Globale Industriekonzentration
Organisches Wachstum genügt heute nicht mehr, wenn man sich im Wettbewerb behaupten und Krisen überstehen will. Nur durch Akquisitionen erreichen Unternehmen die entscheidende Größe, die sie immun macht.
Die 500 größten Unternehmen haben sich in der letzten und in vorangegangenen Krisen als stabiler erwiesen als kleinere Firmen. Mergers and Acquisitions liegen im Trend: Der Wert solcher Transaktionen war allein im Jahr 2007 so hoch wie der in den 80ern und in der ersten Hälfte der 90er. Durch Unternehmenskäufe konzentrieren sich in vielen Industrien erhebliche Teile der Umsätze auf wenige große Unternehmen. Der Konzentrationsgrad wird durch den CR3-Faktor abgebildet. Er sagt aus, wie hoch der Anteil der drei größten Unternehmen am weltweiten Umsatz der Industrie ist. Den höchsten Wert besitzt derzeit die Halbleiterindustrie mit einem CR3 von 60 %.
Vier Phasen
Die meisten Konzentrationsprozesse ähneln sich und lassen sich in vier Phasen gliedern:
- In der Öffnungsphase liegt der CR3 bei unter 20 %. Eine neue Industrie wird durch Unternehmensabspaltungen zunächst verbreitert. Erste Akquisitionen sind zu beobachten.
- In der Kumulationsphase steigt die Konzentration auf bis zu 40 %. Premiumpreise für neue Produkte lassen sich nicht mehr erzielen. Kosteneffizienz rückt in den Vordergrund. Unternehmen schließen sich zusammen und profitieren von Skaleneffekten.
- In der Fokusphase wird ein CR3 von bis zu 70 % erreicht. Die Grenzen zwischen den Wettbewerbern lösen sich auf. Namhafte Unternehmenszusammenschlüsse lassen Industrieführer entstehen.
- Die letzte Phase ist die Balance-und-Alliance-Phase. Die Industriekonzentration steigt auf bis zu 80 %. Drei Unternehmensriesen kontrollieren die Industrie. Aus Mangel an bezahlbaren Übernahmekandidaten finden kaum noch Akquisitionen statt. Stattdessen entstehen vereinzelt Kooperationen und Allianzen. Nur zwei Arten von Unternehmen können in dieser Phase neben den globalen Industrieführern überleben: kleine lokale Akteure und globale Nischenführer. Diese Phase hat zurzeit allerdings noch keine Industrie erreicht.
Erfolgreich wachsen
Ob Industrie- oder Nischenführer, in einer sich konzentrierenden Industrie gilt: wachsen oder verlieren. Dabei gibt es sechs Erfolgsfaktoren:
- Bestimmen Sie Ihr Größenprofil. Kleinere Industrieverfolger besitzen beispielsweise weniger als 10 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung, sind aber nicht unter den drei umsatzstärksten Unternehmen. Kleinere Industrieführer gehören dagegen zu den drei Umsatzriesen, weisen aber ebenfalls eine geringere Marktkapitalisierung als 10 Milliarden Dollar auf.
- Für eine realistische Prognose der eigenen Position gegenüber den Industrieführern bestimmen Sie das Gewinn- und Umsatzwachstum Ihres Unternehmens. Ein kleiner Industrieverfolger etwa sollte in der Öffnungsphase das Ziel eines moderaten Umsatzwachstums verfolgen.
- Überprüfen Sie Ihre Wachstumsrichtung: in regionale oder internationale Produktnischen, in den regionalen oder in den globalen Markt?
- Überlegen Sie dann, mit welchen einzigartigen Wachstumsfähigkeiten Sie wachsen wollen. Besitzen Sie besondere produkt- oder besondere marktbezogene Fähigkeiten bzw. Größenvorteile?
- Bestimmen Sie danach Ihren Wachstumspfad: organisches Wachstum, Akquisitionen oder Kooperationen?
- Überlegen Sie zum Schluss, welche Organisationsform Ihre Wachstumsziele und -möglichkeiten am besten trägt.
„Obwohl die 500 größten Unternehmen der Welt seit Ende 2007 einen vergleichbar hohen Wertverlust erlitten haben, sind sie krisengeschützter als kleinere.“
In Industrien, die Konzentrationsprozesse durchlaufen, haben sich vier Gewinnerprofile herauskristallisiert: Industry Shark, Local Specialist, Regional Hero und International Champion.
Industry Shark
Industry Sharks zeichnen sich durch ihre Größe aus und erwirtschaften mehr als 20 Milliarden Dollar Umsatz. Sie sind große Industrieführer oder zumindest große Industrieverfolger. Neben ihrer Größe sind auch ihre Wachstumsraten enorm: Bei Unternehmen mit mehr als 50 Milliarden Dollar Umsatz lag das Umsatzwachstum zwischen 2000 und 2008 im Schnitt bei 11,8 %. Dabei richten diese Unternehmen ihr Wachstum auf den globalen Markt aus und sind zunehmend auch in Sektoren außerhalb ihrer angestammten Industrie tätig. So bedient beispielsweise der Elektronikriese General Electric auch die Medienbranche und ist dort ebenfalls Industrieführer. Beim Wachstum profitiert der Industry Shark von größenbedingten Skaleneffekten. Wichtigster Wachstumsmotor ist aber seine Akquisitionskraft, die überwiegend in Megamerger, also riesige Unternehmenskäufe fließt. In den vergangenen zehn Jahren lag das Transaktionsvolumen pro Merger bei durchschnittlich 9,2 Milliarden Dollar.
„Sowohl für Industrieführer als auch für Nischenführer gilt: Grow or go!“
Weil große Unternehmen häufig unflexibel sind und viel Zeit für Entscheidungen benötigen, hat sich die dezentralisierte Organisation etabliert. General Electric etwa ist in zahlreiche kleine autonome Einheiten aufgegliedert. Zudem wurden Managementebenen gestrichen und damit flache Hierarchien geschaffen. Die Deutsche Telekom ist ebenfalls ein typischer Industry Shark. Seit 2008 wächst der Umsatz jährlich um ca. 11 %. Mit 86 Milliarden Dollar Jahresumsatz liegt das Unternehmen auf Platz vier seiner Industrie. Damit ist es noch kein großer Industrieführer und muss sich behaupten, um nicht von AT&T, Vodafone oder Verizon übernommen zu werden. Das Wachstum des Unternehmens richtet sich auf den globalen Markt, wobei das Unternehmen von seiner Größe profitiert. Wie General Electric ist die Deutsche Telekom in dezentralisierte Einheiten organisiert.
Local Specialist
Weil der Local Specialist für die Industrieführerschaft zu klein ist, kann er nur wachsen, indem er durch Fusion Teil eines künftigen Führers wird oder indem er als kleiner Industrieverfolger ausgewählte Nischen bedient. Sein Jahresumsatz ist geringer als 1 Milliarde Dollar. Das Wachstum richtet sich auf regionale Produktnischen, in denen der Local Specialist die führende Rolle übernimmt. Der Wettbewerb in solchen regionalen Nischen ist jedoch hart. Mitunter erschweren Rechtsvorschriften den Marktzugang. Die zunehmende Globalisierung lässt regionale Vorlieben immer stärker in den Hintergrund rücken. Doch beispielsweise im Bier- oder im Kaffeemarkt schätzen die Verbraucher nach wie vor lokale Produkte und Marken. Der wichtigste Erfolgsfaktor im Wachstum des Local Specialist ist seine Fähigkeit, Angebote auf lokale Bedürfnisse zuzuschneiden.
„Einzigartige Fähigkeiten stellen ein Synergiepotenzial dar, das Unternehmen für ihre Internationalisierung und Produktdiversifikation nutzen können.“
Obwohl 86 % der Local Specialists organisch wachsen, ist externes Wachstum für sie unumgänglich, vor allem bei starker Industriekonzentration. Neben Akquisitionen kooperieren diese Unternehmen, um ihre regionalen Nischen zu schützen. Die begrenzte Komplexität dieser Firmen lässt sich am besten in zentral organisierten Funktionseinheiten mit Linienstruktur steuern. Ein typischer Local Specialist ist der südosteuropäische Schweinezüchter Farme Ihan, der 2009 von seinen 40 Millionen Umsatz 90 % auf dem slowenischen Markt erzielt hat. In seiner regionalen Produktnische hält das Unternehmen einen Marktanteil von 45 %. Durch organisches Wachstum und ausgewählte Akquisitionen konnte das Unternehmen seine Produktpalette erweitern. Der regionale Fokus ermöglicht Farme Ihan, den Geschmack der Verbraucher vor Ort zu kennen und zu treffen. Betont wird auch die slowenische Herkunft der Schweine.
Regional Hero
Besonders häufig ist der Regional Hero in der Umsatzgrößenklasse von 1–20 Milliarden Dollar zu finden. Im Rahmen der regionalen Nische, die in der Regel durch das Heimatland und angrenzende Regionen bestimmt wird, diversifiziert er seine Produkte. Den Hauptwettbewerbsvorteil zieht der Regional Hero aus seiner ausgeprägten Marktbezogenheit: Durch Branding, Zielgruppenmarketing, aber auch mit Kontakten zu wichtigen lokalen Kunden schützt er sich vor dem Markteintritt großer Unternehmen. Ein Großteil der Regional Heros wächst organisch. Mit dem Fortschreiten des Konzentrationsprozesses sind aber auch verstärkt Übernahmen und Kooperationen zu beobachten. Regional Heros setzen typischerweise auf eine funktionale Organisationsstruktur. Sämtliche Vertriebs- und Marketingaktivitäten konzentrieren sich in einem Funktionalbereich. Wenn im Zuge wachsender Produktdiversifizierung die Anforderungen an die Organisation komplexer werden, gehen viele Unternehmen zur dezentralen Organisation über.
„Aufgrund der bereits stark fortgeschrittenen Konzentration der meisten Industrien gehen wir davon aus, dass ein Unternehmen, das heute weniger als 20 Milliarden Dollar Umsatz erreicht, zu klein für einen Industry Shark ist.“
Ein typisches Beispiel für einen Regional Hero ist Metro. Mit einem Wertverlust von 35 % während der Wirtschaftskrise steht das Unternehmen noch immer besser da als sein Wettbewerber Carrefour. Mit 94,5 Milliarden Dollar Umsatz war Metro im Jahr 2008 ein großer Industrieführer. Das durchschnittliche Umsatzwachstum belief sich zwischen 2000 und 2008 auf 10 % pro Jahr, wobei regionale Nischen angestrebt wurden. Zwei Drittel des Umsatzes wurden 2008 in Deutschland und Osteuropa erzielt.
International Champion
Der International Champion ist ebenfalls häufig in der Größenklasse von 1–20 Milliarden Dollar Jahresumsatz anzutreffen. Das Umsatzwachstum liegt im Schnitt bei 21 %, das Gewinnwachstum bei 28 %. Diese Unternehmensgruppe hat sich in internationalen Produktnischen etabliert. Die Produkte heben sich durch besonderes Design, hohe Qualität oder innovative Technik hervor, wobei Innovation die größte Rolle spielt. Diese Differenzierungsfaktoren rechtfertigen in der Regel höhere Preise.
„Der Wettbewerbsvorteil des Regional Hero liegt in seinen einzigartigen marktbezogenen Fähigkeiten, die er auf Basis seiner Marktsynergien in der Heimatregion realisiert.“
Produktnischen beginnen meist in einer Region und werden dann auf internationales Terrain ausgeweitet. Wachsen die Unternehmen in der frühen Phase des Konzentrationsprozesses noch organisch, gehen sie mit zunehmender Konzentration zum externen Wachstum über. 35 % der bei einer Studie analysierten Unternehmen wuchsen durch Übernahmen, und 10 % hatten bereits Megamerger durchgeführt. Am Anfang setzen viele International Champions auf eine funktionale Organisationsstruktur, bei der Einkauf, Forschung und Entwicklung sowie die Produktion in einem Funktionsbereich zentralisiert werden. Mit zunehmender Internationalisierung werden jedoch dezentrale Einheiten geschaffen.
„Der International Champion hat bereits eine kritische Größe erreicht, die ihm Synergien – insbesondere auf der Produktseite – ermöglicht.“
Der südosteuropäische Haushaltsgerätehersteller Gorenje begann ursprünglich als Regional Hero in seiner Heimatregion und entwickelte sich dann durch eine Ausweitung auf das internationale Geschäft zum International Champion. Mit einem Gesamtumsatz von 1,8 Milliarden Dollar zählt das Unternehmen zu den kleineren Industrieverfolgern. Die Wirtschaftskrise konnte das Wachstum nicht bremsen: Während der globale Haushaltsgerätemarkt in den letzten zehn Jahren nur um 1,4 % gewachsen ist, erreichte Gorenje 10 %.
„Eine gemeinsame einzigartige produktbezogene Fähigkeit von International Champions quer durch die Industriesektoren liegt in ihrer Innovationsfähigkeit.“
Einen Großteil seines Umsatzes erzielt das Unternehmen außerhalb Südosteuropas, und zwar mit internationalen Produktnischen wie derjenigen für freistehende Kochgeräte. Mit seinen einzigartigen produktbezogenen Fähigkeiten hat das Unternehmen bereits internationale Preise gewonnen. Weil organisches Wachstum für das Unternehmen nicht ausreicht, werden auch Mitbewerber akquiriert.