Die Herren des Geldes

Buch Die Herren des Geldes

Wie vier Banker die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben

FinanzBuch,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Man muss die vier Bankiers, die im reißerischen Untertitel angeprangert werden, in Schutz nehmen: Natürlich haben nicht sie allein die Weltwirtschaft­skrise ausgelöst. Trotzdem war die Rolle, die Benjamin Strong, Montagu Norman, Émile Moreau und Hjalmar Schacht bei der schwersten Wirtschaft­skrise der Neuzeit spielten, verhängnisvoll: Sie sahen die Krise kommen, besaßen die Mittel, sie abzuwenden, und unternahmen doch nichts, zu wenig oder sogar das Falsche. Das ist die Geschichte, die der Autor breit, spannend und un­ter­halt­sam darlegt – und sie ist komplexer, als der Untertitel suggeriert. Diese Komplexität ist auch das einzige Manko des Dokudramas: Viele Personen sowie zahlreiche Hand­lungsstränge und Ein­flussfak­toren machen das Lesen zur Konzen­tra­tionsübung. Dabei wäre das Werk in Stil und Dramaturgie wie auch durch überaus witzige Pointen die ideale Freizeitlektüre. Die farbigen Charak­ter­stu­dien und packenden Reportagen lesen sich wie ein His­to­rien­schinken. Zudem stellt der Autor zwischen Wirtschaft und Politik der damaligen Zeit Zusammenhänge her, die bisher so nicht diskutiert wurden. Damit wirft er ein neues Licht auf die Weltwirtschaft­skrise und gibt ihr zugleich ein men­schliches Antlitz. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die wissen wollen, wie die große Wirtschaft­skrise des 20. Jahrhun­derts verlief.

Take-aways

  • Die Weltwirtschaft­skrise von 1929 war ein Nachbeben des Ersten Weltkriegs.
  • Sie entstand durch eine Kette von Krisen, die alle hätten verhindert werden können.
  • Europa saß 1918 in der Schulden­falle. Nur die USA hatten vom Krieg profitiert.
  • Deutschland waren mit der Niederlage un­bezahlbare Repa­ra­tio­nen auferlegt worden. Frankreich und England mussten hohe Kriegss­chulden an die USA zurückzahlen.
  • Der Gold­stan­dard war ein Dogma jener Zeit, an dem kaum jemand ernsthaft zu rütteln wagte.
  • Hin­sichtlich der Verteilung der Gol­dreser­ven gab es nach dem Krieg ein großes Un­gle­ichgewicht.
  • Die Europäer mussten die Zinsen stark erhöhen, damit nicht noch mehr Kapital in die USA trans­feriert wurde.
  • Das schwächte ihre eigene Wirtschaft und engte ihren Hand­lungsspiel­raum ein.
  • Der gewaltige Kap­i­talfluss in die USA führte zum Börsenhype, der die Krise auslöste.
  • Die Chefs der Zen­tral­banken waren mit den Problemen überfordert und ver­schlim­merten die Krise noch, statt sie abzuwenden.
 

Zusammenfassung

Die schwerste Wirtschaft­skrise der Neuzeit

Dies ist die Geschichte von vier ein­flussre­ichen Männern, die es trotz der Möglichkeiten, die ihnen die mächtigsten Volk­swirtschaften ihrer Zeit gewährten, und trotz guter Kontakte zueinander nicht vermochten, die Krise abzuwenden: die Weltwirtschaft­skrise der 1930er Jahre, die schlimmste Zäsur in der Wirtschafts­geschichte der Neuzeit. Die Männer waren die Chefs der vier wichtigsten Notenbanken jener Jahre: Benjamin Strong von der New Yorker Federal Reserve, Montagu Norman von der Bank of England, Émile Moreau von der Banque de France und Hjalmar Schacht von der deutschen Reichsbank. Sie kon­trol­lierten das Währungssys­tem und damit die globale Wirtschaft. Doch die vier waren nicht in der Lage, gemeinsam zu handeln. Sie waren Fi­nanz­ge­nies, Gurus des Geldes, die mit brillanten Aufsätzen und scharf­sin­ni­gen Analysen die Finanzwelt und mitunter sogar die breite Öffentlichkeit faszinierten. Sie waren ihrer Zeit voraus, aber dennoch den Traditionen und Erfahrungen der Ver­gan­gen­heit verhaftet. Diese sollten sich als so stark erweisen, dass sie die vier und alles andere ins Verderben rissen. Doch das ging nicht Schlag auf Schlag: Die Weltwirtschaft­skrise verschärfte sich stufenweise.

Ganz Europa hatte den Krieg verloren

Der Erste Weltkrieg war für ganz Europa fatal gewesen: 1918 lagen alle europäischen Volk­swirtschaften am Boden, keineswegs nur das Deutsche Reich. Frankreich hatte eine hohe Anzahl von Gefallenen zu beklagen, ein Teil des Landes war verwüstet, und ebenso wie England war es beim Kriegsverbündeten USA hoch verschuldet. Das Deutsche Reich dagegen hatte vor allem bei seinen Bürgern Schulden gemacht. Diese wurde es erst durch die Hy­per­in­fla­tion der Nachkriegszeit wieder los, die den deutschen Mittelstand um die Ersparnisse brachte. Nur den USA hatte der Krieg genützt. Im Frieden wuchs die Wirtschaft weiter, weil neue, relativ billige Produkte wie Auto, Telefon und Radio auf hohe Kaufkraft trafen.

„Als der Erste Weltkrieg 1918 endete, gehörte zu seinen zahllosen Opfern auch das Welt­fi­nanzsys­tem.“

Überall zirkulierte zu viel Geld, was die Preise dramatisch steigen ließ. Die Volk­swirtschaften Deutsch­lands und Frankreichs waren durch den Krieg um 30 % geschrumpft, die von England um 5 %. Die US-Wirtschaft dagegen wuchs um 50 % auf 60 Milliarden Dollar. Die deutschen Repa­ra­tio­nen flossen also fast komplett nach Übersee, in die Schulden­til­gung. Das gesamte Fi­nanzsys­tem, das nach dem ver­heeren­den Krieg neu errichtet wurde, basierte auf einem steten Geldstrom von Deutschland über die europäischen Alliierten nach Amerika. Von dort führte er aber nicht zurück – im Gegenteil, ab Ende der 20er Jahre zog die Speku­la­tions­blase noch zusätzlich Kapital aus Europa an. Die Folge: In Europa fehlte ständig Geld, in den USA aber begann ein Boom, den viele Amerikaner bald für einen Dauerzu­s­tand hielten – eine gewichtige Ursache des Börsencrashs von 1929.

Franzosen und Engländer ringen um die Macht

Die europäischen Zen­tral­banken standen unter dem Druck, nicht noch mehr Kapital verlieren zu dürfen. Sie mussten also die Zinsen hoch halten, damit ihre Währungen attraktiv blieben. Doch weil dadurch Kredite teurer wurden, schwächten sie damit ihre eigenen Volk­swirtschaften. Briten und Franzosen buhlten außerdem um die Vor­ma­cht­stel­lung in Europa: Montagu Norman versuchte mit der Bank of England, in ro­man­tis­cher Verklärung der Ver­gan­gen­heit, die einstige britische Hegemonie zurück­zugewin­nen. Émile Moreau von der Banque de France saß auf den größten Gol­dreser­ven Europas; er wollte seinerseits die führende Position einnehmen und sorgte nur schon durch Drohungen für Nervosität.

„Kein anderer Krieg hatte jemals gle­ichzeitig den Wohlstand so vieler Nationen ver­schlun­gen.“

Das Wirken Hjalmar Schachts von der Reichsbank bestand, abgesehen von der Einführung der Rentenmark, die die fatale In­fla­tion­szeit schließlich beendete, im Wesentlichen darin, ständig vor dem Untergang zu warnen und diesem let­z­tendlich aus der Defensive zuzuschauen: Die Repa­ra­tio­nen engten den Hand­lungsspiel­raum des Deutschen Reichs immer mehr ein, die Gol­dreser­ven gingen zur Neige. Schließlich musste sich die Regierung sogar Geld bei zwielichti­gen Investoren leihen, um ihre Beamten bezahlen zu können.

Keynes’ Lösungsvorschlag

Eine Lösung des Dilemmas schlug der schon damals berühmte Fi­nanz­ex­perte John Maynard Keynes vor: Das Deutsche Reich sollte langfristige Kredite in den USA aufnehmen und damit die Repa­ra­tio­nen bezahlen, worauf England und Frankreich flüssige Mittel zur Schuldenrückzahlung an die USA bekommen hätten. Der Kreislauf wäre geschlossen gewesen – doch ins­beson­dere die Amerikaner verwarfen den Plan, da sie keinen Zusam­men­hang zwischen Schulden und Repa­ra­tio­nen herstellen wollten.

Sabotage von Dilettanten

Kriege sind nie gut für Handel und Wandel gewesen, doch der Erste Weltkrieg versetzte einem ebenso komplexen wie pros­perieren­den in­ter­na­tionalen Finanzwesen den Todesstoß. Nach dem Krieg wäre die Zeit für einen in­ter­na­tionalen Verbund der Staats­banken reif gewesen. Doch obwohl sich die drei europäischen Gurus und ihr Widerpart aus den USA regelmäßig trafen, blieben konz­ertierte Aktionen zum Wohl aller die Ausnahme. Eigen­in­ter­essen versperrten ihnen die Sicht. Zu sehr wurde ihre Arbeit auch von Dilettanten sabotiert – so war Strong in den USA auf die Zustimmung der anderen elf Fed­eral-Re­serve-Banken angewiesen, wenn er den Zinssatz ändern wollte. Norman wurde von Moreau unter Druck gesetzt, der unter dem Einsatz großer Gold- und Währungsre­ser­ven die Vorherrschaft des Pfunds brechen wollte. Und Schacht musste die Rentenmark gegen den erbitterten Widerstand der Reichsbank auf Kurs bringen.

Zwangsjacke Gold­stan­dard

Den Gold­stan­dard entwickelte man im 19. Jahrhundert, um Vertrauen ins Papiergeld zu schaffen. Im 20. Jahrhundert war dieses Vertrauen bereits so fest verwurzelt, dass der Gold­stan­dard eigentlich obsolet war. Doch die kon­ser­v­a­tiven Bankiers klammerten sich daran – auch weil die Bindung ans Gold den Regierungen beim Herum­spie­len mit der Währung Grenzen setzte. Doch der Gold­stan­dard erwies sich als Fessel: Es konnte nicht genügend Gold gefördert werden, um mit dem durch das Wirtschaftswach­s­tum zunehmenden Geldbedarf Schritt zu halten. Das starke Un­gle­ichgewicht der Gol­dreser­ven nach dem Krieg tat ein Übriges: Europa hatte kein Gold, musste aber den ständigen Kap­i­ta­l­abfluss durch Repa­ra­tio­nen und Tilgung der Kriegss­chulden irgendwie ausgleichen. Um zum Gold­stan­dard zurückzukehren, hätte die umlaufende Geldmenge verringert werden müssen. Ein Einzug des Pa­piergeldes hätte aber zu Teuerung geführt. Die Abwertung der Währung als zweites Mittel wäre für die Bankiers von damals ein Unding gewesen: Wech­selkurse hatten fest zu sein.

„Die wichtigste Fi­nanzin­sti­tu­tion Großbritanniens, ja sogar der ganzen Welt lag in der Hand einer Gruppe von Amateuren, die in der Regel lieber etwas anderes gemacht hätten, aber die Jahre, die sie der Leitung der Bank widmeten, für eine Art Bürgerpflicht hielten.“

Die Weigerung der USA, Schulden zu erlassen und damit indirekt auch die Last der Repa­ra­tio­nen für Deutschland zu mindern, war eine der Ursachen für die Wirtschaft­skrise, für die Ausbreitung des Extremismus in Europa und let­z­tendlich auch für den Zweiten Weltkrieg. Das sture Beharren der USA auf der Rückzahlung der kompletten Schulden führte überdies dazu, dass Frankreich von der Begleichung der fest­ge­set­zten Repa­ra­tio­nen aus Deutschland ebenfalls nicht abrückte. Anstatt aufeinander zuzugehen, versanken die europäischen Mächte in Misstrauen und Ressen­ti­ments.

Deutsche Dauerkrise

In Deutschland führten die Repa­ra­tio­nen zu einer Dauerkrise: Das Land stand über Jahre am Rand eines Bürgerkriegs, Regierungen wurden gestürzt, die Währung fiel ins Bodenlose. Um den Alliierten die Unerfüllbarkeit der Repa­ra­tio­nen zu demon­stri­eren, ließ die Reichsbank die Reichsmark weiter fallen. Als Schacht die Inflation schließlich mit der Einführung der al­ter­na­tiven Rentenmark stoppte, verlor er das Vertrauen der anderen Länder fürs Erste. Mitte der 20er Jahre hatte sich die Situation dann allerdings bereits umgekehrt, das Vertrauen war zu groß: Aufgrund des Dawesplans, der die deutschen Repa­ra­tionszahlun­gen neu regelte, konnten deutsche Privatleute, Städte und Unternehmen kurzfristige Kredite in den USA aufnehmen, was den Konsum zwar förderte, doch die Überschul­dung weiter befeuerte. Als Ende der 20er Jahre die Börse abhob, verlagerte sich das Kapital in die USA. Denn dort wurden beim Versuch, die Börsenkurse in Schach zu halten, die Zinsen angehoben. Um Kredit zu bekommen, musste auch Deutschland die Zinsen anheben – so fiel das Land bereits vor dem Börsencrash in die Rezession.

Ein halber Prozent­punkt zündet

Den Startschuss für den Börsengalopp in absurde Höhen gab 1927 eine kleine Zinssenkung der Fed, die zu wah­n­witzi­gen Aktienkäufen auf Kredit führte. Die Senkung betrug nur einen halben Prozent­punkt, aber sie brachte die Lawine ins Rollen. Vom Frühjahr 1928 bis zum Sommer 1929 verdoppelte der Dow Jones seinen Wert. Durch eine drakonische Zinspolitik hätte man die Blase anstechen können. Strongs Nachfolger George Harrison versuchte 1929 zehnmal, die Zinsen zu erhöhen, doch jedes Mal scheiterte er an den zer­strit­te­nen Statthal­tern der einzelnen Fed-Fil­ialen. Dass es ein böses Ende nehmen würde, war Experten schon Jahre vorher klar. Doch mit Zinserhöhungen hätte man der Wirtschaft geschadet, so die verbreitete Meinung.

„Als die Zinsen in den USA stiegen und New York wie ein Magnet Geld aus allen Ecken der Welt anzog, kämpfte jedes europäische Land außer Frankreich darum, dass seine Gol­dreser­ven nicht über den Atlantik entwischten.“

Im September 1929 brach das Imperium des britischen Geschäftsmanns Clarence Hatry, das teilweise auf Kred­it­be­trug basierte, in sich zusammen. Die Pleite war etwa 120 Millionen Dollar schwer – nach heutigen Maßstäben eine mit dem En­ron-Zusam­men­bruch von 2001 durchaus ver­gle­ich­bare Größenordnung. Der Ha­try-Bankrott löste den Erdrutsch aus, weil viele Ha­try-In­ve­storen umgehend an der Wall Street Geld beschafften, um ihre Kredite in London zu bedienen. Am 28. Oktober brach der Dow Jones um 14 % ein, der größte Tagesver­lust in der Geschichte der Börse. Die Fed konnte zumindest verhindern, dass Liquiditätsengpässe aus der Börsenkrise eine Bankenkrise machten: Harrison ließ die Fed geplatzte Bro­kerkred­ite im Wert von 1 Milliarde Dollar aufkaufen.

Im Abwärtsstrudel

Was auch die Fed nicht verhindern konnte: Der Pessimismus legte sich wie Mehltau übers Land, der Konsum ging schlagartig zurück. In Europa schien der Crash anfangs Vorteile zu bringen: Die Europäer mussten Währungen und Gol­dreser­ven nicht mehr durch ruinöse Zinsen schützen. Doch der Strudel der kol­la­bieren­den US-Wirtschaft zog alle mit, zumal Amerika sich durch hohe Einfuhrzölle abriegelte – das zwang die exportabhängige Industrie in Europa in die Knie. Und wieder erwies sich der Gold­stan­dard als fatal: Aus Furcht vor weiteren Abwärts­be­we­gun­gen wanderte erneut Kapital aus Ländern mit geringen oder keinen Gol­dreser­ven in jene, die große Reserven hatten. Das schwächte die Schwachen noch mehr.

„Keiner der Zen­tral­bankiers hatte es je mit einer in­ter­na­tionalen Finanzkrise zu tun gehabt. Daher mussten sie zunächst im­pro­visieren. Dabei begingen sie zwei Fehler. Angesichts des Ausmaßes des Problems stellten sie viel zu wenig Geld zur Verfügung, und weil sie es für nötig hielten, ein Konsortium zusam­men­zustellen, das so in­ter­na­tional wie möglich besetzt war, handelten sie nicht schnell genug.“

Ein Hauptfehler der Zen­tral­banker in der Krise: zurückhaltende Kom­mu­nika­tion statt Beruhigung. Aus Angst davor, als Lügner dazustehen, gossen die Banker durch ihre Passivität noch mehr Öl ins Feuer. Das lag zu einem Gutteil am mangelnden Bewusstsein für die neue Aufgabe der Zentralbank, nämlich die Regulierung der Währung. Alle Zen­tral­banken, gegründet vor allem für die Geldbeschaf­fung des Staates, waren damals nicht viel mehr als sehr groß gewordene Banken, denen die eigene Macht und Ve­r­ant­wor­tung noch nicht wirklich bewusst war und die kein klares politisches Mandat besaßen. Ein weiteres Problem war die Entfernung: Amerika ging es gut, Europa verarmte – und die Amerikaner, die das hätten ändern können, hatten davon keine Ahnung. So übersahen sie schlicht, dass in Deutschland 1931 bereits 4,7 Millionen Menschen arbeitslos waren und radikale Parteien sich auf den Straßen bekriegten. Die Folgen sind bekannt.

Über den Autor

Liaquat Ahamed studierte in Harvard und Cambridge Wirtschaftswis­senschaften und arbeitete anschließend u. a. als In­vest­ment­ber­ater für die Weltbank und als CEO für die In­vest­ment­ge­sellschaft Fischer Francis Trees & Watts. Sein Buch Die Herren des Geldes wurde mit dem Pulitzer­preis in der Kategorie „Geschichte“ aus­geze­ich­net.