Mit Vollgas gegen die Wand?
Die Lage der Autoindustrie ist weltweit kritisch: General Motors und Chrysler gingen bankrott und mussten vom amerikanischen Staat gerettet werden. GM wurde dabei sogar praktisch verstaatlicht. Ford brauchte umfangreiche Staatskredite. Toyota entschied, ein neues Werk im US-Bundesstaat Mississippi, in dem das Hybridauto Prius gebaut werden sollte, gar nicht erst fertigzustellen. Das Wirtschaftswachstum in der Slowakei ist bedroht, weil sich dieses „Detroit des Ostens“ zu sehr von der Autoindustrie abhängig gemacht hat. In Russland versuchte Ministerpräsident Wladimir Putin vergeblich, der veralteten Autoindustrie durch eine Beteiligung an Opel Zugang zu moderner westlicher Technik zu verschaffen. In Japan sind die Zulieferer oft in der direkten Nachbarschaft ihrer Kunden angesiedelt. So entstehen regelrechte Ballungsräume rund ums Auto, die Abhängigkeit ganzer Regionen von der Autoindustrie wächst.
„Autos brauchen Stahl, Eisen, Aluminium, Glas, Kunststoffe, Holz, Textilien, Computerchips, Gummi und vieles mehr. Das Auto ist das wahrscheinlich wichtigste Produkt der internationalen Wirtschaft.“
Seit selbst das einstige Vorzeigeunternehmen Toyota Milliardenverluste einfährt, rächt sich das. Toyota City war früher die reichste Stadt Japans, heute ist sie die Stadt mit den meisten Arbeitslosen. Die deutsche Autoindustrie wurde von der Finanzkrise voll erwischt. Porsche musste bei Volkswagen unterkriechen, BMW und Mercedes können wahrscheinlich nicht mehr lange als unabhängige Unternehmen überleben, selbst bei VW brechen die Gewinne massiv ein. Opel konnte nur unter großen Schwierigkeiten gerettet werden.
„Die Jahre 2008 und 2009 waren für die Automanager eine Zeit des Schocks. Zeitweilig haben die Unternehmenschefs nur noch gebannt auf ihre Verkaufsstatistiken geblickt, die rasant und scheinbar ungebremst nach unten rasten.“
Problematisch ist dieses weltweite Schwächeln der Autobauer auch deshalb, weil es die vielen Zulieferbetriebe mit in die Krise zieht. Sogar Bosch, der weltweit größte Produzent von Autoelektronik, schrieb 2009 zum ersten Mal in seiner langen Geschichte Verluste.
Die Zukunft beginnt erst
Es ist allerdings absurd, gleich vom Sterben der Autoindustrie zu sprechen. Im Gegenteil, die große Zeit der Autobauer kommt erst noch. Die große Mehrheit der rund 6,5 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben, wartet noch auf ihr erstes Fahrzeug. Die Autoindustrie könnte allein in diesem Jahrhundert bis zu 2 Milliarden Autos absetzen.
„Das Auto wird im Grunde heute noch genau so wie vor 100 Jahren gebaut. Es hat einen Verbrennungsmotor, ein Getriebe, und die Kraft der Maschine wird über schwere Wellen, Gelenke und Lager an die Räder übertragen.“
Heute werden jährlich weltweit etwa 50 Millionen Autos verkauft. Ein aktuelles Problem der Autoindustrie ist, dass sie mit ihren Kapazitäten pro Jahr leicht 80–90 Millionen Stück produzieren könnte – das sind angesichts des schnell wachsenden Fahrzeugbedarfs vor allem in China (seit 2008 der zweitgrößte Automarkt hinter dem US-amerikanischen), Indien und Russland eigentlich ausgezeichnete Zukunftsaussichten. Es handelt sich aber um neue Märkte, die die traditionellen Autohersteller erst verstehen müssen. Und dafür müssen sie langfristig denken. Ein neues Automodell, das dann sieben bis acht Jahre lang produziert wird, verschlingt rund 1 Milliarde Euro für die Entwicklung und die Bereitstellung der entsprechenden Produktionsanlagen.
Der gegenwärtige Größenwahn
Geschichtlich bedingt herrscht in der Autoindustrie immer noch das Denken vor, es ginge vor allem darum, noch stärkere, schnellere und größere Autos zu bauen. Dieses anachronistische Streben wurde bei der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt 2009 überdeutlich demonstriert: Selbst in der Krise war die Autoindustrie noch immer stolz auf ihre PS-Monster. Umweltschonende, bescheidenere Fahrzeuge führen nach wie vor ein Schattendasein. Dabei hat die Autoindustrie schon seit Langem Besserung gelobt. Doch die Einzigen, die das Versprechen, umweltfreundlichere Fahrzeuge zu entwickeln, eingelöst haben, sind die Japaner: Sie warteten mit einem Auto auf, das einen üblichen Verbrennungsmotor mit einem Elektroantrieb verbindet. Mit diesem Hybrid haben sie sich als Technologieführer erwiesen.
„Nach vielen Monaten der Krise dämmert selbst den ignorantesten Automanagern allmählich, dass sich mit dieser Krise viel ändern muss, dass sie ihre Strategien gründlich überdenken müssen.“
Und wie lautet die Entschuldigung der deutschen Ingenieure? Sie behaupten, nur das zu entwerfen, was die Kunden wirklich haben wollen, und sich dabei gewissenhaft den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen anzupassen. Gerade die Deutschen sind Weltmeister im Optimieren. Immer bessere Motoren, immer mehr Sicherheit, so lauten ihre Ziele. Fraglich ist aber, ob ein solches lineares Denken langfristig zukunftstauglich ist.
„Sollte eines Tages der aus Erdöl gewonnene Sprit teuer oder knapp werden, hätten die herkömmlichen Hersteller keine Lösung anzubieten. Das ist fatal. Denn das Ende des Ölzeitalters steht bevor.“
In den 90er Jahren hatte der Schweizer Nicolas Hayek die Vision eines Kleinwagens mit neuartigem Antrieb. Seit 1997 wird der von ihm erdachte Smart von Mercedes gebaut – allerdings entgegen der ursprünglichen Absicht erneut mit einem Verbrennungsmotor.
Die prägenden Autonarren
Obwohl die Autoindustrie Millionen von Menschen weltweit beschäftigt, wird ihre Ausrichtung von nur einer Handvoll Menschen geprägt. Drei Persönlichkeiten ragen dabei besonders heraus:
- Bob Lutz als der größte Macho: Der blendend aussehende Hüne, ein gebürtiger Schweizer mit großbürgerlichem Hintergrund, setzte als Technikchef bei GM vor allem auf PS-starke, sportliche Autos. Der ehemalige Kampfflugzeugpilot liebte es laut und stark.
- Ferdinand Piëch als der größte Stratege: Der Enkel des Porsche- und Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche ist die zentrale Figur der deutschen Autoindustrie. Er ist selbst ein genialer Ingenieur und weitgehend für den weltweiten Erfolg von Volkswagen und Porsche verantwortlich. Sein Augenmerk liegt auf der Verbesserung des Verbrennungsmotors. Wer als Ingenieur unter diesem Chef ein Elektroauto entwickeln will, braucht besonderen Mut.
- Daniel Goeudevert als der größte Mahner: Der Franzose Daniel Goeudevert studierte Literatur an der Pariser Sorbonne. Als er sich als Verkäufer für einen Autohändler versuchte, hatte er von Anfang an durchschlagenden Erfolg. Schnell stieg er in der Autoindustrie auf. Zehn Jahre lang war er Deutschlandchef von Ford, später Vorstandsmitglied von VW. Aber seine Pläne, z. B. mit Hayek ein echtes Ökoauto zu bauen, fielen bei VW auf denkbar unfruchtbaren Boden.
Was wollen die Kunden wirklich?
Vor allem die deutschen Automanager behaupten gerne, dass die Kunden eben schnelle und PS-starke Autos wollen. In Wirklichkeit sind das aber nur die Autos, die die Manager gern selbst bauen. In den USA gab es schon 2007 Anzeichen dafür, dass der Trend bei den Kunden zu spritsparenden und umweltfreundlichen Autos geht, und auch in Deutschland erleben plötzlich kleinere Autos, etwa von Fiat, einen Nachfrageboom. In der deutschen Autoindustrie weiß man einfach noch nicht, wie man mit kleineren Autos und Motoren Geld verdienen kann. Zurzeit stellen die Deutschen kaum Autos her, die den neuen Kundenwünschen entsprechen.
„Die Rettung von Autounternehmen durch Regierungen ist der politische Normalfall geworden, obwohl in jedem Lehrbuch der Ökonomie steht, dass dieses Verhalten ein Fehler ist.“
Schaut man aber über Deutschland hinaus auf den Weltmarkt, kommt es noch dicker. In den Schwellen- und Entwicklungsländern wird das Gros des Geschäfts mit Billigautos gemacht. Der indische Autounternehmer Ratan Tata will ein Auto für umgerechnet etwa 1500 € auf den Markt bringen. Und schon der Logan des zum Renault-Konzern gehörenden rumänischen Herstellers Dacia war mit einem Preis von 5000 € in Osteuropa, Lateinamerika und Afrika und 7500 € in Westeuropa sehr erfolgreich. Unternehmen wie VW haben in diesem immer größer werdenden Marktsegment kaum etwas zu bieten. In den Köpfen der Kunden findet längst ein Wertewandel statt, der bei den deutschen Automanagern erst noch ankommen muss.
Die Scheu vor den Alternativen
Eigentlich ist seit der ersten Ölkrise vor über 30 Jahren klar, dass sich in der Autoindustrie etwas ändern muss, weil sich die Zeit des Verbrennungsmotors ihrem Ende zuneigt. Neue Antriebe erfordern nicht nur die zunehmenden Engpässe beim Öl, sondern auch die Klimaproblematik. Folgende Alternativen haben gute Chancen:
- Elektroauto: In den USA wurden bereits um 1900 rund 40 % aller Fahrzeuge von einem Elektromotor angetrieben. Das Problem ist bis heute, dass Batterien nur eine begrenzte Reichweite bieten und dann aufwändig wieder aufgeladen werden müssen. Vor allem in Asien wird deshalb intensiv an einer besseren Batterietechnik gearbeitet. Von den Chinesen ist bekannt, dass sie die Zeit des Verbrennungsmotors am liebsten überspringen und ganz auf Elektroautos setzen würden. Der israelische Pionier Shai Agassi, ein ehemaliges Vorstandsmitglied des Softwarekonzerns SAP, verfolgt die Idee, ein Netz von Stationen aufzubauen, an denen leere Akkus in wenigen Minuten gegen geladene ausgetauscht werden können.
- Hybrid: Toyota ist mit seinem Prius-Modell der Vorreiter der Hybridtechnologie. Dabei wird ein traditioneller Verbrennungsmotor von einem Elektromotor unterstützt.
- Wasserstoffmotor: Ein auf Wasserstoff basierender Motor wäre eine ideale Lösung. Noch ist aber ungeklärt, wie Wasserstoff in ausreichender Menge umweltschonend erzeugt werden kann. Zudem müsste ein flächendeckendes Wasserstofftankstellennetz aufgebaut werden.
„Wo die Gesetze anspruchsvolle Forderungen stellen, sind die Autos in der Regel technisch am besten. Wo stets die Lobby gewinnt, bleibt die Innovationskraft auf der Strecke.“
In all diesen Zukunftstechnologien hinken die deutschen Hersteller weit hinterher. Zu lange hat man auf die eigene Expertise bei Verbrennungsmotoren gesetzt. Nun bemühen sich die Unternehmen um internationale Partner, in der Hoffnung, den Technikrückstand aufzuholen. So will etwa VW gemeinsam mit dem chinesischen Hersteller Build Your Dreams Lithium-Ionen-Batterien herstellen.
„Erstmals in der Geschichte des Automobils wird es in den kommenden beiden Jahrzehnten nicht mehr nur einen, sondern viele verschiedene Antriebe und Treibstoffe geben.“
Und der Staat? Er spielt ebenfalls eine wenig rühmliche Rolle. Statt gezielt die Zukunftstechnologien zu fördern, wird mit allen Mitteln versucht, die traditionelle Autoindustrie am Laufen zu halten und gefährdete Arbeitsplätze zu sichern. Langfristig schadet das nur, weil dadurch technische Entwicklungen verhindert werden, die auf längere Sicht die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Autoindustrie erhöhen würden.
Wie soll es weitergehen?
Wenn die Hersteller zukunftsfähig werden wollen, müssen sie sich zwei Realitäten stellen:
- In Zukunft wird es mehrere unterschiedliche Antriebe für Autos geben.
- In Zukunft geht es nicht mehr um Fahrzeuge, sondern um Mobilität. Schon heute haben 30–40 % der Menschen in den größten Städten der Welt kein eigenes Auto mehr. Die Autoindustrie muss Wege finden, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zu bedienen, statt einfach nur weiter Autos zu produzieren.
„Fahrzeugbauer, Zulieferer, Regierung, Wissenschaft, Stromkonzerne, Anlagenbauer und Elektroindustrie haben die Chance, gemeinsam in einem koordinierten Kraftakt das moderne Zeitalter der Mobilität einzuläuten. Sie dürfen sie nicht verpassen.“
Zurzeit bahnt sich eine massive Konsolidierung unter den Autoherstellern an. Am Ende wird womöglich weltweit nur eine Handvoll von ihnen überleben. Kleinere deutsche Autohersteller wie Daimler oder BMW werden langfristig einen Partner brauchen. Alle müssen auf neue Technologien setzen und auch neue Marketingstrategien entwickeln.