Wie die Krise entstand
Eine explosive Mixtur aus niedrigen Zinsen und laxen Vorschriften bei der Vergabe von Hypotheken in den USA löste die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 aus. Die Amerikaner lebten zu lange über ihre Verhältnisse, sie konsumierten mehr, als sie verdienten, und bei der Kreditvergabe wurde die Bonität der Kunden zu wenig geprüft. Aufsichtsgremien, Zentralbank und Ratingagenturen, sie alle übersahen die Warnhinweise und verpassten es, rechtzeitig einzuschreiten. Bis zu drei Viertel der Wirtschaftsleistung in den USA speisten sich direkt oder indirekt aus dem Immobiliensektor: indem neue Häuser gebaut und eingerichtet wurden und auch indem man alte Häuser belieh, um weiter konsumieren zu können. All das war auf der Annahme begründet, dass der Wert der Immobilien immer weitersteigen würde. Mit den neu gewonnenen Mitteln kauften sich die Amerikaner Autos, machten Urlaub und dergleichen.
„Das einzig Überraschende an der Wirtschaftskrise von 2008 war die Tatsache, dass sie für so viele überraschend kam.“
Die Banken schnürten Pakete aus zweitklassigen Hypotheken, die an Geringverdiener mit schlechter Bonität vergeben worden waren. Diese Pakete wurden von Ratingagenturen mit guten Bewertungen ausgestattet und als vermeintlich erstklassige komplexe Finanzprodukte (Derivate) an Investoren weiterverkauft. Und die Immobilienfinanzierer, von ihrer Last befreit, konnten weitere Hypotheken ausreichen. Weltweit schlossen die Akteure auf dem Finanzmarkt milliardenschwere Wetten ab. Die Derivate verschlimmerten die Krise noch, denn am Ende wusste aufgrund der enormen Komplexität niemand mehr, ob die verliehenen Geldsummen dem Wert der Aktiva entsprachen oder ihn überstiegen. Selbst einander vertrauten die Banken auf dem Höhepunkt der Krise nicht mehr, der Geldfluss geriet ins Stocken, die Konjunktur kollabierte. Wen trifft die Schuld? Da sind viele zu nennen, zuallererst aber die Banken: Sie vermarkteten zweitklassige Hypotheken, ohne dass ein politischer Druck oder staatliche Anreize in diese Richtung vorhanden waren. Auch wenn Konservative das nicht gern hören: Alles in allem war der freie Markt an dem Desaster schuld und nicht der Staat. Kernproblem waren die Vorstände. Anders als bei Familienunternehmen handelten sie nur im eigenen Interesse. Sie waren auf kurzfristige Kurssteigerungen aus, um daran über Bonuszahlungen mitzuverdienen. Das langfristige Wohl des Unternehmens geriet aus ihrem Blickfeld.
„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“
Weil das Glass-Steagall-Gesetz unter Präsident Clinton aufgehoben wurde, durften Investment- und Geschäftsbanken ab dem Jahr 1999 fusionieren. Es entstanden Megabanken. Die Regierung konnte diese Riesen aufgrund ihrer Größe irgendwann nicht mehr untergehen lassen. Denn im Falle einer Insolvenz wären unkontrollierbare Gefahren für die Gesamtwirtschaft entstanden. Es wären reihenweise andere Akteure in Mitleidenschaft gezogen worden. Wegen dieses Dominoeffekts und weil Vorstände tendenziell persönliche Interessen verfolgen, ist eine strenge staatliche Regulierungen der Märkte vonnöten.
Der Hypothekenbetrug
Vor der Krise entwickelten die Banken ständig neue Produkte. Hierzu zählte etwa die 100%-Hypothek: Die Bank finanzierte 100 % oder sogar mehr als den Objektwert. Kunden und Banken konzentrierten sich auf immer teurere Häuser. Stieg der Preis, konnte der Hausbesitzer die Differenz als Gewinn einstreichen. Fiel eine Immobilie dagegen im Wert, gab der Kreditnehmer den Schlüssel seiner Bank zurück und zog aus. Mit Lockvogelangeboten köderten die Institute Menschen mit Darlehen, die in den ersten Jahren zinslos blieben. Es gab sogar so genannte Lügenhypotheken: Die Käufer mussten keine Einkommensnachweise vorlegen und konnten sich durch falsche Angaben leicht einen Kredit verschaffen. Oder die Kreditsachbearbeiter schraubten das Einkommen des Kunden einfach auf dem Papier in die Höhe, um den Vertrag in trockene Tücher zu bringen. Je größer das Haus war, desto höher fielen die Gebühren aus. Und je öfter die Kunden ihre Darlehen umschuldeten, desto mehr Gebühren kassierte die Bank. Als das Kartenhaus zusammenfiel, kamen die faulen Kredite zum Vorschein. Präsident Obama half den Kreditnehmern in einem ersten Schritt, die Tilgung zu verringern, nicht jedoch die Kreditsumme. Es war ein Fehler, die Kreditsumme nicht zulasten der Banken zu korrigieren. Bei fast allen Beschlüssen des Finanzministeriums war der politische Einfluss des Finanzsektors zu erkennen. Die Banken hätten für das Desaster, das sie angerichtet hatten, bezahlen sollen. Grundsätzlich gilt: Der Kapitalismus funktioniert nicht, wenn der Bezug zu volkswirtschaftlichen Gewinnen verloren geht, wie das bei dieser Krise der Fall war.
„Die Banker, die dem Land das Debakel beschert hatten, hätten für ihre Fehler zahlen sollen.“
Bush und Obama häuften mit Bürgschaften und Rettungspaketen mehr als 12 Billionen Dollar Schulden an. Dadurch werden die Amerikaner auf Jahre hinaus ökonomisch und sozial beeinträchtigt sein. Vermutlich hat das Finanzministerium den Untergang von Lehman Brothers am 15. September 2008 vor allem benutzt, um Angst zu schüren. Das Lehman-Debakel diente als Argument für die Rettung anderer Banken. Anzunehmen, die Krise wäre mit dem Fortbestand von Lehman Brothers nicht ausgebrochen, wäre ein grober Fehler. Fest steht: Das Ziel, mit der Bankenrettung die Kreditvergabe anzukurbeln, hat die Regierung gründlich verfehlt.
Das Versagen der Politik
Zum ersten Mal nach der großen Depression der 1930er Jahre kam ab August 2007 alles zusammen: Börsencrash, Kreditklemme, Preisverfall bei Immobilien. Zunächst beschwichtigte Präsident Bush die Bevölkerung. Er unterschätzte die Krise, die ab Dezember in eine Rezession mündete, und griff viel zu spät ein. Im Februar 2008 folgte eine Steuersenkung im Umfang von 168 Milliarden Dollar, deren erhoffte Wirkung ausblieb: Warum auch hätten die Amerikaner, inzwischen voller Zukunftsangst, dieses zusätzliche Geld ausgeben statt sparen sollen? Die Bush-Regierung half weder Eigenheimbesitzern noch Arbeitslosen, die besonders unter dem Finanzcrash litten. Stattdessen stellte sie den Banken ein Rettungspaket in Höhe von 700 Milliarden Dollar zur Verfügung. Wenn die Konjunktur abkühlt, sollte jedoch der Staat massiv gegensteuern und den Menschen helfen. Auch der neue Präsident Barack Obama unterschätzte die Rasanz der Talfahrt. Obama hatte keine Ahnung, warum das Finanzsystem tatsächlich versagt hatte – nämlich wegen einer Fehlsteuerung des Systems durch Vorstände, deren Anreize falsch gesetzt waren. Obama führte die Strategie seines Amtsvorgängers fort und stützte die Banken. Im Herbst 2009 wuchs die Wirtschaft wieder einige Monate lang kräftig. Die Rezession war also, technisch gesehen, zu Ende. Doch die Wiederbelebung der Ökonomie bleibt weiterhin schwierig und dauert länger als bei normalen Rezessionen.
Fehler beim Krisenmanagement
Ein Konjunkturprogramm sollte sieben Kernpunkte umfassen:
- Es muss schnell kommen.
- Es muss wirken, d. h. positive Multiplikatoreffekte entfalten.
- Es sollte die langfristigen Probleme adressieren. Darunter fallen etwa die globale Erwärmung oder Handelsbilanzdefizite.
- Im Mittelpunkt müssen Investitionen stehen. Sind diese richtig platziert, erhöhen sie den Wohlstand effektiver als reine Konsumspritzen.
- Das Programm soll gerecht sein, also nicht die Reichen noch zusätzlich begünstigen.
- Den Menschen, die durch die Krise in eine Notlage geraten sind, muss schnell geholfen werden, um deren Abrutschen zu verhindern.
- Die Sektoren, in denen die meisten Arbeitsplätze wegfallen, sind zu unterstützen oder es muss Umschulungsmaßnahmen für Arbeitnehmer aus sterbenden Branchen geben.
„Mit dem Niedergang der Großbanken und Immobilienfinanzierer und den anschließenden ökonomischen Turbulenzen und chaotischen Rettungsversuchen ist die Zeit des amerikanischen Triumphalismus vorbei.“
Die Regierung Obama stellte 2008 ein Rettungspaket von 800 Milliarden Dollar über zwei Jahre zur Verfügung. Gleichzeitig kürzten jedoch die Bundesstaaten und Kommunen ihre Ausgaben – unter dem Strich ein Nullsummenspiel. Die Kürzungen trafen insbesondere die Armen und Arbeitslosen. So wurden deren Probleme verschärft, und die Zahl der Zwangsversteigerungen schnellte in die Höhe. Mit einer Art Hypothekenversicherung wäre die Regierung besser beraten gewesen: Diese Assekuranz hätte für alle arbeitslos Gewordenen die Zinszahlungen übernommen. Ein solcher Zahlungsaufschub hätte die Abwärtsspirale stoppen können. Steuersenkungen wirken nicht, wenn die Regierung damit die Reichen entlastet. Denn die geben ihre Steuergeschenke nicht aus, sondern legen nur mehr Geld auf die hohe Kante. Maßnahmen wie die Abwrackprämie eignen sich eher für kurzfristige Branchenkrisen: Zwar stieg der Pkw-Absatz im Sommer 2009, doch im Herbst sanken die Verkaufszahlen wieder. Dass Obama an dem von Bush eingeschlagenen Kurs, hauptsächlich den Banken zu helfen, festhielt, war ein Fehler. Diese Taktik stabilisierte nicht den Immobilienmarkt, doch gerade das wäre notwendig gewesen, denn Häuser sind die wichtigste Vermögensposition der Amerikaner.
Habgier statt Besonnenheit
Die Krise hat gezeigt, dass eine freiwillige Selbstkontrolle der Wirtschaft nicht funktioniert. Die Anreize der Bankvorstände gehen nicht mit den Interessen der Kunden konform. Gerade Unwissende werden von den Bankern skrupellos ausgebeutet. Dass sich die Vergütung des Managements am ausgewiesenen Gewinn orientierte, war ein Ansporn, die Bilanzen zu manipulieren. Verluste gliederten die Vorstände aus den Bilanzen aus, das lukrative Gebührenwesen dagegen feierte fröhliche Urstände. Die Unternehmenskontrolle versagte. Das ist keine Überraschung: In den Aufsichtsräten sitzen in der Regel der Führungsspitze nahestehende Personen. Man genehmigt sich gegenseitig ordentliche Gehälter, eine Hand wäscht die andere.
„Wir können nicht zum Status quo ante – dem Zustand vor der Krise – zurückkehren.“
Was ist zu tun? Wer die Bilanz manipuliert, muss wie ein Steuersünder bestraft werden. Der Gesetzgeber muss die Risikobereitschaft eingrenzen, indem er die Anreizsysteme für Führungspersonen ändert. Megabanken müssen zerschlagen werden. Weil Derivate ein nützliches Instrument zur Risikoabsicherung sein können, sind sie zwar nicht abzuschaffen, aber streng zu überwachen – sie können sonst das gesamte Finanzsystem gefährden.
Neue Verhältnisse in Amerika
Die Amerikaner müssen nun mit einem sinkenden Lebensstandard rechnen. Denn es gibt, jenseits der Krise, ohnehin viele Missstände: Die Gehälter steigen seit Jahren nicht mehr, 15 % der Menschen haben keine Krankenversicherung, und das Gesundheitssystem ist, obwohl in den USA die Spitzenmedizin beheimatet ist, ineffizient und voller Mängel. Die USA haben die höchste Quote an Gefängnisinsassen weltweit. Weitere Probleme sind die globale Erwärmung und die mangelhafte Infrastruktur. In vielen Schlüsseltechnologien wie in der Stahl- oder Automobilbranche haben die USA ihre Führungsrolle verloren. Hohe Steuereinnahmen sind unerlässlich, wenn ein gutes Bildungs- und Verkehrssystem und eine hinreichende Gesundheitsversorgung sichergestellt werden soll.
Globaler Wohlstand und eine bessere Gesellschaft sind machbar
Aus der Großen Rezession und dem Zweiten Weltkrieg ist eine neue Weltordnung entstanden. Wir haben nun erneut eine solche Chance. Auf diesem Weg sind der Internationale Währungsfonds und die Weltbank zu demokratisieren. Arme Länder müssen mehr Gelder erhalten, gleichzeitig muss aber auch die Korruption bekämpft werden. Die USA werden zwar vorerst die größte Volkswirtschaft der Welt bleiben, China holt jedoch auf. Eine globale Regulierung ist wichtig, allen voran müssen sich die Steuerbehörden stärker untereinander austauschen. Oberstes Ziel unserer Gesellschaft sollte es sein, für das Wohl aller zu arbeiten.