Erfolgsfaktor Leistungsdifferenzierung
Im Streben nach optimierten Prozessen, niedrigen Kosten und steigenden Umsätzen verlieren die führenden Köpfe der deutschen Unternehmen zunehmend den entscheidenden Wettbewerbsfaktor aus den Augen: die Belegschaft. Gemeint ist damit allerdings nicht, dass sich Deutschlands Manager gar nicht um ihre Leute kümmern würden. Im Gegenteil, das tun sie sehr wohl. Die Missachtung der Ressource Mensch findet ihren Ausdruck eher darin, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter viel zu fürsorglich, nachsichtig und damit letztlich inkonsequent behandeln. Um es konkret zu sagen: Deutschlands Chefs scheuen davor zurück, ihre Leute streng nach Leistung sowie den Anforderungen des Betriebs zu differenzieren. Und das rächt sich. Wer nämlich die Tatsache ignoriert, dass eine Belegschaft immer aus guten und weniger geeigneten Mitarbeitern besteht, zahlt im Alltagsgeschäft drauf. Laut Umfragen verfügen die meisten Unternehmen im Durschnitt nur über rund 20 % Topleute, sogenannte A-Mitarbeiter. Dagegen schleppen sie 80 % B- oder C-Kräfte durch. Schlechte Mitarbeiter leisten jedoch nicht nur weniger, sie hindern auch die besseren Kollegen daran, ihre optimale Leistung abzurufen. Nach Schätzungen verliert ein Hundertmannbetrieb auf diese Weise pro Jahr rund 1,5 Millionen Euro.
„Es gibt A-, B- und C-Mitarbeiter. Diese Art von Differenzierung ist für mich nicht menschenverachtend.“
Wer sich die realen Leistungsunterschiede vor Augen führt, muss die Konsequenzen ziehen. Im Geschäftsalltag bedeutet das, leistungsschwache C-Mitarbeiter zu erkennen, sie mit höheren Leistungsanforderungen zu konfrontieren und ggf. weiterzuqualifizieren oder sie zu entlassen: Ideal ist es natürlich, ungeeignete Leute gar nicht erst einzustellen. Voraussetzung dafür ist eine konsequente Personalarbeit, die im gesamten Unternehmen oberste Priorität und hohes Ansehen genießt.
Ungenutzte Potenziale
Viele Unternehmer finden sich damit ab, dass sich ein Großteil ihrer Mitarbeiter nicht mit voller Energie und Begeisterung ihren Aufgaben widmet. Oft erkennen die Führungskräfte zwar die Defizite, unternehmen aber nichts dagegen. Stattdessen klagen sie über fehlende Fachkräfte und zu wenig Bewerber. Das große Heer der C-Mitarbeiter in vielen Firmen ist jedoch nicht einfach die Folge der Marktmechanismen. Die Firmenchefs haben ihren eigenen gewichtigen Anteil an dieser Entwicklung. Denn gerade im Mittelstand ist ein sorgfältiger Einstellungsprozess noch immer eine Seltenheit. Weil das Tagesgeschäft an erster Stelle steht, werden für die Auswahl geeigneter Mitarbeiter nicht ausreichend Zeit und Ressourcen zur Verfügung gestellt. C-Mitarbeitern offenbart sich somit ein ideales Umfeld für ihre Leistungsverweigerung. Nicht nur im Rekrutierungsprozess harzt es, sondern in vielen Firmen fehlt auch eine sorgfältige Begleitung der Neueinstellungen. Es reicht nicht, einfach eine Probezeit zu vereinbaren. Diese muss so gestaltet sein, dass die Eignung des neuen Mitarbeiters schnell deutlich wird. So sollten bereits in der Probezeit Ziele vereinbart werden, die natürlich auch kontrolliert werden müssen. Das gilt für alle Tätigkeiten. Schließlich gibt es C-Mitarbeiter nicht nur in Niedriglohnjobs oder für einfache Aufgaben. Erfolgreiche Unternehmen setzten in allen Positionen – von der Putzfrau bis zum Vorstandsvorsitzenden – auf A-Mitarbeiter.
A-Mitarbeiter wollen mehr als nur Geld
Ein weiterer Grund für die in der gesamten deutschen Wirtschaft verschwendeten Potenziale ist die noch immer vorherrschende Meinung, Geld allein motiviere zu hoher Leistung. Ein Irrtum! In der Regel verlangen nur B- und C-Mitarbeiter höhere Löhne, ohne jedoch wirklich mehr Leistung zu bieten. A-Mitarbeiter lassen sich dagegen mit Geld allein nicht auf ein Unternehmen einschwören. Hier muss die Führung schon mehr bieten – etwa ein eigenverantwortliches, transparentes Arbeitsumfeld, Entwicklungsperspektiven, eine vertrauensvolle Beziehung und einen kooperativen Führungsstil.
„Wenn alle Führungskräfte konsequent wären und C-Mitarbeiter gar nicht erst einstellten oder sie wenigstens nach Enttarnung an die Luft setzten, dann gäbe es entschieden weniger betriebswirtschaftliche Probleme und daraus resultierende volkswirtschaftliche Schäden.“
Ein Vorbild für die konsequente Ausrichtung eines Unternehmens auf A-Mitarbeiter ist der US-Textilhersteller W. L. Gore, der Entwickler des wasserabweisenden Materials Gore-Tex. Die Mitarbeiter des Unternehmens suchen sich ihre Tätigkeiten selbst aus, und Führungskräfte werden nicht von oben bestimmt, sondern von den entsprechenden Teams gewählt. Und noch ein Punkt ist entscheidend, um A-Mitarbeiter zu gewinnen: Wer die besten Leute haben will, muss auch bereit sein, sie wieder ziehen zu lassen. Dies praktiziert etwa Klaus Kobjoll, Gründer des renommierten Nürnberger Tagungshotels Schindlerhof. Immer wieder erlebt er, dass ehemalige Mitarbeiter erneut bei ihm anheuern.
„C-Mitarbeiter gibt es auf allen Hierarchieebenen in den Unternehmen – nicht nur in Produktions- oder Lagerhallen, sondern auch auf dem Sessel des Vorstandsvorsitzenden.“
Wenn Führungskräfte auf die Anforderungen der Topleute nicht eingehen, wird die Zahl der A-Mitarbeiter, die Deutschland den Rücken kehren, weiter rasant steigen. Schon heute suchen jährlich rund 160 000 von ihnen ihr Glück im Ausland. Diese Entwicklung schwächt die deutsche Wirtschaft erheblich und droht, die führende Industrienation ins Mittelmaß abrutschen zu lassen.
Effizientes Personalwesen: Gestalten statt verwalten
Der Schlüssel zu den A-Mitarbeitern liegt in allen Unternehmen offen auf dem Tisch. Die Führungskräfte ergreifen ihn allerdings nicht. Nahezu jeder Betrieb verfügt zwar über eine Personalabteilung, aber sie wird nicht ernsthaft genutzt. Meist sind Personaler nur Verwalter, die Urlaubszeiten planen, an Jubiläen erinnern oder Weiterbildung abrechnen. Erhielten sie jedoch die Bedeutung, die ihnen angesichts der globalen Herausforderungen zusteht, würden sie das Alltagsgeschäft aktiv prägen. Sie würden den Rekrutierungsprozess so gestalten, dass der Fokus auf den A-Mitarbeitern liegt. Sie würden sich für eine Firmenkultur einsetzen, in der Leistung einen guten Ruf genießt. Sie würden Qualifizierungsmaßnahmen individuell vorantreiben. Alles in allem: Die Personaler würden nicht einfach Geld kosten, sondern Profit erwirtschaften.
„Das Hauptargument für Härte gegen C-Mitarbeiter ist für mich schließlich dies: Härte und Konsequenz nützen unter dem Strich allen: nicht nur dem Unternehmen, sondern auch dem C-Mitarbeiter selbst.“
Damit die Personalabteilung endlich die Aufgaben erledigt, für die sie eigentlich da ist, müssen nicht nur die Unternehmenschefs umdenken. Die Personaler selbst müssen sich von vielen falschen Glaubenssätzen, vor allem was den Einstellungsprozess betrifft, verabschieden. Dazu zählen z. B. die Fehlannahmen, dass Kandidaten sich immer so geben, wie sie wirklich sind, dass das Bauchgefühl schon für die richtige Entscheidung sorgen wird, dass eine sympathische Erscheinung Kompetenz bedeutet oder dass psychologische Standardfragen Aufschluss über den Bewerber geben. Mit diesen Ansätzen lassen sich keine A-Mitarbeiter entdecken – geschweige denn C-Kräfte entlarven.
Leistung fordern ist menschlich
Um Topkräfte anzuheuern, müssen Personaler selbst wie A-Mitarbeiter denken und den Einstellungsprozess danach ausrichten. Schließlich zieht es exzellente Fachkräfte genau dahin, wo die Besten arbeiten, wo sie gefördert werden und wo sie Freiräume für die eigene Entwicklung erhalten. Genau diese Faktoren sind der Grund, weshalb Toyota 2008 den bis dahin größten Autobauer General Motors überholte. Mit Status, Eigentumsrechten oder Privilegien zu winken, um zu motivieren, ist ein Führungsinstrument der Vergangenheit. A-Mitarbeiter wollen gestalten, neue Lösungen finden, und dafür benötigen sie eine offene Informationspolitik, die lieb gewonnene Gewohnheiten infrage stellt. Selbst die klassische Rolle des Chefs steht zur Debatte. Wer etwa in modernen Firmen wie Google als Außenstehender Mitarbeiterdiskussionen erlebt, kann längst nicht mehr sagen, wer da Chef ist und wer nicht. Alle Teilnehmer werden gleichberechtigt gehört und bringen sich ein. Leistung ist in solchen Betrieben, die konsequent gute Leute anwerben, kein Schimpfwort. Das Fordern wird vielmehr von allen als ethisch, fair und mitfühlend verstanden. Denn nur so wird ein Unternehmen den Fähigkeiten jedes Einzelnen wie auch der Gemeinschaft gerecht.
„Nur wer neun von zehn Stellen richtig besetzt, wird Marktführer.“
Für die Personaler bedeutet das, Leistung konsequent bewerten zu lassen. Idealerweise tun sie das anhand eines Fragebogens, den Vorgesetzter und betroffener Mitarbeiter unabhängig voneinander ausfüllen und den sie gemeinsam besprechen. Bewertungskriterien sind dabei u. a. Fachkenntnis, Engagement, Arbeitstempo, Qualität, Kundenorientierung und Eigenständigkeit. Das Fordern von Leistung macht allerdings nur dann Sinn, wenn es nicht einseitig und aus dem Zusammenhang gerissen erfolgt: Die Firmen müssen auch etwas leisten. Gemeint ist damit nicht einfach eine gute Bezahlung, sondern das Bereitstellen von Werten sowie einer Vision, die von allen leidenschaftlich unterstützt werden kann.
Vorausschauend rekrutieren
Je mehr A-Mitarbeiter ein Unternehmen anzieht, umso erfolgreicher ist es. Wem es gelingt, neun von zehn Stellen mit ihnen zu besetzen, der ist auf dem Weg zur Marktführerschaft. Dies gelingt aber nur, wenn sich der Chef persönlich für einen umfassendes Personalmanagement stark macht. Wichtigstes Element dieser Strategie ist der Rekrutierungsprozess. Letztlich kann jede Firma A-Mitarbeiter anziehen. Diese Fähigkeit ist kein Privileg der Trendbranchen Internet oder Beratung, sondern beruht allein auf dem Willen, nichts unversucht zu lassen, um gute Leute anzuwerben.
„Wer kontinuierlich bessere Mitarbeiter haben will, braucht einen Einstellungsprozess, der genau dies gewährleistet.“
Ein erfolgreicher Einstellungsprozess ist immer vorausschauend ausgerichtet. Das heißt, die Suche nach guten Leuten beginnt nicht erst, wenn Stellen besetzt werden müssen, sondern sie erfolgt laufend. Zudem erstreckt sich die Talentsichtung auf die gesamte Welt. Darüber hinaus muss die Art des Stellenangebots an potenzielle A-Mitarbeiter ebenfalls einem Wandel unterzogen werden. Gute Leute werden weniger durch die Aussicht auf klangvolle Positionen und langfristig sichere Arbeitsplätze gelockt. Sie verlangen vielmehr herausfordernde und vielseitige Aufgaben, die u. U. auch schon nach ein paar Jahren erledigt sein können. Außerdem wünschen sie sich eine konsequent an der Leistung orientierte Entlohnung sowie flexibel gestaltbare Arbeitsbedingungen, z. B. in Form eines Heimarbeitsplatzes.
Der ideale Einstellungsprozess
Der perfekte Ablauf des Rekrutierungsprozesses umfasst im Idealfall neun Stufen. Nach dem Erstellen eines aussagefähigen Anforderungsprofils (1) erfolgt neben dem Schalten von Stellenanzeigen in den klassischen Medien vor allem die Pflege der Netzwerke (2), um Talente aufzuspüren. Eine erste Auswahl unter den tatsächlich infrage kommenden Bewerbern lässt sich am besten anhand eines auf die Position zugeschnittenen standardisierten Fragebogens treffen (3). Der erste konkrete Kontakt mit aussichtsreichen Kandidaten wird in einem Telefoninterview hergestellt (4). Nur wer sich in diesem Gespräch über berufliche Ziele sowie persönliche Stärken und Schwächen bewährt, wird schließlich zu einem Treffen in der Firma eingeladen (5). Der erste Termin im Unternehmen besteht aus mehreren strukturierten Gesprächen mit dem Unternehmenschef, potenziellen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Für die Kandidaten, die diese Hürde meistern, werden dann Referenzen eingeholt (6). Dazu zählen z. B. Gespräche mit ehemaligen Vorgesetzten. Die endgültige Entscheidung für oder gegen einen Bewerber fällt nach einem zweiten Treffen in der Firma (7). In diesem Gespräch geht es vor allem um den Charakter des Kandidaten und die Unternehmenswerte. Damit die ausgewählten A-Kräfte auch zusagen, sollte sich das Unternehmen intensiv um sie und ihre Familien kümmern, etwa in puncto Umzug oder Kennenlernen der Freizeitangebote (8). Aber selbst mit der Unterschrift ist der Einstellungsprozess noch nicht beendet. Denn ob beide Seiten wirklich zusammenpassen, zeigt sich erst in der Probezeit (9). Wer diese Sorgfalt für alle Positionen in seinem Unternehmen beherzigt, wird schließlich dafür sorgen, dass sich selbst Praktikanten und Auszubildende als Mitunternehmer fühlen.
Prof. Dr. Jörg Knoblauch ist Unternehmer, Autor und Unternehmensberater. Als geschäftsführender Gesellschafter leitet er die drei mittelständischen Unternehmen tempus, persolog und tempus-Consulting. Seit mehr als 20 Jahren vermittelt Knoblauch Führungsmodelle und Strategien der Mitarbeiterbindung. Er ist auch Autor der Bücher So behalten Sie Ihren Job und Dem Leben Richtung geben.