Banker und ihre Spießgesellen
Die Bedeutung des Finanzsektors für die Realwirtschaft steigt weltweit ständig an. Die Londoner City ist neben New York der wichtigste Finanzplatz der Welt. Insgesamt erwirtschaftet der Finanzsektor in diesem kleinen Gebiet rund 4 % des britischen Bruttoinlandsprodukts, der gesamte britische Finanzsektor erzielt 9–10 %. Von den vielen Bankern sind nur wenige tatsächlich mit hochspekulativen oder gar gefährlichen Transaktionen befasst. Diese viel kritisierten Investmentbanker verkaufen Wertpapiere und andere Finanzprodukte an Anleger, entweder an Finanzinstitute oder an Großkunden wie Versicherungen. Oft sind die entsprechenden Abteilungen der Banken zugleich Käufer und Verkäufer. Die Investmentbanker in der City sind überwiegend weiß, jung und männlich – und aufgrund ihrer Topeinkommen nicht selten ziemlich arrogant. Da der eigene Job stets auf der Kippe steht, haben sie Ellenbogen aus Stahl. Moralische oder politische Überzeugungen stören das Geschäft, dafür ist der Herdentrieb weit verbreitet. Die Provisionssysteme machen das schnelle Risiko besonders lukrativ: Kurzfristige Gewinne gehen aufs eigene Konto, spätere Verluste zahlen andere.
„Nicht die Hedgefonds haben die Katastrophe zu verantworten, sondern die regulierten Banken.“
Wichtige Kunden sind die oft kritisierten Hedgefonds, nicht zu verwechseln mit den so genannten Heuschrecken (Private-Equity-Gesellschaften), die in reale Unternehmen investieren. Hedgefonds investieren – wie klassische Investmentbanker auch – in Finanzprodukte. Ihr Ziel ist, eine überdurchschnittliche Rendite zu erzielen („Alpha“ genannt, im Gegensatz zu „Beta“, der üblichen Marktrendite). Hinzu kommen die Finanzierung über Fremdkapital, ein kurzer Zeithorizont und die Tatsache, dass solche Geschäfte kaum reguliert sind. Das sorgt in guten Jahren für satte Gewinne und Erfolgsbeteiligungen von über 20 %. Diese Supergewinne haben auch Banken dazu verführt, Zweckgesellschaften zu gründen, um eigene Hedgefonds aufzubauen.
„In der Praxis ist es oft schwierig, die Verkäufer- und die Käuferseite fein säuberlich zu trennen.“
Weitere Akteure am Markt sind die Notenbanken, allen voran die inzwischen stark kritisierte amerikanische Notenbank Fed. Deren liberale, gegen Regulierungen gerichtete Haltung und ihre lockere Geldpolitik führten dazu, dass die Liquidität auf dem Markt dauerhaft zu hoch war. Ähnlich liberal war die Haltung der britischen Nationalbank. Auch die Chinesen, die den Yuan an den Dollar koppelten, um ihre Exporte zu stärken, und die ihre Devisenüberschüsse in amerikanischen Staatsanleihen anlegten, sorgten dafür, dass die Kapitalmarktzinsen zu lange zu niedrig blieben. Reichlich billiges Geld und eine unzureichende Prüfung der Kreditnehmer verursachten eine Immobilienblase, speziell in den USA und in Großbritannien; die Preise stiegen explosionsartig.
Moral Hazard und giftige Papiere
Eine der wichtigsten Ursachen der Krise ist die folgende: Derjenige, der die Risiken eingeht, muss die Konsequenzen nicht selber tragen. Das verführt dazu, Risiken auf sich zu nehmen, die man sonst niemals eingehen würde. Für Banken heißt das: Die Gewinne bleiben bei ihnen, und bei möglichen Verlusten baut man darauf, dass sie im Zweifelsfall vom Staat aufgefangen werden – die Banken sind „too big to fail“, zu groß, um zu scheitern. Ein Missstand, der angesichts der spektakulären Rettungen von „systemrelevanten Banken“ und der zunehmenden Konzentrationsprozesse im Bankensektor offensichtlich geworden ist. Die Verstaatlichung der Banken ist keine Lösung für dieses Problem: Neue Moral Hazards, etwa Kreditvergabe nach politischen Kriterien, wären die Folge.
„Gewinne werden privatwirtschaftlich vereinnahmt, Verluste auf die Gesellschaft als Ganzes verteilt.“
Ein großer Teil des so genannten Giftmülls, der in den Bilanzen der Banken schlummerte und z. T. immer noch schlummert, sind Verbriefungen: Forderungen der Bank, etwa Immobilienkredite, werden gebündelt und weiterverkauft. Problematisch waren die daraus entwickelten neuen Produkte, die mehrfachen Weiterverbriefungen (Collateralized Debt Obligations, CDOs). Die Verbriefungen der ersten Stufe wurden in Risikoklassen eingeteilt, und zwar so, dass die höchste Risikoklasse als erste, die niedrigste als letzte für eventuelle Kreditausfälle haften musste. Werden die Verbriefungen der niedrigsten Klasse wieder verbrieft, wieder bewertet, wieder verbrieft usw., haftet die niedrigste Risikoklasse theoretisch irgendwann gar nicht mehr – denn bei geplatzten Krediten müssten zuerst alle anderen zahlen, bevor diese Papiere selbst betroffen wären. Klar, dass diesen Wirrwarr bald niemand mehr wirklich durchschaute. Trotzdem wurden solche CDOs mit der Traumnote AAA bewertet, und so machte man aus wackeligen Hypothekenkrediten an einkommensschwache Häuslebauer plötzlich scheinbar sichere Anlageprodukte. Dickes Bonbon: Die Verbriefungen waren für die ausgebenden Banken praktisch risikolos, da viele Investoren auf eine Kapitalunterlegung seitens der Banken verzichteten; außerdem kassierte man saftige Gebühren.
„So kam es, dass aus Hypotheken minderer Qualität AAA-geratete Wertpapiere wie Phoenix aus der Asche stiegen.“
Zu den CDOs kamen die Credit Default Swaps (CDS), Papiere, mit denen Investoren sich gegen eventuelle Ausfälle von Anleihen usw. versichern können. Dies ist grundsätzlich ein sinnvolles Finanzinstrument. Da der Markt allerdings völlig unreguliert ist und man außerdem keine Anleihe besitzen muss, um ein CDS zu erwerben, ist das ein hochspekulatives Geschäft. Bei angeschlagenen Unternehmen haben die Besitzer von CDS ein starkes Interesse, das Unternehmen in die Insolvenz zu treiben. Der Preis für CDS wiederum ist kein Marktpreis, sondern wird von den Vertragspartnern berechnet. Die Käuferbank ist also daran interessiert, das Risiko möglichst klein zu rechnen, um die damit verbundene Eigenkapitalunterlegung so gering wie möglich zu halten. Hier lauern immer noch große Gefahren in den Büchern der Banken.
Die Jagd nach Rendite
Der globale Handel, der Zusammenbruch des Ostblocks, der Aufstieg der Chinesen, die neuen Kommunikationsmedien – das sind nur einige Gründe, warum sich der Wettbewerb im Bankensektor seit den 1990er Jahren stark intensiviert hat. Die Eigenkapitalrendite musste steigen, was wiederum einen Einfluss auf den Aktienkurs und natürlich auf die Boni der Banker hatte.
„Eine Folge der Verschärfung des Wettbewerbs war die Jagd nach möglichst hohen Eigenkapitalrenditen.“
Ein Hebel für die hohen Eigenkapitalrenditen waren und sind die extrem überhöhten Gebühren für Bankdienstleistungen, insbesondere bei so genannten Leverage-Buy-outs (LBOs), also Arrangements von Geschäftsübernahmen durch Private-Equity-Gesellschaften. Gebühren brauchen (im Gegensatz zu Zinsen) keine Eigenkapitalunterlegung, treiben aber die Eigenkapitalrendite hoch. Dasselbe tun CDS und Verbriefungen, weil sie mit weniger Eigenkapital unterlegt werden müssen als die ihnen zugrunde liegenden Kredite bzw. Papiere. Zudem wurden die Banken von renditehungrigen Investoren getrieben: Die giftigen Papiere boten nämlich eine attraktive Rendite bei gleichzeitig scheinbar geringem Risiko – da griffen Anleger gerne zu. Das Verbriefungsrad drehte sich immer schneller, und solange alles gut ging, gerieten die Risiken aus dem Blickfeld.
„Das Problem liegt nicht in den Boni als solchen, sondern in den falschen Anreizen – aber auch in ihrer absurden Höhe.“
Die Ratingagenturen haben einen wesentlichen Beitrag zur Krise geleistet, weil sie selbst schlechte Papiere mit Spitzennoten belohnten. Zu kritisieren sind hier der mangelnde Wettbewerb – es gibt nur drei Institute –, die kaum vorhandene Aufsicht und die Tatsache, dass das bewertete Unternehmen das Rating selbst bezahlt. Die Aufsichtsbehörden haben versagt, z. T. weil ihr Personal schlechter bezahlt und folglich auch schlechter qualifiziert ist als das der Agenturen, z. T. wegen starrer bürokratischer Vorschriften und unzureichender gesetzlicher Befugnisse, z. T. auch wegen Kompetenzgerangel: Oft sind mehrere (in den USA nicht weniger als zehn) Behörden zuständig. Außerdem konnten die Aufsichtsbehörden oft nicht viel machen, selbst wenn sie wollten: Die Banken dürfen ihre Risiken selbst ermitteln.
„Die gute Benotung für Papiere, die sich als Giftmüll herausstellten, war ein bedeutender Faktor zur Auslösung der Krise.“
Dass die Eigenkapitalunterlegung mit dem Risiko stieg, lud im Übrigen regelrecht dazu ein, CDS zu kaufen oder Immobilienkredite durch Verbriefungen zu ersetzen, für die kein oder weniger Eigenkapital notwendig war. Außerdem gehören viele Finanzinstitute, auch die von den Banken gegründeten Zweckgesellschaften, zum so genannten Schattenbankensystem, das nicht der üblichen Bankenaufsicht unterliegt. In den Unternehmen der Realwirtschaft wiederum sorgte die Fokussierung auf den Shareholder-Value nicht unbedingt für die besten Entscheidungen: Oft wurde die Verschuldung hochgefahren, um Dividenden an Anleger auszuschütten. Auch die Privatanleger auf der Jagd nach Rendite haben ihr Scherflein zur Krise beigetragen. Und natürlich wollte die Politik – beraten von der Finanzlobby – den eigenen Finanzplatz im internationalen Wettbewerb nicht benachteiligen.
Die Krise
Die Krise begann im September 2007 mit dem Zusammenbruch der britischen Bausparkasse Northern Rock. Wenig später brachen in den USA zuerst Bear Stearns, kurz darauf Fannie Mae und Freddie Mac zusammen, die gemeinsam rund die Hälfte der amerikanischen Hypotheken hielten. Es folgten die Pleite von Lehman Brothers und die Probleme bei AIG mit dem anschließenden Zusammenbruch des gesamten Kartenhauses. Panik beherrschte die Märkte, alle wollten nur noch ihr Geld retten. Beispiellose milliardenschwere Rettungspakete der Finanzminister und Notenbanken waren die Konsequenz. Der ganz große Crash konnte so abgewendet werden – die Kosten tragen die Steuerzahler.
„Wenn die Notenbanken ihre extrem lockere Geldpolitik nicht bald zurückfahren, sind neue große Blasen zu erwarten.“
Die Folgen dieser Rettungspakete sind noch unklar: Geringeres Wirtschaftswachstum, Kürzungen der Staatshaushalte, Arbeitslosigkeit, Inflation oder Deflation – die Zukunft wird zeigen, wohin sich die Volkswirtschaften entwickeln. Sollte die lockere Geldpolitik noch lange anhalten, drohen neue Blasen auf den Finanzmärkten. Krisengewinner sind die Banken: Dank niedriger Zinsen an den Kapitalmärkten bei gleichzeitig hohen Kreditzinsen konnten sich die Banken sanieren, die Platzierung der zahlreichen neuen Staatsanleihen spült reichlich Gebühren in die Kassen, und neue Bilanzierungsvorschriften reduzieren die Abschreibungen. Und statt der vielfach kritisierten Boni genehmigt man sich einfach massiv erhöhte Grundgehälter, ansonsten läuft alles mehr oder weniger wie vorher. Die großen Banken sind noch größer, der Wettbewerb ist geringer geworden.
Was ist zu tun?
Wir brauchen mehr Transparenz. Klar ist: Moral Hazard und die globale Verflechtung der Finanzwelt sind die Kernübel. International eng abgestimmte Maßnahmen sind deshalb unabdingbar. Die Zerschlagung von zu groß gewordenen Instituten, eine bessere Eigenkapitalausstattung und mehr Eigenhaftung der Banken verringern den Moral Hazard – wobei das von den Banken nicht gerade bejubelt wird. Auch die Aufsplittung des Bankenmarkts in Versorgerbanken und spekulativ orientierte Institute wird diskutiert. Die Regulierung des Schattenbankensystems, die Haftung von Topmanagern und eine Neuausrichtung der Vergütungssysteme wären weitere sinnvolle Maßnahmen. Ferner muss mehr Wettbewerb unter den Ratingagenturen herrschen, ihre Honorarregelungen müssen überdacht werden. Ob neue Aufsichtsbehörden leistungsfähiger als die bisherigen sind, darf bezweifelt werden. Allerdings ist eine Stärkung dieser Behörden – hinsichtlich ihrer Befugnisse und finanziellen Ausstattung – dringend geboten. In den Blick gehören nicht nur einzelne Banken, sondern das Gesamtsystem. Letztlich sind Banken Dienstleister für die Realwirtschaft, und dieser verloren gegangene Bezug muss wiederhergestellt werden. Möglicherweise hilft eine Steuer auf Finanztransaktionen, die Spekulationen zu verteuern.
„Die Inflationsgefahren sind beinahe mit Händen zu greifen.“
Welche Lösungen sich letztlich durchsetzen werden, ist noch offen. Klar ist, dass alle diese Maßnahmen die Eigenkapitalrendite deutlich reduzieren werden. Mit Pech zahlt der Bankkunde über höhere Zinsen und Gebühren die Rechnung. Weitere Risiken der anstehenden Veränderungen sind unkontrollierbare Superbanken, eine drohende Überregulierung und ein extrem hohes Inflationsrisiko mit allen negativen Folgen für die Volkswirtschaft – bis hin zum Legitimationsverlust der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die wichtigsten Industrienationen könnten im Extremfall nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch geschwächt werden.