Der böse Riese
Google wurde 1998 von Larry Page und Sergei Brin gegründet. Damals hieß die wichtigste Suchmaschine noch Yahoo, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Entsprechend sagte man dem Unternehmen Google keine große Zukunft voraus. Inzwischen aber ist Yahoo fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, und Google beherrscht den Markt. Denn im Unterschied zu anderen Anbietern von Suchmaschinen setzten Page und Brin nicht auf altbewährte Konzepte, sondern entwickelten völlig neue Lösungen für das Medium Internet – ein Ansatz, der sich als äußerst erfolgreich erwies.
„Larry Page und Sergei Brin haben nicht das Internet erfunden. Doch wenn irgendjemand die Seele des Chefbibliothekars der Welt repräsentiert, dann ist es das gescheite Duo aus Larry und Sergei.“
Heute hat Google eine Menge Feinde und gilt vielen sogar als gefährlich. Denn Google sammelt eine Unmenge von Daten über seine Nutzer, bietet umfangreiche Software an und droht damit ein ähnlicher Monopolist zu werden wie einst Microsoft. Aber Google ist vor allem deshalb so unbeliebt, weil das Unternehmen die Regeln der Branche auf den Kopf gestellt und neue Geschäftsstrategien entwickelt hat, die perfekt zum Internetzeitalter passen. So etwas stößt unweigerlich auf Ablehnung. Dieser Protest ist natürlich zwecklos: Das Internet ist das Medium der Zukunft, und die neuen Möglichkeiten, die es bietet, kann man nicht einfach ignorieren.
Die Menschen hinter dem Unternehmen
Larry Page und Sergei Brin stammen beide aus kämpferisch geprägten Familien. Pages Vorfahren waren Gewerkschaftsmitglieder in den USA. Brin wurde 1973 noch im kommunistischen Russland geboren. Da sein Vater als Jude in der Sowjetunion unter Repressalien zu leiden hatte und in seiner wissenschaftlichen Laufbahn behindert wurde, emigrierten die Brins 1978 in die USA. Dort musste die Familie unter bescheidenen Bedingungen noch einmal von vorne anfangen.
„Zu sagen, Larry und Sergei trafen den geschäftlichen Nerv ihrer Zeit, wäre die größte Untertreibung des 21. Jahrhunderts.“
Beide, Page und Brin, geben sich gern als Weltverbesserer und haben keine Angst davor, völlig neue Wege auszuprobieren. Auch die Suchmaschine Google sollte die Welt ein bisschen besser machen, indem sie allen einen einfachen Zugriff auf die gigantischen Informationsmengen des Internets ermöglichte. Page und Brin hatten schon von klein auf mit Informatik bzw. Mathematik zu tun: Larrys Eltern waren Informatiker der ersten Stunde, Sergeis Vater ist Professor für Mathematik, und auch der Sohn erwies sich schon früh als mathematisches Genie. Trotz ihres Erfolgs mit Google gelten Page und Brin als eher exzentrisch und zurückgezogen.
Eine Entwicklung, die keiner will
Die beiden Google-Gründer kamen eher zufällig – durch ihre Dissertationsprojekte – auf das Thema Suchmaschinen. Eines Tages hatte Page eine geniale Idee, die für Google bestimmend wurde: die Wichtigkeit einer Website danach zu bestimmen, wie viele andere Websites auf sie verlinken. Die Programmierarbeit für diesen Ansatz war ausgesprochen kompliziert, aber er funktionierte und führte zu Suchergebnissen, die besser waren als alles, was man bis dahin kannte. Doch noch war es ein weiter Weg bis zum Unternehmensriesen Google. Ursprünglich waren Page und Brin fest davon überzeugt, dass eine Suchmaschine nicht kommerziell betrieben werden sollte. Dann versuchten sie, ihre Entwicklung an einschlägige Unternehmen zu verkaufen, doch niemand zeigte wirkliches Interesse. So freundeten sie sich schließlich mit der Idee an, die Entwicklung selbst zu vermarkten. Der Name Google leitet sich übrigens von Googol ab, der Bezeichnung für die Zahl 10100.
Die Anfänge
Page und Brin starteten ihr Unternehmen bescheiden in einer Wohnung. Unbeirrbar glaubten sie daran, mit der Suchmaschine Google etwas Wichtiges entwickelt zu haben, auf das die Welt schon lange wartete. Ihr Eifer und Idealismus waren eine wichtige Grundlage für ihren Erfolg, umso mehr, als sie keinerlei unternehmerische Erfahrung hatten. Das erwies sich letztlich als Vorteil, denn statt sich an gängige Regeln zu halten, gingen sie eigene Wege – und waren damit erfolgreich. Andere Suchmaschinen überfrachteten ihre Seiten mit Informationen, Werbung und grafischen Elementen. Die gängige Meinung lautete damals, dass man die Nutzer möglichst lange auf der Seite festhalten müsse.
„Googles Erfolg führte unausweichlich dazu, dass es zu dem umstrittensten Unternehmen überhaupt wurde.“
Die Gründer von Google wählten aber einen ganz anderen Weg: Von Anfang an war die Google-Startseite sehr einfach gestaltet und auf das Wesentliche reduziert: das Eingabefeld. Ähnlich schlicht und übersichtlich präsentierten sich die Ergebnisseiten, ja sogar die Werbeanzeigen. Ein Ansatz, der die ehernen Gesetze der Branche auf den Kopf stellte. Gegen alle unternehmerische Vernunft verzichtete Google auch von Anfang an auf teure Werbekampagnen und setzte stattdessen auf Mundpropaganda. Die frohe Botschaft von der neuen, besseren Suchmaschine verbreitete sich rasch.
Ein neues Finanzierungsmodell
Die beiden Gründer wollten ihren Suchdienst durch Anzeigenwerbung finanzieren. Doch anders als die Konkurrenz lehnten sie es ab, die Anzeigen einfach unauffällig unter die Suchergebnisse zu mischen. Sie wollten die Nutzer nicht hinters Licht führen, sondern aufrichtig sein. Darüber hinaus hatten sie den ehrgeizigen Plan, dem Nutzer noch mehr zu bieten: Es sollten nur Anzeigen erscheinen, die für den Suchenden auch wirklich interessant waren, die also zu seiner Suchanfrage passten. Das war ein revolutionärer Ansatz, der nicht ganz leicht zu realisieren war. Als das Anzeigengeschäft lief, kamen die Gründer auf die Idee, Anzeigenplatz nicht einfach zu verkaufen, sondern ihn zu versteigern. Das erwies sich nochmals als sehr profitabel. Als die Konkurrenz endlich mit ähnlichen Systemen nachzog, war es für sie schon zu spät – Google hatte bei Internetnutzern und Anzeigenkunden gewonnen und hat inzwischen eine Vormachtstellung errungen, die die Aufsichtsbehörden immer wieder einmal misstrauisch werden lässt.
Die Firmenkultur
Google ist berühmt für die großzügigen Vergünstigungen, die es seinen Mitarbeitern gewährt. Verpflegung, Massagen, ärztliche Betreuung – alles ist kostenlos. Doch diese Großzügigkeit kommt nicht von ungefähr. Wer im Betrieb jederzeit umsonst zu essen bekommt, macht kürzere Mittagspausen, und wenn der Arzt Bürobesuche macht, spart das ebenfalls Zeit. So können die Mitarbeiter länger im Unternehmen bleiben – und arbeiten. Arbeitstage von bis zu zwölf Stunden, sechs Tage in der Woche, waren und sind keine Seltenheit.
„Die geheimnisvolle Aura, die Google und besonders seine Gründer ständig umgibt, ist ein riesiges Problem, wahrscheinlich das größte, das ein Unternehmen, das stark vom Vertrauen der Nutzer in seine Angebote abhängt, haben kann.“
Erst als 2008 die Wirtschaftskrise einsetzte, stellte auch Google seine Vergünstigungen auf den Prüfstand. Neue Mitarbeiter wählen die Chefs von Google sehr sorgfältig aus. Sie bevorzugen junge Menschen, am besten solche, die gerade die Universität abgeschlossen haben. Diese Mitarbeiter sind belastbar und noch voller Ideale und somit auch am ehesten bereit, überlange Arbeitszeiten zu akzeptieren. Außerdem haben sie in der Regel keine Vergleichsmöglichkeiten, was die Arbeitskultur anderer Unternehmen betrifft.
Gut oder böse?
Die Gründer von Google haben sich und ihr Unternehmen zu ethischem Verhalten verpflichtet – „Don’t be evil“ lautet einer ihrer Leitsätze. Doch das heißt nicht, dass die Firma zu allen immer nett ist. Vielmehr bedeutet der Grundsatz, dass sie ihre Nutzer nicht täuschen will, z. B. indem sie Anzeigen als Suchergebnisse tarnt. Doch in der Öffentlichkeit wurde das Motto als Verpflichtung zu umfassendem ethisch korrektem Handeln verstanden.
„Google ist eine Ideenmaschine.“
Da das Unternehmen häufig daran gemessen wird, gerät es bei fragwürdigen Entscheidungen in die Kritik, z. B. bei dem Entschluss, eine eigene Website in China zu starten und sich damit der chinesischen Zensur zu unterwerfen. Für die Verantwortlichen im Unternehmen war dies keine einfache Entscheidung, doch China ist ein großer Markt. Letztendlich versuchte man, diesen Schritt auch ethisch zu begründen: Wenn Suchergebnisse von der Zensur gesperrt werden, bringt Google auf der Ergebnisseite einen entsprechenden Hinweis. Auf diese Weise erfahren die Betroffenen wenigstens, dass es Inhalte gibt, auf die sie nicht zugreifen dürfen. Inzwischen ist diese Vorgehensweise auch für andere Suchmaschinen in China zum Standard geworden.
Und der Datenschutz?
Google sammelt alle möglichen Daten über seine Nutzer, etwa eingegebene Suchbegriffe oder angeklickte Seiten. Begründet wird das mit Vorteilen für den Nutzer: Anzeigen beispielsweise können persönlich auf ihn zugeschnitten werden. Eine andere Begründung: Google braucht die Daten, um Angriffe von außen besser abwehren zu können und so auf lange Sicht die Sicherheit des Unternehmens zu gewährleisten. Zugleich beteuern die Verantwortlichen bei Google immer wieder, wie sehr ihnen der Datenschutz am Herzen liege. Dennoch ruft die ungehemmte Datensammlung Datenschützer und besorgte Nutzer auf den Plan. Selbst wenn Google mit den Daten verantwortungsbewusst umgeht, könnten sie von Hackern missbraucht oder von Behörden eingefordert werden. Auf öffentlichen Druck hin hat Google inzwischen die Aufbewahrungsfrist der Nutzerdaten auf neun Monate reduziert. Dem schlechten Image des Unternehmens in Sachen Datenschutz hat das bisher allerdings nicht viel genutzt.
Die größte Bibliothek der Welt
Schon zu Universitätszeiten hatten Page und Brin den Traum, alle Bücher der Welt über das Internet öffentlich verfügbar zu machen – ähnlich wie in der Antike versucht wurde, in der Bibliothek von Alexandria alle verfügbaren Schriften jener Zeit zu sammeln und aufzubewahren. Nachdem Google als Unternehmen etabliert war, begannen Page und Brin mit der Umsetzung ihrer Vision, Bücher zu digitalisieren und im Internet bereitzustellen. Um dieses gigantische Projekt zu ermöglichen, entwickelten sie Geräte, die Bücher automatisch umblättern und einscannen können. Bei alten Texten war die Publikation im Internet kein Problem, bei neueren dagegen geriet man mit dem Urheberrecht in Konflikt.
„Google streitet grundsätzlich so lange alle Gerüchte ab, bis es ein neues Produkt vorstellt.“
Schließlich handelte Google mit den Verlegern einen Kompromiss aus: Gegen Geldzahlungen hat das Unternehmen nun das Recht, alle Bücher zu digitalisieren, die im Handel nicht mehr erhältlich sind. Doch auch ganz abgesehen von Googles Projekt untergraben Computer und Internet das bisherige Urheberrecht immer weiter, weil sie es ermöglichen, Texte in kürzester Zeit massenhaft zu kopieren und weltweit zu verschicken. Auf lange Sicht werden sich Autoren und Verleger diesem Wandel anpassen müssen.
Wo sind die Grenzen?
Google sieht den Schwerpunkt seiner Tätigkeit noch immer bei der Internetsuche, obwohl die Realität längst eine ganz andere ist. Innovationen spielen eine große Rolle. Von Anfang an hatten die Mitarbeiter die Möglichkeit, 20 % ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte zu reservieren. So konnten sie Neues ausprobieren und innovative Ideen entwickeln. Nach und nach haben diese neuen Ideen Googles Angebotsspektrum wesentlich erweitert. Google ist längst keine bloße Suchmaschine mehr, sondern bietet zahlreiche Dienste an, vom E-Mail-Versand über die Speicherung von Dateien bis hin zu Diensten wie Google Maps und Google Earth.
„Google ist noch immer ein lausiger Lobbyist und tut sich sehr schwer damit, Verbündete zu gewinnen.“
Auch auf den Trend Cloud Computing wird Google wohl aufspringen: die Möglichkeit, Software und Dateien nicht mehr auf dem eigenen PC zu speichern, sondern im Internet zu mieten. So hat man immer aktuelle Software zur Verfügung, spart das Geld für die Anschaffung, und die Dateien sind optimal vor einem Ausfall geschützt. Gewöhnlich lässt Google sich nicht in die Karten schauen und dementiert Gerüchte über neue Anwendungen so lange, bis das Produkt fertig ist. Doch es gibt Hinweise darauf, dass Cloud Computing das nächste große Ziel ist. Dies wäre ein schwerer Schlag gegen den Hauptkonkurrenten Microsoft. Microsoft hat von Anfang an auf einzelne Computer mit eigener Software gesetzt und tut sich nun schwer damit, seine alten Konzepte aufzugeben.