Begreifen und „be-greifen“
Im Verkauf bedient man sich traditionellerweise audiovisueller Methoden: Hören und Sehen werden adressiert. Wir hören eingängige Werbesongs in Radio und Fernsehen, lesen knackige Slogans und griffige Texte. Im Verkaufsvortrag eines Finanzberaters werden Erklärungen zwar nach Möglichkeit in anschauliche Bilder und Diagramme umgesetzt. Aber letztlich bleibt es so, wie es auch in Lehrbüchern und Vorlesungen funktioniert: Die Botschaften richten sich überwiegend an die linke Gehirnhälfte, den Sitz des Verstandes. Auf diese Weise sollen wir nach wie vor das Gros der Information begreifen. Die rechte Gehirnhälfte, in der Gefühl, Intuition und Spontaneität lokalisiert sind, wird immer noch vernachlässigt. Langsam setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass viele Verhaltensweisen und Entscheidungen intuitiv, aus dem Bauch heraus geschehen.
„Wer ungewöhnliche Ergebnisse erzielen will, muss bereit sein, ungewöhnliche Methoden einzusetzen.“
Wesentlichstes Organ für die Beeinflussung dieses Bereichs ist der Tastsinn; auch der Geruchs- und der Geschmackssinn spielen eine wichtige Rolle. Folglich sind die Hände sowie die Unterlippe und die Zunge von großer Bedeutung für die Wahrnehmungen im Gehirn: 70–90 % von dem, was wir mit diesen Sinnen erfasst haben, behalten wir. Die gut gemeinte Mahnung an ein Kleinkind, Herdplatte oder Bügeleisen nicht anzufassen, richtet sich an seinen Verstand. Aber die nachhaltige Überzeugung, dass das wirklich gefährlich ist, gewinnt es meist erst aus der schmerzhaften Erfahrung des Berührens. Wenn Sie bereit sind, Bedeutung und Tragweite des haptischen Anteils an unserer Erlebniswelt zu akzeptieren, eröffnen sich neue, ungewohnte Möglichkeiten des Verhaltens und der Wissensvermittlung – und von Verkaufsargumenten.
Kommunikation und Verhalten emotionalisieren
Hirnforscher gehen heute so weit zu sagen: „Alles, was keine Emotionen auslöst, ist für das Gehirn wertlos.“ Für die Übertragung einer Information in das Langzeitgedächtnis bedarf es eines Erlebnisses oder Ereignisses, denn der Mensch ist bewegungs- und erlebnisorientiert. Bewegungen und Erlebnisse sind neben dem Tasten wesentliche Elemente der Haptik. Im Alltag zeigt sich das in dem bekannten System von Belohnung (Süßigkeit, Anerkennung) und Strafe (Klaps, Missachtung).
„Wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Kunde begreift, was er braucht, dann ist Verkaufen gleich Wissens- bzw. Informationsvermittlung.“
Der haptische Aspekt gilt in hohem Maß auch für Kaufentscheidungen. Gefühlte Informationen sind subjektiv immer wahr. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für die Verpackung einer Ware und deren geschickte Präsentation, die zu dem berühmten Impulskauf führen. Wenn Sie einen Kunden oder Mitarbeiter mit haptischen Methoden packen können, kommen Sie schneller und direkter mit ihm ins Gespräch und an Ihr Ziel. Es beginnt mit dem ersten haptisch wahrnehmbaren Faktor, der Körpersprache.
Der erste Eindruck ist immer der bleibende
Die erste starke, hoffentlich positive Emotion, die Sie bei einem Kunden auslösen können, ist mit der Wahrnehmung Ihrer Person verbunden. Sie sollten Kompetenz und Sympathie, Offenheit und Anteilnahme ausstrahlen. Der Kunde kauft immer auch den Verkäufer. Machen Sie ihm die Begegnung mit Ihnen also angenehm. Das gilt übrigens auch für Ihren Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen.
- Achten Sie schon bei der Begrüßung auf Ihre Körpersprache: Halten Sie den Augenkontakt, vor allem zum linken Auge, dem Gefühlsauge. Wahren Sie außerdem die richtige Distanz – dies ist eine Frage des Fingerspitzengefühls.
- Achten Sie auf die Sitzordnung: Begleiten Sie Ihren Kunden oder Gesprächspartner einladend zu einem Besprechungstisch und setzen Sie sich übereck oder nebeneinander – aber nicht gegenüber, und schon gar nicht so, dass Sie hinter einem Schreibtisch thronen. Den anderen durch leichte Berührung zu leiten, schafft Vertrauen. Öffnen Sie verschlossene Menschen, indem Sie ihnen etwas überreichen: einen Schreibblock oder einen Kugelschreiber für Notizen, eine Visitenkarte, Kaffee oder Wasser, das Sie ihm einschenken, Plätzchen oder Obst. Alle diese Gesten sind bewegungs- oder erlebnisorientiert.
- Eine angenehme Umgebung ist ebenfalls wichtig: Gestalten Sie Ihr Büro, Ihren Besprechungs- oder Verkaufsraum nicht grau in grau und kalt, sondern so, dass sich der Kunde wohlfühlt. Blumen, Pflanzen, farbige Bilder, Teppiche oder besondere Möbel sprechen alle Sinne an.
- Beachten Sie auch die Körpersprache Ihres Gegenübers: Nimmt ein Gesprächspartner z. B. ein Schreibgerät zur Hand, ist er aktiv und eher bereit, auf Ihre Vorschläge einzugehen; legt er es weg, ist er passiv. Dann sollten Sie ihn mit einem neuen Reiz aktivieren.
Haptische Gesprächsführung
Was will und braucht der Kunde? So lautet die Grundfrage jedes Verkaufsgesprächs. Am Anfang steht die Bedarfsermittlung. Dazu verwenden Sie die klassischen W-Fragen. Beim haptischen Gespräch machen Sie darüber hinaus vom bereits erwähnten Schreibblock Gebrauch und animieren den Gesprächspartner, sich auch Notizen zu machen. Ein niedergeschriebenes Argument wiegt mehr als drei nur gehörte, vor allem wenn es, wie etwa im Finanzbereich, um komplexe, erklärungsbedürftige Produkte geht. Halten Sie einen Taschenrechner bereit und verfahren Sie damit ähnlich, indem Sie den Gesprächspartner wohldurchdachte Rechenbeispiele selbst eingeben und durchführen lassen.
„Auch das Riechen und Schmecken sind körperliche Wahrnehmungen und haben darum sehr viel mehr mit Haptik zu tun, als bisher angenommen.“
Überreichen Sie weitere Unterlagen wie Flyer, Prospekte oder – was besonders glaubwürdig ist – Zeitungsausschnitte und lassen Sie den Kunden diese selbst halten und ggf. auseinanderfalten. So unterstützen Sie seine aktive Bewegung. Das beginnt schon bei der Visitenkarte aus hochwertigem Material und mit Prägedruck. Bringen Sie ferner haptische Verkaufshilfen zum Einsatz. Das sind dreidimensionale Gegenstände wie beispielsweise der „Vorsorgebaum“, ein einfaches Puzzle, das sich zu einem Baum zusammenstecken lässt und das Altersvorsorgesystem veranschaulicht. Touchscreens sind ein neuer Trend, den Sie ebenfalls nutzen sollten.
„Die Information muss besonders sein, besonders intensiv und besonders eindrucksvoll, die Information muss einen Erregungswert haben.“
Bereits die W-Fragen veranlassen den Kunden, etwas über sich mitzuteilen. Er wird aktiv. Haken Sie immer nach, sobald er Interesse äußert. Sie können in einem solchen Fall z. B. mit hypothetischen Fragen und Annahmen weiterfahren („Nehmen wir an, dass …“, „Gesetzt den Fall …“). Dadurch regen Sie die Fantasie des Kunden an, setzen seine Gedanken in Bewegung und bringen ihn unauffällig zur aktiven Mitarbeit. Lassen Sie den Kunden erleben, welchen Genuss und welche Vorteile er durch den Kauf Ihres Produktes haben wird. Bedienen Sie sich einer bildhaften, anschaulichen Sprache mit treffenden Redewendungen und Vergleichen wie den folgenden:
- Alles unter einen Hut bringen.
- Auf Herz und Nieren prüfen.
- Auf Sand gebaut.
- Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.
- Doppelt genäht hält besser.
- Das ist der Mercedes unter unseren Vorsorgemodellen.
Haptisches Marketing
Alles, was den Kunden zum Mitmachen einlädt, was er anfassen kann und was seine Sinne reizt, fällt unter haptisches Marketing. Das beinhaltet die Besichtigung einer Fertigungsstraße in einem Autowerk ebenso wie das feierlich inszenierte Abholen eines Neuwagens oder der Kochkurs in einem Nobelrestaurant. Die mit Reliefschriftzug gestaltete Veltins-Flasche oder die Nivea-Dose gehören ebenso dazu wie ergonomisch gestaltete Griffe, Beleuchtungseffekte usw.
„Lieber ein Gedanke auf dem Papier als drei im Kopf.“
Eine besondere Form der haptischen Produktgestaltung besteht im Einsatz von Duftstoffen in Reinigungs- und Nahrungsmitteln. Mit dem Duft röstfrischen Kaffees wird gern geworben, weil er so viele positive Assoziationen weckt. Beinahe überflüssig zu sagen, dass Sie als Verkäufer schlechte (Körper-)Gerüche vermeiden sollten, einschließlich Tabak und übermäßigem Deo. Die Nase ist auf elementare Weise mit dem Gehirn verbunden. Die Redensart „Den kann ich nicht riechen“ kommt nicht von ungefähr.
Haptische Verkaufshilfen
Besonders schwierig und nicht auf den ersten Blick haptisch zu verkaufen sind die Produkte der Finanz- und Versicherungsbranche. Hier könnten Sie im Gespräch mit einem noch relativ jungen Kunden einen einfachen Zollstock mit 100 Zentimetern verwenden, um anschaulich zu machen, wie viele Ruhestandsjahre vor ihm liegen, die er während seiner Erwerbsjahre absichern muss. Mit beschrifteten Dominosteinen können Sie zeigen, was passiert, wenn eine Grundsicherung, wie etwa die Berufsunfähigkeitsversicherung, fehlt.
„Je bildhafter der Verkäufer spricht, umso schneller wird der Kunde überzeugt, weil die Informationen über die rechte Gehirnhälfte direkt ins Langzeitgedächtnis des Kunden gelangen und dort als richtig erkannt werden.“
Speziell für die umfassende Finanzberatung entwickelt wurde der „Häppi“. Das ist eine stilisierte menschliche Gestalt ähnlich der Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur, allerdings ist ihre Standfläche nicht gerade, sondern leicht gewölbt, sodass die Figur umfällt, wenn sie nicht gestützt wird. Ein System von zusammensteckbaren Klötzchen gibt ihr den notwendigen Halt. Je mehr Klötzchen, sprich: je mehr Versicherungs- und Sparverträge, desto mehr Halt hat der Häppi. Das ist eine erfolgreiche Variante haptischen Verkaufens in der Vertriebspraxis.
Haptisches Mitarbeitertraining
Learning by Doing wie in der handwerklichen Lehrlingsausbildung ist unter haptischen Gesichtspunkten die beste Lernmethode. Autofahren zu lernen etwa würde sehr lange dauern, wenn man es nur mit Textbuch, Vortrag und Bildern begreifbar machen wollte. Die für die Wissensvermittlung manchmal aber doch benötigten Unterlagen lassen sich als praktische Lernkarten optimieren. Auf der Vorderseite könnte z. B. die Frage stehen, was in einer bestimmten Gesprächssituation zu tun sei, und auf der Rückseite die Antwort; der Trainee wird angeregt, erst selbst nach der Lösung zu suchen, ehe er die Karte wendet. So lernt man wortwörtlich „im Handumdrehen“. Auch Rollenspiele auf Seminaren und interaktive Computer-Lernprogramme sind eine Form des haptischen Lernens.
„In dem Moment, in dem Sie irgendeinen Gegenstand auf den Tisch stellen, schaut der Kunde unweigerlich hin und reagiert spontan mit Neugier.“
Wenn es darum geht, gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln, nützen Firmen und andere Organisationen Outdoor- und Survivaltrainings, um ggf. persönliche Vorurteile zwischen Mitarbeitern abzubauen und das Gemeinschaftsgefühl zu wecken: Wir sitzen alle im gleichen Boot und sind aufeinander angewiesen.
„Der Mensch ist so veranlagt, dass allein das Anfassen einen Besitzwunsch bei ihm auslöst.“
Für das Mitarbeitergespräch gelten dieselben Grundregeln wie für das haptische Kundengespräch: Achten Sie auf Ihre Körpersprache, eine angenehme Umgebung, die Atmosphäre usw. Auch hier lassen sich haptische Gesprächshilfen einsetzen, wie etwa eine Zielpyramide, die der Mitarbeiter selbst zusammensetzt oder zusammensteckt, damit ihm das Zusammenspiel der einzelnen Teile und sein eigener Beitrag zum Erreichen des Unternehmensziels deutlich werden.