Öl

Buch Öl

Das blutige Geschäft

Droemer,


Rezension

Ob Geld glücklich macht, sei dahingestellt – Öl jedenfalls tut es nicht. Wie verheerend sich Ölfunde auf Länder und Landstriche auswirken, schildert der amerikanis­che Journalist Peter Maass sehr anschaulich. Er hat Fall­beispiele aus der ganzen Welt gesammelt und zeigt im Re­portagestil, dass das Ölgeschäft in jeder Hinsicht ein schmutziges ist. Selbst Charak­ter­stu­dien nutzt er, um die Verkom­men­heit von Managern und Potentaten zu demon­stri­eren. Aus all den Details ergibt sich aber kein komplettes Bild. Die Darstellung ist zu sehr darauf aus, alle Schuld dem Öl anzulasten. De­mentsprechend zu hoffen, dass die Konflikte enden, sobald das Öl versiegt, ist ebenso naiv wie der schlichte Appell an mehr Moral in Wirtschaft und Politik. Maass’ Kritik ist erhellend, aber könnte kon­struk­tiver sein. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die einen scho­nungslosen Einblick in die Abgründe des Ölgeschäfts bekommen wollen.

Take-aways

  • Der Ölpreis wird bald wieder stark steigen, denn die Ölreserven schrumpfen.
  • Die OPEC-Länder schönen ihre Statistiken: Je mehr Reserven sie deklarieren, desto mehr dürfen sie fördern.
  • Fast alle ölreichen Länder sind arm, korrupt und verseucht.
  • Die ein­heimis­chen Eliten bereichern sich an den Milliarden, die ihnen von ausländischen Ölge­sellschaften gezahlt werden.
  • Um die Ölmilliarden entbrennen Verteilungskämpfe, die bis zum Bürgerkrieg führen.
  • Das Auftauchen der Ölmultis sorgt in den be­tr­e­f­fenden Ländern zuverlässig für ein ökologisches und politisches Desaster.
  • Westliche Regierungen helfen den Ölkonzernen, sei es politisch, juristisch oder militärisch.
  • Ver­staatlichun­gen von Ölge­sellschaften haben die Lage der ein­heimis­chen Bevölkerung nicht verbessert.
  • Regierungen und Ölkonzerne sollten gezwungen werden, Verträge und Geld­trans­fers zu veröffentlichen.
  • Langfristig hilft nur eins: Wir müssen unsere Abhängigkeit vom Öl beenden.
 

Zusammenfassung

Öl wird knapp

Der Ölpreis ist aufgrund der Finanz- und Wirtschaft­skrise zwar gesunken, doch er wird bei einer wirtschaftlichen Erholung wieder dreis­tel­lige Dollarwerte je Barrel Öl erreichen. Wir verbrauchen in Boomzeiten schlicht zu viel Öl. Der drastische Preisanstieg vor der derzeitigen Krise war nur ein Vorspiel dessen, was auf uns zukommt. Denn die Ölförderung wird demnächst sinken. Das große Rätselraten, an dem sich viele beteiligen, dreht sich um die Frage, wann die tägliche Weltölförderung ihren nicht wieder­hol­baren Höhepunkt erreichen wird. Ab diesem Punkt wird die verfügbare Ölmenge sinken – und der Preis verrücktspielen. Probleme werden sich freilich schon ergeben, bevor die Knappheit dramatisch wird. Umso mehr, als es nicht möglich ist, den genauen Stand der Ölreserven zu beziffern. Die Statistiken werden geschönt, denn die Mitgliedsländer der OPEC haben einen Anreiz, ihre offiziell bekannt gegebenen Ölreserven in den Lagerstätten zu überschätzen: Je mehr Reserven sie beim Kartell deklarieren, desto mehr dürfen sie fördern und verkaufen.

„Die Ölvorkommen der Welt sind absolut ungleichmäßig verteilt.“

Ölfelder liefern nach ihrer Erschließung täglich immer mehr Öl, erreichen irgendwann ihr Fördermaximum und geben von diesem Zeitpunkt an immer weniger her. Das ist unauswe­ich­lich. Viele der großen Ölfelder werden bereits seit mehr als 30 Jahren angezapft, ihre Förder­leis­tung geht seit einigen Jahren zurück. Kleine und neu entdeckte Ölfelder können diese riesigen Vorkommen nicht ersetzen. Einige Fachleute sehen die weltweite Förderung bereits heute auf ihrem Höhepunkt oder gar auf dem ab­steigen­den Ast. Saudi-Ara­bien als Land mit den größten Ölreserven beteuert aber weiterhin, es habe in der Förderung den Zenit noch lange nicht überschrit­ten.

Was passiert, wenn das Öl ausbleibt?

Kanada und Venezuela haben zwar ebenfalls noch große Ölreserven, aber ihre Öllagerstätten sind nur schwer auszubeuten. Es ist z. B. sehr aufwändig und kompliziert, Öl aus Schiefer zu gewinnen. Dieses so genannte un­kon­ven­tionelle Öl kann die Lücke also nicht schließen. Die herkömmliche Ölförderung nutzt Lagerstätten, in denen flüssiges Öl tröpfchenweise in porösen Gesteinss­chichten zu finden ist. Natürlicher Druck presst einen mehr oder minder großen Teil davon an die Oberfläche. Bei nach­lassen­dem natürlichen Druck technisch nachzuhelfen, ist fehleranfällig und kein Wun­der­mit­tel. Eine Öllagerstätte lässt sich nicht bis auf den letzten Tropfen auspressen.

„Das Öl treibt zwar unsere Automobile an und wärmt unsere Häuser, doch es unterhöhlt die meisten Länder, die es besitzen, und verpestet, neben Erdgas und Kohle, unsere Umwelt.“

Die Ölverk­nap­pung bedroht unseren Lebensstil. Pendeln und Einkaufen mit dem Auto werden sich nicht mehr rechnen. Einige Auguren entwerfen Katas­tro­phen­szenar­ien mit Hunger, Seuchen und Unruhen. Diese sind allerdings auch ohne Ölknappheit z. T. schon Realität geworden: beze­ich­nen­der­weise in den Ölstaaten.

Der Ressourcenfluch

Länder, die viel Öl haben, sind keineswegs zu beneiden. Die meisten sind gar nicht reich – außer an Problemen. Volkswirte sprechen vom „Ressourcenfluch“. Wenn Länder außer Rohstoffen kaum etwas exportieren, sind sie in der Regel arm dran. Das Schicksal des ganzen Landes hängt am Ölpreis, und wehe, er fällt. Gor­batschows Re­form­poli­tik scheiterte u. a. daran, dass der Sowjetunion in jener Zeit ölpreis­be­d­ingt die Einnahmen wegbrachen. Doch auch bei hohem Ölpreis stellt sich meist kein Wohlstand ein, im Gegenteil. In einigen Ölstaaten herrscht Mangel – selbst an Benzin. Die meisten dieser Länder haben korrupte Regierungen und Behörden. Ter­ri­to­r­ial- und Bürgerkriege sind nichts Ungewöhnliches. Norwegen ist die berühmte Ausnahme von der Regel: ein freies Land mit hohem Wachstum trotz Öl und Gas. Mit deutlichen Abstrichen in Sachen Freiheit folgen Brunei, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die anderen Öl ex­portieren­den Länder sind tyrannisch, korrupt und, dem hohen Ölpreis zum Trotz, bettelarm. Wie kommt das?

Ein­heimis­che plündern Ein­heimis­che

Die Eliten der Ölländer enthalten ihren Völkern die Öleinnahmen vor. Wie sie das tun, ist von Land zu Land verschieden. Nigeria korrumpiert mit dem Geld seine Lan­desver­wal­tung. Saudi-Ara­bien finanziert Terrorismus. Fest steht immer: Die Gemeinden, in denen Öl gefunden wurde, werden nicht reich. Anders als etwa in den USA gehören Bodenschätze in fast keinem Land demjenigen, auf dessen Grundstück sie gefunden wurden. In der Regel werden die Regionen, in denen es Ölquellen gibt, von der Zen­tral­regierung abgespeist und sie verarmen aufgrund der Umweltver­schmutzung. Mit dem Öl gelangen immer auch giftige Stoffe an die Oberfläche. In Nigeria nähren die Umwelt- und Verteilungskon­flikte den Kampf von Milizen um Macht und Unabhängigkeit. Saudi-Ara­bien löst den Streit um die Öleinnahmen durch Unterdrückung und Überwachung: In den ölreichen schi­itis­chen Provinzen werden staatstreue Sunniten angesiedelt. Seit sich Ende der 1970er Jahre kon­ser­v­a­tive Gläubige in Saudi-Ara­bien zum ersten Mal gegen den westlichen Lebensstil und dessen Ideale – seien es Fernsehen oder Bildung für Frauen – auflehnten, gibt sich das steinreiche saudische Königshaus besonders religiös. Erst finanzierte es Glauben­skrieger in Afghanistan, jetzt steckt es Milliarden Dollar in Ko­ran­schulen und Moscheen in aller Welt.

Industrieländer plündern Ölstaaten

Das Ölgeschäft ist so in­ter­na­tional wie politisch. Aus diesem Grund sind westliche Unternehmen und Politiker für die Misere mitver­ant­wortlich. Die Regierungen der Industrieländer recht­fer­ti­gen ihre Toleranz gegenüber afrikanis­chen Diktatoren oft mit dem Wettstreit mit China. Die Firmen, die vor Ort fördern, z. B. amerikanis­che Multis wie Exxonmobil, haben mithilfe ihrer Regierung bei den Ölstaaten den Fuß in die Tür bekommen. Die politische Unterstützung kann sehr umfassend ausfallen. So stürzte die CIA im Jahr 1951 den unbequemen iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh, und die US-Armee führte zwei Golfkriege. Manchmal schaffen es die Ölkonzerne, die Potentaten der Ölstaaten über den Tisch zu ziehen. Dann zahlen sie nur einen Bruchteil dessen, was die Bohrl­izen­zen und Förderrechte wert sind.

„Um den Ressourcenfluch zu bannen, müsste man fast die Ressourcen selbst abschaffen.“

Doch selbst wenn sie mehr bezahlen, kommt beim einfachen Volk kaum etwas davon an. Das Brut­toin­land­spro­dukt von Äqua­to­ri­al­guinea z. B. liegt heute 40-mal höher als Anfang der 1990er Jahre, als dort Öl entdeckt wurde. Davon ist vor Ort aber nichts zu sehen, die Armut grassiert. Das liegt erstens daran, dass die Elite des Staats die Einnahmen über Off­shore­banken in ihre Taschen leitet. Zweitens gibt es in der kap­i­tal­in­ten­siven Ölindustrie nur wenige Arbeitsplätze. Häufig verrichten ausländische Wan­der­ar­beiter die Bauarbeiten. Ihr Lebens­be­darf und das Material werden importiert. Selbst in Saudi-Ara­bien herrscht hohe Ar­beit­slosigkeit – auch in Boomzeiten. Drittens führen die gi­gan­tis­chen Geldzuflüsse aus dem Ölverkauf indirekt dazu, dass die Kosten von Industrie und Land­wirtschaft steigen.

Die Heimat wird verseucht

Viele Ölregionen erkennt man an ihren verseuchten Böden und Gewässern. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Abfackeln des Erdgases, das mit dem Erdöl ausströmt. Technisch wäre es möglich, dieses Gas zu nutzen oder es umweltscho­nend zurück in den Boden zu pressen. In den USA beispiel­sweise wird nur 1 % dieses Be­gleit­gases abgebrannt. In den En­twick­lungsländern aber wird es häufig an Ort und Stelle abgefackelt. Dabei werden Schw­er­met­alle und kreb­ser­re­gende Stoffe frei. Was die Ölkonzerne an Wiedergut­machung leisten, klingt in den Hochglanzberichten auf den Aktionärsver­samm­lun­gen wie eine tolle Sache. Vor Ort wird klar, dass es sich dabei oft um reine PR-Projekte handelt. Eine angeblich vor­bildliche Siedlung von Shell in Nigeria beispiel­sweise ist leer und verlassen wie ein Potemkin­sches Dorf. Die In­fra­struk­tur ist nicht nutzbar, weil unvollständig. Ein Krankenhaus ist geschlossen, da niemand das Personal bezahlt.

Vergebliche Gegenwehr

Kalifornien ist der umwelt­be­wussteste Bundesstaat der USA. Das hindert die Region nicht daran, Haupt­ab­nehmer von Erdöl aus Ecuador zu sein – einem Land, in dem die Ölförderung für eine anhaltende Umweltkatas­tro­phe ve­r­ant­wortlich ist. Kahlschlag von Regenwald, un­kon­trol­lierte Besiedlung, löchrige Pipelines, Verseuchung des Amazonas – die Liste der Umweltsünden ist lang. Der Konzern Chevron ist deswegen inzwischen vor einem ecuado­ri­an­is­chen Gericht verklagt worden. Solche Klagen waren bislang häufig aus­sicht­s­los, doch weil die politische Stimmung umschlagen hat, ist der juristische Weg nicht mehr völlig versperrt. Au­seinan­der­set­zun­gen vor Gericht sind allerdings langwierig.

„So wie die Menschen in den Industrieländern für ein neues Ethos eintreten müssen, so müssen auch ihre Regierungen auf eine gute Staatsführung in instabilen, aber rohstof­fre­ichen Nationen hinwirken.“

Ob und wann gezahlt wird, zeigt sich erst nach Jahren. Es hat 14 Jahre gedauert, bis Exxon Schaden­er­satz für die Ver­schmutzung nach dem Tankerunglück der Exxon Valdez in Alaska geleistet hat. Vertreter von Ölkonzernen sind schwer haftbar zu machen, auch weil sie vor Gericht vorgeben können, im Auftrag und Interesse ihrer Regierungen zu handeln. In den Aufsichtsräten sitzen nicht ohne Grund Politiker und Militärs.

Die Gier der Bosse und Politiker

Der Ölkonzern BP versucht seit Mitte der 1990er Jahre, sich ein umwelt­fre­undliches Image zuzulegen. Amerikanis­che Ölmultis betrachten diese Kampagne wie den Austritt aus der Kirche. Einige ihrer Vorstände bestreiten den Klimawandel. Andere behaupten, ihre Arbeit diene allein dem Verbraucher. Die exorbitant hohen Gehälter und Un­ternehmensgewinne aber zeigen: Es geht um den Profit, sonst nichts. Dass die westlichen Ölkonzerne und ihr Einfluss inzwischen schrumpfen, liegt daran, dass die Förderländer immer größere Bereiche der Ölindustrie ver­staatlicht haben. Doch damit hat sich leider nichts zum Besseren gewendet: Auch Staatskonz­erne richten ver­heeren­den Schaden an – oft sogar noch mehr als die privaten.

„Wir verfügen über genügend Lösungsansätze; woran es mangelt, ist Entschlossen­heit.“

Das gilt auch für die Ölge­sellschaft Venezuelas, die Hugo Chávez in seinen Dienst gestellt hat. Der ehemalige Fallschirm­springer gelangte mit dem Versprechen ins Präsidentenamt, den Ölreichtum im Land gerechter zu verteilen. Die staatliche Erdölge­sellschaft PDVSA war praktisch ein Staat im Staat, bis Chávez fast alle Mitarbeiter entließ. Er dekretierte, dass künftig zwei Drittel der Gewinne in die Staatskasse fließen sollten, und verpflichtete die Ölfirma, in soziale Projekte zu investieren und diese zu betreiben. Es entstanden Kliniken, Pro­duk­tion­sko­op­er­a­tiven, Erwach­se­nen­schulen, sogar sub­ven­tion­ierte Lebens­mit­telgeschäfte. Wie Wladimir Putin in Russland gelang es auch Chávez in Venezuela, dank einer Phase hoher Ölpreise populär zu werden. Die Zahl der geschaf­fe­nen Arbeitsplätze reicht allerdings bei Weitem nicht aus. Da die sozialen Projekte allein von Öleinnahmen abhängen, sind sie nicht nachhaltig, sondern ein pop­ulis­tis­ches Strohfeuer.

Was zu tun ist

Der Fluch, den das Öl über die Welt gebracht hat, lässt sich nicht einfach mit einer neuen Technologie bannen. Die Lösung besteht vielmehr in vielen kleinen Schritten, die allesamt bereits heute gegangen werden können. Es ist möglich, Energie zu sparen. Neue Kohlekraftwerke sind keine Lösung, erneuerbare En­ergiequellen dagegen sehr wohl. Das Ölgeschäft sollte trans­par­enter sein als bisher, damit die Missstände nicht mehr folgenlos bleiben.

„Die oberste Priorität darf nicht mehr lauten, an Öl ranzukommen, sondern vom Öl wegzukommen.“

Der Name der Nichtregierung­sor­gan­i­sa­tion Publish What You Pay sollte Programm sein: Ölfirmen und Regierungen müssen offenlegen, was sie zahlen und empfangen. Damit würde der Ver­traulichkeit, die Korruption begünstigt, die Grundlage entzogen. Noch veröffentlichen erst wenige Firmen und Länder ihre Verträge und Zahlungsströme im Ölgeschäft. Bürger und Regierungen in den Industrieländern sollten darauf drängen, dass demokratis­che Prinzipien in den Ölförderländern Einzug halten und Gräueltaten geächtet werden. Entschei­dend ist, dass wir unsere Abhängigkeit vom Öl verringern – zum Wohl der Erdatmosphäre und der Menschen in den Ölregionen.

Über den Autor

Der amerikanis­che Journalist Peter Maass schreibt für das New York Times Magazine. Vorher hat er mehrere Jahre für die Washington Post aus Asien und Europa berichtet.