Crashtest

Buch Crashtest

Deutsche Autobauer ohne Plan und Strategie

Hanser,


Rezension

Mit Crashtest liefert Karl-Heinz Büschemann eine gelungene Analyse der deutschen Au­to­mo­bilin­dus­trie und ihrer Zukun­ft­saus­sichten. Und die sind eher düster. Gut doku­men­tiert zeigt das Buch auf, dass die von Ingenieuren dominierten Unternehmen Gefahr laufen, die wesentlichen We­ichen­stel­lun­gen schlicht zu verschlafen. Angesichts des drohenden Endes des Ölzeitalters sollte man auf umwelt­fre­undlichere Antriebe setzen. Stattdessen optimieren vor allem die deutschen Hersteller nach wie vor an den herkömmlichen Ver­bren­nungsmo­toren herum. So werden wichtige Zukun­ft­strends in gefährlicher Weise ignoriert. Da die Au­to­mo­bilin­dus­trie für den Wohlstand der Deutschen – und anderer Nationen – von hoher Bedeutung ist, ist das natürlich eine fatale Entwicklung. Die fast reflexhafte Neigung der Regierungen führender In­dus­trien­atio­nen, die kriselnden Autofirmen unter allen Umständen durchzuschlep­pen, ist auch nicht hilfreich. Einzelne Länder wie China sind da bereits viel weiter: Sie setzen den Schwerpunkt auf die Mobilität für die Zeit nach dem Ver­bren­nungsmo­tor. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die sich für die Zukunft dieser Schlüsselin­dus­trie in­ter­essieren, und speziell allen, die in ihr tätig sind.

Take-aways

  • Die Au­toin­dus­trie steht weltweit unter historisch einmaligem Druck.
  • Die Finanzkrise hat die Lage verschärft, ist aber nicht die Ursache dieser misslichen Situation.
  • Die Nachfrage nach bestimmten Autos wird in Zukunft noch stark ansteigen.
  • Autos für Osteuropa, Asien, Lateinamerika oder Afrika müssen vor allem billig sein.
  • Die Kunden im Westen wollen umwelt­fre­undliche und treib­stoff­s­parende Autos.
  • Gerade die deutschen Autobauer haben in dieser Hinsicht zurzeit kaum etwas zu bieten.
  • Zudem fehlt es in Deutschland an ernsthaften Bemühungen, Al­ter­na­tiven zum Ver­bren­nungsmo­tor zu entwickeln.
  • Öl wird immer knapper. zugleich steigt die Nachfrage. Die Förderkapazitäten sind begrenzt und werden in Zukunft eher abnehmen.
  • Hybrid-, Elektro- oder Wasser­stof­fau­tos wären vernünftige Al­ter­na­tiven. Technische Unreife und fehlende In­fra­struk­tur sind Hemmschuhe.
  • In Zukunft wird es insgesamt weniger um das Auto an sich gehen, sondern um die besten Möglichkeiten persönlicher Mobilität.
 

Zusammenfassung

Mit Vollgas gegen die Wand?

Die Lage der Au­toin­dus­trie ist weltweit kritisch: General Motors und Chrysler gingen bankrott und mussten vom amerikanis­chen Staat gerettet werden. GM wurde dabei sogar praktisch ver­staatlicht. Ford brauchte um­fan­gre­iche Staatskred­ite. Toyota entschied, ein neues Werk im US-Bun­desstaat Mississippi, in dem das Hybridauto Prius gebaut werden sollte, gar nicht erst fer­tigzustellen. Das Wirtschaftswach­s­tum in der Slowakei ist bedroht, weil sich dieses „Detroit des Ostens“ zu sehr von der Au­toin­dus­trie abhängig gemacht hat. In Russland versuchte Ministerpräsident Wladimir Putin vergeblich, der veralteten Au­toin­dus­trie durch eine Beteiligung an Opel Zugang zu moderner westlicher Technik zu verschaffen. In Japan sind die Zulieferer oft in der direkten Nach­barschaft ihrer Kunden angesiedelt. So entstehen regelrechte Ballungsräume rund ums Auto, die Abhängigkeit ganzer Regionen von der Au­toin­dus­trie wächst.

„Autos brauchen Stahl, Eisen, Aluminium, Glas, Kunststoffe, Holz, Textilien, Com­put­er­chips, Gummi und vieles mehr. Das Auto ist das wahrschein­lich wichtigste Produkt der in­ter­na­tionalen Wirtschaft.“

Seit selbst das einstige Vorzeige­un­ternehmen Toyota Mil­liar­den­ver­luste einfährt, rächt sich das. Toyota City war früher die reichste Stadt Japans, heute ist sie die Stadt mit den meisten Ar­beit­slosen. Die deutsche Au­toin­dus­trie wurde von der Finanzkrise voll erwischt. Porsche musste bei Volkswagen un­terkriechen, BMW und Mercedes können wahrschein­lich nicht mehr lange als unabhängige Unternehmen überleben, selbst bei VW brechen die Gewinne massiv ein. Opel konnte nur unter großen Schwierigkeiten gerettet werden.

„Die Jahre 2008 und 2009 waren für die Automanager eine Zeit des Schocks. Zeitweilig haben die Un­ternehmen­schefs nur noch gebannt auf ihre Verkauf­ssta­tis­tiken geblickt, die rasant und scheinbar ungebremst nach unten rasten.“

Prob­lema­tisch ist dieses weltweite Schwächeln der Autobauer auch deshalb, weil es die vielen Zuliefer­be­triebe mit in die Krise zieht. Sogar Bosch, der weltweit größte Produzent von Au­toelek­tronik, schrieb 2009 zum ersten Mal in seiner langen Geschichte Verluste.

Die Zukunft beginnt erst

Es ist allerdings absurd, gleich vom Sterben der Au­toin­dus­trie zu sprechen. Im Gegenteil, die große Zeit der Autobauer kommt erst noch. Die große Mehrheit der rund 6,5 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben, wartet noch auf ihr erstes Fahrzeug. Die Au­toin­dus­trie könnte allein in diesem Jahrhundert bis zu 2 Milliarden Autos absetzen.

„Das Auto wird im Grunde heute noch genau so wie vor 100 Jahren gebaut. Es hat einen Ver­bren­nungsmo­tor, ein Getriebe, und die Kraft der Maschine wird über schwere Wellen, Gelenke und Lager an die Räder übertragen.“

Heute werden jährlich weltweit etwa 50 Millionen Autos verkauft. Ein aktuelles Problem der Au­toin­dus­trie ist, dass sie mit ihren Kapazitäten pro Jahr leicht 80–90 Millionen Stück produzieren könnte – das sind angesichts des schnell wachsenden Fahrzeugbe­darfs vor allem in China (seit 2008 der zweitgrößte Automarkt hinter dem US-amerikanis­chen), Indien und Russland eigentlich aus­geze­ich­nete Zukun­ft­saus­sichten. Es handelt sich aber um neue Märkte, die die tra­di­tionellen Au­to­her­steller erst verstehen müssen. Und dafür müssen sie langfristig denken. Ein neues Automodell, das dann sieben bis acht Jahre lang produziert wird, verschlingt rund 1 Milliarde Euro für die Entwicklung und die Bere­it­stel­lung der entsprechen­den Pro­duk­tion­san­la­gen.

Der gegenwärtige Größenwahn

Geschichtlich bedingt herrscht in der Au­toin­dus­trie immer noch das Denken vor, es ginge vor allem darum, noch stärkere, schnellere und größere Autos zu bauen. Dieses anachro­nis­tis­che Streben wurde bei der In­ter­na­tionalen Au­to­mo­bi­lausstel­lung in Frankfurt 2009 überdeutlich demon­stri­ert: Selbst in der Krise war die Au­toin­dus­trie noch immer stolz auf ihre PS-Monster. Umweltscho­nende, beschei­denere Fahrzeuge führen nach wie vor ein Schat­ten­da­sein. Dabei hat die Au­toin­dus­trie schon seit Langem Besserung gelobt. Doch die Einzigen, die das Versprechen, umwelt­fre­undlichere Fahrzeuge zu entwickeln, eingelöst haben, sind die Japaner: Sie warteten mit einem Auto auf, das einen üblichen Ver­bren­nungsmo­tor mit einem Elek­troantrieb verbindet. Mit diesem Hybrid haben sie sich als Tech­nolo­gieführer erwiesen.

„Nach vielen Monaten der Krise dämmert selbst den ig­no­ran­testen Au­toman­agern allmählich, dass sich mit dieser Krise viel ändern muss, dass sie ihre Strategien gründlich überdenken müssen.“

Und wie lautet die Entschuldigung der deutschen Ingenieure? Sie behaupten, nur das zu entwerfen, was die Kunden wirklich haben wollen, und sich dabei gewis­senhaft den geset­zlichen Sicher­heit­san­forderun­gen anzupassen. Gerade die Deutschen sind Weltmeister im Optimieren. Immer bessere Motoren, immer mehr Sicherheit, so lauten ihre Ziele. Fraglich ist aber, ob ein solches lineares Denken langfristig zukun­ft­stauglich ist.

„Sollte eines Tages der aus Erdöl gewonnene Sprit teuer oder knapp werden, hätten die herkömmlichen Hersteller keine Lösung anzubieten. Das ist fatal. Denn das Ende des Ölzeitalters steht bevor.“

In den 90er Jahren hatte der Schweizer Nicolas Hayek die Vision eines Kleinwagens mit neuartigem Antrieb. Seit 1997 wird der von ihm erdachte Smart von Mercedes gebaut – allerdings entgegen der ursprünglichen Absicht erneut mit einem Ver­bren­nungsmo­tor.

Die prägenden Autonarren

Obwohl die Au­toin­dus­trie Millionen von Menschen weltweit beschäftigt, wird ihre Ausrichtung von nur einer Handvoll Menschen geprägt. Drei Persönlichkeiten ragen dabei besonders heraus:

  • Bob Lutz als der größte Macho: Der blendend aussehende Hüne, ein gebürtiger Schweizer mit großbürgerlichem Hintergrund, setzte als Technikchef bei GM vor allem auf PS-starke, sportliche Autos. Der ehemalige Kampf­flugzeug­pi­lot liebte es laut und stark.
  • Ferdinand Piëch als der größte Stratege: Der Enkel des Porsche- und Käfer-Erfind­ers Ferdinand Porsche ist die zentrale Figur der deutschen Au­toin­dus­trie. Er ist selbst ein genialer Ingenieur und weitgehend für den weltweiten Erfolg von Volkswagen und Porsche ve­r­ant­wortlich. Sein Augenmerk liegt auf der Verbesserung des Ver­bren­nungsmo­tors. Wer als Ingenieur unter diesem Chef ein Elektroauto entwickeln will, braucht besonderen Mut.
  • Daniel Goeudevert als der größte Mahner: Der Franzose Daniel Goeudevert studierte Literatur an der Pariser Sorbonne. Als er sich als Verkäufer für einen Autohändler versuchte, hatte er von Anfang an durch­schla­gen­den Erfolg. Schnell stieg er in der Au­toin­dus­trie auf. Zehn Jahre lang war er Deutsch­land­chef von Ford, später Vor­standsmit­glied von VW. Aber seine Pläne, z. B. mit Hayek ein echtes Ökoauto zu bauen, fielen bei VW auf denkbar un­frucht­baren Boden.

Was wollen die Kunden wirklich?

Vor allem die deutschen Automanager behaupten gerne, dass die Kunden eben schnelle und PS-starke Autos wollen. In Wirk­lichkeit sind das aber nur die Autos, die die Manager gern selbst bauen. In den USA gab es schon 2007 Anzeichen dafür, dass der Trend bei den Kunden zu sprits­paren­den und umwelt­fre­undlichen Autos geht, und auch in Deutschland erleben plötzlich kleinere Autos, etwa von Fiat, einen Nach­frage­boom. In der deutschen Au­toin­dus­trie weiß man einfach noch nicht, wie man mit kleineren Autos und Motoren Geld verdienen kann. Zurzeit stellen die Deutschen kaum Autos her, die den neuen Kundenwünschen entsprechen.

„Die Rettung von Autoun­ternehmen durch Regierungen ist der politische Normalfall geworden, obwohl in jedem Lehrbuch der Ökonomie steht, dass dieses Verhalten ein Fehler ist.“

Schaut man aber über Deutschland hinaus auf den Weltmarkt, kommt es noch dicker. In den Schwellen- und En­twick­lungsländern wird das Gros des Geschäfts mit Billigautos gemacht. Der indische Autoun­ternehmer Ratan Tata will ein Auto für umgerechnet etwa 1500 € auf den Markt bringen. Und schon der Logan des zum Re­nault-Konz­ern gehörenden rumänischen Herstellers Dacia war mit einem Preis von 5000 € in Osteuropa, Lateinamerika und Afrika und 7500 € in Westeuropa sehr erfolgreich. Unternehmen wie VW haben in diesem immer größer werdenden Mark­t­seg­ment kaum etwas zu bieten. In den Köpfen der Kunden findet längst ein Wertewandel statt, der bei den deutschen Au­toman­agern erst noch ankommen muss.

Die Scheu vor den Al­ter­na­tiven

Eigentlich ist seit der ersten Ölkrise vor über 30 Jahren klar, dass sich in der Au­toin­dus­trie etwas ändern muss, weil sich die Zeit des Ver­bren­nungsmo­tors ihrem Ende zuneigt. Neue Antriebe erfordern nicht nur die zunehmenden Engpässe beim Öl, sondern auch die Klimaprob­lematik. Folgende Al­ter­na­tiven haben gute Chancen:

  • Elektroauto: In den USA wurden bereits um 1900 rund 40 % aller Fahrzeuge von einem Elek­tro­mo­tor angetrieben. Das Problem ist bis heute, dass Batterien nur eine begrenzte Reichweite bieten und dann aufwändig wieder aufgeladen werden müssen. Vor allem in Asien wird deshalb intensiv an einer besseren Bat­teri­etech­nik gearbeitet. Von den Chinesen ist bekannt, dass sie die Zeit des Ver­bren­nungsmo­tors am liebsten überspringen und ganz auf Elek­troau­tos setzen würden. Der israelische Pionier Shai Agassi, ein ehemaliges Vor­standsmit­glied des Soft­warekonz­erns SAP, verfolgt die Idee, ein Netz von Stationen aufzubauen, an denen leere Akkus in wenigen Minuten gegen geladene aus­ge­tauscht werden können.
  • Hybrid: Toyota ist mit seinem Prius-Mod­ell der Vorreiter der Hy­bridtech­nolo­gie. Dabei wird ein tra­di­tioneller Ver­bren­nungsmo­tor von einem Elek­tro­mo­tor unterstützt.
  • Wasser­stoff­mo­tor: Ein auf Wasserstoff basierender Motor wäre eine ideale Lösung. Noch ist aber ungeklärt, wie Wasserstoff in aus­re­ichen­der Menge umweltscho­nend erzeugt werden kann. Zudem müsste ein flächen­deck­endes Wasser­stoff­tankstel­len­netz aufgebaut werden.
„Wo die Gesetze anspruchsvolle Forderungen stellen, sind die Autos in der Regel technisch am besten. Wo stets die Lobby gewinnt, bleibt die In­no­va­tion­skraft auf der Strecke.“

In all diesen Zukun­ft­stech­nolo­gien hinken die deutschen Hersteller weit hinterher. Zu lange hat man auf die eigene Expertise bei Ver­bren­nungsmo­toren gesetzt. Nun bemühen sich die Unternehmen um in­ter­na­tionale Partner, in der Hoffnung, den Technikrückstand aufzuholen. So will etwa VW gemeinsam mit dem chi­ne­sis­chen Hersteller Build Your Dreams Lithium-Io­nen-Bat­te­rien herstellen.

„Erstmals in der Geschichte des Automobils wird es in den kommenden beiden Jahrzehnten nicht mehr nur einen, sondern viele ver­schiedene Antriebe und Treibstoffe geben.“

Und der Staat? Er spielt ebenfalls eine wenig rühmliche Rolle. Statt gezielt die Zukun­ft­stech­nolo­gien zu fördern, wird mit allen Mitteln versucht, die tra­di­tionelle Au­toin­dus­trie am Laufen zu halten und gefährdete Arbeitsplätze zu sichern. Langfristig schadet das nur, weil dadurch technische En­twick­lun­gen verhindert werden, die auf längere Sicht die Wet­tbe­werbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Au­toin­dus­trie erhöhen würden.

Wie soll es weitergehen?

Wenn die Hersteller zukunftsfähig werden wollen, müssen sie sich zwei Realitäten stellen:

  1. In Zukunft wird es mehrere un­ter­schiedliche Antriebe für Autos geben.
  2. In Zukunft geht es nicht mehr um Fahrzeuge, sondern um Mobilität. Schon heute haben 30–40 % der Menschen in den größten Städten der Welt kein eigenes Auto mehr. Die Au­toin­dus­trie muss Wege finden, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zu bedienen, statt einfach nur weiter Autos zu produzieren.
„Fahrzeug­bauer, Zulieferer, Regierung, Wis­senschaft, Stromkonz­erne, An­la­gen­bauer und Elek­troin­dus­trie haben die Chance, gemeinsam in einem ko­or­dinierten Kraftakt das moderne Zeitalter der Mobilität einzuläuten. Sie dürfen sie nicht verpassen.“

Zurzeit bahnt sich eine massive Kon­so­li­dierung unter den Au­to­her­stellern an. Am Ende wird womöglich weltweit nur eine Handvoll von ihnen überleben. Kleinere deutsche Au­to­her­steller wie Daimler oder BMW werden langfristig einen Partner brauchen. Alle müssen auf neue Tech­nolo­gien setzen und auch neue Mar­ket­ingstrate­gien entwickeln.

Über den Autor

Karl-Heinz Büschemann ist Chefre­porter im Wirtschaft­sres­sort der Süddeutschen Zeitung. Zuvor war er u. a. bei Wirtschaftswoche und Capital sowie als Ko­r­re­spon­dent der Zeit in München und als USA-Ko­r­re­spon­dent für den Spiegel tätig.