Öl wird knapp
Der Ölpreis ist aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise zwar gesunken, doch er wird bei einer wirtschaftlichen Erholung wieder dreistellige Dollarwerte je Barrel Öl erreichen. Wir verbrauchen in Boomzeiten schlicht zu viel Öl. Der drastische Preisanstieg vor der derzeitigen Krise war nur ein Vorspiel dessen, was auf uns zukommt. Denn die Ölförderung wird demnächst sinken. Das große Rätselraten, an dem sich viele beteiligen, dreht sich um die Frage, wann die tägliche Weltölförderung ihren nicht wiederholbaren Höhepunkt erreichen wird. Ab diesem Punkt wird die verfügbare Ölmenge sinken – und der Preis verrücktspielen. Probleme werden sich freilich schon ergeben, bevor die Knappheit dramatisch wird. Umso mehr, als es nicht möglich ist, den genauen Stand der Ölreserven zu beziffern. Die Statistiken werden geschönt, denn die Mitgliedsländer der OPEC haben einen Anreiz, ihre offiziell bekannt gegebenen Ölreserven in den Lagerstätten zu überschätzen: Je mehr Reserven sie beim Kartell deklarieren, desto mehr dürfen sie fördern und verkaufen.
„Die Ölvorkommen der Welt sind absolut ungleichmäßig verteilt.“
Ölfelder liefern nach ihrer Erschließung täglich immer mehr Öl, erreichen irgendwann ihr Fördermaximum und geben von diesem Zeitpunkt an immer weniger her. Das ist unausweichlich. Viele der großen Ölfelder werden bereits seit mehr als 30 Jahren angezapft, ihre Förderleistung geht seit einigen Jahren zurück. Kleine und neu entdeckte Ölfelder können diese riesigen Vorkommen nicht ersetzen. Einige Fachleute sehen die weltweite Förderung bereits heute auf ihrem Höhepunkt oder gar auf dem absteigenden Ast. Saudi-Arabien als Land mit den größten Ölreserven beteuert aber weiterhin, es habe in der Förderung den Zenit noch lange nicht überschritten.
Was passiert, wenn das Öl ausbleibt?
Kanada und Venezuela haben zwar ebenfalls noch große Ölreserven, aber ihre Öllagerstätten sind nur schwer auszubeuten. Es ist z. B. sehr aufwändig und kompliziert, Öl aus Schiefer zu gewinnen. Dieses so genannte unkonventionelle Öl kann die Lücke also nicht schließen. Die herkömmliche Ölförderung nutzt Lagerstätten, in denen flüssiges Öl tröpfchenweise in porösen Gesteinsschichten zu finden ist. Natürlicher Druck presst einen mehr oder minder großen Teil davon an die Oberfläche. Bei nachlassendem natürlichen Druck technisch nachzuhelfen, ist fehleranfällig und kein Wundermittel. Eine Öllagerstätte lässt sich nicht bis auf den letzten Tropfen auspressen.
„Das Öl treibt zwar unsere Automobile an und wärmt unsere Häuser, doch es unterhöhlt die meisten Länder, die es besitzen, und verpestet, neben Erdgas und Kohle, unsere Umwelt.“
Die Ölverknappung bedroht unseren Lebensstil. Pendeln und Einkaufen mit dem Auto werden sich nicht mehr rechnen. Einige Auguren entwerfen Katastrophenszenarien mit Hunger, Seuchen und Unruhen. Diese sind allerdings auch ohne Ölknappheit z. T. schon Realität geworden: bezeichnenderweise in den Ölstaaten.
Der Ressourcenfluch
Länder, die viel Öl haben, sind keineswegs zu beneiden. Die meisten sind gar nicht reich – außer an Problemen. Volkswirte sprechen vom „Ressourcenfluch“. Wenn Länder außer Rohstoffen kaum etwas exportieren, sind sie in der Regel arm dran. Das Schicksal des ganzen Landes hängt am Ölpreis, und wehe, er fällt. Gorbatschows Reformpolitik scheiterte u. a. daran, dass der Sowjetunion in jener Zeit ölpreisbedingt die Einnahmen wegbrachen. Doch auch bei hohem Ölpreis stellt sich meist kein Wohlstand ein, im Gegenteil. In einigen Ölstaaten herrscht Mangel – selbst an Benzin. Die meisten dieser Länder haben korrupte Regierungen und Behörden. Territorial- und Bürgerkriege sind nichts Ungewöhnliches. Norwegen ist die berühmte Ausnahme von der Regel: ein freies Land mit hohem Wachstum trotz Öl und Gas. Mit deutlichen Abstrichen in Sachen Freiheit folgen Brunei, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die anderen Öl exportierenden Länder sind tyrannisch, korrupt und, dem hohen Ölpreis zum Trotz, bettelarm. Wie kommt das?
Einheimische plündern Einheimische
Die Eliten der Ölländer enthalten ihren Völkern die Öleinnahmen vor. Wie sie das tun, ist von Land zu Land verschieden. Nigeria korrumpiert mit dem Geld seine Landesverwaltung. Saudi-Arabien finanziert Terrorismus. Fest steht immer: Die Gemeinden, in denen Öl gefunden wurde, werden nicht reich. Anders als etwa in den USA gehören Bodenschätze in fast keinem Land demjenigen, auf dessen Grundstück sie gefunden wurden. In der Regel werden die Regionen, in denen es Ölquellen gibt, von der Zentralregierung abgespeist und sie verarmen aufgrund der Umweltverschmutzung. Mit dem Öl gelangen immer auch giftige Stoffe an die Oberfläche. In Nigeria nähren die Umwelt- und Verteilungskonflikte den Kampf von Milizen um Macht und Unabhängigkeit. Saudi-Arabien löst den Streit um die Öleinnahmen durch Unterdrückung und Überwachung: In den ölreichen schiitischen Provinzen werden staatstreue Sunniten angesiedelt. Seit sich Ende der 1970er Jahre konservative Gläubige in Saudi-Arabien zum ersten Mal gegen den westlichen Lebensstil und dessen Ideale – seien es Fernsehen oder Bildung für Frauen – auflehnten, gibt sich das steinreiche saudische Königshaus besonders religiös. Erst finanzierte es Glaubenskrieger in Afghanistan, jetzt steckt es Milliarden Dollar in Koranschulen und Moscheen in aller Welt.
Industrieländer plündern Ölstaaten
Das Ölgeschäft ist so international wie politisch. Aus diesem Grund sind westliche Unternehmen und Politiker für die Misere mitverantwortlich. Die Regierungen der Industrieländer rechtfertigen ihre Toleranz gegenüber afrikanischen Diktatoren oft mit dem Wettstreit mit China. Die Firmen, die vor Ort fördern, z. B. amerikanische Multis wie Exxonmobil, haben mithilfe ihrer Regierung bei den Ölstaaten den Fuß in die Tür bekommen. Die politische Unterstützung kann sehr umfassend ausfallen. So stürzte die CIA im Jahr 1951 den unbequemen iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh, und die US-Armee führte zwei Golfkriege. Manchmal schaffen es die Ölkonzerne, die Potentaten der Ölstaaten über den Tisch zu ziehen. Dann zahlen sie nur einen Bruchteil dessen, was die Bohrlizenzen und Förderrechte wert sind.
„Um den Ressourcenfluch zu bannen, müsste man fast die Ressourcen selbst abschaffen.“
Doch selbst wenn sie mehr bezahlen, kommt beim einfachen Volk kaum etwas davon an. Das Bruttoinlandsprodukt von Äquatorialguinea z. B. liegt heute 40-mal höher als Anfang der 1990er Jahre, als dort Öl entdeckt wurde. Davon ist vor Ort aber nichts zu sehen, die Armut grassiert. Das liegt erstens daran, dass die Elite des Staats die Einnahmen über Offshorebanken in ihre Taschen leitet. Zweitens gibt es in der kapitalintensiven Ölindustrie nur wenige Arbeitsplätze. Häufig verrichten ausländische Wanderarbeiter die Bauarbeiten. Ihr Lebensbedarf und das Material werden importiert. Selbst in Saudi-Arabien herrscht hohe Arbeitslosigkeit – auch in Boomzeiten. Drittens führen die gigantischen Geldzuflüsse aus dem Ölverkauf indirekt dazu, dass die Kosten von Industrie und Landwirtschaft steigen.
Die Heimat wird verseucht
Viele Ölregionen erkennt man an ihren verseuchten Böden und Gewässern. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Abfackeln des Erdgases, das mit dem Erdöl ausströmt. Technisch wäre es möglich, dieses Gas zu nutzen oder es umweltschonend zurück in den Boden zu pressen. In den USA beispielsweise wird nur 1 % dieses Begleitgases abgebrannt. In den Entwicklungsländern aber wird es häufig an Ort und Stelle abgefackelt. Dabei werden Schwermetalle und krebserregende Stoffe frei. Was die Ölkonzerne an Wiedergutmachung leisten, klingt in den Hochglanzberichten auf den Aktionärsversammlungen wie eine tolle Sache. Vor Ort wird klar, dass es sich dabei oft um reine PR-Projekte handelt. Eine angeblich vorbildliche Siedlung von Shell in Nigeria beispielsweise ist leer und verlassen wie ein Potemkinsches Dorf. Die Infrastruktur ist nicht nutzbar, weil unvollständig. Ein Krankenhaus ist geschlossen, da niemand das Personal bezahlt.
Vergebliche Gegenwehr
Kalifornien ist der umweltbewussteste Bundesstaat der USA. Das hindert die Region nicht daran, Hauptabnehmer von Erdöl aus Ecuador zu sein – einem Land, in dem die Ölförderung für eine anhaltende Umweltkatastrophe verantwortlich ist. Kahlschlag von Regenwald, unkontrollierte Besiedlung, löchrige Pipelines, Verseuchung des Amazonas – die Liste der Umweltsünden ist lang. Der Konzern Chevron ist deswegen inzwischen vor einem ecuadorianischen Gericht verklagt worden. Solche Klagen waren bislang häufig aussichtslos, doch weil die politische Stimmung umschlagen hat, ist der juristische Weg nicht mehr völlig versperrt. Auseinandersetzungen vor Gericht sind allerdings langwierig.
„So wie die Menschen in den Industrieländern für ein neues Ethos eintreten müssen, so müssen auch ihre Regierungen auf eine gute Staatsführung in instabilen, aber rohstoffreichen Nationen hinwirken.“
Ob und wann gezahlt wird, zeigt sich erst nach Jahren. Es hat 14 Jahre gedauert, bis Exxon Schadenersatz für die Verschmutzung nach dem Tankerunglück der Exxon Valdez in Alaska geleistet hat. Vertreter von Ölkonzernen sind schwer haftbar zu machen, auch weil sie vor Gericht vorgeben können, im Auftrag und Interesse ihrer Regierungen zu handeln. In den Aufsichtsräten sitzen nicht ohne Grund Politiker und Militärs.
Die Gier der Bosse und Politiker
Der Ölkonzern BP versucht seit Mitte der 1990er Jahre, sich ein umweltfreundliches Image zuzulegen. Amerikanische Ölmultis betrachten diese Kampagne wie den Austritt aus der Kirche. Einige ihrer Vorstände bestreiten den Klimawandel. Andere behaupten, ihre Arbeit diene allein dem Verbraucher. Die exorbitant hohen Gehälter und Unternehmensgewinne aber zeigen: Es geht um den Profit, sonst nichts. Dass die westlichen Ölkonzerne und ihr Einfluss inzwischen schrumpfen, liegt daran, dass die Förderländer immer größere Bereiche der Ölindustrie verstaatlicht haben. Doch damit hat sich leider nichts zum Besseren gewendet: Auch Staatskonzerne richten verheerenden Schaden an – oft sogar noch mehr als die privaten.
„Wir verfügen über genügend Lösungsansätze; woran es mangelt, ist Entschlossenheit.“
Das gilt auch für die Ölgesellschaft Venezuelas, die Hugo Chávez in seinen Dienst gestellt hat. Der ehemalige Fallschirmspringer gelangte mit dem Versprechen ins Präsidentenamt, den Ölreichtum im Land gerechter zu verteilen. Die staatliche Erdölgesellschaft PDVSA war praktisch ein Staat im Staat, bis Chávez fast alle Mitarbeiter entließ. Er dekretierte, dass künftig zwei Drittel der Gewinne in die Staatskasse fließen sollten, und verpflichtete die Ölfirma, in soziale Projekte zu investieren und diese zu betreiben. Es entstanden Kliniken, Produktionskooperativen, Erwachsenenschulen, sogar subventionierte Lebensmittelgeschäfte. Wie Wladimir Putin in Russland gelang es auch Chávez in Venezuela, dank einer Phase hoher Ölpreise populär zu werden. Die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze reicht allerdings bei Weitem nicht aus. Da die sozialen Projekte allein von Öleinnahmen abhängen, sind sie nicht nachhaltig, sondern ein populistisches Strohfeuer.
Was zu tun ist
Der Fluch, den das Öl über die Welt gebracht hat, lässt sich nicht einfach mit einer neuen Technologie bannen. Die Lösung besteht vielmehr in vielen kleinen Schritten, die allesamt bereits heute gegangen werden können. Es ist möglich, Energie zu sparen. Neue Kohlekraftwerke sind keine Lösung, erneuerbare Energiequellen dagegen sehr wohl. Das Ölgeschäft sollte transparenter sein als bisher, damit die Missstände nicht mehr folgenlos bleiben.
„Die oberste Priorität darf nicht mehr lauten, an Öl ranzukommen, sondern vom Öl wegzukommen.“
Der Name der Nichtregierungsorganisation Publish What You Pay sollte Programm sein: Ölfirmen und Regierungen müssen offenlegen, was sie zahlen und empfangen. Damit würde der Vertraulichkeit, die Korruption begünstigt, die Grundlage entzogen. Noch veröffentlichen erst wenige Firmen und Länder ihre Verträge und Zahlungsströme im Ölgeschäft. Bürger und Regierungen in den Industrieländern sollten darauf drängen, dass demokratische Prinzipien in den Ölförderländern Einzug halten und Gräueltaten geächtet werden. Entscheidend ist, dass wir unsere Abhängigkeit vom Öl verringern – zum Wohl der Erdatmosphäre und der Menschen in den Ölregionen.