Ver­braucherver­trauen ist auf dem Boden und in den En­twick­lungsländern verschärft sich der Hunger angesichts der steigenden Nahrungsmit­tel­preise. Die Menschen beginnen, an der Grund­struk­tur der Weltwirtschaft zu zweifeln. Durch die Glob­al­isierung sind die Länder immer stärker miteinander verbunden. Gewohntes verändert sich: So könnte die Supermacht USA schon bald als Wirtschaftsmo­tor der Welt abgelöst werden.

„Wenn die Grund­struk­tur der Weltwirtschaft bei aller Technologie und Aus­ge­feiltheit auf Sand und nicht auf festem Stein gebaut ist, wie lassen sich dann all unsere Anstren­gun­gen recht­fer­ti­gen?“

Der Mensch hat heute mit vielen Un­ein­deutigkeiten, mit einer ver­wirren­den Realität zu kämpfen. Dazu gehört die Frage, wie die Welt für unsere Enkel aussehen wird. Klimawandel, Konflikte und Pandemien lassen die Zukunft bedrohlich aussehen. Trotzdem geben wir die Hoffnung nicht auf, dass wir zu einer besseren Welt beitragen können. Dabei betrachten wir oft Familie, Freunde und Arbeit als getrennte Bereiche – eine Strategie um wenigstens im Ar­beit­sleben Gedanken über Recht und Unrecht zu vermeiden. Das ist kurzsichtig. Will man sein eigenes Ich erforschen, darf man die Suche danach nicht auf einzelne Bereiche beschränken.

Das Phänomen Glob­al­isierung

Trotz der Glob­al­isierung sind die Wet­tbe­werb­schan­cen immer noch sehr ungleich verteilt. Die kulturellen und regionalen Un­ter­schiede nehmen zu statt ab. Manche Wis­senschaftler sehen daher nicht in der Wirtschaft, sondern in Kultur und Religion den Keim für Konflikte. Doch auch das ist zu einfach. Menschen sind komplex. Die Glob­al­isierung hat zwar eine stärkere Vernetzung mit sich gebracht, die In­di­vid­u­alität aber bleibt: Die Menschen un­ter­schei­den sich hin­sichtlich Klasse, Sprache, Politik und Nationalität.

„Wir wissen, dass das Böse auf der Welt weit verbreitet ist, und dennoch glauben wir, dass etwas Besseres möglich ist – wir hoffen weiter, oft selbst wider alle Beweise für das Gegenteil.“

Die Frage, ob die Glob­al­isierung gut oder schlecht ist, kann nur schwer beantwortet werden. Sie ist nämlich nicht das Produkt bewusster Entschei­dun­gen, sondern einfach ein Phänomen der Men­schheits­geschichte. Sie wurde der Welt nicht von einzelnen Akteuren aufgezwun­gen, hat die Welt aber verändert – und wird dies weiterhin tun. So könnten z. B. die USA ihre Macht zugunsten Chinas, Indiens und Brasiliens einbüßen. Von allen Volk­swirtschaften wächst China heute am schnellsten. In 20 Jahren könnte sie die größte sein.

Der Handel als Wurzel der Glob­al­isierung

Im Verlauf von gut 150 000 Jahren breitete sich der Homo sapiens auf der Suche nach fruchtbarem Land und Nahrungsmit­teln über die Erde aus. Dabei entstand der Handel, der Motor der Glob­al­isierung. Während auch Tiere soziale Strukturen aufbauen, miteinander teilen und sich gegenseitig unterstützen, tauscht nur der Mensch sys­tem­a­tisch Waren und Di­en­stleis­tun­gen aus. Im Jahr 3000 v. Chr. tauschten sumerische Bauern mit Bewohnern der Sinaiwüste Getreide gegen Kupfer. Später lieferte China Seide für den römischen Adel, und im 16. Jahrhundert wurde Gold aus der Neuen Welt nach Europa trans­portiert. Aus all diesen Han­dels­beziehun­gen entwickelte sich der Massenkon­sum von heute. Der rasche Fortschritt des Konsums gründete auf der Verkettung dreier Faktoren im 19. Jahrhundert: Migration, neue Erfindungen und Handel.

„Die Wahrheit lautet, dass Glob­al­isierung weder ein Konzept noch eine Ideologie ist, sondern ein Phänomen.“

Zwischen 1870 und 1900 ver­dop­pel­ten sich in den großen Pro­duk­tionsländern die Einkommen. Der Erste Weltkrieg und die Große Depression setzten dem Wirtschaftswun­der aber ein jähes Ende. Welche Rolle sollte der Staat einnehmen – aktiv eingreifen oder sich vornehm zurückhalten? Der Ökonom Adam Smith vertrat im 18. Jahrhundert die Ansicht, man solle den Markt sich selbst überlassen. Nachfrage und Angebot regulieren sich nach Smith selbst – geleitet von einer „unsichtbare Hand“ –, wenn jeder Konsument selbst entscheiden kann, was er kauft, und jeder Produzent, was er verkauft. Das Ergebnis sei ein Zuwachs an Nutzen für die gesamte Gemein­schaft.

„Wir sind eine Welt, in der sich die Glob­al­isierung der men­schlichen Anwesenheit fortsetzt und beschle­u­nigt, ohne die In­di­vid­u­alität zu reduzieren.“

Einige Jahrzehnte nach Smith mischte sich David Ricardo in die Debatte, indem er das „Gesetz des kom­par­a­tiven Vorteils“ vorstellte: Zwei Länder, die zwei Güter miteinander handeln, steigern ihren Nutzen, wenn sich jedes Land auf die Produktion jenes Gutes verlegt, das es relativ zum anderen Land effizienter herstellen kann, selbst wenn eines der beiden Länder beide Güter effizienter herstellen könnte. Smith und Ricardo legten den Grundstein für die Theorien des Wettbewerbs und des freien Handels. Ihr berühmtester Opponent war Karl Marx, der den Untergang des Kap­i­tal­is­mus voraussagte. Der ist bekanntlich nicht eingetreten – weil der dem Kap­i­tal­is­mus zugrunde liegende Drang zum Handel so alt wie die Menschheit ist.

Von Arm und Reich und der Stadt

Nach den Ein­schnit­ten durch die Weltkriege und die Große Depression zeigte die Weltwirtschaft erst ab den 1950er Jahren wieder einen Aufschwung. Dessen Geschwindigkeit aber stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Im 20. Jahrhundert explodierte die Weltbevölkerung von 1,6 Mrd. auf 6,5 Mrd. Menschen. Gle­ichzeitig vergrößerte sich der Abstand zwischen Arm und Reich – heute leben mehr als eine Milliarde Menschen in großer Armut. Doch es gibt Hoffnung: Zwei der früher ärmsten Länder der Welt, China und Indien, mit 40 % der Weltbevölkerung, haben durch ihr rasantes Wirtschaftswach­s­tum einiges aufgeholt.

„Handel und Tauschgeschäfte zum bei­der­seit­i­gen Nutzen sowie die Ar­beit­steilung scheinen menschliche Uni­ver­salien zu sein.“

Dennoch leidet die Bevölkerung beider Länder unter Umweltschäden und Gesund­heit­sprob­le­men. Außerdem wandern die Menschen vom Land in die Stadt ab: In Indien waren es in den vergangenen sechs Jahrzehnten 300 Millionen Menschen, die es aus den Dörfern in die Städte zog. In China lebten 1950 ca. 13 % der Einwohner in Städten, 2050 werden es vo­raus­sichtlich schon 73 % sein. Städte sind anziehend: Sie bieten Kontakt und Vernetzung, Kli­maan­la­gen, Fernsehgeräte und Autos. Immer mehr Menschen wollen am globalen Basar teilnehmen, wodurch das Wachstum der Städte weiter begünstigt wird. Das hat Schat­ten­seiten: Gewohnte Familien- und Dorf­struk­turen brechen auf, das Leben der Menschen wird un­berechen­barer, die Kontrolle geht verloren. In der Einsamkeit inmitten der Masse steigt der Drang des Menschen nach Selb­stver­wirk­lichung. Dieser wird z. T. durch Konsum befriedigt. Der maßlose Konsum knapper Ressourcen ist jedoch eine Gefahr für zukünftige Gen­er­a­tio­nen.

Moral ist die Antwort auf die Finanzkrise

Die Finanzkrise, die im Jahr 2007 ihren Anfang nahm, hat den Kreditmarkt aus­getrock­net und in der Folge alle Wirtschafts­bere­iche in Mitlei­den­schaft gezogen. Warnsignale gab es genug: Die USA, der größte Schuldner der Welt, animierten ihre Bevölkerung zu kred­it­fi­nanziertem Konsum. Und während die USA kon­sum­ierten, häuften die Fer­ti­gungsna­tio­nen, die Ressourcenliefer­an­ten und die Anlagegüter­ex­por­teure massenhaft Liquidität an, die sie oft in US-Dollar anlegten. Durch diese Flut an Liquidität mussten sich die Gläubiger mit immer weniger Rendite für immer mehr Risiko zufrieden geben. Bald waren die In­vest­mentve­hikel so komplex, dass sie niemand mehr verstand. Das Vertrauen der Kap­i­tal­mark­t­teil­nehmer in den Markt schwand, und schließlich brach im September 2008 die In­vest­ment­bank Lehman Brothers zusammen. Die Banken scheuten sich, einander Kredite zu geben. Die Finanzkrise wurde zur Wirtschaft­skrise, die Auftragsbücher der Unternehmen blieben leer.

„Nichts scheint mehr heilig zu sein. Die Ranken des Konsumismus haben sich wie wild wucherndes Unkraut ihren Weg in jeden Winkel unseres Lebens gebahnt.“

Der Unterschied zwischen der Großen Depression der 1930er Jahre und der aktuellen Finanzkrise: Damals wollte keine Nation die Zügel in die Hand nehmen und gegen­s­teuern, heute sind Kon­junk­tur­pakete – vermehrte öffentliche Ausgaben oder Steuersenkun­gen – zur Ankurbelung der Wirtschaft an der Tage­sor­d­nung. Doch das reicht nicht: Auch die Ursachen der Krise müssen beseitigt werden: das Schulden­spiel der USA, die hohen Ver­schul­dungs­grade und das schlechte Liquiditäts­man­age­ment der Banken. Wie die neue Welt­fi­nan­zord­nung auch aussieht, diese vier Tatsachen sind zu berücksichtigen:

  1. Zum Markt, sei er nun ungerecht oder hochef­fizient, gibt es keine Alternative.
  2. Wir können die Uhr nicht zurückstellen und müssen aus den Fehlern der Ver­gan­gen­heit lernen.
  3. In der Krise braucht der Markt staatliche Eingriffe. Die Frage ist, ob die Staat­slenker so zusam­me­nar­beiten werden, dass die Dynamik des globalen Marktes erhalten bleibt und Exzesse vermieden werden.
  4. Die Wirtschafts­macht wird sich von Westen nach Osten verlagern.
„Armut ist gewiss nicht un­ver­mei­dlich und das Problem gewiss nicht unlösbar.“

Wir müssen das Vertrauen in den freien Markt wieder herstellen. Was der Kap­i­tal­is­mus heute benötigt, ist eine neue Moral. Das bedeutet, dass Menschen und In­sti­tu­tio­nen sich nicht allein danach richten, was per Gesetz erlaubt, sondern was auch aus ethischer Sicht in Ordnung ist.

Gemeinsam etwas bewegen

Warum sollten Sie Ihrem Nächsten helfen? Jeder Gefallen will heute mit einem Gegenge­fallen belohnt werden. Unser ganzes Leben wird zunehmend kom­merzial­isiert. Es scheint, dass es statt Individuen nur noch Konsumenten gibt. Deren Chan­cen­gle­ich­heit existiert nur theoretisch, tatsächlich ist sie auf eine Minderheit in den en­twick­el­ten Ländern beschränkt. Armut ist Realität – und müsste doch nicht sein: Würde man das Brut­toin­land­spro­dukt der Welt durch die Anzahl der Menschen dividieren, ergäbe dies ein Durch­schnitt­seinkom­men pro Kopf, das dem Lebens­stan­dard der Türkei oder Russlands entspräche. Das Problem ist die Praxis: Die Einkommen müssten gerecht verteilt werden, was einen globalen Konsens der Politiker erfordern würde. Das ist natürlich un­re­al­is­tisch.

„Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Dinge zum Verkauf stehen – einschließlich unserer eigenen Person.“

Hoffnungsträger sind und bleiben daher die Märkte. En­twick­lungsländer sind auf ausländische Di­rek­t­in­vesti­tio­nen und Sub­ven­tio­nen angewiesen. Aber auch Pri­vat­per­so­nen können einiges bewirken. Nehmen wir z. B. die Mikro­fi­nanzierung: Ein Wirtschafts­dozent aus Bangladesch, der spätere Frieden­sno­bel­preisträger Muhammad Yunus, verlieh in den 70er Jahren Kleinsummen an Wirtschaft­streibende, die sich das Geld ansonsten zu Wucherzin­sen hätten beschaffen müssen. Entgegen den Befürchtungen der tra­di­tionellen Banken, die Kredite an diese Personen abgelehnt hätten, waren die Aus­fall­raten sehr niedrig. Im Jahr 2006 prof­i­tierten bereits 90 Millionen Personen von Mikrokred­iten.

„Viele von uns haben keine andere Wahl, als sich auf diesem Markt zu behaupten und in all seiner Zweis­chnei­digkeit und Un­vol­lkom­men­heit zu leben und zu arbeiten.“

Der Markt bestimmt auch die Managergehälter – ein Thema, das heute vielfach Unbehagen auslöst. Die Unternehmen müssen bei der Vergütung die richtige Balance finden, sodass gute Leute behalten werden können und gle­ichzeitig profitables Wachstum möglich ist. Die Rolle der Regierungen ist es, mit Regulierung für Transparenz zu sorgen.

Am Basar teilnehmen oder aussteigen?

Akzeptieren Sie, dass Sie keine andere Wahl haben, als eine Rolle auf dem globalen Marktplatz zu spielen. Gehen Sie keinen faustischen Pakt ein, bei dem Sie Ihr Gewissen gegen Geld, Macht und Sex eintauschen. Folgen Sie stattdessen diesen Leitlinien auf dem Pfad zur Zufrieden­heit:

  • Bleiben Sie integer. Vertrauen und Ehrlichkeit machen überall auf der Welt ethisches Geschäftsgebaren aus.
  • Sehen Sie in den Mitmenschen den Zweck, und nicht das Mittel zur Erreichung der Ziele.
  • Nutzen Sie Ihren Ehrgeiz, um zum Gemeinwohl beizutragen.
  • Ihr Engagement für Familie, Arbeit, Freunde und das eigene Ich muss aus­bal­anciert sein.
  • Teilen Sie die Führung, doch behalten Sie die Ve­r­ant­wor­tung.
  • Fragen Sie sich, wie das, was Sie gerade tun, zum Wohlergehen aller beiträgt.

Über den Autor

Stephen Green ist Präsident des Bankenin­sti­tuts HSBC und wirtschaftlicher Berater des britischen Pre­mier­min­is­ters. Als Vor­sitzen­der der British Bankers’ Association ist er ein gefragter Redner zum Thema Nach­haltigkeit.