Bankgeheimnis perdu
Das seit 1934 bestehende und als Schweizer Spezialität geltende Bankgeheimnis ist de facto tot. Ausgerechnet die größte Schweizer Bank, die UBS, hat dafür gesorgt, dass die Schweiz kein Steuerparadies mehr ist. Viele Jahrzehnte gelang es der Alpenrepublik, ihre Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung aufrechtzuerhalten, auch in Verträgen und Abkommen mit anderen Ländern. Im Unterschied zu anderen Ländern ist in der Schweiz allein der Betrug (z. B. durch Urkundenfälschung) strafbar, das einfache Hinterziehen von Steuern jedoch nicht. Nur bei Steuerbetrug muss darum die Identität des Kontoinhabers preisgegeben werden, den Hinterziehenden dagegen schützt das Bankgeheimnis. Diese Finesse brachte der Schweiz Milliarden ausländischer, vor dem jeweiligen Fiskus in Sicherheit gebrachter Vermögensbeträge ein. Die Schweiz besteuerte lediglich die Zinserträge von Ausländern und führte diese Einnahmen – anonym – an die jeweiligen Staaten der Kontoinhaber ab. So konnte das Bankgeheimnis gewahrt werden.
Der Anfang vom Ende: das Qualified Intermediary Agreement
Die USA hatten den Schweizer Bankenplatz schon seit einigen Jahren im Visier. Die Affäre um die so genannten nachrichtenlosen Vermögen aus der Nazizeit ist unvergessen. Sie endete 1998 mit einer Zahlung der Schweizer Großbanken von 1,25 Milliarden Dollar an Holocaust-Überlebende. 2001 wurden die Schweizer Großbanken dann gedrängt, das Qualified Intermediary Agreement zu unterzeichnen. Dieses galt für jede ausländische Bank, die in den USA präsent war und dort agierte. Ausländische Banken hatten sich zu zertifizieren und unterlagen als „qualifizierter Intermediär“ den amerikanischen Rechten und Pflichten. Die UBS hatte keine andere Wahl, als dieses Papier zu unterschreiben.
„Als größte Schweizer Bank hatte die UBS ein besonders aggressives Steuerhinterziehungsmodell betrieben.“
De facto verlangten die Amerikaner von den ausländischen Banken, US-Steuersünder aufzudecken oder besser die Geschäfte mit ihnen ganz zu unterlassen. Gemäß Agreement sollte festgestellt werden, wer die Halter von US-Wertpapieren waren. Waren es US-Bürger, so wurde die entsprechende Quellensteuer in die USA überwiesen. Weigerte sich ein US-Bürger, seine Identität der US-Steuerbehörde zu offenbaren, so durfte er keine US-Wertpapiere halten.
In der Zwickmühle
Das Agreement setzte der UBS zu, denn ihr Kernbereich war das Offshore-Geschäft mit unversteuerten Auslandsgeldern. Die UBS war sich der rechtlichen Zwickmühle bewusst, in die sie durch die Unterzeichnung des Abkommens geschlittert war. Sie suchte intensiv und entdeckte schließlich, mithilfe versierter Juristen, ein Schlupfloch. US-Kunden, die weiterhin von der Steuerbehörde unerkannt bleiben wollten und US-Papiere wie auch andere Wertpapiere hielten, hatten folgende Möglichkeit: Sie ließen – von der Bank arrangiert – Firmen in der Karibik, Liechtenstein oder anderen Ländern kreieren und transferierten ihre Wertpapiere in diese Gesellschaften. Damit war nicht mehr der US-Kunde steuerbar, sondern ein Unternehmen in einem Land, mit dem die USA ein Doppelbesteuerungsabkommen hatte. Die UBS konnte durch diesen Schachzug ihre millionenschwere amerikanische Klientel behalten und konstruierte Tausende derartiger Offshore-Strukturen für ihre Kunden. Der Clou: Offiziell wurde das Abkommen damit nicht gebrochen, sondern durch ein Schlupfloch umgangen. Allerdings ein gefährliches, wie sich herausstellen sollte.
Banker undercover
Obwohl es eine gefährliche Gratwanderung war, setzte die UBS-Führung alles daran, sich das lukrative Geschäft mit den amerikanischen Kunden auf keinen Fall entgehen zu lassen. So tat sie letztlich Dinge, die ausländischen Banken vom US-Recht verboten sind: UBS-Berater trafen Kunden in den USA zu Beratungs- und Verkaufsgesprächen, zur Neuakquise, zur Kontoeröffnung und zu von der Bank organisierten Veranstaltungen. Die Berater reisten mit Touristenvisum ein und hatten einen agentenmäßig präparierten Laptop im Gepäck. Dieser war mit einer vom Zoll nicht auffindbaren Software ausgestattet, die alle Kundendaten und Rechnerverbindungen enthielt. Paradoxerweise gab es in der UBS zur gleichen Zeit ein internes Länderpapier zur USA, das offiziell zur Vorsicht aufrief und von solchen Praktiken Abstand nahm. Es war nur wenigen bekannt. Die tägliche Praxis jedenfalls sah anders aus; die Jagd auf neue Vermögenswerte ging weiter und wurde mit Boni, Uhren und Businessflügen belohnt.
Der Fall Birkenfeld
Bradley Birkenfeld gehörte zum Genfer US-Team der UBS. Er war ein hochbezahlter Berater, der sich gerne bei den reichen Amerikanern und ihren exklusiven Events, z. B. Segelregatten, sehen ließ. Seine Performance (sprich: das Anschaffen von Neukundengeldern) ließ allerdings zu wünschen übrig. Es wurde allmählich ungemütlich für ihn. Schließlich verließ er die UBS, nicht ohne intern auf das Bestehen des Länderpapiers USA und die Diskrepanz zum tatsächlichen Geschäftsgebaren hinzuweisen. Mit Birkenfeld ging derjenige US-Kundenberater, der die Bank schließlich ans Messer liefern sollte – die UBS unterschätzte seine Rachegelüste.
„Das amerikanische Länderpapier und die Wachstumsziele im Offshore-Geschäft standen sich diametral gegenüber.“
Zu dieser Zeit wurde das heikle US-Geschäft intern von einem Audit durchleuchtet, jedoch für in Ordnung befunden. Die Empfehlung eines Anwalts der UBS, das gesamte Offshore-Geschäft mit US-Wertpapieren zu verkaufen, wurde in den Wind geschlagen. Kurz darauf führte ein Missverständnis zur Verhaftung eines UBS-Beraters in Miami durch das FBI. Er wurde allerdings wieder auf freien Fuß gesetzt; die Kundendaten auf seinem Laptop blieben unentdeckt. Die Bankberater aber waren verunsichert und mussten neue Dokumente unterschreiben, die besagten, dass sie sich an das aktualisierte Länderpapier hielten. Die Bank sicherte sich damit ab, das Geschäft lief jedoch unverändert weiter.
Ein Glücksgriff für die USA
Die UBS hatte nicht mit Birkenfeld gerechnet. Dieser offerierte den amerikanischen Behörden, genauer dem Department of Justice (DOJ), geleitet von Kevin Downing, „heiße“ Informationen über das Geschäftsmodell der UBS in den USA. Das DOJ agiert unabhängig vom Internal Revenue System (IRS), der amerikanischen Steuerbehörde, und der Justiz. Es kommt im Fall krimineller Machenschaften zum Einsatz – und als solche galten die Geschäfte der UBS den Amerikanern.
„Die UBS-Berater waren ein Söldnertrupp, der unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die USA infiltrierte, um den wohlhabendsten und erfolgreichsten Bürgern des Landes zu helfen, den Staat zu schröpfen.“
Downing war geschickt und ließ sein DOJ beinahe zeitgleich mit der Börsenaufsicht – der Securities and Exchange Commission (SEC) – und der Steueraufsicht IRS gegen die UBS in Stellung gehen. Als dann der russische Millionär Olenicoff unruhig wurde und sich selbst anzeigte, lag den Amerikanern ein komplettes Dossier eines Steuersünders, seines Bankhelfers – niemand anders als Birkenfeld – und des dahinterstehenden Banksystems vor. Nun konnten sie zuschlagen. Als ersten Schritt stellte DOJ-Chef Downing eine offizielle Anfrage im Fall Birkenfeld, der als „Whistleblower“ fungierte.
SEC zündet Stufe zwei, IRS Stufe drei
Im Dezember 2007, nur zwei Monate nach der scheinbar harmlosen Anfrage des DOJ, verlangte die amerikanische Börsenaufsicht SEC, verschiedene US-Kundenberater der UBS zum Offshore-Geschäft der Bank zu befragen. Bei der UBS war allen klar, dass Birkenfeld ganze Arbeit geleistet haben musste und die Geschäftspraktiken nun bekannt waren. Der zuständigen Schweizer Bankenaufsicht gelang es noch, die Anfrage einige Monate hinauszuzögern.
„Dass sich die Verantwortlichen der Problematik derart klar bewusst waren und im gleichen Atemzug ein konsequentes Verbot ebendieser Handlugen als Ende des lukrativen Geschäfts bezeichneten, sagte alles.“
Daraufhin schlug Anfang 2008 die Subprimekrise zu und brachte die UBS-Bilanz ins Taumeln. Die Bank brauchte eine gewaltige Kapitalspritze vom Staat und erhielt sie auch. Diesen Moment wählte Kevin Downing, um ein offizielles Verfahren gegen die UBS zu eröffnen. Die Bank wurde beschuldigt, ein Steuerbetrugssystem betrieben und systematisch gegen die US-Börsenaufsichtsregeln verstoßen zu haben. Im nächsten Coup gelang es sogar, Martin Liechti, den Verantwortlichen für das US-Geschäft der UBS, in den USA zu verhaften.
„Mit dem Segen der obersten politischen Instanz wurde das Bankgeheimnis geopfert.“
Die Steuerbehörde IRS brachte im Sommer 2008 eine weitere Waffe gegen die UBS in Anschlag: Sie deponierte eine Zivilklage gegen die Bank, ein so genanntes John Doe Summons. Dabei werden Daten unbekannter Menschen eingefordert, die ein bestimmtes Delikt begangen haben. Wird die angeklagte Partei verurteilt und widersetzt sich der Herausgabe, so werden tägliche exorbitante Geldbußen fällig. Die IRS war sogar auf den Webseiten der UBS fündig geworden. Dort beschrieb die Bank genau dasjenige Schlupfloch, das ihr nun zum Verhängnis werden sollte: wie man durch die Installation von Scheinfirmen US-Steuern umgeht.
Der Deal
Der UBS und der Schweizer Bankenaufsicht war zunächst nicht klar, dass sie von drei Seiten in die Zange genommen wurden. Man konzentrierte sich auf Downings DOJ. Um guten Willen zu zeigen, gaben die Schweizer zu, dass rund 250 Kunden Steuerbetrüger seien. Sie deklarierten diese als „Einzelfälle“ und die entsprechenden Machenschaften als „Verfehlungen“ der UBS. Das Eingeständnis galt indirekt auch für andere Schweizer Banken mit den gleichen Praktiken.
„Der Vertrag verbog geltendes Recht der kleinen, einst wehrhaften Nation.“
Die USA sollten so besänftigt werden – was völlig fehlschlug. Denn von nun an richtete sich das Verfahren nicht mehr nur gegen die UBS, sondern gegen die Schweiz und ihr Bankgeheimnis. Die USA forderten, dass die verantwortlichen UBS-Mitarbeiter verurteilt würden. Es lief auf einen Zusammenstoß zweier Rechtssysteme hinaus, bei der die Schweiz auf ihr Bankgeheimnis pochte und die USA Strafrecht, Steuerrecht und Zivilrecht in Gegenstellung brachten. Die nun involvierte Schweizer Regierung versuchte zu beschwichtigen – vergeblich.
„Die Schweiz opferte ihren Rechtsstaat und ihr Bankgeheimnis in einer Notaktion.“
Inzwischen wurde deutlich, dass die UBS in den USA als kriminelle Organisation angeklagt würde, sollte sie nicht binnen weniger Wochen die Kundendaten ihrer Steuersünder herausgeben. Kein anderes Finanzunternehmen, das in den USA zuvor in ähnlichen Fällen angeklagt worden war, hatte dies überlebt. Zum Zeitpunkt der globalen Wirtschaftskrise wäre ein Zusammenbruch der UBS ein hohes Risiko für die Weltwirtschaft gewesen. Die Schweizer Regierung stand vor der Entscheidung, die UBS oder das Bankgeheimnis zu opfern. Der schweizerische Bundesrat entschloss sich, die US-Anklage unter allen Umständen abzuwehren, und erteilte damit der Bankenkommission freie Fahrt für einen Deal mit den USA. Die rund 250 Kundendaten wurden ausgehändigt.
Dickes Ende
Doch dies war keineswegs das Ende der Auseinandersetzungen: Es folgte die Forderung der USA nach weiteren 52 000 Kundendaten, die durch die Zivilklage John Doe Summons gestützt war. Die Schweizer Regierung reagierte mit einer geschichtsträchtigen „blocking order“, die die Herausgabe der Kundendaten durch die UBS untersagte – ein Staatsakt, der von den USA nicht mehr hätte angegriffen werden können. Doch das Ende vom Lied war dann doch ein ganz anderes: Die Schweiz unterzeichnete am 19. August 2009 nach zähem Ringen einen Staatsvertrag mit den USA. Er verpflichtet sie, rund 4450 Kundendaten der UBS herauszugeben und über „Fortschritte bei der Durchsetzung des US-Steuerrechts zu informieren“. Das Bankgeheimnis ist damit – zumindest was den Bereich Steuerfragen betrifft – weitgehend ausgehebelt.