Die feminine Wirtschaft
Frauen sind auf dem Vormarsch: Weltweit sind 1 Milliarde Frauen berufstätig – in den nächsten fünf Jahren werden es 200 Millionen mehr sein. Sie erwirtschaften ein erhebliches Erwerbseinkommen: derzeit 12 Billionen Dollar jährlich. In den kommenden Jahren wird dieses Einkommen weltweit um 6 Billionen Dollar wachsen. An Universitäten sind die Hälfte aller Studierenden Frauen; und das weibliche Geschlecht beginnt auch die männliche Domäne der Topführungspositionen zu erobern. Genauso sind Frauen Konsumentscheider: 64 % aller Konsumausgaben weltweit werden von Frauen bestimmt oder beeinflusst. Kurzum: Frauen sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und eine ebenso bedeutsame wie wachsende Zielgruppe. Unternehmen, die diese Chance verpassen und ihre Angebote nicht den Bedürfnissen ihrer Kundinnen anpassen, verspielen Gewinne und Marktanteile. Bislang haben das allerdings nur sehr wenige Unternehmen erkannt.
Unzufrieden trotz Erfolg
Man könnte meinen, der wachsende Wohlstand habe zu mehr Glück und Zufriedenheit bei den Frauen geführt. Doch weit gefehlt: Der Erfolg geht mit zunehmender Unzufriedenheit einher. Damit es weiter bergauf geht, müssen Frauen ganztags arbeiten. Das wäre kein Problem, wenn sie zusätzlich nicht noch ihre traditionellen Rollen erfüllen müssten: Sie führen den Haushalt, erziehen die Kinder und sind in den meisten Güterkategorien für die Konsumausgaben zuständig. Ihr größtes Problem ist der Zeitmangel: Viele verschiedene Aufgaben fallen zur gleichen Zeit an und lassen sich oftmals nur schwer miteinander vereinbaren. Zeit für sich selbst haben Frauen daher kaum. Die Hilfe von ihren Ehemännern und Partnern hält sich in Grenzen – ein Drittel der Männer hilft so gut wie nie im Haushalt. Da die Familie den Frauen wichtig ist, stellen sie ihre eigenen Interessen zurück. Das belastet; Stress, Überforderung, Unausgeglichenheit und Unzufriedenheit sind die Folgen.
Frauen wollen mehr
Aufgrund der Mehrfachbelastung wollen Frauen Dinge, die mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen – „Leverage“ lautet hier das Zauberwort. Mithilfe von Waren und Dienstleistungen wollen Frauen Zeit sparen und sich Spielräume schaffen. Sie wollen familientaugliche Produkte und suchen gleichzeitig nach Glück, persönlicher Erfüllung und Unabhängigkeit. Unternehmen, die sich explizit auf diese Bedürfnisse ausrichten und Lösungen anbieten, werden daher bevorzugt. Frauen suchen „Ermöglicher“: Artikel, die ihnen helfen, den Alltag besser zu organisieren. Sie interessieren sich nicht für die Masse an Produkten, sondern dafür, schnellstmöglich ans Ziel zu kommen, sei es bei der Kleidung oder beim Kauf von günstiger, schnell zuzubereitender und gleichzeitig gesunder Nahrung. Haben Verbraucherinnen solch ein Produkt einmal entdeckt, werden sie zu treuen Kundinnen, zu loyalen Markenfans, und erzählen auch ihren Freundinnen davon – weitere Kundinnen werden so gewonnen. Die Mehrheit alle Produkte erfüllt diese Anforderungen allerdings nicht. Wer den Frauen jedoch genau das Mehr an Zeit und Verständnis bietet, das sie sich wünschen, wird sich langfristig eine privilegierte Stellung im Markt sichern.
Die sechs Archetypen
Auch wenn Zeitmangel und Überlastung alle Frauen ärgert – die feminine Wirtschaft ist nicht homogen. Daher ist eine Segmentierung sinnvoll. Eine Studie der Boston Consulting Group hat sechs Archetypen von Frauen identifiziert. Die Grenzen sind nicht immer trennscharf; eine Frau kann durchaus mehreren Archetypen gleichzeitig angehören und durchläuft zudem während ihres Lebens mehrere. Die Hauptsegmente unterscheiden sich hinsichtlich ihres Alters, des Einkommens und der Lebensphase:
- Fast Tracker: Frauen auf der Überholspur streben nach Höchstleistung und sind erfolgreich; sie gehören mindestens der oberen Mittelschicht an. Sie sind hochgebildet und arbeiten viel. Ob leistungsorientierte Karrierefrau oder autonome Einzelkämpferin – Fast Tracker haben Geld und zahlen gern einen Aufpreis für Dinge, die ihre Bedürfnisse befriedigen sowie ihre Stärke und ihren Erfolg demonstrieren.
- Relationship-Focused: Diese Frauen sind gebildet, sehnen sich aber vor allem nach einem glücklichen Familienleben. Sie unternehmen viel mit anderen Menschen und blicken äußerst optimistisch in die Zukunft. Da sie noch keine Beziehung und keine Kinder haben, haben sie im Gegensatz zu den Vertreterinnen anderer Segmente eins: Zeit. Sie reisen viel und kaufen Dinge mit Erinnerungswert, aber auch vor langfristigen Anschaffungen schrecken sie nicht zurück.
- Pressure Cooker: Frauen in der Familienphase kennen Zeitmangel und Aufgabendruck nur zu gut. Die erfolgreichen Multitasker unter ihnen meistern die verschiedenen Rollen mit Bravour; sie empfinden das Verhältnis von Beruf und Privatleben als ausgewogen, werden vom Partner unterstützt und fühlen sich selbstbestimmt. Frauen des Untersegements „Struggling for Stability“ leiden hingegen unter der Belastung. Sie sind gestresst, ihr Geld ist knapp, vom Partner können sie wenig Hilfe erwarten und ihre Unzufriedenheit ist immens. Pressure Cooker suchen Produkte, die Zeit schenken, Entspannung ermöglichen und Sicherheit bieten.
- Fulfilled Empty Nester: Die Frauen dieses Segments sind 55 Jahre und älter, ihre Kinder sind bereits flügge. Meist verheiratet, konzentrieren sie sich nun stärker auf sich und ihre Partnerschaft. Arbeit steht nicht oder nicht mehr an erster Stelle, was ihnen viel Freizeit verschafft. Eine Sorge haben sie allerdings: Sie möchten würdevoll und ohne Geldsorgen altern. Sie legen Wert auf Qualität und suchen auch Neues: bessere Lebensmittel, bessere Weine, gute Reisen.
- Managing on Her Own: Alleinstehende Frauen sind auf sich gestellt – ob älter und geschieden oder jung und unverheiratet. Ihre Selbstständigkeit ist ihnen wichtiger als Liebe; einen Haushalt zu führen fällt ihnen schwer. Oft haben sie nicht viele soziale Kontakte. Ihre finanzielle Situation könnte zwar besser sein, doch entscheiden sie immerhin allein, wofür sie ihr Geld ausgeben. In Produkten suchen sie Bequemlichkeit. Sie wollen sich angenehm beschäftigen sowie und Leute kennen lernen.
- Making Ends Meet: Frauen am Existenzminimum haben weder Zeit noch Geld, z. B. für Schönheitspflege und Sport. Sie sind unglücklich, unzureichend gebildet und arbeiten überwiegend in unterbezahlten Jobs. Meist sind sie sogar überschuldet; an Sparen ist nicht zu denken. Gesundheitliche Probleme wie Übergewicht treten häufig auf; viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlebt. Sie wollen Respekt und billige Produkte.
In vier Schritten zum Erfolg
Wer Frauen als Kunden gewinnen will, muss sie direkt ansprechen und dabei die genannten Segmente beachten. Wer von „dem Markt“ redet, hat schon verloren. Besser ist es zu fragen: Was wollen Gabriele, Monika und Birgit? Wobei jeder Name für eine Musterkundin mit konkreten Eigenschaften steht. Um Frauen wirklich zu verstehen, sollten Unternehmen vier Schritte beherzigen:
- Anerkennen: Frauen wollen Produkte und Dienstleistungen, die ihnen mehr Zeit und Bequemlichkeit verschaffen, die werthaltig und gesund sind sowie ökologische und gesellschaftliche Verantwortung erkennen lassen. Es ist darum wichtig zu erkennen, warum Frauen zufrieden sind oder nicht und welche Rolle diverse Produkte in ihrem Leben spielen. Erkennen Sie die Chance, die Ihr Unternehmen in diesem Bereich hat.
- Marktforschung: Lernen Sie, wie Frauen konsumieren und wie sie Ihre Produkte nutzen. Studieren Sie ihre Gewohnheiten; beobachten Sie, wie viel Zeit die Angehörigen der einzelnen Segmente für Kauf, Nutzung und Entsorgung aufwenden müssen. Forschung hilft, sich in die Kundinnen hineinzuversetzen und sie zu verstehen.
- Reagieren: Nutzen Sie die Informationen aus der Marktforschung und entwickeln Sie bedarfsgerechte Produkte ohne Schnickschnack, die aber einen hohen Nutzen haben und mit emotionalen Werten aufgeladen sind. Maßgeschneiderte Angebote sind besser als Massenware. Ihr Markenversprechen muss Programm sein und darf nicht der Angst vor mutigen Investitionen zum Opfer fallen. Als ungenügend bewertete Produkteigenschaften müssen unbedingt beseitigt werden.
- Nachbessern: Verbessern Sie Ihre Produkte fortlaufend – kontinuierliche Marktforschung ist dafür unabdingbar. Nur so können Sie sich neuen Anforderungen und Bedürfnissen Ihrer Kundinnen anpassen. Bleiben Sie zusammen mit den Frauen in Bewegung und bauen Sie nachhaltige Kundenbeziehungen auf. Bringen Sie den Frauen mit Ihrem Produkt Erfolg.
Frauen achten auf Werte
Um passgenaue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, müssen Unternehmen verstehen, worauf Frauen bei Kauf und Konsum achten. Sie bewerten Produkte aus drei verschiedenen Perspektiven: aus einer technischen, einer funktionalen und einer emotionalen. Zunächst ist es wichtig, dass das Produkt technisch fehlerfrei funktioniert. Technische Verbesserungen sind auch innovativ – das ist eine hervorragende Vermarktungsgrundlage. Die Technik muss jedoch unbedingt funktional und kein Selbstzweck sein. Sie muss einen Nutzen vermitteln: bessere Funktionsweise, Bedienungsfreundlichkeit, Zeitersparnis. Am Ende muss das Ganze emotional verpackt werden – das überzeugt jedoch nur, wenn das Produkt technisch und funktional hochwertig ist. Alles andere empfinden Verbraucherinnen als Verrat. Wenn der wahrgenommene Wert den Verkaufspreis übersteigt, wird Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung ein Kassenschlager.
Ein gutes Beispiel: Banana Republic
Ein Unternehmen, das die vorgestellten Ratschläge beherzigt hat, ist Banana Republic. Es hat anerkannt, dass Frauen Kleidung wollen, die körperliche Vorzüge unterstreicht und Problemzonen überspielt, Tragekomfort und Bewegungsfreiheit bietet, ihrer Persönlichkeit entspricht und zu jeder Gelegenheit passt – sowohl zur Arbeit im Büro als auch zu einem Treffen mit Freundinnen nach Feierabend. Frauen vertrauen Marken, die genau das bieten. Aus diesem Grund hat Banana Republic mithilfe von Marktforschung eine Anzahl von Standardpassformen für Hosen entwickelt. Dabei unterscheidet das Unternehmen verschiedene Figurtypen, weiterhin die Tätigkeiten, die Frauen beim Tragen der Hosen ausführen, sowie verschiedene Stoffe und Nähte der einzelnen Produktlinien. Doch auch die Wertvorstellungen der Frauen hat das Banana Republic erfragt und kann so den besten Preis für die Hosen festlegen. Auf Kundenanforderungen reagiert das Modeunternehmen, indem es ständig neue Farben, Stile und Kombinationen entwickelt – die auf die Figurtypen abgestimmten Standardpassformen bleiben jedoch immer die gleichen. So findet jede Frau bei Banana Republic modisch aktuelle Kleidung und kann sich gleichzeitig darauf verlassen, dass die Hose auch passt. Ein schneller Griff in das Regal der präferierten Passform oder ein Klick im Onlineshop genügen. Fazit: Banana Republic ist erfolgreich, weil das Unternehmen seine Kundinnen verstanden hat.
Wo die größten Chancen liegen
Es gibt einige Marktsegmente, mit denen Frauen allgemein sehr unzufrieden sind. Finanzdienstleistungen und das Gesundheitswesen stehen hier an erster Stelle. Aber auch in den Kategorien Lebensmittel, auswärts essen, Reisen, Autos, Unterhaltungselektronik und Einrichtung werden die Bedürfnisse von Frauen noch nicht optimal befriedigt. Für die Unternehmen dieser Branchen bedeutet das, dass sie ein ungeheures Potenzial unausgeschöpft lassen. Für sie ist es daher mehr als ratsam, die oben genannten vier Schritte zu befolgen und mit der Zielgruppe Frau erfolgreich zu werden.