Paradies perdu

Buch Paradies perdu

Wie die Schweiz ihr Bankgeheimnis verlor

Hoffmann und Campe,


Rezension

Ohne die Machen­schaften der UBS im Pri­vatkun­dengeschäft in den USA wäre das Schweizer Bankge­heim­nis heute nicht toter Buchstabe, so der Tenor dieses Buches. Es liest sich stel­len­weise so spannend wie ein Wirtschaft­skrimi. Schnell macht sich beim Leser Unverständnis darüber breit, wie lange die UBS-Führung nichts davon geahnt haben will, dass sie ins Visier der USA geraten war und weiterhin Illegales tat. Dass dann schließlich das Bankge­heim­nis – immerhin ein Gesetz eines souveränen Staates – gebogen und gebrochen wurde, um die Ver­fehlun­gen einer Großbank zu retten, grenzt ans Unglaubliche, ist aber Tatsache. Wie die Schweiz und ihre Großbanken ihr Geschäftsmodell den neuen Gegeben­heiten anpassen werden, bleibt abzuwarten; Lukas Hässig lässt sich darüber nicht weiter aus. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die eine spannend geschriebene Au­far­beitung der jüngsten Ereignisse rund um den Sündenfall UBS und das Schweizer Bankge­heim­nis lesen wollen.

Take-aways

  • Aus­gerech­net die er­fol­gre­iche Schweizer Großbank UBS hat das Bankge­heim­nis zu Fall gebracht.
  • Jahrzehn­te­lang hat die Schweiz an der Un­ter­schei­dung zwischen nicht strafbarer Steuer­hin­terziehung und strafbarem Steuer­be­trug fest­ge­hal­ten.
  • Dadurch konnte sie Millionen von un­ver­s­teuerten Aus­landsvermögen anziehen.
  • 2001 wurden die UBS und andere Banken gezwungen, ein Abkommen für das USA-Geschäft zu un­ter­schreiben und Steuersünder zu melden.
  • Doch der Bank gelang es, ein Schlupfloch für ihre US-Kund­schaft zu finden: Große Vermögenssummen wurden zu Sche­in­fir­men in der Karibik trans­feriert.
  • Heimlich und il­le­galer­weise trafen sich UBS-Berater weiterhin mit ihren Kunden in Amerika.
  • Die Geständnisse eines Ex-UBS-Be­raters brachten das gesamte US-Geschäftsmodell der Bank ins Taumeln.
  • Die USA nutzten diese Gelegenheit, um sowohl die UBS als auch das Schweizer Bankge­heim­nis zu knacken.
  • Die Schweizer Regierung musste eingreifen, um die weitere Herausgabe von Kundendaten zu stoppen und ihre Souveränität zu wahren.
  • Dennoch ist seit der Un­terze­ich­nung des Staatsver­trags mit den USA das Bankge­heim­nis der Schweiz in Steuer­fra­gen ausgehebelt.
 

Zusammenfassung

Bankge­heim­nis perdu

Das seit 1934 bestehende und als Schweizer Spezialität geltende Bankge­heim­nis ist de facto tot. Aus­gerech­net die größte Schweizer Bank, die UBS, hat dafür gesorgt, dass die Schweiz kein Steuer­paradies mehr ist. Viele Jahrzehnte gelang es der Alpen­re­pub­lik, ihre Un­ter­schei­dung von Steuer­be­trug und Steuer­hin­terziehung aufrechtzuer­hal­ten, auch in Verträgen und Abkommen mit anderen Ländern. Im Unterschied zu anderen Ländern ist in der Schweiz allein der Betrug (z. B. durch Urkundenfälschung) strafbar, das einfache Hin­terziehen von Steuern jedoch nicht. Nur bei Steuer­be­trug muss darum die Identität des Kon­toin­hab­ers preis­gegeben werden, den Hin­terziehen­den dagegen schützt das Bankge­heim­nis. Diese Finesse brachte der Schweiz Milliarden ausländischer, vor dem jeweiligen Fiskus in Sicherheit gebrachter Vermögensbeträge ein. Die Schweiz besteuerte lediglich die Zinserträge von Ausländern und führte diese Einnahmen – anonym – an die jeweiligen Staaten der Kon­toin­haber ab. So konnte das Bankge­heim­nis gewahrt werden.

Der Anfang vom Ende: das Qualified In­ter­me­di­ary Agreement

Die USA hatten den Schweizer Bankenplatz schon seit einigen Jahren im Visier. Die Affäre um die so genannten nachricht­en­losen Vermögen aus der Nazizeit ist unvergessen. Sie endete 1998 mit einer Zahlung der Schweizer Großbanken von 1,25 Milliarden Dollar an Holocaust-Überlebende. 2001 wurden die Schweizer Großbanken dann gedrängt, das Qualified In­ter­me­di­ary Agreement zu un­terze­ich­nen. Dieses galt für jede ausländische Bank, die in den USA präsent war und dort agierte. Ausländische Banken hatten sich zu zer­ti­fizieren und unterlagen als „qual­i­fizierter Intermediär“ den amerikanis­chen Rechten und Pflichten. Die UBS hatte keine andere Wahl, als dieses Papier zu un­ter­schreiben.

„Als größte Schweizer Bank hatte die UBS ein besonders aggressives Steuer­hin­terziehungsmod­ell betrieben.“

De facto verlangten die Amerikaner von den ausländischen Banken, US-Steuersünder aufzudecken oder besser die Geschäfte mit ihnen ganz zu unterlassen. Gemäß Agreement sollte fest­gestellt werden, wer die Halter von US-Wert­pa­pieren waren. Waren es US-Bürger, so wurde die entsprechende Quel­len­s­teuer in die USA überwiesen. Weigerte sich ein US-Bürger, seine Identität der US-Steuer­behörde zu offenbaren, so durfte er keine US-Wert­pa­piere halten.

In der Zwickmühle

Das Agreement setzte der UBS zu, denn ihr Kernbereich war das Off­shore-Geschäft mit un­ver­s­teuerten Aus­lands­geldern. Die UBS war sich der rechtlichen Zwickmühle bewusst, in die sie durch die Un­terze­ich­nung des Abkommens geschlit­tert war. Sie suchte intensiv und entdeckte schließlich, mithilfe versierter Juristen, ein Schlupfloch. US-Kunden, die weiterhin von der Steuerbehörde unerkannt bleiben wollten und US-Papiere wie auch andere Wertpapiere hielten, hatten folgende Möglichkeit: Sie ließen – von der Bank arrangiert – Firmen in der Karibik, Liecht­en­stein oder anderen Ländern kreieren und trans­ferierten ihre Wertpapiere in diese Gesellschaften. Damit war nicht mehr der US-Kunde steuerbar, sondern ein Unternehmen in einem Land, mit dem die USA ein Dop­pelbesteuerungsabkom­men hatte. Die UBS konnte durch diesen Schachzug ihre mil­lio­nen­schwere amerikanis­che Klientel behalten und kon­stru­ierte Tausende derartiger Off­shore-Struk­turen für ihre Kunden. Der Clou: Offiziell wurde das Abkommen damit nicht gebrochen, sondern durch ein Schlupfloch umgangen. Allerdings ein gefährliches, wie sich her­ausstellen sollte.

Banker undercover

Obwohl es eine gefährliche Grat­wan­derung war, setzte die UBS-Führung alles daran, sich das lukrative Geschäft mit den amerikanis­chen Kunden auf keinen Fall entgehen zu lassen. So tat sie letztlich Dinge, die ausländischen Banken vom US-Recht verboten sind: UBS-Berater trafen Kunden in den USA zu Beratungs- und Verkauf­s­ge­sprächen, zur Neuakquise, zur Kontoeröffnung und zu von der Bank or­gan­isierten Ve­r­anstal­tun­gen. Die Berater reisten mit Touris­ten­vi­sum ein und hatten einen agentenmäßig präparierten Laptop im Gepäck. Dieser war mit einer vom Zoll nicht auffind­baren Software aus­ges­tat­tet, die alle Kundendaten und Rech­n­erverbindun­gen enthielt. Para­dox­er­weise gab es in der UBS zur gleichen Zeit ein internes Länderpapier zur USA, das offiziell zur Vorsicht aufrief und von solchen Praktiken Abstand nahm. Es war nur wenigen bekannt. Die tägliche Praxis jedenfalls sah anders aus; die Jagd auf neue Vermögenswerte ging weiter und wurde mit Boni, Uhren und Businessflügen belohnt.

Der Fall Birkenfeld

Bradley Birkenfeld gehörte zum Genfer US-Team der UBS. Er war ein hochbezahlter Berater, der sich gerne bei den reichen Amerikanern und ihren exklusiven Events, z. B. Segel­re­gat­ten, sehen ließ. Seine Performance (sprich: das Anschaffen von Neukun­den­geldern) ließ allerdings zu wünschen übrig. Es wurde allmählich ungemütlich für ihn. Schließlich verließ er die UBS, nicht ohne intern auf das Bestehen des Länderpapiers USA und die Diskrepanz zum tatsächlichen Geschäftsgebaren hinzuweisen. Mit Birkenfeld ging derjenige US-Kun­den­ber­ater, der die Bank schließlich ans Messer liefern sollte – die UBS unterschätzte seine Rachegelüste.

„Das amerikanis­che Länderpapier und die Wach­s­tum­sziele im Off­shore-Geschäft standen sich diametral gegenüber.“

Zu dieser Zeit wurde das heikle US-Geschäft intern von einem Audit durch­leuchtet, jedoch für in Ordnung befunden. Die Empfehlung eines Anwalts der UBS, das gesamte Off­shore-Geschäft mit US-Wert­pa­pieren zu verkaufen, wurde in den Wind geschlagen. Kurz darauf führte ein Missverständnis zur Verhaftung eines UBS-Be­raters in Miami durch das FBI. Er wurde allerdings wieder auf freien Fuß gesetzt; die Kundendaten auf seinem Laptop blieben unentdeckt. Die Bankberater aber waren verun­sichert und mussten neue Dokumente un­ter­schreiben, die besagten, dass sie sich an das ak­tu­al­isierte Länderpapier hielten. Die Bank sicherte sich damit ab, das Geschäft lief jedoch unverändert weiter.

Ein Glücksgriff für die USA

Die UBS hatte nicht mit Birkenfeld gerechnet. Dieser offerierte den amerikanis­chen Behörden, genauer dem Department of Justice (DOJ), geleitet von Kevin Downing, „heiße“ In­for­ma­tio­nen über das Geschäftsmodell der UBS in den USA. Das DOJ agiert unabhängig vom Internal Revenue System (IRS), der amerikanis­chen Steuerbehörde, und der Justiz. Es kommt im Fall krimineller Machen­schaften zum Einsatz – und als solche galten die Geschäfte der UBS den Amerikanern.

„Die UBS-Berater waren ein Söldnertrupp, der unter Vor­spiegelung falscher Tatsachen die USA in­fil­tri­erte, um den wohlhabend­sten und er­fol­gre­ich­sten Bürgern des Landes zu helfen, den Staat zu schröpfen.“

Downing war geschickt und ließ sein DOJ beinahe zeitgleich mit der Börse­nauf­sicht – der Securities and Exchange Commission (SEC) – und der Steuer­auf­sicht IRS gegen die UBS in Stellung gehen. Als dann der russische Millionär Olenicoff unruhig wurde und sich selbst anzeigte, lag den Amerikanern ein komplettes Dossier eines Steuersünders, seines Bankhelfers – niemand anders als Birkenfeld – und des dahin­ter­ste­hen­den Banksystems vor. Nun konnten sie zuschlagen. Als ersten Schritt stellte DOJ-Chef Downing eine offizielle Anfrage im Fall Birkenfeld, der als „Whistle­blower“ fungierte.

SEC zündet Stufe zwei, IRS Stufe drei

Im Dezember 2007, nur zwei Monate nach der scheinbar harmlosen Anfrage des DOJ, verlangte die amerikanis­che Börse­nauf­sicht SEC, ver­schiedene US-Kun­den­ber­ater der UBS zum Off­shore-Geschäft der Bank zu befragen. Bei der UBS war allen klar, dass Birkenfeld ganze Arbeit geleistet haben musste und die Geschäft­sprak­tiken nun bekannt waren. Der zuständigen Schweizer Banke­nauf­sicht gelang es noch, die Anfrage einige Monate hinauszuzögern.

„Dass sich die Ve­r­ant­wortlichen der Problematik derart klar bewusst waren und im gleichen Atemzug ein kon­se­quentes Verbot ebendieser Handlugen als Ende des lukrativen Geschäfts beze­ich­neten, sagte alles.“

Daraufhin schlug Anfang 2008 die Sub­primekrise zu und brachte die UBS-Bilanz ins Taumeln. Die Bank brauchte eine gewaltige Kap­i­tal­spritze vom Staat und erhielt sie auch. Diesen Moment wählte Kevin Downing, um ein offizielles Verfahren gegen die UBS zu eröffnen. Die Bank wurde beschuldigt, ein Steuer­be­trugssys­tem betrieben und sys­tem­a­tisch gegen die US-Börse­nauf­sicht­sregeln verstoßen zu haben. Im nächsten Coup gelang es sogar, Martin Liechti, den Ve­r­ant­wortlichen für das US-Geschäft der UBS, in den USA zu verhaften.

„Mit dem Segen der obersten politischen Instanz wurde das Bankge­heim­nis geopfert.“

Die Steuerbehörde IRS brachte im Sommer 2008 eine weitere Waffe gegen die UBS in Anschlag: Sie deponierte eine Zivilklage gegen die Bank, ein so genanntes John Doe Summons. Dabei werden Daten unbekannter Menschen einge­fordert, die ein bestimmtes Delikt begangen haben. Wird die angeklagte Partei verurteilt und widersetzt sich der Herausgabe, so werden tägliche exorbitante Geldbußen fällig. Die IRS war sogar auf den Webseiten der UBS fündig geworden. Dort beschrieb die Bank genau dasjenige Schlupfloch, das ihr nun zum Verhängnis werden sollte: wie man durch die In­stal­la­tion von Sche­in­fir­men US-Steuern umgeht.

Der Deal

Der UBS und der Schweizer Banke­nauf­sicht war zunächst nicht klar, dass sie von drei Seiten in die Zange genommen wurden. Man konzen­tri­erte sich auf Downings DOJ. Um guten Willen zu zeigen, gaben die Schweizer zu, dass rund 250 Kunden Steuerbetrüger seien. Sie deklar­i­erten diese als „Einzelfälle“ und die entsprechen­den Machen­schaften als „Ver­fehlun­gen“ der UBS. Das Eingeständnis galt indirekt auch für andere Schweizer Banken mit den gleichen Praktiken.

„Der Vertrag verbog geltendes Recht der kleinen, einst wehrhaften Nation.“

Die USA sollten so besänftigt werden – was völlig fehlschlug. Denn von nun an richtete sich das Verfahren nicht mehr nur gegen die UBS, sondern gegen die Schweiz und ihr Bankge­heim­nis. Die USA forderten, dass die ve­r­ant­wortlichen UBS-Mi­tar­beiter verurteilt würden. Es lief auf einen Zusammenstoß zweier Rechtssys­teme hinaus, bei der die Schweiz auf ihr Bankge­heim­nis pochte und die USA Strafrecht, Steuerrecht und Zivilrecht in Gegen­stel­lung brachten. Die nun involvierte Schweizer Regierung versuchte zu beschwichti­gen – vergeblich.

„Die Schweiz opferte ihren Rechtsstaat und ihr Bankge­heim­nis in einer Notaktion.“

Inzwischen wurde deutlich, dass die UBS in den USA als kriminelle Or­gan­i­sa­tion angeklagt würde, sollte sie nicht binnen weniger Wochen die Kundendaten ihrer Steuersünder herausgeben. Kein anderes Fi­nanzun­ternehmen, das in den USA zuvor in ähnlichen Fällen angeklagt worden war, hatte dies überlebt. Zum Zeitpunkt der globalen Wirtschaft­skrise wäre ein Zusam­men­bruch der UBS ein hohes Risiko für die Weltwirtschaft gewesen. Die Schweizer Regierung stand vor der Entschei­dung, die UBS oder das Bankge­heim­nis zu opfern. Der schweiz­erische Bundesrat entschloss sich, die US-Anklage unter allen Umständen abzuwehren, und erteilte damit der Bankenkom­mis­sion freie Fahrt für einen Deal mit den USA. Die rund 250 Kundendaten wurden ausgehändigt.

Dickes Ende

Doch dies war keineswegs das Ende der Au­seinan­der­set­zun­gen: Es folgte die Forderung der USA nach weiteren 52 000 Kundendaten, die durch die Zivilklage John Doe Summons gestützt war. Die Schweizer Regierung reagierte mit einer geschicht­strächtigen „blocking order“, die die Herausgabe der Kundendaten durch die UBS untersagte – ein Staatsakt, der von den USA nicht mehr hätte angegriffen werden können. Doch das Ende vom Lied war dann doch ein ganz anderes: Die Schweiz un­terze­ich­nete am 19. August 2009 nach zähem Ringen einen Staatsver­trag mit den USA. Er verpflichtet sie, rund 4450 Kundendaten der UBS her­auszugeben und über „Fortschritte bei der Durch­set­zung des US-Steuer­rechts zu informieren“. Das Bankge­heim­nis ist damit – zumindest was den Bereich Steuer­fra­gen betrifft – weitgehend ausgehebelt.

Über den Autor

Lukas Hässig ist aus­ge­bilde­ter Bankkauf­mann, Journalist und Autor. Als Wirtschaft­sredak­teur arbeitete er für die Son­ntagszeitung, Finanz und Wirtschaft, Facts und Die Weltwoche. Er ist auch Autor des Buches Der UBS-Crash.