Wissen erfolgreich managen
Wissen ist zunächst immer an einzelne Menschen gebunden. Es sind Menschen, die Erfahrungen sammeln, Wissen erwerben und es an andere weitergeben. Mit dem Wissen, das sie bereits besitzen, interpretieren sie ihre Wahrnehmungen und entscheiden, wie sie reagieren. Wissen ist also eine Art Erwartungshaltung: Aus unseren bisherigen Erfahrungen leiten wir Erwartungen darüber ab, wie Situationen zu bewerten sind und was wir tun müssen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dabei können wir nicht sicher sein, ob unsere Bewertungen stimmen, denn absolut sicheres Wissen gibt es nicht.
„Wissen ist vor allem ein soziales Phänomen.“
Im menschlichen Gehirn werden neue Kenntnisse und Erfahrungen verankert, indem neue Vernetzungen entstehen. Ganz ähnlich läuft der Wissenserwerb in einer Organisation ab: Wenn das Wissen des Einzelnen einen Nutzen bringen soll, muss es in Netzwerken weitergegeben und ausgebaut werden. Dazu braucht es eine neue Form des Managements. Im industriellen Zeitalter waren die Dinge klar geregelt: Chefs gaben Anweisungen, Untergebene führten sie aus. Doch im Zeitalter der Wissensarbeit ist dieser Ansatz gefährlich: Wo Mitarbeiter zu Befehlsempfängern degradiert werden, setzen sie ihr eigenes Wissen nicht ein. Oft äußern sie es noch nicht einmal. Wenn ein Unternehmen Zugriff auf dieses Wissen haben soll, brauchen die Mitarbeiter viel Freiraum und eine Atmosphäre des Vertrauens.
Der Einstieg ins Wissensmanagement
Wissensmanagement bedeutet, dass das Wissen der einzelnen Mitarbeiter gesammelt, strukturiert und für andere verfügbar gemacht wird. Entsprechende Ansätze finden sich bereits in vielen Unternehmen; meist sind es einfache Informationssammlungen, die innerhalb einer Abteilung erstellt wurden und nur dort verfügbar sind. Besser als diese informellen Lösungen ist ein einheitliches System, das allen Mitarbeitern des Unternehmens gleichermaßen zur Verfügung steht. Die Einführung eines unternehmensweiten Wissensmanagementsystems ist Aufgabe der Unternehmensleitung. Doch bei der Durchführung müssen die Mitarbeiter unbedingt mit eingebunden werden – ein System, das ihnen von oben aufgezwungen wurde, werden sie mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht akzeptieren.
„Wissen ist die wichtigste Ressource in einem Innovationsprozess.“
Die Frage nach systematischem Wissensmanagement wird in einem Unternehmen in der Regel erst dann aufgeworfen, wenn es bereits Probleme gibt, etwa weil das bisher festgehaltene Wissen nicht mehr aktuell ist oder weil Wissensträger das Unternehmen verlassen haben. Nun geht es darum, das im Unternehmen tatsächlich vorhandene Wissen zu kommunizieren, zu sichern und kontinuierlich zu erweitern.
„Das Zusammenspiel von Wissensmanagement, Wissenstransfer und Wissensnetzwerken zu orchestrieren, ist eine der faszinierendsten Managementaufgaben von heute.“
Welches Wissen für das Unternehmen relevant ist, legt die Unternehmensführung anhand der Unternehmensziele fest. Anschließend sind die Angestellten – die Wissensarbeiter – für die praktische Umsetzung zuständig. Achten Sie darauf, dass bei der Einführung des Wissensmanagements verschiedene Abteilungen zusammenarbeiten, und binden Sie nach Möglichkeit auch externe Wissensträger mit ein, etwa Kunden oder Geschäftspartner. Nur so erhalten Sie ein breites, umfassendes Wissensspektrum.
„Nichts ist so persönlich und verändert sich so dynamisch wie das Wissen eines Menschen.“
In einem Wissensportfolio halten die Beteiligten die Wissensgebiete fest, die für das Unternehmen aktuell oder zukünftig von Bedeutung sind. Anschließend formulieren sie Wissensziele: Welches Wissen ist in diesen Bereichen aktuell vorhanden? Wie ist es verteilt? Was soll sich verändern? Danach wird ein Aktionsplan erstellt: Mithilfe welcher Maßnahmen soll das Wissen vertieft, besser verteilt und kodifiziert werden? Im Idealfall ist dieser Prozess keine einmalige Sache, sondern wird kontinuierlich weitergeführt. Nur so bleibt das Wissen aktuell und der jeweiligen Situation angepasst.
Formen des Wissens und der Wissensgewinnung
Wissen ist im Unternehmen in unterschiedlichen Zustandsformen vorhanden, vergleichbar mit den Aggregatzuständen:
- Gefrorenes Wissen ist schriftlich fixiert, etwa in Büchern oder Notizen. Es ist jederzeit für jeden verfügbar.
- Flüssiges Wissen ist anwendungsorientiert, es wird im persönlichen Kontakt, im direkten Gespräch oder in Seminaren weitergegeben. Manches Wissen dieser Art lässt sich schriftlich nicht gut festhalten.
- Dampfförmiges Wissen ist oft unbewusst. Es beruht auf Intuition und Gespür und entwickelt sich nur nach langer Erfahrung. Es ist nicht einfach, sich dieses Wissen anzueignen, und es ist nur schwer zu kommunizieren.
„Entscheidend für die Entwicklung und Produktivität des individuellen und organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen, die Wissensarbeiter in Organisationen vorfinden.“
Wissen können Sie über Kodifizierung, Personalisierung und Sozialisierung speichern und weitergeben:
- Kodifizierung bedeutet, dass das Wissen einzelner Mitarbeiter schriftlich festgehalten und damit anderen zugänglich gemacht wird.
- Bei der Personalisierung gibt ein Mitarbeiter sein Wissen im direkten Kontakt an andere weiter.
- Bei der Sozialisierung tauschen mehrere Mitarbeiter ihr Wissen aus und entwickeln gemeinsam neue Ideen.
„Der Aufbau eines Wikis lohnt sich immer dann, wenn Informationen an einer Stelle gesammelt und einer Gruppe von Menschen ständig zur Verfügung stehen sollen.“
Die Kodifizierung ist einfach durchzuführen, aber statisch; das Wissen veraltet schnell, wenn es nicht immer wieder aktualisiert wird. Die anderen Ansätze sind zwar aufwändiger, führen aber zu wesentlich kreativeren Ergebnissen.
Wissensverlust vermeiden
Wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, kann viel Wissen verloren gehen. In der Regel dokumentiert ein Mitarbeiter am Anfang einer neuen Tätigkeit noch relativ viel Wissen. Mit zunehmender Routine hält er immer weniger schriftlich fest. Scheidet der Mitarbeiter dann aus, ist das dokumentierte Wissen meist veraltet, das aktuelle geht dem Unternehmen verloren. Damit der Nachfolger nicht wieder ganz vorne anfangen muss, behalten Sie bei einem Mitarbeiterwechsel den Wissenstransfer im Blick. Initiieren Sie vor dem Ausscheiden eines Mitarbeiters ein Treffen mit dem Nachfolger und evtl. auch dem direkten Vorgesetzten, bei dem relevantes Wissen weitergegeben wird. Wenn es noch keinen Nachfolger gibt, empfiehlt sich eine Videoaufzeichnung. Anschließend wird das Wissen schriftlich festgehalten.
„Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benötigen Zeit und ein förderliches Umfeld, um sich entwickeln zu können, und haben damit immer eine einzigartige Geschichte.“
Ein geordneter Wissenstransfer ist nicht nur für den neuen Mitarbeiter vorteilhaft, sondern auch für den scheidenden: Er kann dadurch noch einmal genau dokumentieren, was seine Aufgabenbereiche waren und was er geleistet hat. Dies ist auch eine gute Basis für ein ausführliches, fundiertes Arbeitszeugnis. Der Vorgesetzte hat ebenfalls einen Vorteil: Er erhält aktuelle und ausführliche Informationen darüber, was seine Mitarbeiter leisten.
Wissen bewusst machen und festhalten
Eine Möglichkeit, Wissen erst einmal bewusst zu machen, ist die Methode des Storytelling, bei der Informationen in Geschichten verpackt werden. So bietet es sich vor dem Start eines neuen Projekts an, die Mitarbeiter eines ähnlichen, bereits abgeschlossenen Projekts zu befragen, wo für sie die Höhen und Tiefen des Projektverlaufs waren und was sie daraus gelernt haben. Aus den Interviews mit einzelnen Mitarbeitern wird eine Geschichte erstellt und unternehmensintern veröffentlicht. Dabei bleiben die Befragten anonym. In solchen Geschichten wird viel persönliches Wissen festgehalten, das die Kollegen später für ähnliche Situationen nutzen können.
„Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdrückt, geheim gehalten oder Opfer von Selbstzensur werden, ohne dass die Führung die geringste Möglichkeit zur Sanktion hat.“
Faktenwissen lässt sich gut online in einem Wiki sammeln, in dem die Mitarbeiter nach und nach relevante Informationen ablegen. Vielleicht stößt der Gedanke erst einmal auf Skepsis; die Mitarbeiter könnten zusätzlichen Zeitaufwand befürchten. Aber langfristig hilft das Wiki allen, weil sich Informationen rasch finden lassen. Bewährt haben sich einzelne Wikis für die Abteilungen, die dann in einer so genannten Wikilandschaft miteinander verbunden werden können. Jeder kann zum Wiki beitragen; einem Mitarbeiter kommt die Aufgabe zu, die Inhalte zu pflegen, auf Überschneidungen zu achten und neue Artikel anzuregen. Falls Sie bisher ältere Wissensmanagement-Tools verwendet haben, schaffen Sie diese mit der Einführung des Wikis ab. Lassen Sie nicht mehrere Systeme nebeneinanderlaufen, sonst machen diese sich gegenseitig Konkurrenz. Wissen ganz anderer Art bietet eine interne Mitarbeiterdatenbank, die Kontaktdaten enthält, aber auch Informationen zu Ausbildung, Sprachkenntnissen und aktuellen Projekten.
Netzwerke im Unternehmen
Wenn ein Mitarbeiter Informationen braucht, wendet er sich häufig an einen Kollegen. Auf diese Weise entstehen im Unternehmen informelle Netzwerke. Je besser die Vernetzung, umso besser kann eine Gruppe arbeiten. Eine Netzwerkanalyse macht Netzwerke und Ressourcen sichtbar. Dazu reicht die simple Frage an alle Mitarbeiter, an wen sie sich im Unternehmen wenden, wenn sie etwas wissen müssen. Anhand der Antworten können Sie das interne Netzwerk grafisch darstellen. Sie werden bemerken, dass es mit der offiziellen Hierarchie wenig zu tun hat.
„Mechanistisch-deterministisches Mitarbeitermanagement führt zu Arbeitskräften, die nur das unbedingt Notwendige tun, aber nicht zu Mitdenkern.“
Das Netzwerk zeigt Ihnen zudem, welche Mitarbeiter isoliert sind und welche eine zentrale Position einnehmen. Wenn Letztere fehlen oder ausscheiden, hat das mit Sicherheit Auswirkungen auf den Informationsfluss. Gleichzeitig muss eine isolierte Position nicht unbedingt etwas Negatives bedeuten; vielleicht handelt es sich um Spezialisten oder Kollegen, die nur zeitweilig an einem Projekt mitarbeiten. Das Netzwerk lässt sich mit weiteren Fragen verfeinern, etwa nach den Kompetenzen der Kollegen oder nach dem Vertrauen, das man ihnen entgegenbringt.
„Hierarchische und funktionale Grenzen wirken in der Organisation derart, dass sie zu Intransparenz und sozialen Barrieren führen und sich deshalb unverbundene Wissensinseln bilden.“
Die Netzwerkanalyse zeigt auf, wo das kritische Unternehmenswissen liegt und wie sich Umstrukturierungen auf die Kommunikation auswirken. Da die Daten nicht anonymisiert erhoben werden können, ist Datenschutz sehr wichtig. In einem Workshop können Sie die Ergebnisse vorstellen und Verbesserungsvorschläge erarbeiten lassen. Optimal ist es, diese Untersuchung nach etwa einem halben Jahr zu wiederholen, um zu testen, ob und inwieweit sich etwas verbessert hat.
Innovation aus Wissen
Unternehmen stehen heute unter dem Druck, immer wieder neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Doch vieles, was vollmundig als Innovation gepriesen wird, ist nicht mehr als eine zaghafte Umgestaltung des Bewährten. Wirkliche Innovationen entstehen dann, wenn Wissen neu verknüpft wird, um etwas ganz anderes zu schaffen.
„Mit einer Schlüsselperson, die den Arbeitsplatz verlässt, geht auch wichtiges Erfahrungswissen.“
Ideen für gute Innovationen erhalten Sie nicht durch Kundenbefragungen und dergleichen. Die besten Innovationen entwickeln sich, wenn Sie es wagen, Bestehendes radikal infrage zu stellen und nach völlig neuen Lösungen zu suchen. Dazu braucht es Wissen und ein Klima, in dem Neues freudig aufgenommen und respektiert wird. Innovation ist ein hochgradig intellektueller Prozess. Es sind die Mitarbeiter, die ihr vorhandenes Wissen einsetzen, um neue Lösungen zu finden. Entsprechend wichtig ist es, im Unternehmen Raum für Kreativität und für neue Ideen zu schaffen.
„Neben der Wissensgesellschaft scheint nun die Netzwerkgesellschaft das bestimmende Denkbild der Gegenwart zu werden.“
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass von Mitarbeitern eher Verbesserungsvorschläge als wirklich radikal neue Ideen kommen. Suchen Sie deshalb auch extern nach neuen Ideen, etwa bei Kunden oder Geschäftspartnern. Möglichkeiten dazu bieten Ihnen Konferenzen oder Workshops.