Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Buch Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Crisis Economics

Campus,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Eines vorweg: Der deutsche Titel ist Quatsch. Vom Ende der Weltwirtschaft handelt dieses Buch nicht. Der Orig­inalti­tel, der in der deutschen Ausgabe als Untertitel fungiert, ist da schon präziser: Tatsächlich geht es Roubini und Mihm um eine neue Krisenökonomie. Man hat Roubini den un­heilschwan­geren Spitznamen „Dr. Doom“ gegeben, weil er als einer der ganz wenigen die große Finanzkrise des Jahres 2007 bereits kommen sah, als alle Welt noch positiv in die Zukunft blickte. Die Kernthese des Krisendok­tors: Erschütterungen vom Kaliber der Weltwirtschaft­skrise sind keine „schwarzen Schwäne“ – also extrem un­wahrschein­liche Ereignisse –, sondern im Gegenteil vollkommen normale, sich ständig wieder­holende Ko­r­rek­tur­prozesse. Entsprechend geht der Blick im Buch öfter zurück als nach vorn. Die Autoren zeigen, wie sich die aktuelle Krise mit his­torischen Talfahrten der Wirtschaft vergleichen lässt und wie das Programm solcher Krisen abläuft. Roubinis und Mihms Analyse ist in verständlichem und griffigem Stil verfasst. BooksInShort empfiehlt das Buch als eine der besten Au­far­beitun­gen der jüngsten Krise allen, die wissen wollen, was schieflief und welche Reformen des Fi­nanzsys­tems dringend nötig sind.

Take-aways

  • Krisen sind keine un­wahrschein­lichen Ereignisse, sondern regelmäßige Be­gleit­er­schei­n­un­gen allen Wirtschaftens.
  • Die Finanzkrise von 2007 hat zahlreiche Vorläufer in früheren Jahrhun­derten.
  • Jede Speku­la­tions­blase entsteht aus einem überbe­w­ertetem An­la­geob­jekt und viel Geld in Form billiger Kredite.
  • John Maynard Keynes war einer jener Ökonomen, die mit Recht die Selb­streg­ulierungskräfte der Wirtschaft anzweifel­ten.
  • Vor jeder Krise schwindet die Scheu vor dem Risiko, und Kredite werden unbesichert vergeben.
  • Moral Hazard bezeichnet das Phänomen, dass man hohe Risiken eingehen kann, ohne die Kon­se­quen­zen tragen zu müssen.
  • In der Hy­pothekenkrise lösten die Fi­nanzierungsin­stru­mente selbst den Super-GAU aus.
  • Die größte Gefahr nach einer Krise: Schulden­til­gung durch die Notenpresse und in der Folge Inflation.
  • Die Risikokul­tur der Banken ist reformbedürftig: Wer hohe Risiken eingeht, muss auch für die Folgen ger­adeste­hen.
  • Ratin­ga­gen­turen, Banke­nauf­sicht, gefährliche Riesenkonz­erne und Zen­tral­banken – alle gehören auf den Prüfstand.
 

Zusammenfassung

Krisen gehören zur Wirtschaft

Es ist gar nicht so einfach, den Zeitpunkt zu rekon­stru­ieren, an dem die Krise nicht mehr abzuwenden war. War es, als immer neue Fi­nanzun­ternehmen aus dem Boden schossen und Kredite so günstig wurden wie nie zuvor? Hätte man seine Haut noch retten können, als der Boom in eine sich immer weiter aufblähende Blase umschlug? Hätte man die Flucht ergreifen können, als der drohende Orkan abflaute und viele Experten meinten, das Schlimmste sei überstanden? Für die meisten war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät: Die Aktienkurse rauschten in den Keller, Kredite wurden gekündigt, betrügerische Geschäfte flogen auf – die USA saßen mitten in der Krise, und mit ihnen der Rest der Welt.

„In der Geschichte des Kap­i­tal­is­mus sind Krisen die Regel, nicht die Ausnahme.“

Wenn Sie jetzt meinen, bei dieser Schilderung gehe es um die Finanzkrise von 2007, dann sind Sie auf dem Holzweg. Denn 80 Jahre zuvor verlief eine andere Krise nach dem gleichen Muster. Die 1929 einsetzende Weltwirtschaft­skrise wurde durch Speku­la­tio­nen, eine viel zu laxe staatliche Aufsicht, ir­ra­tionales Verhalten der Aktionäre und viele neue, kom­plizierte Fi­nanzpro­dukte befeuert, bis der Crash un­ver­mei­dlich war. Fi­nanzkrisen sind keine seltenen Ereignisse, im Gegenteil: Sie suchen uns in regelmäßigen Abständen heim und laufen stets nach dem gleichen Programm ab.

Architektur einer Blase

Im Zentrum jeder Speku­la­tions­blase steht ein An­la­geob­jekt. In der Krise von 2007 waren es Immobilien. Die Anlage ist äußert begehrt. Aufgrund günstiger Kredite ist es einfach, das Objekt zu erwerben. Die Nachfrage erhöht sich weiter, und irgendwann wird das Angebot zu knapp, sodass die Preise steigen müssen. Das hält die meisten Anleger jedoch nicht davon ab, weiter zu investieren, denn sie können ja die vorhandenen Anlagen als Sicherheit verwenden. Hier kommt ein gefürchteter Hebeleffekt zum Tragen: Immobilien, die den Besitzern noch gar nicht gehören, dienen als Sicherheit, um neues Geld aufzunehmen. Ein solches Verhalten entwickelt eine ganz eigene Dynamik. Sie führt dazu, dass selbst vorsichtige Zeitgenossen das Risiko falsch einschätzen. Solange das Angebot knapp ist und zu erwarten ist, dass die Preise weiter steigen, lohnt es sich, immer neue Kredite aufzunehmen. Ab einem ganz bestimmten Punkt halten sich Angebot und Nachfrage dann die Waage. Jetzt kehrt Ernüchterung ein: Der Kredithahn wird zugedreht, Nach­schuss­forderun­gen werden gestellt, die Preise der Immobilien fallen ins Bodenlose. Die Blase platzt.

„Ab einem gewissen Punkt trägt sich eine Speku­la­tions­blase selbst.“

Die Geschichte ist voll von Fi­nanzkrisen, geplatzten Blasen und ir­ra­tionalem Überschwang. Dazu gehören die Speku­la­tio­nen mit Tulpen­zwiebeln in den Nieder­lan­den der 1630er Jahre, die South Sea Bubble von 1720 und die erste globale Finanzkrise von 1825. Bei Letzterer ging es um peruanische Staat­san­lei­hen, schlecht ab­gesicherte Kred­itver­sprechen, eine Menge Betrug und leicht verfügbares Geld. Am Ende stand der größte Teil Südamerikas vor der Zahlungsunfähigkeit und eine Kredit- und Ver­trauen­skrise erfasste ganz Europa. Im 19. und 20. Jahrhundert grassierten weitere Krisen, u. a. in Japan, Thailand, Indonesien, Russland und Südkorea.

Krisenökonomie

Die Frage, wie es überhaupt zu Krisen kommt, wird von Wirtschaftswis­senschaftlern sehr un­ter­schiedlich beantwortet. Adam Smith ver­schwen­dete keinen Gedanken an die Dys­funk­tion­alität des Marktes – schließlich wollte er ja gerade dessen Funk­tion­ieren erklären. Dass der Markt immer Recht habe, glaubten auch David Ricardo, Jean-Bap­tiste Say, Léon Walras und Alfred Marshall. Die Wis­senschaftler trauten dem Markt zu, stets ein stabiles Gle­ichgewicht herzustellen. Also mussten sie fol­gerichtig daran glauben, dass es so etwas wie eine Überbe­w­er­tung von Aktien gar nicht geben konnte. Sie en­twick­el­ten raffinierte math­e­ma­tis­che Modelle, um genau das zu beweisen. John Stuart Mill kon­sta­tierte in seinem 1848 veröffentlichten Buch Grundsätze der politischen Ökonomie, dass es in der Wirtschaft ir­ra­tionales Verhalten gibt und dass Speku­la­tions­blasen vor allem durch Schulden und Kredite genährt werden. Schließlich war es der britische Wirtschaftswis­senschaftler John Maynard Keynes, der den Markt kritisch hin­ter­fragte und den Staat in der Pflicht sah, Nachfrage zu schaffen, wenn diese z. B. aufgrund der Spar­freudigkeit der Bevölkerung nachließ.

Die kon­trol­lierte kreative Zerstörung

Keynes wurde gefeiert und seine Theorie in den Nachkriegs­jahren zum Dogma erhoben. Spätere Ökonomen, z. B. der Monetarist Milton Friedman, sahen nicht mehr in der Nachfrage, sondern in der Geldpolitik den Grund für die Krisenanfälligkeit von Volk­swirtschaften. Der amerikanis­che Wirtschaft­spro­fes­sor Hyman Minsky schließlich führte deren Instabilität darauf zurück, dass im Falle eines Booms die soliden Fi­nanzierungsin­stru­mente von gefährlichen verdrängt werden. In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs tritt demnach an die Stelle der ab­gesicherten Fi­nanzierung, bei der Zinsen und Tilgung vom Schuldner jederzeit aufgebracht werden können, eine so genannte Schnee­ball­fi­nanzierung: Hier werden sämtliche Kredite unbesichert vergeben. Die Vertreter der so genannten Öster­re­ichis­chen Schule, darunter Joseph Schumpeter, be­tra­chteten Krisen als zwar schmerzhafte, aber wichtige Korrekturen. Mit anderen Worten: Die Krise sondert die Spreu vom Weizen; durch eine „kreative Zerstörung“ gehen diejenigen Unternehmen unter, die auf lange Sicht sowieso nicht lebensfähig gewesen wären.

„Unabhängig davon, was den Boom auslöst oder auf welchem Weg sich die Anleger beteiligen, steht im Mittelpunkt des speku­la­tiven Interesses immer eine bestimmte Anlage.“

Für zukünftige Krisen scheint eine Mischung aus Key­ne­sian­is­mus und der radikalen Neuordnung gemäß der Öster­re­ichis­chen Schule sinnvoll zu sein: eine „kon­trol­lierte kreative Zerstörung“, bei der neue Regeln definiert und alte Zöpfe abgeschnit­ten werden sowie der Weg für eine bessere Zukunft bereitet wird. Kon­trol­liert wird die Zerstörung zumindest kurzfristig durch das Eingreifen des Staates, der die schw­er­wiegen­den Krisen­ef­fekte abfedern muss. Staatliche Eingriffe dürfen aber nicht so langfristig sein, dass „Zom­biebanken“ oder „untote Unternehmen“ entstehen, die künstlich am Leben gehalten werden.

Fi­nanzin­no­va­tio­nen als Krisenauslöser

Boom-and-Bust-Zyklen wurden immer schon von In­no­va­tio­nen befeuert. Im 19. Jahrhundert war es die Eisenbahn, um die letzte Jahrtausendwende das Internet. Im ersten Fall wurden mehr Schienen verlegt, als man benötigte, im zweiten gab es haufenweise In­ter­ne­tun­ternehmen, die niemals auch nur einen müden Dollar verdienten. Nachdem der jeweilige Hype abgeklungen war, blieb aber etwas übrig: ein fortschrit­tliches Verkehrsmit­tel bzw. eine revolutionäre Com­put­er­in­fra­struk­tur.

„Eine Trennung der Fi­nanz­di­en­stleis­tun­gen, die heute unter einem Dach angeboten werden, macht das System weniger abhängig von systemgefährdend großen und ver­flocht­e­nen Fi­nanzun­ternehmen.“

Und welche Innovation heizte die Im­mo­bilienkrise an? Die ernüchternde Antwort: Es gab keine. Zumindest nicht beim An­la­geob­jekt selbst. Stattdessen spielte sich im Bereich der Fi­nanzierungsin­stru­mente eine Revolution ab. Die Banken, die die Hy­pothekenkred­ite ausgaben, behielten diese nicht selbst, sondern verkauften sie gebündelt, in Form von forderungs­besicherten Wert­pa­pieren (Col­lat­er­al­ized Debt Obligations, CDOs), an Ver­sicherun­gen, Pen­sions­fonds und andere in­sti­tu­tionelle Anleger. So hatten die Banken sehr schnell wieder frisches Geld zur Verfügung, um neue Kredite zu gewähren. Aber die Schrot­tkred­ite blieben auch in neuer Verpackung Schrott. Irgendwann schauten die Kreditgeber dann auch nicht mehr so genau hin, ob sich der Kred­it­nehmer neue Schulden überhaupt leisten konnte. Die Fi­nanzierungsin­stru­mente wurden immer weiter aufge­s­plit­tet, sodass diejenigen, die den größten Gewinn damit machten, das geringste Risiko trugen. Dieser so genannte Moral Hazard war einer der Gründe, warum die Krise sich dermaßen auf­schaukeln konnte, ohne dass jemand etwas unternahm.

Globale Auswirkun­gen der Krise

Die Hy­pothekenkrise blieb kein amerikanis­ches Phänomen. Wie alle großen Krisen der letzten Jahrhun­derte breitete sie sich pandemisch aus. Es steckt viel Wahrheit in dem Sprichwort: „Wenn Amerika niest, bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen.“ Im 19. Jahrhundert spielte das Vereinigte Königreich eine ähnliche Rolle: Wenn in Großbritannien eine Finanzkrise ausbrach, erlitt die ganze Welt Kol­lat­er­alschäden. Die jüngste Krise traf in erster Linie Europa, Kanada, Brasilien, Russland, Indien und China. Alle diese Volk­swirtschaften waren eng miteinander verflochten, und deshalb litten sie gleichermaßen unter der Pleitewelle der Banken.

„Auf dem Höhepunkt der Krise sahen sich viele Regierungen genötigt, drastische Schritte zu unternehmen, um eine Deflation und einen Preisver­fall zu verhindern.“

Seit die Krise überstanden scheint, geistert das Gespenst der Deflation durch die Welt. Hier ist der Staat erneut gefragt, denn noch schlimmer als der Anstieg der Preise ist deren Verfall. Schließlich sinken in einer Deflation auch die Löhne, und die Wirtschaft schrumpft. Nach einer Krise besteht aber immer auch die Gefahr der Inflation: dann nämlich, wenn die Staaten versuchen, ihre Defizite mit der Druck­er­presse zu schrumpfen. Sollten die USA die Geldmenge signifikant erhöhen, würde der Dollar als Leitwährung in der Welt empfindlich an Wert verlieren – und damit auch die Schulden der USA.

Wie die Welt aus der Gefahren­zone kommt

Krisen bieten die Möglichkeit, einen radikalen Schnitt zu machen. Hier ein paar Vorschläge, wie sich zukünftige Katas­tro­phen verhindern lassen:

  • Vergütung von Managern und Bankern reformieren: Die aktuelle Risikokul­tur verleitet Banker dazu, hohe Risiken einzugehen, da keine Bestrafung droht. Deshalb sollten Boni ausschließlich aus den Fi­nanzin­stru­menten abgeschöpft werden, die die Manager selbst aufgelegt haben. Wenn sie Schrott zusammenführen, erhalten sie auch nur Schrott. Das wäre gerecht und ab­schreck­end zugleich.
  • Verbriefung von Wert­pa­pieren sicherer machen: Einer der Gründe für die Krise war, dass alle Beteiligten zwar Gebühren einstrichen, aber das Risiko einfach an andere weitergaben – vom Hy­potheken­mak­ler über die Sachverständigen und die In­vest­ment­banken bis zu den Ratin­ga­gen­turen. Alle Glieder dieser Kette müssen besser überwacht werden. Man sollte sie zudem zwingen, Teile ihrer An­la­geob­jekte selbst zu behalten.
  • Ratin­ga­gen­turen sollen Schuldtitel bewerten und sonst nichts: Be­ratungsleis­tun­gen, womöglich noch für die Mark­t­teil­nehmer, die das Rating in Auftrag geben, stürzen Ratin­ga­gen­turen in einen unauflöslichen In­ter­essenkon­flikt. Deshalb sollten Ratin­ga­gen­turen nur bewerten – alles andere muss ihnen verboten sein.
  • Zen­tral­i­sa­tion der Banke­nauf­sicht: In den USA durften sich die Banken vor der Krise selbst aussuchen, wer sie beauf­sichtigte. Ver­schiedene staatliche Auf­sichts­gremien standen im Wettbewerb miteinander. Das führte zu der grotesken Situation, dass die strengsten Behörden die wenigsten Banken beauf­sichtigten und plötzlich um ihr Überleben fürchten mussten. Dieser An­ti­wet­tbe­werb gehört abgeschafft. Großbritannien könnte Vorbild für eine neue Auf­sicht­sor­d­nung sein: Die Fi­nan­za­uf­sicht (FSA) vereint seit 1997 erfolgreich mehrere Aufgaben unter einem Dach.
  • Zer­schla­gung der gefährlichen Riesen: Es gibt Unternehmen, ins­beson­dere Fi­nanzkonz­erne, die einfach zu groß sind, um bankrottzuge­hen. Ihr Untergang würde das ganze Fi­nanzsys­tem in Mitlei­den­schaft ziehen. Solche Riesen wurden vom Staat nach der Krise aufgepäppelt und verfolgen mit­tler­weile schon wieder ihre riskanten Eigen­han­delsstrate­gien. Ihre Krisenanfälligkeitist also wieder genauso groß wie zuvor. Solche Konzerne müssen zerschlagen werden. Anwärter auf dieses Schicksal sind: Goldman Sachs, Bank of America, UBS, Wells Fargo, ING, Royal Bank of Scotland, Dexia, JP Morgan und etliche mehr.
  • Die Zen­tral­banken müssen sich ihrer Ve­r­ant­wor­tung bewusst werden: Im Verlauf der jüngsten Krise haben sie die Speku­la­tions­blase noch angeheizt, statt ihr frühzeitig die Luft bzw. den Geldhahn abzudrehen. In Zukunft müssen sie viel offensiver agieren und die zur Verfügung stehenden währungs- und kred­it­poli­tis­chen Instrumente ausnutzen.

Über die Autoren

Nouriel Roubini ist Professor an der Stern School of Business der New York University. Er war unter Bill Clinton Berater des amerikanis­chen Fi­nanzmin­is­teri­ums. Stephen Mihm befasst sich als Journalist mit wirtschaftlichen und geschichtlichen Themen und ist Associate Professor für Geschichte an der University of Georgia.