Permanentes Wirtschaftswachstum als Sackgasse
Die Krise kommt nicht unerwartet. Aber die Mahner wurden nicht ernst genommen. Dabei ist die Natur das Paradebeispiel dafür, dass es die endlose Expansion, welche die gegenwärtige Wirtschaftsideologie fordert, gar nicht gibt. In der Natur folgt auf jedes Wachstum eine Kontraktion.
„Die große Sause ist vorüber, die Bar geschlossen.“
Doch die Verfechter der Idee immerwährenden Wachstums bauen darauf, dass der Mensch im Gegensatz zum Rest der Natur über Verstand, Kreativität und Einfälle verfügt. Blind für die Endlichkeit der Ressourcen hat der Mensch riesige Städte, Industrieanlagen und Verkehrssysteme errichtet, die gigantische Mengen an Rohstoffen und Energie verschleißen. Nicht nur die Ressourcen gehen zur Neige, sondern auch die beiden wichtigsten Lebensmittel des Menschen: gesunde Luft und Wasser. Verschmutzte Luft ruiniert die Böden und die Ozonschicht und macht uns krank. Wasser wird zur Mangelware, weil sein Verbrauch noch stärker ansteigt als die Bevölkerung. Nur etwa 0,25 % des gesamten Wasservorkommens der Erde sind für den Menschen brauchbar, weil der Rest der Vorräte aus Salzwasser besteht. Vom Süßwasser wiederum ist ein Teil verschmutzt oder gebunden – beispielsweise in Form von Eis. Die Bodenqualität hat sich derart verschlechtert, dass viele Flächen gar nicht mehr bewirtschaftet werden können.
„Gibt es irgendeine Aufgabe zu lösen, sei es im privaten oder öffentlichen Bereich, ist der erste Reflex: Geld.“
Allein dadurch, dass die Weltbevölkerung drastisch zunimmt, werden auch die Nahrungsmittel knapp, sodass die Zahl der Hungernden und der Mangelernährten ansteigt. Aufgrund der erhöhten Nachfrage könnten Lebensmittel längerfristig wieder teurer werden.
Dass die Bevölkerung in Europa schrumpft, während sie weltweit noch zunimmt, beruht auf folgendem Muster: In der ersten Phase der Industrialisierung steigt der Lebensstandard und die Bevölkerung wächst stärker. In der zweiten Phase, die Europa im letzten Jahrhundert durchlebt hat, verlangsamt sich das Bevölkerungswachstum, was aber erst recht den Wohlstand erhöht, weil es genug zu verteilen gibt. In der dritten Phase, die wir jetzt durchlaufen, verlangsamen sich sowohl Wirtschafts- als auch Bevölkerungswachstum.
Die zerrüttete Gesellschaft
Wie verunsichert und unmündig immer mehr Bürger sind, zeigt die Hochkonjunktur, die Berater derzeit erleben. Helfer für alle Lebensbereiche schießen wie Pilze aus dem Boden: Es gibt Berater für Vermögen, Renten, Sozialhilfe, Ernährung, Lifestyle, Ehen, Eltern, Erziehung, Karriere usw. Tatsächlich zerfallen immer mehr Familien, und viele Menschen halten sich nur noch mittels Medikamenten, Drogen und Alkohol über Wasser. Weil Eltern immer weniger mit ihren Kindern sprechen, hat der Nachwuchs Schwierigkeiten mit Lesen, Schreiben und Textverständnis. Wie sollen unsere Kinder argumentieren, einen Standpunkt vertreten, logische Entscheidungen treffen oder Konflikte lösen?
„Durch seine Art des Wirtschaftens verschlechtert der Mensch auch seine eigenen Lebensbedingungen.“
All diese Fähigkeiten beruhen letztlich auf dem gelungenen Umgang mit der Sprache. Kindern wird zudem immer häufiger eine musische Ausbildung versagt; selbst körperliche Bewegung kommt zu kurz. Die Polarisation innerhalb der Bevölkerung wächst: Die Mittelschicht schwindet, indem sich ihre Angehörigen entweder zu den Reichen oder den Armen schlagen. Beide Flügel sind unzufrieden und fühlen sich ungerecht behandelt: die Reichen, weil auch sie nicht mehr so viel verdienen wie früher und zusätzlich für die sozial Schwachen aufkommen müssen, und die Armen, weil ihr Stück vom sozialen Kuchen immer kleiner wird.
„Auch wenn Materielles weiterhin eine große Rolle im Leben der Menschen spielen wird – Lebenssinn wird von ihm immer weniger ausgehen können.“
Manche halten die derzeitigen Verhältnisse lediglich für Fehlentwicklungen, die korrigiert werden können. Sie suchen die Ursachen etwa bei den Finanzjongleuren und der zu laschen Bankaufsicht oder in missratener Bildungs-, Migrations- oder Umweltpolitik. Um die Korrektur dieser vermeintlichen Fehlentwicklungen zu finanzieren, müsste die Wirtschaft allerdings weiter wachsen. Darum sind in Wahrheit nur eine radikale Umkehr und eine Umorientierung heilsam und rettend. Was können wir tun?
Wachstum und Wohlstand
Wir müssen die ideologiebedingte Kopplung von Wachstum und Wohlstand lösen. Denn Wachstum dient nicht nur als Mittel, den Wohlstand zu mehren, es kann ihn – unter bestimmten Bedingungen – auch mindern. Ein Beispiel: Wohnungen zu bauen, fördert den Wohlstand, sofern zu wenig Wohnungen vorhanden sind. Wohnungsbau mindert jedoch den Wohlstand, wenn es bereits genügend Wohnungen gibt. Denn dann verlieren sie an Wert, und obendrein fallen der unnützen Investition Ackerland und natürliche Flächen zum Opfer. Wir haben viel zu lange unsere Wohlstandsrechnungen wie ein schlechter Kaufmann gemacht, ohne die durch das Wachstum entstandenen Schäden abzuziehen. Dazu zählen vor allem der Verbrauch von erneuerbaren und nicht erneuerbaren Energiequellen und die Schäden an Natur und Umwelt. Die Messung des Bruttoinlandsprodukts als alleiniger Indikator für den Wohlstand einer Gesellschaft ist unzureichend und irreführend. Allerdings ist es schwierig, mittelbare Folgen des Wirtschaftswachstums, wie etwa Verwahrlosung der Kinder, Zerrüttung von Familien oder Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund von Stress, Bau- oder Verkehrslärm, zu messen.
„Kann es in einer endlichen Welt unendliches Wachstum geben?“
Ohne einen Richtungswechsel wird unsere Gesellschaft zwangsläufig scheitern – wie auch in der Vergangenheit Gesellschaften gescheitert sind, die an ihre Grenzen gestoßen waren und es vermieden hatten, sich neu zu auszurichten. Wir müssen Wohlstand neu definieren. Geld darf nicht seine einzige Grundlage bilden.
Aufwertung der Arbeit
Die Arbeit des Menschen wurde – am deutlichsten sichtbar in der Landwirtschaft – immer mehr durch exzessive Industrialisierung und Maschinen ersetzt, die Energie verbrauchen, Luft und Gewässer verunreinigen und das ökologische Gleichgewicht zerstören. Der Lohn für die menschliche Arbeit wurde dabei zu hoch angesetzt, die Kosten für die Verschwendung der Ressourcen zu niedrig. Dieser Entwicklung gilt es entgegenzuwirken, sodass die menschliche Arbeitskraft wieder gefragt und willkommen ist. Dabei sollten Leistungsanreize weniger materieller Natur als bedürfnisorientiert sein.
„So vordergründig zufrieden die Bevölkerung auch ist – mehrheitlich spürt sie, dass der Zenit dieser historischen Epoche überschritten ist.“
Die neuen kommunikationstechnischen Errungenschaften ermöglichen es, viele Arbeiten auch anderswo als in der Firma auszuführen, z. B. zu Hause. Dadurch wird das Verkehrssystem entlastet und der Übergang zwischen Privat- und Berufsleben gestaltet sich fließender. Mehr Zufriedenheit, Lebensfreude und -qualität, Motivation und Kreativität dürften die Folge sein. Jeder sollte sich selbst für seinen Arbeitsplatz verantwortlich fühlen und nicht alle Hoffnung auf den Arbeitgeber oder den Staat setzen. Selbstständige Tätigkeiten sowie die Möglichkeit, mehrere Berufe nebeneinander auszuüben, werden zunehmen. Auch die Kombination von Festanstellung und Selbstständigkeit muss selbstverständlich werden. Dazu müssen die überholten sozialen Sicherheitssysteme und komplizierten Steuergesetze neu ausgerichtet werden.
Umbau des Sozialstaats
Der Sozialstaat ist ein Kind des Wirtschaftswachstums. Wenn die Wirtschaft stagniert und die Bevölkerung immer älter wird, wird dieses Modell zwar nicht abgeschafft, jedoch müssen die Sozialleistungen reduziert werden. Der Staat insgesamt wird Einfluss einbüßen, zumal er seinen bisherigen Aufgaben nicht mehr wie gewohnt nachkommen und nicht mehr alles regeln kann. Das bedeutet vermehrte Selbstverantwortung für Bürger, Familien, Gemeinden und Gesellschaft. Der Tendenz, dass der Einzelne sich, gefördert durch den Wirtschaftsglobalismus, immer weniger mit der Gesellschaft identifiziert, muss Einhalt geboten werden. Jeder Bürger muss sich einer Kultur verpflichtet fühlen, die sich durch eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Tradition auszeichnet. Eine Vielfalt an Kulturen stabilisiert die Zivilisation und macht sie reich.
„Das Wachstum der Wirtschaft ist dabei, zu einer Blüte im Sumpf von Schulden, zu einer Sumpfblüte zu werden.“
Auch das Migrantenproblem muss gelöst werden. Es war nicht konstruktiv, zu hoffen, dass der Bevölkerungsrückgang durch Migranten aufgehalten würde und sie den materiellen Wohlstand mehren würden. Sie müssen in die Gesellschaft integriert werden und dazu die Landessprache erlernen. Mit Migranten, die diese Bedingungen nicht erfüllen wollen, sollte umgegangen werden wie mit Menschen, die sich zeitlich begrenzt im Land bewegen. Sie sollten daher auch nicht an den Sozialleistungen teilhaben. Die Herabsetzung integrationswilliger Migranten hingegen ist tabu.
Neue Altersgrenzen
Es ist anachronistisch und nicht länger hinzunehmen, dass Menschen ab 40 Jahren als schwer vermittelbar für den Arbeitsmarkt und ab 45 als ältere Arbeitnehmer gelten. Gestiegene Lebenserwartung und Agilität im Alter erfordern ein längeres Teilhaben am Arbeitsleben als bislang. Da Statistiken nichts über Einzelschicksale aussagen, kann es natürlich sein, dass trotz gestiegener Lebenserwartung ein Mensch früh stirbt und dann nichts von seinem nach hinten verschobenen Ruhestand hat. Es ist aber ohnehin eine absurde Idee und Praxis, das Leben außerhalb der Arbeit auf das Alter zu verschieben.
„Materielle Wohlstandsmehrung ist Wirtschaftswachstum abzüglich aller Kosten, die es in der belebten und unbelebten Natur verursacht.“
Ein besserer Vorschlag: Die Notwendigkeit und das Bedürfnis, bis ins hohe Alter zu arbeiten und aktiv zu sein, sollten die Bürger dadurch ausgleichen, dass sie jedes Jahr mindestens zwei Monate vollkommen erwerbsfrei leben können, um sich nach eigenem Gusto ihrem Leben, ihrer Familie und Freunden, ihren Hobbys, der Muße oder der Neubesinnung widmen zu können. Bei dieser Idee ist die Wirtschaft gefordert, mitzumachen und sich der überholten, verkrusteten und zu wenig hinterfragten Strukturen und Gewohnheiten zu entledigen.
Soziale Bildung
Bildungsideale sind epochen- und gesellschaftsabhängig. Bis zur Aufklärung wurden alle, die ein paar Brocken Latein vor sich hinmurmeln konnten, als hochgebildet angesehen. Heute wird Bildung weitgehend fokussiert und eingeengt auf die erfolgreiche Bewältigung der Ansprüche in Beruf und Karriere. Dieser Bildungsbegriff muss erweitert werden, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Als da wären: Wir müssen rasch die nicht versiegbaren Energiequellen wie Sonne und Erdwärme nutzbar machen.
„In 20 Jahren werden staatliche Sozialleistungen allenfalls die Existenz der Menschen sichern können, nicht ihren gewohnten Lebensstandard.“
Wir müssen das Transportsystem minimieren und energie- und umweltschonender konzipieren. Wir müssen Produktion und Verbrauch enger zusammenlegen. Wir müssen neue Wohn- und Stadtsysteme kreieren. Und wir müssen, um all das zu erreichen, die Bildung ganzheitlicher gestalten. Insbesondere müssen die sozial-emotionalen Kompetenzen, die in der Vergangenheit zu wenig gewürdigt wurden, wieder stärker gefördert werden. Denn diese werden angesichts der kommenden Umbrüche und sozialen Herausforderungen verstärkt gebraucht werden.
Ausblick
Optimismus beflügelt und motiviert. Fast alle erfolgreichen Menschenführer zeichneten sich dadurch aus. Doch der Optimismus hat auch eine Schattenseite: Optimistisch gestimmt nehmen wir Gefahren ungenügend zur Kenntnis und setzen auf das diffuse Prinzip Hoffnung, wo eine lösungsorientierte Auseinandersetzung angemessener wäre.
„Knapper werdende finanzielle Mittel und beschränkte wirtschaftliche Möglichkeiten werden viele wieder enger zusammenrücken und sich auf das beschränken lassen, was notwendig ist.“
Bei der Definition von Wohlstand muss ein Paradigmenwechsel stattfinden: Wohlstand darf nicht länger nur in Geld und Quantität gezählt und ausgedrückt werden, wie es seit der industriellen Revolution üblich ist. Wohlstand bedeutet auch: Zeit für mich, für meine Familie und Freunde zu haben, für die Natur, die Sinne und für kulturelle und spirituelle Erfahrungen.