Interdependency

Buch Interdependency

Systeme verstehen – Dominoeffekte vermeiden

Bank-Verlag Medien,


Rezension

Un­ternehmens­ber­ater und Wirtschaft­spro­fes­sor Christoph Ph. Schließmann hat mit In­ter­de­pen­dency ein um­fan­gre­iches Werk zur Steuerung von Or­gan­i­sa­tio­nen geschrieben, an­gere­ichert mit vielen Tabellen und Grafiken. Er beschreibt detailliert die Komplexität von Systemen bzw. Unternehmen. Eine seiner Ker­naus­sagen ist, dass in einem Unternehmen sehr viele Wech­sel­wirkun­gen bestehen und dass das Management gut beraten ist, sich mit dieser Komplexität au­seinan­derzuset­zen. Der Autor rät, sich über alle wesentlichen Elemente des Betriebs klar zu werden und eine Landkarte zu erstellen, mit deren Hilfe die Führungskräfte flexibel auf Veränderungen reagieren können. Bürokratische Steuerungse­le­mente einzubeziehen lehnt Schließmann strikt ab, da sie die Komplexität nur weiter erhöhen würden. Anhand von Beispielen wie Aldi, 3M oder der Virgin Group ve­r­an­schaulicht der Autor, wie Unternehmen auf die Her­aus­forderun­gen von heute reagieren sollten. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Führungskräften, Managern, Firmengründern und Aufsichtsräten, die ihr Unternehmen durch die analytische Lupe der Sys­temthe­o­rie betrachten und es so vor Risiken schützen möchten.

Take-aways

  • Ein Unternehmen besteht aus zahlreichen Elementen, die vielfältigen komplexen Wech­sel­wirkun­gen unterworfen sind.
  • Wichtig ist, das System mitsamt seinen Wech­sel­wirkun­gen zu kennen und zu verstehen.
  • Unternehmen sind wie eine Miniaturge­sellschaft, sie ändern sich permanent und enthalten entsprechende Risiken.
  • Sie müssen Ihr Unternehmen aktiv steuern, sonst kann es ins Chaos entgleiten.
  • Für die Steuerung brauchen Sie keine komplexen Methoden. Je einfacher die Struktur ist, desto besser.
  • Bonitätsratings haben keine wirkliche Aus­sagekraft.
  • Es ist wichtig, das Unternehmen an den kritischen Wen­depunk­ten in den nächsten Leben­szyk­lus zu führen.
  • Mithilfe einer Landkarte mit allen wesentlichen Elementen und ihren Einflussgrößen können Sie die Or­gan­i­sa­tion besser verstehen.
  • Die Strategie sollten Sie nicht für viele Jahre starr festgelegen, sondern sie ständig anpassen.
  • Führung sollte auf Intuition bauen.
 

Zusammenfassung

Das Wesen der Komplexität

Komplexe Systeme sind mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Ihre Entwicklung ist nicht vorherse­hbar, denn spontan können sich neue Zusammenhänge bilden, die nicht zu erahnen waren. Wenn Systeme aus Menschen bestehen (Gesellschaft, Unternehmen), ist es umso schwieriger, die En­twick­lun­gen vo­rauszusagen. Menschen sind per se un­berechen­bar. Unternehmen verhalten sich wie eine Miniaturge­sellschaft, deren Entwicklung zahlreiche Risiken beinhaltet. Unternehmen müssen kon­trol­liert und gesteuert werden. Dafür sind keine komplexen Methoden er­forder­lich: Je einfacher Sie die Steuerungse­le­mente wählen, desto besser. Wenn Sie jedoch die Steuerung unterlassen, fällt der Betrieb in seine „Urgenetik“ zurück und macht, was er will. Für Un­ternehmenslenker geht es darum, das Chaos zu bekämpfen. Ordnen und Leiten gehören zu ihrem Job. Je größer die Komplexität und je geringer die Robustheit eines Betriebe , desto größer die Risiken. Kennzahlen zur Steuerung eines Betriebs sind übrigens nicht wichtig, denn Un­ternehmen­skrisen treten trotz unzähliger Kennzahlen auf. Konzen­tri­eren Sie sich lieber auf die berühmten „weichen Faktoren“.

Die Risiken komplexer Unternehmen

Um der Komplexität in Firmen Herr zu werden, schaffen Manager immer neue Steuerungse­le­mente und glauben, die Probleme so in den Griff zu bekommen. Diese ver­meintlichen Sta­bil­isierungsmaßnahmen erhöhen jedoch die Komplexität weiter. Es entstehen neue Schwach­stellen, jede Maßnahme schwächt das System weiter. Gerade in schwierigen Zeiten, wie der aktuellen Wirtschaft­skrise, zeigen sich die Schwach­stellen. Oft ist es dann zu spät, gegen­zus­teuern.

Der Unfug der Bonitätsratings

Der Glaube, dass mit der Bewertung einer Rat­ing-Agen­tur die Gefahr der Insolvenz oder gar der Krise gebannt ist, ist Unfug. Die Bonitätsnoten erheben zwar den Anspruch, den Gesund­heit­szu­s­tand eines Un­ternehmens wiederzugeben. Doch dank des guten Ratings macht sich dann die Führungsspitze oft nicht die Mühe, sich mit den Daten und den Hintergründen im Detail au­seinan­derzuset­zen. Jedes Rating gibt nur eine Mo­men­tauf­nahme sta­tis­tis­cher In­for­ma­tio­nen wieder. In einem turbulenten Wirtschaft­sum­feld ändern sich jedoch die Rahmendaten täglich. Jede Form der Vere­in­fachung, und damit auch das Rating, ist höchst fragwürdig. Zudem handelt es sich um einen äußerst subjektiven, fehleranfälligen Prozess, der sich mit einem Au­tocrasht­est vergleichen lässt. Ob ein „sicheres“ Auto im Straßenverkehr wirklich so sicher ist, kann nicht in einem Testlabor unter klinischen Bedingungen fest­gestellt werden. Es hängt vielmehr von den in­di­vidu­ellen Umständen zum Zeitpunkt des Unfalls ab: vom Winkel des Aufpralls, von der Geschwindigkeit des ent­ge­genk­om­menden Fahrzeugs usw. Fazit: Ratings können als Ori­en­tierung­shilfe dienen. Entscheider müssen sich jedoch darüber hinaus eine eigene qual­i­fizierte Meinung bilden.

Die Pflicht zum Risiko­man­age­ment

Wichtig ist es, dass Sie sich ein Bild vom großen Ganzen machen und die Wirkungszusam­menhänge aufschlüsseln, um Risiken richtig einschätzen zu können. Dabei müssen Sie sowohl weiche als auch harte Faktoren einbeziehen. Im Übrigen sind die Organe einer Gesellschaft sogar gesetzlich verpflichtet, die Komplexität zu überwachen. Beispiel­sweise das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Un­ternehmens­bere­ich (KonTraG) und das Ak­tienge­setz (AktG) schreiben das vor. So verpflichtet das KonTraG die Vorstände von Unternehmen, ein Risiko­man­age­ment zu in­stal­lieren. Und gemäß AktG muss der Auf­sicht­srat der Frage nachgehen, ob ein Risikosys­tem ein­gerichtet ist und inwieweit es die rechtzeit­ige Erkennung relevanter Risiken sich­er­stellt. Das leistet ein System dann, wenn alle internen und externen Schnittstellen, Beziehungen und Szenarien abgebildet werden.

Die Steuer­barkeit komplexer Systeme

Als Grundlage für die Steuerung eines Un­ternehmens dient folgende Gleichung: sys­tem­be­d­ingter Risikograd = Komplexität / Robustheit des Systems. Die Robustheit des Systems entspricht der Lebensfähigkeit des Betriebs. Die Führung eines Un­ternehmens findet grundsätzlich auf den drei Ebenen Management, Leadership und En­tre­pre­neur­ship statt, die keineswegs deck­ungs­gle­ich sind. Diese Ebenen müssen gut aufeinander abgestimmt sein:

  1. Management: Hierzu gehört die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Dies beinhaltet nicht zwangsläufig das Führen von Mi­tar­beit­ern. Vielmehr geht es darum, ziel-, sach-, und auf­gaben­gerecht zu arbeiten.
  2. Leadership: Die eigentliche Arbeit lässt die Führungskraft durch ihre Mitarbeiter erledigen. Sie ist der Dirigent des Orchesters. Ihre Haup­tkom­pe­tenz liegt in der Führung. Die Gesam­taus­rich­tung, die Mission und das Vorleben derselben sind die Kernpunkte des Handelns einer Führungskraft. Soziale und emotionale Intelligenz sind wichtig, um die Mitarbeiter zu motivieren und gezielt einsetzen zu können.
  3. En­tre­pre­neur­ship: Dabei handelt es sich um die un­ternehmerische Gabe, eine Existenz aufbauen zu können. Der En­tre­pre­neur ist der Komponist, der für das Orchester das Werk erstellt. Er ordnet, organisiert, lenkt. Der En­tre­pre­neur sollte sich guter Führungskräfte bedienen, um seine Geschäftsidee zu kom­mu­nizieren, und er braucht gute Manager, um operativ vo­ranzukom­men.
„Gier ohne gesetzliche und moralische Beschränkungen kann alles zerstören, was Leben lebenswert macht.“

Ziel ist es, un­vorherge­se­henen Situationen zu begegnen, indem Sie einzi­gar­tige Lösungen auf einer Metaebene entwickeln, oder anders gesagt: indem Sie hochflex­i­ble Optionen haben.

Die Lebensfähigkeit des Un­ternehmens bleibt am besten erhalten, wenn Sie flexibel auf die jeweiligen Situationen reagieren. Wichtig ist auch, dass Sie Ihr Unternehmen rechtzeitig in die jeweils nächsten Leben­szyklen steuern. Wenn beispiel­sweise eine Ihrer wichtigsten Pro­duk­t­grup­pen aus der Mode kommt, suchen Sie nach neuen Wegen. Die kritischen Wendepunkte Ihrer Firma müssen Sie frühzeitig erkennen und mit innovativen Anpassungen darauf reagieren. Sie müssen bestrebt sein, das Potenzial Ihrer Firma voll auszuschöpfen. Die markt- und kun­den­gerechte Po­si­tion­ierung ist der Schlüssel zum Erfolg. Stellen Sie sich immer die Frage: Wie sichere ich die Überlebensfähigkeit meines Betriebs? Sie müssen vor allem darauf achten, Produkte und Di­en­stleis­tun­gen anzubieten, die für den Kunden einen Nutzwert haben.

Komplexitäts­man­age­ment mit innovativen Mitteln

Grundlage für das Management ist natürlich die Kenntnis des Systems Unternehmen mit seinen einzelnen Elementen, Abhängigkeiten, Wech­sel­wirkun­gen, Funktionen usw. Nur wenn Sie dieses Gebilde klar vor Augen haben, können Sie die Risiken erkennen. Wenn es Ihnen schwerfällt, das komplexe System auf Anhieb zu analysieren, richten Sie Workshops ein. Fragen Sie Fir­menin­sider, und erfassen Sie dabei die Schlüsselper­so­nen der Or­gan­i­sa­tion mitsamt deren Befind­lichkeiten. Eine scho­nungslose Analyse ist unerlässlich. Beantworten Sie dafür diese sieben Schlüsselfragen:

  1. Wer sind die Beteiligten (interne, externe, An­teil­seigner)?
  2. Wer sind die Handelnden (Aufgaben, Ve­r­ant­wor­tun­gen)?
  3. Was wird wo erledigt (Abläufe, Prozesse, Orte, Beziehungen)?
  4. Welche Befind­lichkeiten bestehen (Zufrieden­heit der Mitarbeiter)?
  5. Funk­tion­iert das Haushalten mit den Ressourcen?
  6. Wie wird im Betrieb kom­mu­niziert?
  7. In welcher Verfassung ist die innere Ordnung/Kultur?
„Ein System, das nachhaltig lebensfähig sein will, muss atmen können.“

Zu diesen sieben Fragen kommen weitere Fragen in Bezug auf physikalis­che Zustände: Darin geht es um Materie (Pro­duk­tion­s­mit­tel, Hardware), Energie (Bargeld, Management) und Information (Kom­mu­nika­tion­sströme). Die Dynamik des Un­ternehmens und die Einflussgrößen müssen Sie anschließend beschreiben. Bei der Schilderung der Dynamik beantworten Sie etwa die Frage, wie schnell die Produkte oder In­for­ma­tio­nen im Betrieb fließen. Bei den Einflussgrößen gehen Sie der Frage nach, wer oder was Einfluss von innen bzw. außen hat. So bestimmen Sie die wichtigsten Stellschrauben Ihrer Or­gan­i­sa­tion. Am Ende haben Sie eine Art Landkarte vor sich. Nur wer die Wech­sel­wirkun­gen versteht, erkennt frühzeitig gefährliche Domi­no­ef­fekte.

Un­ternehmensstrate­gie

Häufig haben Firmen unzählige Ex­cel-Tabellen mit Zukun­fts­daten, mit denen aber kaum jemand etwas anfangen kann. Es handelt sich lediglich um großspurige Top-down-Zielvor­gaben und Prognosen. Ver­net­zun­gen und Abgleiche mit anderen Ebenen werden viel zu selten vorgenommen. Viele Unternehmen entwickeln nur alle fünf bis sieben Jahre ihre strate­gis­chen Pläne. Regelmäßige Ak­tu­al­isierun­gen dieser Wegbeschrei­bun­gen sind eine Rarität. Eine besondere Gefahr birgt es, die Strategie langfristig festzulegen. Besser ist es, Ihre Strategie ständig anzupassen. Das Vorgehen, eine einmal beschlossene Strategie nicht mehr anzupassen, wird auch als „Wicked Problem“ oder Zünd­schnur­prob­lem bezeichnet: Eine Strategie darf, anders als eine Zündschnur, die herun­ter­brennt, bis die Bombe platzt, keinen Endpunkt haben. Verstehen Sie eine Strategie vielmehr als eine immer wieder neu zu en­twick­el­nde Steuerung. Strategien sind einzi­gar­tige Lösungen, die für Ihre Or­gan­i­sa­tion maßgeschnei­dert sind. Hüten Sie sich davor, Strategien anderer Firmen zu kopieren. Ihre Strategie entsteht jeden Tag neu. Die perfekte Antwort auf die Her­aus­forderun­gen von morgen gibt es nicht. Bilden Sie sich also niemals ein, die Ideallösung gefunden zu haben.

Führung mit Intuition

Um Führung besser verstehen zu können, bietet sich ein Vergleich mit dem Profifußball an. Jede Mannschaft bereitet sich intensiv auf ihre Spiele vor. Dazu gehört das Studium des Gegners, des Trainings, der Strategie usw. Doch allen Vor­bere­itun­gen zum Trotz läuft nach dem Anpfiff alles anders als geplant. Nun spielen auf einmal das Publikum, das Wetter und die Stimmung – neben anderen Faktoren – eine wesentliche Rolle. Mit anderen Worten, es lässt sich nicht alles vorhersehen. Der Leiter reagiert auf die Änderungen im Umfeld. Der Torwart etwa schneidet nur gut ab, wenn er sich auf seine Intuition verlässt. Intuition ist ein ganz wichtiges Element der Führung; es handelt sich dabei um ein Bündel kreativer, meist unbewusster Kompetenzen und Kenntnisse. Der Vorteil der Intuition besteht darin, dass man ohne nachzu­denken weiß, welche Faustregel (oder auch: Heuristik) in welcher Situation funk­tion­iert. Es gilt die Formel: Intuitive Intelligenz = Umwelt­struk­tur x evolvierte Heuristik.

Corporate Governance und Compliance

Hinter beiden Begriffen verbirgt sich ein und dasselbe Phänomen: Unternehmen schaffen sich ein Korsett. Doch das ist nicht sehr hilfreich, wenn es um flexible Führung geht. Die beiden Begriffe sind lediglich ein Alibi dafür, etwas für eine ordnungsgemäße Un­ternehmensführung und ein regelkon­formes Verhalten getan zu haben. Doch in einem exzellent geführten, atmenden Unternehmen ist das gar nicht nötig. Die Mitarbeiter folgen automatisch – dafür sorgen ihr kultureller Hintergrund, gesetzliche Ge- und Verbote sowie die gesellschaftlichen Wertvorstel­lun­gen. Wer auf Corporate Governance und Compliance nicht verzichten möchte, kann sie als kleinen Teil eines kompletten Führungssys­tems durchaus aufrechter­hal­ten, solange die Führungsspitze vor allem flexibel und vernetzt ist und bleibt.

Über den Autor

Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaft­san­walt und Wirtschaftswis­senschaftler sowie Gründer des Be­ratung­sun­ternehmens CPS Schließmann. Er hat über 160 Strate­giepro­jekte in nationalen und in­ter­na­tionalen Unternehmen geleitet. Neben seiner Tätigkeit als Berater lehrt er Un­ternehmensführung und En­tre­pre­neur­ship an zwei öster­re­ichis­chen Universitäten.