Adieu Bankgeheimnis
Um das in der Schweiz fest verankerte Bankgeheimnis steht es schlecht: Im Ausland will man die indirekte Schweizer Hilfestellung zur Steuerhinterziehung nicht mehr akzeptieren. Dennoch wird das Bankgeheimnis im Inland von vielen so vehement verteidigt, als würde das Überleben des Landes davon abhängen. Die Schweiz ist in den vergangenen Jahren noch stärker ins Blickfeld anderer Staaten geraten, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die neusten Vorwürfe sind gravierender für den Bankenplatz Schweiz. Schuld daran sind das Geschäftsgebaren der Schweizer Großbank UBS und die weltweite Wirtschaftskrise.
„Ob Berlusconi oder Sarkozy, ob Merkel oder Obama, der Kampf gegen die Steuersünder ist zur Chefsache geworden.“
Die Schweiz läuft Gefahr, auf die berüchtigte „schwarze Liste“ der OECD zu gelangen und als Steueroase geächtet zu werden. Geächtet, weil sich die Staaten auf dieser Liste auf Kosten der OECD-Gemeinschaft und anderer Länder bereichern.
Die Schweiz ist im Visier zahlreicher Staaten, die sich aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise so stark verschulden mussten wie noch nie. Klar, dass diese Länder nun versuchen, verloren gegangene Steuersündergelder einzutreiben – Gelder, die sich in Milliardenhöhe bewegen sollen. Es wird geschätzt, dass die Schweiz rund ein Drittel des weltweiten Privatvermögens verwaltet. Ein Blick zurück auf Ereignisse und Wirtschaftsentwicklungen der Vergangenheit lässt erkennen, warum sich die Schlinge um das Schweizer Bankgeheimnis immer weiter zuzieht.
Sonderfall Schweiz
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war für die Schweiz wirtschaftlich äußerst erfolgreich. Es herrschte Vollbeschäftigung, der Wohlstand stieg und staatliche soziale Absicherungen wurden ausgebaut. Das Swiss Banking war zu dieser Zeit ohne Glamour, eher beschaulich, bieder, technisch wenig entwickelt, aber erfolgreich. Große Bankierspersönlichkeiten wie Hans Bär und Hans Vontobel begannen ihre Karriere – unter bescheidenen Bedingungen.
„Die konservative Schweiz hat das Bankgeheimnis zur Schicksalsfrage emporstilisiert.“
Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg nimmt die Schweiz eine besondere Rolle innerhalb der Staatengefüge ein. Wenn von einem „Sonderfall Schweiz“ die Rede ist, so gibt es diverse Definitionen, je nachdem welcher politischen Herkunft die Definition ist. Weitgehend einig ist man sich, dass der Sonderfall gekennzeichnet ist durch Volkssouveränität, direkte Demokratie, Föderalismus mit Wettbewerb der Kantone und Gemeinden untereinander und durch eine dauernd bewaffnete Neutralität.
„Nach wie vor sind viele Schweizerinnen und Schweizer überzeugt, das Bankgeheimnis sei geschaffen worden, um jüdische Vermögen vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren. Das ist blanker Unsinn.“
Auch die Errichtung des Schweizer Bankgeheimnisses kann zum „Sonderfall Schweiz“ gezählt werden. Es geht auf Jean-Marie Musy zurück, der 1920–1934 Bundesrat und Finanzminister war. Ziel war es, den Finanzplatz Schweiz vor ausländischen Steuerbehörden zu schützen und den Schweizer Banken damit einen wichtigen Vorteil im internationalen Wettbewerb zu verschaffen. Ein neues Bankengesetz mit entsprechendem Artikel wurde 1934 vom Parlament angenommen.
„Die Schweiz wurde das reichste Land der Erde, denn sie durfte ihren Status als Sonderfall mit freundlicher Genehmigung der Amerikaner behalten.“
Nach dem Krieg war die Schweiz genau wegen dieses Bankgeheimnisses und ihrer Neutralität bei den Alliierten wenig beliebt. Dies änderte sich jedoch, als der Kalte Krieg begann und die USA es duldeten, dass reiche Franzosen und Italiener ihr Geld aus ihren instabilen Heimatstaaten in die sichere Schweiz brachten – galt doch die Schweiz als neutral und gleichzeitig als dezidiert antikommunistisch.
Das Banking gewinnt an Fahrt
Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Scheitern des Kommunismus und der erfolgreichen Bändigung der Inflation, hatten die Notenbanken in der Fiskalpolitik das Sagen. Eine Einmischung des Staates wurde kaum geduldet. Die Notenbanken, allen voran das amerikanische Fed (Federal Reserve System) unter Leitung von Paul Volcker, später unter Alan Greenspan, saßen an den Schalthebeln der Macht. Marktregulierung war gestern, Deregulierung und Globalisierung der gesamten Weltwirtschaft waren die Parolen der Zeit. Im Zuge der rasanten IT-Entwicklung eröffneten sich für die Banken schier unermessliche neue Wachstumsfelder. Fondsgesellschaften, Hedgefonds, Banken als Aktiengesellschaften und als große globale Player waren bis dato nahezu unbekannt. Der Handel mit Obligationen wandelte sich von konservativ zu höchst spekulativ. Das Tempo erhöhte sich – und setzte auch Schweizer Banker unter Druck.
„Wenn Banking aufregend wird, dann sollte man auf der Hut sein, dann stimmt etwas nicht mehr.“
Durch immer schnellere, größere und leistungsfähigere Computer verwandelte sich die Bankenwelt rasant. Neue Produkte wurden möglich und Mathematiker avancierten zu gesuchten und hoch bezahlten Finanzstrategietüftlern amerikanischer Brokerhäuser. Banking und Anlageentscheidungen basierten zunehmend auf softwaregesteuerten Entscheidungen, weniger auf gesundem Menschenverstand.
„Das Hickhack um die Holocaust-Gelder war die schlimmste Krise der Schweizer Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg.“
Anfang der 90er Jahre explodierte der Handel mit Derivaten, die ursprünglich Versicherungsinstrumente waren. Zu Beginn des Jahrtausends betrug der Wert der gehandelten Derivate rund 100 000 Milliarden Dollar, 2008 waren es 600 000 Milliarden Dollar. Die immer komplexeren Derivatkonstruktionen legten den Grundstein für die spätere Subprimekrise in den USA. Es wurde mit Finanzinstrumenten gearbeitet, die zu komplex waren, um ihre Auswirkungen gänzlich zu verstehen.
Der finanziell-industrielle Komplex
Der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower prägte den Begriff des „militärisch-industriellen Komplexes“, vor dem er zugleich eindringlich warnte. Gemeint waren die enge Verbindung und die geteilten Interessen von Regierung und Militär. Analog zu diesem Begriff spricht man heute von einem „finanziell-industriellen“ Komplex, entstanden durch Globalisierung und IT-Revolution, der die Interessen von Regierungen und Finanzwelt eng miteinander verbindet.
„Die UBS hat mit ihrem Vorgehen das Ende des Bankgeheimnisses eingeläutet, nicht aber das Ende des Swiss Banking.“
Auch in der Schweiz sind Bankenwelt und Politik nicht unabhängig voneinander, gehören doch ihre Großbanken zu den wichtigsten Sponsoren der bürgerlichen Parteien. Die Wahl von Ex-Bundesrat Kaspar Villiger an die UBS-Spitze gehört zur Schweizer Variante eines finanziell-industriellen Komplexes.
Die Grenzen der Souveränität
Die Schweiz musste ihr Bankgeheimnis und ihre Sonderstellung in der Vergangenheit bereits mehrfach verteidigen, und dies nur, indem sie mit barer Münze bezahlte. Drei Fälle:
- Dennis Levine / Bank Leu: In den 80er Jahren erregte der Fall Dennis Levine in den USA und in der Schweiz Aufsehen. Levine tätigte in den USA Insidergeschäfte in großem Stil – mithilfe der Schweizer Privatbank Leu und einer ihrer Filialen auf den Bahamas. Insiderhandel stand in den USA unter Strafe. Levine flog auf, und die Bank Leu war trotz Berufung auf das Bankgeheimnis gezwungen, seinen Namen preiszugeben. Die Bank wurde in der Folge von der Credit Suisse übernommen. Die Schweiz aber hatte nun Flecken auf ihrer weißen Weste und konnte sie nur reinigen, indem sie den Insiderhandel ebenfalls per Gesetz verbot.
- Nachrichtenlose Vermögen: In den 90er Jahren wurde die Schweiz von der Affäre um nachrichtenlose Vermögen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs erschüttert. Auch hier übten vor allem die USA Druck aus. Die Schweiz war gefordert, sich ihrer Rolle zu stellen, die sie im Zweiten Weltkrieg eingenommen hatte, und sich vom Verdacht zu befreien, sich an den Vermögen der während des Holocaust umgebrachten Juden bereichert zu haben. Schweizer Banken und Politik einigten sich erst nach jahrelangem, zähem Ringen: UBS und Credit Suisse sollten 1,25 Milliarden Dollar zur Verteilung an die Holocaust-Opfer zahlen. Dieser Vergleich der Banken mit Sammelklägern und jüdischen Organisationen in New York stellte Bankgeheimnis und Sonderstellung der Schweiz erneut infrage.
- Die UBS in den USA: Eine weitere Gefährdung des Bankgeheimnisses geht von der Affäre um die Machenschaften der UBS in den USA aus. Inzwischen ist klar, dass die Schweizer Großbank amerikanische Gesetze umging und schlicht kriminell handelte, indem sie reichen Kunden aktiv bei der Steuerhinterziehung half. Unter der Leitung von Marcel Ospel befand sich die UBS über viele Jahre in einem erfolgreichen Steilflug und stieg zur weltweit größten Vermögensverwalterin auf. Ähnliches war mit der Investmentsparte geplant und schien sich in den USA zu verwirklichen. Doch 2008 war das große Feiern abrupt zu Ende: mit der Verhaftung Martin Liechtis in Miami, der für das Private Banking in den USA zuständig war. Dies war der Beginn eines Prozesses, an dessen Ende die Bank 285 amerikanische UBS-Kundendaten liefern musste; der Schweizer Bundesrat sorgte per Notrecht dafür. Hinzu kam eine Zahlung von 780 Millionen Franken Buße an die US-Justizbehörden. Schließlich folgte im August 2009 ein Vergleich, demzufolge die UBS der amerikanischen Steuerbehörde weitere 4450 Kundendaten liefern musste – Bankgeheimnis hin oder her. Ob sich das Schweizer Bankgeheimnis wird halten können, ist ungewiss – es sieht nicht danach aus.
Aussichten
Bislang hat die Schweiz ihre Identität stets auch über das Bankgeheimnis definiert und es mit Zähnen und Klauen verteidigt. Doch eigentlich war es immer die Kombination aus Neutralität, politischer Stabilität und Demokratie, die – zusammen mit dem Bankgeheimnis – zum sagenhaften Erfolg des Schweizer Bankenplatzes geführt hat.
„Die politische Schweiz darf nicht zu einem finanziell-industriellen Komplex mit einem mafiösen Image verkommen.“
Das Bankgeheimnis ist mehr als angekratzt. Es ist wahrscheinlich nicht mehr haltbar, ohne dem Rest der Welt den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Doch eigentlich braucht die Schweiz das Bankgeheimnis gar nicht, um zu überleben. Die Schweizer Banken werden weiterhin eine glänzende Zukunft vor sich haben, wenn es ihnen gelingt, die Risiken der Globalisierung und des derzeitigen Ungleichgewichts in der Weltwirtschaft zu managen. Dazu gehört auch, dass sich insbesondere Großbanken an internationale Spielregeln halten.
„Die Schweiz braucht weder ein Bankgeheimnis, noch muss sie Größenwahnfantasien pflegen, wenn sie sich auf diejenigen Werte zurückbesinnt, mit denen sie die Willensnation aufgebaut hat.“
Großbankenkomplexe sind ohnehin darauf zu überprüfen, ob sie nicht ein viel zu großes Klumpenrisiko darstellen – für die Schweiz ist dies allemal der Fall. Die Bilanzsumme aller Banken beträgt mehr als das Achtfache des Bruttoinlandsprodukts. Die drei größten Banken vereinen einen Marktanteil von 76 % auf sich. Das ist wirtschaftspolitisch gefährlich und auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht nicht ideal. Wenn Banken zu groß sind, um im Krisenfall vom Staat überhaupt noch gerettet werden zu können, stimmt etwas nicht. Die Lösung heißt hier: Umbau und mehr Eigenmittelreserven.
Sichere Staatsschulden
Die Schweiz wird in Zukunft trotz ihrer Neutralität zunehmend von anderen Staaten abhängig sein. Sie wird mit ihnen gemeinsame Abkommen und Lösungen erarbeiten müssen, will sie weiterhin Handel treiben und am Wirtschaftsgeschehen teilhaben. Das durchlöcherte Bankgeheimnis bringt sie in Verruf und schwächt ihre Glaubwürdigkeit.
„Die Schweiz braucht in Zukunft eine stabile Demokratie, aber sie braucht kein Bankgeheimnis.“
Auch in Zukunft wird weiterhin viel Geld in die Schweiz fließen – aufgrund ihrer politischen Stabilität und der Qualität des Swiss Banking. Genau hier muss Vertrauen weiter ausgebaut werden: im Bankensektor und in der Demokratie – evtl. auch durch die Entwicklung zu einem echten Bürgerstaat. Damit ist ein Staat gemeint, der sich durch die Ausgabe von Anleihen verschuldet, um in Bildung und Zukunftstechnologien zu investieren, was wiederum die Binnenkonjunktur stärken würde. Allein, das Unbehagen der Schweizer vor Staatsschulden ist gewaltig. Jedoch sind Staatsschulden, solange sie durch Spargelder gedeckt sind – und das wären sie in der Schweiz durchaus – der sichere Kern des Finanzsystems. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, die Schweiz auf diese Weise weniger abhängig vom Tun und Handeln einzelner Großbanken zu machen.