Zwang zu neuen Produkten
Nie waren Produktinnovationen so entscheidend für das Überleben eines Unternehmens wie heute. Doch leider ist die Flopquote erschreckend hoch. Nach aktuellen Studien ist in den USA nur eine von sieben neuen Produktideen am Markt erfolgreich. Fast die Hälfte aller Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind verloren. Auf der anderen Seite sind 30 % der Unternehmen mit 80 % ihrer Neuprodukte erfolgreich. Es ist also durchaus möglich, bei diesem vermeintlichen Glücksspiel zu gewinnen.
Erfolgsfaktoren neuer Produkte
Zahlreiche Studien haben die Erfolgsfaktoren der Produktentwicklung untersucht und sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Der erste Erfolgsfaktor ist, dass ein Produkt für den Kunden einzigartig und wertvoll ist. Dessen Bedürfnisse müssen Sie durch Marktforschung ermitteln; zudem sollten Sie am besten in ständigem Kontakt mit ihm stehen. Die internationale Ausrichtung ist ein weiterer Erfolgsfaktor. International konzipierte Produkte erzielen Studien zufolge nicht nur auf dem Weltmarkt eine bedeutend bessere Leistung als lokale, sie erreichen auch auf heimischem Boden einen fast doppelt so hohen Marktanteil.
„Um das Ziel – den Sieg am Markt – durchzusetzen, ist es nötig, ständig neue Produkte, die zugleich gewinnbringend wie auch erfolgreich sind, zur Reife zu bringen.“
Das Produkt und das Entwicklungsprojekt müssen klar definiert werden, bevor es an die Entwicklung geht. Wie soll das künftige Produkt beschaffen sein? Bis zu welcher Grenze wird der Entwicklungsaufwand betrieben? Damit das neue Produkt überhaupt wahrgenommen wird, gehört ein Marketingplan unbedingt in dessen Gesamtkonzept. Produktinnovation ist eine bereichsübergreifende Aufgabe und erfordert daher eine straffe und durchdachte Organisation, die auch das Zusammenspiel der Kernkompetenzen gewährleistet.
„Dem Kunden einen einzigartigen Vorteil und Produktwert zur Verfügung zu stellen, unterscheidet häufiger als irgendein anderer Faktor Gewinner von Verlierern.“
Weil Innovationen immer mit den Zielen und Strategien des Gesamtunternehmens harmonieren müssen, sollten Sie sich die Unterstützung des Topmanagements sichern. Entscheidend für den Erfolg sind außerdem attraktive Zielmärkte, d. h. große, wachsende Märkte mit geringem Wettbewerb. Produktentwicklung braucht ferner Kontrollen, die bei wenig aussichtsreichen Projekten sofort zum Abbruch führen.
„Stage-Gate löst den Innovationsprozess auf in eine vorab festgelegte Menge von Abschnitten, bei denen jeder aus einer Untermenge von vorgeschriebenen, bereichsübergreifenden und parallelen Aktivitäten besteht.“
Nicht zu vergessen: die Finanzen. Neuentwicklungen können nur dann eine angemessene Qualität, Kundenorientierung und Bekanntheit erlangen, wenn sie mit einem realistischen Budget ausgestattet werden. Darum ist es besser, wenige Innovationsprojekte durchzuführen, diese aber ausreichend zu budgetieren. Wer schnell am Markt ist, hat die besten Chancen. Gutes Timing darf aber nicht zulasten der Produktqualität gehen. Arbeiten Sie in jeder Projektphase so gründlich, dass kaum Wiederholungen einzelner Schritte nötig sind. Zeit lässt sich auch sparen, wenn die verschiedenen Bereiche, wie Marketing oder Forschung und Entwicklung, parallel arbeiten. Als entscheidendes Erfolgskriterium hat sich ein in Abschnitte gegliederter Prozess, wie ihn etwa die Stage-Gate-Methode darstellt, erwiesen.
Der Stage-Gate-Prozess
Der Stage-Gate-Prozess unterteilt den Innovationsprozess in mehrere festgelegte Abschnitte (Stages), die durch Tore (Gates) voneinander getrennt sind. Typischerweise sind es fünf Abschnitte. In jedem finden sich alle beteiligten Unternehmensbereiche wie Marketing, Forschung und Entwicklung usw. wieder. Die Entdeckung einer Idee steht im Allgemeinen schon vor dem Beginn des Stage-Gate-Prozesses.
„Wichtige Ideen lösen wichtige Probleme! Und wichtige Probleme ergeben sich oft aus tief reichenden Verschiebungen und Umbrüchen in einer Industrie.“
Im ersten Abschnitt wird dann die Reichweite des Projekts festgelegt, im zweiten wird der marktbezogene und technische Rahmen abgesteckt, im dritten wird das Produkt entwickelt, im vierten testet man es und im fünften beginnt die Markteinführung. An den Toren zwischen den Abschnitten kommt eine Art Tribunal zusammen, bestehend aus Managern, die die für den nächsten Schritt notwendigen Gelder verwalten.
„Wenn Sie mit einem durchschnittlichen Kunden zusammenarbeiten, bekommen Sie auch durchschnittliche Ideen.“
Projektleiter und -team müssen hier Rede und Antwort stehen und ihre Resultate vorweisen. Diese werden an Soll-Werten gemessen, die am vorhergehenden Tor definiert worden sind. Das Tribunal entscheidet daraufhin, ob die Produktentwicklung abgebrochen oder weitergeführt wird. Ist Letzteres der Fall, planen alle gemeinsam die Aktionen für den nächsten Abschnitt inkl. Personal, Finanzen und Zeitlimit.
Entdeckung der Idee
Der beste Prozess nützt nichts, wenn er keine geniale Idee verfolgt. Solche Ideen wollen aber erst einmal gefunden werden. Zunächst benötigen Sie eine Strategie für neue Produkte. Mit dieser bestimmen Sie, in welchen Bereichen Sie nach Ideen suchen, wo Sie also innovativ sein wollen. Ideen lassen sich auf verschiedenen Wegen finden. So können Sie beispielsweise die Branche Ihrer Kunden nach möglichen Veränderungen und Umbrüchen untersuchen, um so neue Märkte zu entdecken. Interessant sind vor allem die Kundenbedürfnisse.
„Ein häufig vernachlässigter Aspekt von Verbrauchertests ist die kontinuierliche Suche nach Kundenfeedback während des Entwicklungsstadiums.“
Das Unternehmen Thomson fragt in seinem Entdeckungsabschnitt: Welche Segmente unserer Kunden sind für uns besonders interessant? Welche veränderten Kundenbedürfnisse wirken sich wie auf die Branche aus? Welche Chancen, unsere Kunden erfolgreicher zu machen, bieten uns diese Veränderungen? Ideen lassen sich auch aus Zukunftsszenarien gewinnen. Stellen Sie sich vor, wie die Zukunft aussehen könnte. Was erwarten Sie? Entwerfen Sie mehrere Szenarien – schließlich weiß niemand genau, was die Zukunft bringen wird.
„Das Produkt muss nicht nur im Labor oder in der Entwicklungsabteilung richtig funktionieren, sondern auch, wenn der Kunde es gebraucht oder missbraucht.“
Ideen finden Sie auch, wenn Sie Ihren Kunden auf die Finger schauen. Noch besser als eine Befragung ist es, wenn Sie die Kunden bei der Arbeit beobachten können. So begleitete das Designteam einer Hewlett-Packard-Tochter mehrere Monate fast rund um die Uhr das Personal eines Krankenhauses bei der Arbeit, um die Funktionsweise eines Herzmessgeräts zu überwachen. Dabei gewannen die Mitarbeiter so tiefe Einblicke in die Arbeit und die Bedürfnisse des Krankenhauspersonals, dass sich daraus viele neue Produktideen ergaben. Die besten Einfälle haben Sie übrigens, wenn Sie mit besonders innovativen Kunden zusammenarbeiten. Weitere Ideenquellen sind Messen und Universitäten, aber auch Mitbewerber.
1. Abschnitt: Den Umfang festlegen
Nachdem mehrere Ideen gefunden wurden, werden sie beim ersten Tor beurteilt. Nur der besten Idee wird Durchgang gewährt. Im ersten Abschnitt geht es nun um eine grobe Bewertung der Idee, bevor sie am zweiten Tor nochmals überprüft wird. Eine vorbereitende Markteinschätzung zeigt, ob das Produkt Chancen am Markt hat. Informationsquellen sind das Internet, betriebsinterne Berichte, Industrieexperten, Fachredakteure oder Werbung. Auch in technischer Hinsicht wird das Produkt beurteilt. Wie soll es beschaffen sein? Ist es technisch überhaupt realisierbar? Zum Schluss folgt eine finanzielle Einschätzung. Wann wird sich das Produkt amortisiert haben? Ist es vernünftig, das Projekt weiterzuverfolgen?
2. Abschnitt: Geschäftskonzept
Nachdem das Produkt auch das zweite Tor passiert hat, kann das Geschäftskonzept entwickelt werden. Damit entscheidet sich, ob das Produkt wirklich in die Entwicklung kommt oder nicht. Studieren Sie detailliert die Verbraucherwünsche, analysieren Sie den Wettbewerb und den Markt, führen Sie eine tiefgründige technische Beurteilung durch, befragen Sie Kunden zum Produktkonzept, schätzen Sie die Wirtschaftlichkeit ein und machen Sie eine Finanzanalyse. Ebenfalls zum Geschäftskonzept gehört ein Handlungsplan für den nächsten Abschnitt, die Entwicklung.
3. Abschnitt: Entwicklung und Tests
Im dritten Abschnitt, der Entwicklung, wird ausgehend vom Geschäftskonzept ein Prototyp gefertigt. Beziehen Sie hier so früh wie möglich Ihre Kunden mit ein. Nur so gehen Sie sicher, auch das richtige, gewünschte Produkt zu fertigen. Häufig führt nämlich eine ungenaue Produktdefinition zu Fehlentwicklungen, die am Kundenbedürfnis vorbeigehen. Zudem stellen sich schnell verändernde Kundenwünsche immer neue Anforderungen an ein Produkt. Während der gesamten Entwicklungsphase sollten Verbraucher immer wieder testen können, ob ihr Feedback in die Fertigung eingeflossen ist. Daraus ergeben sich mehrere Wiederholungen von Test, Feedback und Fertigung. Basierend auf den Ergebnissen definieren die Entwickler jetzt detailliert den gesamten Produktionsprozess; Kosten und Investitionsaufwand werden präzisiert.
4. Abschnitt: Erprobung und Bestätigung
Im nächsten Abschnitt wird der Prototyp am Verbraucher getestet und das Marketing überprüft. Messen Sie beispielsweise mithilfe eines Präferenztests Interesse, Präferenzen und Kaufabsicht des Kunden, während dieser den Prototyp benutzt. Bei komplexeren Produkten empfehlen sich Verbrauchertests über einen längeren Zeitraum. Sorgfältig ausgewählte Kunden können das Produkt ausleihen und benutzen. In einer Nachbesprechung äußern sie sich über ihre Kaufabsichten. Ein Hersteller von Schiffsfarben führte aus Zeitmangel solche erweiterten Tests nicht durch. Er brachte einen glatten Lack für Schiffsrümpfe auf den Markt, den er zuvor nur auf Stahlplatten getestet hatte, die ins Meerwasser getaucht worden waren. Nach einem Jahr gingen die ersten Beschwerden ein: Der Lack löste sich. Um so etwas zu vermeiden, können die Kundentests manchmal Monate bis Jahre dauern. Danach muss sich das Marketing in simulierten oder echten Testmärkten beweisen. Der simulierte Markt ist dabei mit Durchschnittskosten von 100 000 € die deutlich kostengünstigere Alternative. Ein realistisches Bild gibt aber nur der richtige Testmarkt. Der Marketingplan wird dabei an ausgewählten Verkaufsstandorten getestet.
5. Abschnitt: Markteinführung
Ob ein neues Produkt überlebt, entscheidet letztlich der Markt. Ein wesentliches Element der Markteinführung ist der Marketingplan, dessen Erarbeitung bereits in den Anfangsphasen des Stage-Gate-Prozesses beginnt und der während jeder Phase weiterentwickelt und ggf. modifiziert wird. Schon wenn die Idee das erste Tor passiert, analysieren Sie den Markt und entwickeln bereits Ziele sowie die Produktstrategie.
„Der Markt ist der Ort, an dem über das Schicksal des neuen Produkts entschieden wird.“
Im ersten Abschnitt, der Festlegung des Projektrahmens, werden Zielmarkt, Positionierung, Produktanforderungen, Zielpreis und die erwarteten Verlaufszahlen genauer definiert. Der nächste Abschnitt widmet sich mit dem zu entwickelnden Geschäftskonzept dann auch dem Markteinführungsplan, in dem Marketingkommunikation, Preisbildung, Rabatte, Vertrieb und Kundenunterstützung festgehalten werden. Während der Testphasen prüfen Sie, ob Produkt und Marketingmaßnahmen ihre Ziele erreichen. Im fünften Abschnitt des Stage-Gate-Prozesses ist das neue Produkt fertig und wird auf dem Markt eingeführt.
Die richtigen Projekte wählen
Sehr wichtig für die Produktentwicklung ist die Auswahl der richtigen Projekte. Diese vollzieht sich an den Toren. Die drei wichtigsten Ansätze dafür sind die Nutzwertanalyse, Wirtschaftsmodelle und Portfoliomethoden. Für die ersten Phasen des Stage-Gate-Prozesses eignet sich besonders die Nutzwertanalyse, da sie mit relativ geringem Aufwand zu guten Entscheidungen verhilft. Sie arbeitet u. a. mit Vergleichsmethoden und Checklisten. Aspekte wie Wettbewerbsvorteil oder Marktattraktivität werden hier subjektiv beurteilt.
„Die Marketingplanung ist eine kontinuierliche Aktivität, die sowohl formell als auch informell nahezu während des gesamten Produktprozesses stattfindet.“
Typische Wirtschaftsmodelle sind die Amortisationsperiode, die Break-even-Analyse oder der Return on Investment. Wie bei der Nutzwertanalyse auch wird hierbei jedes Projekt isoliert betrachtet; die Mittelverteilung zwischen verschiedenen Projekten bleibt außen vor. Anders nähern Sie sich der Aufgabe mit Portfoliomethoden. Diese berücksichtigen alle Projekte. Dabei wird überprüft, ob sich die Projekte im Gleichgewicht befinden, ob alle strategisch ausgerichtet sind und ob die richtigen Prioritäten gesetzt werden.