Banken ohne Geheimnisse

Buch Banken ohne Geheimnisse

Was vom Swiss Banking übrig bleibt

Orell Füssli,


Rezension

Philipp Löpfe erzählt aus der Geschichte des Schweizer Bankge­heimnisses – und versucht seinen besorgten Landsleuten die Angst vor dessen Untergang zu nehmen. Nur wer die Geschichte des Fi­nanz­platzes Schweiz kennt, versteht, warum das Bankge­heim­nis in­ter­na­tional im Kreuzfeuer der Kritik steht und national so verbissen verteidigt wird. Werden die riesigen Banken des kleinen Landes auch ohne den langjährigen Vorteil gutes Geld verdienen? Löpfe, renom­mierter Wirtschaft­sjour­nal­ist und als solcher ein Kenner der um­strit­te­nen Branche, glaubt daran – wenn es den Banken gelingt, auf die globalen Her­aus­forderun­gen mit her­aus­ra­gen­den Di­en­stleis­tun­gen zu reagieren. Der Hauptver­di­enst des Buches ist, dass es Zusammenhänge erklärt und En­twick­lun­gen etap­pen­weise nachze­ich­net. Löpfe gibt aber auch ein paar brisante Empfehlun­gen ab. So plädiert er für eine stärkere Staatsver­schul­dung mittels Anleihen, damit der Staat in Zukun­ft­stech­nolo­gien investieren könne. Das wird zu reden geben, glaubt BooksInShort und empfiehlt das Buch allen Schweizern und Nicht-Schweiz­ern, die sich für einen der weltweit wichtigsten Finanzplätze in­ter­essieren.

Take-aways

  • Das Bankge­heim­nis gehörte lange Zeit ganz selbstverständlich zur Schweiz.
  • Heute wird die Schweiz für ihr Bankge­heim­nis zunehmend angeprangert: Es begünstigt die Steuer­hin­terziehung.
  • Schon nach dem Zweiten Weltkrieg war die Schweiz wegen ihrer Neutralität und wegen des Bankge­heimnisses bei den Alliierten unbeliebt.
  • Das änderte sich in der Ära des Kalten Krieges – jetzt war die politische Stabilität des kleinen Landes den USA willkommen.
  • In der Folge entwickelte sich das Swiss Banking her­vor­ra­gend – weltweit.
  • In der Schweiz entstand, ähnlich wie in den USA, ein „fi­nanziell-in­dus­trieller Komplex“ mit zahlreichen Ver­flech­tun­gen mächtiger Firmen und Banken.
  • Die IT-Rev­o­lu­tion hat das Bankwesen innerhalb von 60 Jahren radikal verändert.
  • Die Schweiz ist heute zu stark von ihren Großbanken abhängig.
  • Die Geschäft­sprak­tiken der Großbank UBS in den USA brachten die Schweiz an die Grenzen der Souveränität.
  • Die gute Nachricht: Müsste das Bankge­heim­nis endgültig aufgehoben werden, so wäre die Schweiz dennoch überlebensfähig.
 

Zusammenfassung

Adieu Bankge­heim­nis

Um das in der Schweiz fest verankerte Bankge­heim­nis steht es schlecht: Im Ausland will man die indirekte Schweizer Hil­festel­lung zur Steuer­hin­terziehung nicht mehr akzeptieren. Dennoch wird das Bankge­heim­nis im Inland von vielen so vehement verteidigt, als würde das Überleben des Landes davon abhängen. Die Schweiz ist in den vergangenen Jahren noch stärker ins Blickfeld anderer Staaten geraten, als das in der Ver­gan­gen­heit der Fall war. Die neusten Vorwürfe sind gravieren­der für den Bankenplatz Schweiz. Schuld daran sind das Geschäftsgebaren der Schweizer Großbank UBS und die weltweite Wirtschaft­skrise.

„Ob Berlusconi oder Sarkozy, ob Merkel oder Obama, der Kampf gegen die Steuersünder ist zur Chefsache geworden.“

Die Schweiz läuft Gefahr, auf die berüchtigte „schwarze Liste“ der OECD zu gelangen und als Steueroase geächtet zu werden. Geächtet, weil sich die Staaten auf dieser Liste auf Kosten der OECD-Gemein­schaft und anderer Länder bereichern.

Die Schweiz ist im Visier zahlreicher Staaten, die sich aufgrund der weltweiten Wirtschaft­skrise so stark verschulden mussten wie noch nie. Klar, dass diese Länder nun versuchen, verloren gegangene Steuersündergelder einzutreiben – Gelder, die sich in Milliardenhöhe bewegen sollen. Es wird geschätzt, dass die Schweiz rund ein Drittel des weltweiten Privatvermögens verwaltet. Ein Blick zurück auf Ereignisse und Wirtschaft­sen­twick­lun­gen der Ver­gan­gen­heit lässt erkennen, warum sich die Schlinge um das Schweizer Bankge­heim­nis immer weiter zuzieht.

Sonderfall Schweiz

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war für die Schweiz wirtschaftlich äußerst erfolgreich. Es herrschte Vollbeschäftigung, der Wohlstand stieg und staatliche soziale Ab­sicherun­gen wurden ausgebaut. Das Swiss Banking war zu dieser Zeit ohne Glamour, eher beschaulich, bieder, technisch wenig entwickelt, aber erfolgreich. Große Bankierspersönlichkeiten wie Hans Bär und Hans Vontobel begannen ihre Karriere – unter beschei­de­nen Bedingungen.

„Die kon­ser­v­a­tive Schweiz hat das Bankge­heim­nis zur Schick­sals­frage em­porstil­isiert.“

Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg nimmt die Schweiz eine besondere Rolle innerhalb der Staatengefüge ein. Wenn von einem „Sonderfall Schweiz“ die Rede ist, so gibt es diverse De­f­i­n­i­tio­nen, je nachdem welcher politischen Herkunft die Definition ist. Weitgehend einig ist man sich, dass der Sonderfall gekennze­ich­net ist durch Volkssouveränität, direkte Demokratie, Föderalismus mit Wettbewerb der Kantone und Gemeinden un­tere­inan­der und durch eine dauernd bewaffnete Neutralität.

„Nach wie vor sind viele Schweiz­erin­nen und Schweizer überzeugt, das Bankge­heim­nis sei geschaffen worden, um jüdische Vermögen vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren. Das ist blanker Unsinn.“

Auch die Errichtung des Schweizer Bankge­heimnisses kann zum „Sonderfall Schweiz“ gezählt werden. Es geht auf Jean-Marie Musy zurück, der 1920–1934 Bundesrat und Fi­nanzmin­is­ter war. Ziel war es, den Finanzplatz Schweiz vor ausländischen Steuerbehörden zu schützen und den Schweizer Banken damit einen wichtigen Vorteil im in­ter­na­tionalen Wettbewerb zu verschaffen. Ein neues Bankenge­setz mit entsprechen­dem Artikel wurde 1934 vom Parlament angenommen.

„Die Schweiz wurde das reichste Land der Erde, denn sie durfte ihren Status als Sonderfall mit fre­undlicher Genehmigung der Amerikaner behalten.“

Nach dem Krieg war die Schweiz genau wegen dieses Bankge­heimnisses und ihrer Neutralität bei den Alliierten wenig beliebt. Dies änderte sich jedoch, als der Kalte Krieg begann und die USA es duldeten, dass reiche Franzosen und Italiener ihr Geld aus ihren instabilen Heimat­staaten in die sichere Schweiz brachten – galt doch die Schweiz als neutral und gle­ichzeitig als dezidiert an­tikom­mu­nis­tisch.

Das Banking gewinnt an Fahrt

Ende des 20. Jahrhun­derts, nach dem Scheitern des Kommunismus und der er­fol­gre­ichen Bändigung der Inflation, hatten die Notenbanken in der Fiskalpoli­tik das Sagen. Eine Einmischung des Staates wurde kaum geduldet. Die Notenbanken, allen voran das amerikanis­che Fed (Federal Reserve System) unter Leitung von Paul Volcker, später unter Alan Greenspan, saßen an den Schalthe­beln der Macht. Mark­treg­ulierung war gestern, Dereg­ulierung und Glob­al­isierung der gesamten Weltwirtschaft waren die Parolen der Zeit. Im Zuge der rasanten IT-En­twick­lung eröffneten sich für die Banken schier uner­messliche neue Wach­s­tums­felder. Fonds­ge­sellschaften, Hedgefonds, Banken als Ak­tienge­sellschaften und als große globale Player waren bis dato nahezu unbekannt. Der Handel mit Oblig­a­tio­nen wandelte sich von konservativ zu höchst spekulativ. Das Tempo erhöhte sich – und setzte auch Schweizer Banker unter Druck.

„Wenn Banking aufregend wird, dann sollte man auf der Hut sein, dann stimmt etwas nicht mehr.“

Durch immer schnellere, größere und leistungsfähigere Computer verwandelte sich die Bankenwelt rasant. Neue Produkte wurden möglich und Math­e­matiker avancierten zu gesuchten und hoch bezahlten Fi­nanzs­trate­gietüftlern amerikanis­cher Brokerhäuser. Banking und An­lageentschei­dun­gen basierten zunehmend auf soft­wareges­teuerten Entschei­dun­gen, weniger auf gesundem Men­schen­ver­stand.

„Das Hickhack um die Holo­caust-Gelder war die schlimmste Krise der Schweizer Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg.“

Anfang der 90er Jahre explodierte der Handel mit Derivaten, die ursprünglich Ver­sicherungsin­stru­mente waren. Zu Beginn des Jahrtausends betrug der Wert der gehandelten Derivate rund 100 000 Milliarden Dollar, 2008 waren es 600 000 Milliarden Dollar. Die immer komplexeren De­rivatkon­struk­tio­nen legten den Grundstein für die spätere Sub­primekrise in den USA. Es wurde mit Fi­nanzin­stru­menten gearbeitet, die zu komplex waren, um ihre Auswirkun­gen gänzlich zu verstehen.

Der fi­nanziell-in­dus­trielle Komplex

Der amerikanis­che Präsident Dwight D. Eisenhower prägte den Begriff des „militärisch-in­dus­triellen Komplexes“, vor dem er zugleich ein­dringlich warnte. Gemeint waren die enge Verbindung und die geteilten Interessen von Regierung und Militär. Analog zu diesem Begriff spricht man heute von einem „fi­nanziell-in­dus­triellen“ Komplex, entstanden durch Glob­al­isierung und IT-Rev­o­lu­tion, der die Interessen von Regierungen und Finanzwelt eng miteinander verbindet.

„Die UBS hat mit ihrem Vorgehen das Ende des Bankge­heimnisses eingeläutet, nicht aber das Ende des Swiss Banking.“

Auch in der Schweiz sind Bankenwelt und Politik nicht unabhängig voneinander, gehören doch ihre Großbanken zu den wichtigsten Sponsoren der bürgerlichen Parteien. Die Wahl von Ex-Bun­desrat Kaspar Villiger an die UBS-Spitze gehört zur Schweizer Variante eines fi­nanziell-in­dus­triellen Komplexes.

Die Grenzen der Souveränität

Die Schweiz musste ihr Bankge­heim­nis und ihre Son­der­stel­lung in der Ver­gan­gen­heit bereits mehrfach verteidigen, und dies nur, indem sie mit barer Münze bezahlte. Drei Fälle:

  • Dennis Levine / Bank Leu: In den 80er Jahren erregte der Fall Dennis Levine in den USA und in der Schweiz Aufsehen. Levine tätigte in den USA In­sid­ergeschäfte in großem Stil – mithilfe der Schweizer Privatbank Leu und einer ihrer Filialen auf den Bahamas. In­sider­han­del stand in den USA unter Strafe. Levine flog auf, und die Bank Leu war trotz Berufung auf das Bankge­heim­nis gezwungen, seinen Namen preiszugeben. Die Bank wurde in der Folge von der Credit Suisse übernommen. Die Schweiz aber hatte nun Flecken auf ihrer weißen Weste und konnte sie nur reinigen, indem sie den In­sider­han­del ebenfalls per Gesetz verbot.
  • Nachricht­en­lose Vermögen: In den 90er Jahren wurde die Schweiz von der Affäre um nachricht­en­lose Vermögen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs erschüttert. Auch hier übten vor allem die USA Druck aus. Die Schweiz war gefordert, sich ihrer Rolle zu stellen, die sie im Zweiten Weltkrieg eingenommen hatte, und sich vom Verdacht zu befreien, sich an den Vermögen der während des Holocaust umge­brachten Juden bereichert zu haben. Schweizer Banken und Politik einigten sich erst nach jahrelangem, zähem Ringen: UBS und Credit Suisse sollten 1,25 Milliarden Dollar zur Verteilung an die Holo­caust-Opfer zahlen. Dieser Vergleich der Banken mit Sammelklägern und jüdischen Or­gan­i­sa­tio­nen in New York stellte Bankge­heim­nis und Son­der­stel­lung der Schweiz erneut infrage.
  • Die UBS in den USA: Eine weitere Gefährdung des Bankge­heimnisses geht von der Affäre um die Machen­schaften der UBS in den USA aus. Inzwischen ist klar, dass die Schweizer Großbank amerikanis­che Gesetze umging und schlicht kriminell handelte, indem sie reichen Kunden aktiv bei der Steuer­hin­terziehung half. Unter der Leitung von Marcel Ospel befand sich die UBS über viele Jahre in einem er­fol­gre­ichen Steilflug und stieg zur weltweit größten Vermögensver­wal­terin auf. Ähnliches war mit der In­vest­mentsparte geplant und schien sich in den USA zu ver­wirk­lichen. Doch 2008 war das große Feiern abrupt zu Ende: mit der Verhaftung Martin Liechtis in Miami, der für das Private Banking in den USA zuständig war. Dies war der Beginn eines Prozesses, an dessen Ende die Bank 285 amerikanis­che UBS-Kun­den­daten liefern musste; der Schweizer Bundesrat sorgte per Notrecht dafür. Hinzu kam eine Zahlung von 780 Millionen Franken Buße an die US-Jus­tizbehörden. Schließlich folgte im August 2009 ein Vergleich, demzufolge die UBS der amerikanis­chen Steuerbehörde weitere 4450 Kundendaten liefern musste – Bankge­heim­nis hin oder her. Ob sich das Schweizer Bankge­heim­nis wird halten können, ist ungewiss – es sieht nicht danach aus.

Aussichten

Bislang hat die Schweiz ihre Identität stets auch über das Bankge­heim­nis definiert und es mit Zähnen und Klauen verteidigt. Doch eigentlich war es immer die Kombination aus Neutralität, politischer Stabilität und Demokratie, die – zusammen mit dem Bankge­heim­nis – zum sagenhaften Erfolg des Schweizer Banken­platzes geführt hat.

„Die politische Schweiz darf nicht zu einem fi­nanziell-in­dus­triellen Komplex mit einem mafiösen Image verkommen.“

Das Bankge­heim­nis ist mehr als angekratzt. Es ist wahrschein­lich nicht mehr haltbar, ohne dem Rest der Welt den Fe­hde­hand­schuh hinzuwerfen. Doch eigentlich braucht die Schweiz das Bankge­heim­nis gar nicht, um zu überleben. Die Schweizer Banken werden weiterhin eine glänzende Zukunft vor sich haben, wenn es ihnen gelingt, die Risiken der Glob­al­isierung und des derzeitigen Un­gle­ichgewichts in der Weltwirtschaft zu managen. Dazu gehört auch, dass sich ins­beson­dere Großbanken an in­ter­na­tionale Spielregeln halten.

„Die Schweiz braucht weder ein Bankge­heim­nis, noch muss sie Größen­wah­n­fan­tasien pflegen, wenn sie sich auf diejenigen Werte zurückbesinnt, mit denen sie die Wil­len­sna­tion aufgebaut hat.“

Großbankenkom­plexe sind ohnehin darauf zu überprüfen, ob sie nicht ein viel zu großes Klumpen­risiko darstellen – für die Schweiz ist dies allemal der Fall. Die Bilanzsumme aller Banken beträgt mehr als das Achtfache des Brut­toin­land­spro­dukts. Die drei größten Banken vereinen einen Marktanteil von 76 % auf sich. Das ist wirtschaft­spoli­tisch gefährlich und auch in gesellschaft­spoli­tis­cher Hinsicht nicht ideal. Wenn Banken zu groß sind, um im Krisenfall vom Staat überhaupt noch gerettet werden zu können, stimmt etwas nicht. Die Lösung heißt hier: Umbau und mehr Eigen­mit­tel­re­ser­ven.

Sichere Staatss­chulden

Die Schweiz wird in Zukunft trotz ihrer Neutralität zunehmend von anderen Staaten abhängig sein. Sie wird mit ihnen gemeinsame Abkommen und Lösungen erarbeiten müssen, will sie weiterhin Handel treiben und am Wirtschafts­geschehen teilhaben. Das durchlöcherte Bankge­heim­nis bringt sie in Verruf und schwächt ihre Glaubwürdigkeit.

„Die Schweiz braucht in Zukunft eine stabile Demokratie, aber sie braucht kein Bankge­heim­nis.“

Auch in Zukunft wird weiterhin viel Geld in die Schweiz fließen – aufgrund ihrer politischen Stabilität und der Qualität des Swiss Banking. Genau hier muss Vertrauen weiter ausgebaut werden: im Bankensek­tor und in der Demokratie – evtl. auch durch die Entwicklung zu einem echten Bürgerstaat. Damit ist ein Staat gemeint, der sich durch die Ausgabe von Anleihen verschuldet, um in Bildung und Zukun­ft­stech­nolo­gien zu investieren, was wiederum die Bin­nenkon­junk­tur stärken würde. Allein, das Unbehagen der Schweizer vor Staatss­chulden ist gewaltig. Jedoch sind Staatss­chulden, solange sie durch Spargelder gedeckt sind – und das wären sie in der Schweiz durchaus – der sichere Kern des Fi­nanzsys­tems. Es lohnt sich, darüber nachzu­denken, die Schweiz auf diese Weise weniger abhängig vom Tun und Handeln einzelner Großbanken zu machen.

Über den Autor

Philipp Löpfe ist Wirtschaft­sjour­nal­ist und früherer Chefredak­teur des Son­ntags­Blicks und des Tages-Anzeigers. Er ist auch Koautor des Buches Der Irrsinn der Reformen.