Verkaufen Sie Produkte oder bieten Sie einen Nutzen?
Die derzeitige Wirtschaftskrise ist weder eine Kostenkrise noch eine Vertriebskrise: Viel billiger kann man nicht mehr produzieren und sämtliche Verkaufstechniken sind perfektioniert. Es hapert aber am Umsatz. Die Leute konsumieren zu wenig, weil es immer weniger Produkte gibt, die ihnen einen echten Kundennutzen bieten. Produkte werden an den sich ständig wandelnden Bedürfnissen vorbeientwickelt; richten sollen es dann Werbung und Marketing, indem sie die Bedürfnisse für die zweifelhaften Produkte schaffen. Damit werden Sie allerdings nicht erfolgreich sein. Ihre Kunden erwarten Lösungen. Orientieren Sie sich bei der Produktentwicklung am Erfolg, den Ihre Kunden mit Ihrem Produkt erreichen können.
Die Lösung: Fragen Sie Ihren Kunden
Wie häufig kontaktieren Sie Ihre Kunden? Wie häufig sprechen Sie mit ihnen, um etwas über ihren Alltag, ihre Probleme, ihre Wünsche und Sorgen zu erfahren? Welche Informationen außer Anschrift, Telefon- und Kontonummer haben Sie über Ihre Kunden?
„Was den Unternehmen fehlt, sind gute Produkte, für die die Kunden auch bereit sind, Geld auszugeben.“
Treten Sie mit ihnen in einen Dialog, lernen Sie ihre Bedürfnisse kennen. Nutzen Sie jede Gelegenheit: ob beim Verkaufsgespräch, bei einer Kundenbeschwerde, bei Anrufen im Kundenservice, bei Gesprächen auf einer Messe oder im Wartezimmer des Arztes. Egal wo Sie Ihren Kunden begegnen, befragen Sie sie und sammeln Sie Informationen über Probleme und potenzielle Lösungen. Gehen Sie auch aktiv auf Ihre Kunden zu und reden Sie zur Abwechslung einmal mit ihnen, anstatt gleich etwas verkaufen zu wollen. Die gewonnenen Erkenntnisse sind die beste Grundlage für die Entwicklung bedürfnisrelevanter Produkte.
Produktentwicklung mit Tuwun
Die Methode Tuwun („Tell us what you need“) hilft Ihnen bei der Produktentwicklung. Sie ermöglicht Ihnen, in die Welt Ihrer Kunden einzutauchen. So erkennen Sie früher als die Konkurrenz, wie sich Märkte und Kundenbedürfnisse ändern, und können entsprechend darauf reagieren. Kern des Verfahrens sind qualitative Marktgespräche. Das sind zielgerichtete, offene Interviews, deren Inhalte sich auf die Motive, Rahmenbedingungen und Probleme Ihrer Kunden konzentrieren. Eine feste Fragebogenstruktur, mit der vorgefasste Annahmen geprüft werden – wie in der Marktforschung üblich –, eignet sich nicht für eine Produktentwicklung, die erfolgreich sein soll. Denn damit werden Sie nicht erfahren, was Ihren Kunden wirklich wichtig ist. Statt sie „erforschen“ zu lassen, sollten Sie mit ihnen sprechen. Marktgespräche können Sie in allen Entwicklungsstadien einsetzen: zur Erschließung von Marktsegmenten, zur Neuproduktentwicklung, zum Test von Prototypen, zur Produktoptimierung usw. – und das sowohl für den Konsumgüter- als auch für den Industriegütermarkt.
„Kunden kaufen keine Produkte, sie kaufen Lösungen.“
Mit den Ergebnissen der Marktgespräche entwickeln Sie Ihre Unique Selling Proposition (USP) – das einzigartige Verkaufsargument oder Alleinstellungsmerkmal, das die Lösung des dringendsten Kundenproblems verspricht. Die wichtigsten Produktperspektiven sind die Funktion (Was kann das Produkt?), die Struktur (Passt sich das Produkt den Verhaltensweisen der Nutzer an?), die Ansprache (Erschließt sich der relevante Nutzen sofort?), die Produktart (Passt das Produkt in das Arbeitsumfeld?), die Emotionen (Wie fühlt sich der Nutzer mit dem Produkt?) und das Design (Spricht das Produkt alle Sinne an?). Diese sechs generellen Produktperspektiven werden jetzt in konkrete Produkteigenschaften übersetzt.
Zufällige Marktgespräche
Ergibt sich bei einem Kundenkontakt die Chance auf ein Marktgespräch, dann ergreifen Sie sie. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter Formblätter benutzen, auf denen sie sämtliche Informationen notieren können. Jeder Mitarbeiter mit Kundenkontakt sollte diese Formulare griffbereit haben, der Außendienstler ebenso wie der Telefonist im Callcenter. Folgende Punkte gilt es zu notieren:
- Gesprächsinformation: Name des Mitarbeiters, Datum, Ort, Uhrzeit, Dauer.
- Thema des Gesprächs: Was ist vorgefallen? Welche Gründe gibt es dafür? Was schlägt der Kunde als Lösung vor?
- Fragen zur Produktentwicklung: Wie wird das Produkt verwendet? Was kann optimiert werden? Welche Probleme hat der Kunde mit dem Produkt? Für welches Problem hat der Kunde noch keine Lösung?
- Angaben zum Gesprächspartner: Name, Position, Abteilung, Kontaktdaten und Informationen zum Unternehmen (im B2B-Sektor).
- Persönlicher Eindruck: Wie lief das Gespräch, was gibt es anzumerken?
„Nutzen Sie jeden Kontakt mit Ihren Kunden, um Informationen für Ihre Produktentwicklung zu erhalten.“
Natürlich können Sie das Protokoll dem Interviewziel anpassen. Ganz wichtig ist: Am Ende sollten Sie den Kunden immer fragen, ob Sie ihn zu einem späteren Zeitpunkt erneut wegen eines Marktgesprächs kontaktieren dürfen. So können sich später auch Kollegen aus einer anderen Abteilung beim Kunden melden, um beispielsweise ein Einzelinterview zu führen oder ihn zu einer Gruppendiskussion einzuladen.
Arrangierte Marktgespräche
Um ein Produkt nach den Bedürfnissen Ihrer Kunden zu entwickeln, sollten Sie auf Einzelgespräche oder Gruppendiskussionen mit potenziellen Kunden keinesfalls verzichten. Scheuen Sie sich nicht, Kunden um ein Gespräch zu bitten; machen Sie dabei aber deutlich, dass es sich nicht um ein Verkaufsgespräch handelt. Dieses ist tabu, wenn Sie etwas Relevantes erfahren wollen.
„Tuwun hat als Ziel die erfolgreiche Produktentwicklung. Die Gespräche mit den Kunden sind nur Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck.“
Wählen Sie Gesprächspartner aus, die aus dem geografischen Umfeld kommen, in dem Sie Ihr Produkt später verkaufen wollen. Solche Leute finden Sie z. B. über Telefonvorwahlen oder Postleitzahlen; auch ein Blick in die Kundendatei oder in ein Branchenbuch hilft bei der Auswahl. Befragen können Sie Nichtkunden, Erstkunden, Gelegenheitskunden, Stammkunden, Rückkehrer, ehemalige Kunden oder Wechselkunden. Unterscheiden Sie weiterhin zwischen Dauernutzern und Gelegenheitsnutzern sowie zwischen Entscheidern und Zahlern.
„Tuwun ist eine Variante, die Sie mit Bordmitteln durchführen können: direkter Kontakt zum Kunden ohne die Kosten einer externen Marktforschungsagentur.“
Treffen Sie sich mit dem Kunden nicht an einem neutralen Ort, sondern gehen Sie zu ihm: In seiner natürlichen Umgebung (am Arbeitsplatz oder in seiner privaten Wohnung) erhalten Sie Einblick in sein Leben; Ihr Gesprächspartner wird sich dort sicherer fühlen und Ihnen mehr erzählen. Außerdem können Sie wertvolle Informationen sammeln, z. B. beobachten, welche Konkurrenzprodukte er nutzt und in welchen Bereichen er neue Lösungen benötigt. Bereiten Sie sich auf das Gespräch vor, indem Sie so viele Informationen über Ihr Gegenüber einholen wie möglich. So können Sie sich im Gespräch auf die relevanten Dinge konzentrieren.
Fragen und zuhören
Tuwun-Interviews kann jeder Ihrer Mitarbeiter durchführen. Ihr Team hat ja die nötige Fach- und Branchenkompetenz, und die Methoden der Gesprächsführung sind leicht zu erlernen. Für ein entsprechendes Training lohnt es sich, eine professionelle Agentur zu beauftragen. Wichtig ist, dass der Interviewer Interesse am Interviewten zeigt, dass er ihm zuhört und Fachchinesisch vermeidet. Der Interviewer muss ohne eine vorgefasste Meinung in das Gespräch gehen.
„Verschießen Sie nicht gleich mit der ersten Antwort alles Pulver und nennen Sie nicht die Dinge, nach denen der Türöffner noch gar nicht gefragt hat.“
Wenn Sie den Termin für das Gespräch vereinbaren, bitten Sie den potenziellen Gesprächspartner um seine Hilfe – das suggeriert, dass man ihm nicht schaden wird. Mit diesem Trick sind Zusagequoten von 90 % nicht selten. Hat der Interviewer das Sekretariat am Apparat, wird er nach dem Grund des Anrufs gefragt. Seine Antwort sollte den Türöffner dazu bringen, weiterzufragen. Je mehr Fragen, desto höher die Verbindungschancen.
Leitfaden und Fragebogen
Damit das Gespräch nicht am Thema vorbeigeht, sollten Sie einen Gesprächsleitfaden und einen Fragenkatalog zusammenstellen. Der Gesprächsleitfaden grenzt die Themen ein und strukturiert das Gespräch. Der Fragenkatalog dient dazu, die Themen zu vertiefen. Lassen Sie die Fragen ruhig situativ einfließen, aber verlieren Sie die übergeordnete Struktur nicht aus den Augen. Handeln Sie die folgenden Themen nacheinander ab; wahrscheinlich brauchen Sie dazu mehrere Gespräche:
- Lebenswelt: Der Gesprächspartner soll anhand von Erlebnissen oder Beispielen erzählen, was ihm wichtig ist, welche Werte und Einstellungen er hat.
- USP-Informationen: Eruieren Sie Motive und Rahmenbedingungen, den Tagesablauf und die Tätigkeiten des Gesprächspartners, seine Aufgaben, Probleme und Hindernisse bei der Aufgabenerfüllung sowie die für ihn relevanten Erfolgsfaktoren, die später mit Ihrem Produkt gefördert werden. Aus diesen Informationen sollten Sie die USP Ihres Produkts ableiten können.
- Perspektiven: Entwickeln Sie die sechs Perspektiven eines Produkts; entsprechende Marktgespräche sollten erst stattfinden, nachdem die USP definiert ist.
„Ihr Gesprächspartner kennt zwar nicht Ihre Struktur, vermerkt jedoch positiv, wenn Sie nicht hin und her springen.“
Häufig reichen bereits 10–20 Gespräche, um hinreichende Erkenntnisse zu einem dieser Themen zu gewinnen. Je homogener Ihre Zielgruppe ist, desto weniger Gespräche benötigen Sie. Seien Sie in der Themenwahl flexibel – das Gespräch soll offen sein, und Ihr Fragebogen ist nicht in Stein gemeißelt.
„Das Konzept steht als Bindeglied zwischen der Idee und den Marktgesprächen auf der einen Seite und der Produktion auf der anderen Seite.“
Ergänzend können Sie Ihre Kunden auch zu Gruppendiskussionen einladen. Idealerweise führen Sie mindestens zwei Gruppendiskussionen mit je sechs Teilnehmern durch. Diese sollten in keinerlei Bezug zueinander stehen. Eine Gruppendiskussion sollte 90–150 Minuten dauern. Als angemessener Veranstaltungsort bietet sich beispielsweise ein Seminarraum eines Hotels an.
Auswertung und Anwendung
Nun gilt es, die Marktgespräche auszuwerten. Lassen Sie Transkripte der Gespräche anfertigen und bringen Sie anschließend die Gesprächsinhalte in eine feste Struktur. Diese sollte sich an den oben genannten drei Themen orientieren. Machen Sie zuerst eine Langschnittanalyse, d. h. werten Sie jedes einzelne Gespräch über alle Themen hinweg aus. Danach folgt die Querschnittanalyse, bei der einzelne Themen über alle Gespräche hinweg erfasst werden. Für jede homogene Gruppe an Gesprächspartnern verdichten Sie die Ergebnisse zu einem „Mustergesprächspartner“, strukturiert nach Lebenswelt, Informationen für die USP und Produktperspektiven. Nehmen Sie bereits nach fünf Gesprächen eine erste Zwischenauswertung vor – so können Sie den Gesprächsleitfaden für nachfolgende Marktgespräche modifizieren.
„Die Umsetzung des gesamten Verfahrens führt zur Ausrichtung Ihrer Produktentwicklung auf die Bedürfnisse Ihrer Kunden.“
Sie haben nun alle relevanten Informationen über Ihre Kunden und deren Bedürfnisse, Wünsche und Probleme, d. h. Sie kennen jetzt Ihre typischen Kunden, auf die Sie die Produktentwicklung ausrichten können. Mit den Ergebnissen der Marktgespräche können Sie Ihre USP definieren, ein Produktkonzept mit relevanten Produkteigenschaften erstellen, dieses und die dazugehörigen Werbemaßnahmen mit weiteren Marktgesprächen überprüfen – und schließlich ein erfolgreiches Produkt auf den Markt bringen.