Faktor Fünf

Buch Faktor Fünf

Die Formel für nachhaltiges Wachstum

Droemer,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Genauso wie der Vorgänger Faktor Vier aus den 90er Jahren zeigt auch dieser Bericht an den Club of Rome Möglichkeiten für nach­haltiges Wachstum auf. Mit neuen Koautoren präsentiert Ernst Ulrich von Weizsäcker diesmal nicht nur Einzelmaßnahmen, sondern schildert ganzheitliche Ansätze für ressourcenin­ten­sive Branchen wie Stahlin­dus­trie, Land­wirtschaft oder Verkehr­swe­sen. Nicht alle hier vorgestell­ten Tech­nolo­gien, Designideen oder Al­ter­na­tiven sind neu, aber darum geht es auch nicht. Vielmehr soll aufgezeigt werden, wie ein wirksames Zusam­men­spiel aller Maßnahmen funk­tion­ieren kann. Obwohl die Texte von Wis­senschaftlern geschrieben wurden, sind sie auch für Laien leicht zu verstehen. Zahlreiche Abbildungen, Grafiken und Fotos untermauern die Ideen der Autoren, die auch darauf eingehen, wie wir mit politischen und ökonomischen Rah­menbe­din­gun­gen und Genügsamkeit im Privaten den Planeten retten können. Wer fachlich fundierte Argumente für die nächste Diskussion über den Klimawandel sucht, sollte dieses Buch unbedingt lesen, findet BooksInShort.

Take-aways

  • Die Umwelt lässt sich nicht mit Einzelmaßnahmen retten. Ein ganzheitlicher Ansatz muss her.
  • Mit geset­zlichen Vorgaben konnte zwar der Schad­stof­fausstoß reduziert werden, der Ressourcenver­brauch hat sich aber noch nicht eindämmen lassen.
  • Kaum wurde in der Ver­gan­gen­heit die Ressourcenef­fizienz erhöht, stieg auch der Verbrauch wieder an.
  • Das einzige Mittel gegen diesen Re­bound-Ef­fekt sind höhere Rohstoff­preise.
  • Re­gen­er­a­tive Energien haben nur dann eine reelle Chance, wenn der Ressourcenver­brauch um 60–80 % sinkt.
  • Chinas Land­wirtschaft – mit Selb­stver­sorgung, kurzen Trans­portwe­gen, wenig Maschinen und Einsatz von Stalldünger – kann ein Vorbild für die ganze Welt sein.
  • Die Produktion von Elek­trostahl verbraucht nur ein Zehntel der Energie von Ho­chofen­stahl.
  • Der Verkehr kann nicht nur durch neue Treibstoffe, sondern auch durch en­ergieef­fizien­tere – z. B. wind­schnit­tigere – Trans­port­mit­tel effizienter werden.
  • Or­gan­i­sa­tio­nen wie die WTO müssen sich vermehrt für Umwelt­stan­dards, nicht nur für den Freihandel einsetzen.
  • Nach­haltiges Wachstum braucht einen starken Staat.
 

Zusammenfassung

Fünffach höhere Ressourcenpro­duk­tivität

In den letzten 100 Jahren ist das Leben für die Menschen in den westlichen Ländern immer angenehmer geworden. Auslöser dieser Entwicklung war die in­dus­trielle Revolution. Die Bevölkerung wuchs rasant und machte sich fast das gesamte bewohnbare Land zunutze.

„Entweder lernt die Menschheit, nachhaltig mit der Erde umzugehen, oder die Umwelt schlägt zurück und lässt das Men­schengeschlecht zugrunde gehen.“

Der Fortschrittsop­ti­mis­mus ist aber inzwischen einer weit ver­bre­it­eten Besorgnis darüber gewichen, wie lange unser Planet den Ressourcenhunger und die damit ein­herge­hende Umweltver­schmutzung noch aushält. Zwar wurden und werden bereits Anstren­gun­gen unternommen, die Umwelt­prob­leme in den Griff zu bekommen und einzudämmen, jedoch nicht in aus­re­ichen­dem Maß. Was fehlt, ist ein ganzheitlicher Ansatz. Dafür müssen die Menschen zwei Wege gehen: zum einen Umwelt­be­las­tun­gen und Ressourcenver­brauch durch neue Tech­nolo­gien verringern und zum anderen genügsamer leben. Experten halten eine fünffache Erhöhung der Ressourcenpro­duk­tivität für möglich.

„Das Heizen und Kühlen von Räumen macht rund um den Globus einen Großteil des En­ergie­ver­brauchs von Wohnhäusern aus.“

Einsparmöglichkeiten einzelner Branchen

  • Bauin­dus­trie: Wohnhäuser waren 2006 für 27,5 % des weltweiten En­ergie­ver­brauchs ve­r­ant­wortlich. Hier muss der Rotstift in Sachen Verbrauch angesetzt werden. Gle­ichzeitig gilt es, erneuerbare Energien zu verwenden. Schließlich können diese nur dann als ernst zu nehmende Alternative zu fossilen Rohstoffen ins Auge gefasst werden, wenn der En­ergie­ver­brauch um 60–80 % sinkt. Mit dem so genannten Passivhaus, das auf eine aktive Heizung und Kühlung verzichtet, lässt sich der En­ergie­ver­brauch mindestens um den Faktor Fünf verringern. Sogar Faktor Zehn soll möglich sein, wenn passive So­laren­ergien­utzung, Superdämmung, su­per­ver­glaste Fenster und Wärmerückgewinnung dazukommen. Auch bei Nicht­pas­sivhäusern lässt sich mit vernünftigem Verhalten und neuen Tech­nolo­gien Energie sparen. Dop­pel­glasige Fenster, spezielle Wand- und Deck­enisolierun­gen und Be­ton­bo­den­plat­ten mit Randdämmung können den Verbrauch um 70 % senken.
  • Stahl- und Ze­mentin­dus­trie: Diese Branche verbraucht besonders viel Energie und ist zugleich für einen großen Teil der Kohlen­dioxid-Emis­sio­nen ve­r­ant­wortlich. In der Stahlbranche liegt der Anteil an den weltweiten Emissionen bei 7 %, beim Zement sind es 5–8 %. Einspar­poten­zial bietet neben neuer Technik auch das Recycling von Altmetall. Um in der Stahlbranche En­ergieeinsparun­gen um den Faktor Fünf zu erreichen, sollten Produzenten u. a. vom Kon­verter-Ho­chofen auf den elek­trischen Licht­bogenofen umsteigen. Dieser verbraucht ein Zehntel der Energie, ein Achtel des Wassers und weniger als ein Vierzigstel anderer Stoffe pro Tonne Stahl. Mit wachsender Schrottmenge steigt das Einspar­poten­zial des Elek­trostahls noch weiter. Der amerikanis­che Stahl­pro­duzent Nucor hat 2008 rund 80 % seines Stahls aus Schrott recycelt, die En­ergiein­ten­sität seit 2003 um 17 % verringert und mit Elek­trostahl im Vergleich zum Ho­chofen­stahl fast den Faktor Fünf in Sachen En­ergieeinsparung erreicht. In der Ze­ment­pro­duk­tion sehen Experten Einsparmöglichkeiten vor allem in der Verwendung von Geopoly­meren, bei denen gut 80 % weniger Energie aufgewendet werden muss.
  • Land­wirtschaft: Aufgrund wachsender Bevölkerungszahlen und des vermehrten Wohlstands hat die Land­wirtschaft längst in­dus­trielle Züge angenommen. Allein die Tierhaltung sorgt für einen höheren Ausstoß von Kohlen­dioxid als der Trans­port­sek­tor. In Asien werden 80 % der Energie in der Land­wirtschaft verbraucht. Wie eine klima- und umwelt­fre­undliche Land­wirtschaft gestaltet werden kann, zeigt China. Das Land versorgt sich weitgehend selbst und spart damit unsinnige Trans­portwege rund um den Erdball. Angebaut wird vor allem Gemüse, und das auf einer relativ kleinen Fläche mit geringem En­ergieein­satz. Allerdings arbeiten hier auch bedeutend mehr Menschen in der Land­wirtschaft als andernorts. Während weltweit durch­schnit­tlich 82 Personen auf 100 Hektar Land arbeiten, sind es in China 300 – in den USA sind es nur zwei. Maschinen kommen kaum zum Einsatz. Der große Hunger nach Düngemitteln wird in Form von Stalldünger durch die Land­wirtschaft selbst gestillt. Weitere Maßnahmen für eine kli­mafre­undliche Land­wirtschaft wären ein verstärkter Einsatz von erneuer­baren Energien, aber auch deren Produktion durch die Bauern: Schließlich können sie die Energie, die sie mit Windparks auf ihren Feldern erzeugen, auch selbst nutzen. Der immens große Wasserbe­darf kann durch Brauch- und Re­gen­wasser­nutzung, Tröpfchenbewässerung oder be­darf­s­gerechte Bewässerung gesenkt werden.
  • Verkehr: Dieser Sektor hat einen Anteil von 23 % am weltweiten En­ergie­ver­brauch. Zwei Drittel davon gehen auf das Konto des Per­so­n­en­verkehrs, ein Drittel ve­r­ant­wortet der Güterverkehr. Die hier verbrauchte Energie stammt zu 96 % aus Erdöl. Der En­ergiehunger dieses Sektors entwickelt sich ungebremst. Experten gehen davon aus, dass sich der private Pkw-Besitz bis 2030 verdoppeln wird. Für eine fünffache En­ergieef­fizienz im Vergleich zu heute müssen die folgenden drei Wege eingeschla­gen werden:
  1. Verbesserung der En­ergieef­fizienz aller Verkehrsmit­tel, z. B. durch wind­schnit­tige Fahrzeug­for­men,
  2. Umstieg auf en­ergieef­fizien­tere Verkehrsmit­tel, wie öffentlicher Nah- und Fernverkehr sowie Fahrrad,
  3. kli­mafre­undliche Treibstoffe, beispiel­sweise aus der Kombination von erneuer­barer Energie und Brennstof­fzellen.

Gesetzliche Vorgaben

Neben neuer Technik und bewusstem Handeln erfordert nach­haltiges Wachstum auch die richtigen Rah­menbe­din­gun­gen. Gesetze können En­ergieef­fizienz zwar in gewissem Maß verordnen, ein Faktor Fünf ließ sich bisher damit allerdings nicht erzielen. Schweden machte mit seiner Baunorm 1975 einen ersten Schritt in Richtung En­ergieef­fizienz von Gebäuden. Dabei wurde der maximale Wärmeverlust über Außenwände, Dach, Boden und Fenster festgelegt. Besonders nachah­menswert ist Japans Top-Run­ner-Pro­gramm, 1999 ergänzend zum En­ergieeinsparge­setz eingeführt: Der Staat kürte einen so genannten Top-Runner in Sachen En­ergieef­fizienz und erklärte dessen Leistung zum lan­desweiten Standard. Innerhalb von vier bis acht Jahren mussten alle Hersteller diesen Standard mit ihren Produkten erreichen. Hin­sichtlich der Schad­stof­fkon­trolle konnte die Geset­zge­bung gute Dienste leisten, beispiel­sweise mit durch Richtlinien festgelegte Umwelt­stan­dards auf EU-Ebene. Der Ressourcenver­brauch konnte so bislang aber nicht gebremst werden.

Ökonomische Instrumente

Ökonomische Instrumente können mehr bewirken als Gesetze. Dazu gehören zunächst freiwillige Verpflich­tun­gen und Umwelt­man­age­mentsys­teme. Erstere gibt es seit den 1970er Jahren. Um den Staat von der Festlegung von Emis­sion­s­gren­zw­erten abzubringen, boten die Firmen damals diese frei­willi­gen Selb­st­beschränkungen an. Auch wenn viele Unternehmen damit vor allem ihren Ruf in der Öffentlichkeit verbessern wollten, entwickelte sich ein größeres Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz. Umwelt­man­age­mentsys­teme haben Firmen, die die damit verbundenen Kosten tragen konnten, zu ökol­o­gis­cherem Verhalten und mehr Transparenz geführt. Aber auch hier konnte ein Faktor Fünf nicht erreicht werden. Daneben existieren noch zahlreiche weitere ökonomische Instrumente, etwa handelbare Emis­sion­slizen­zen, Schad­stof­fab­gaben oder Umwelt­sub­ven­tio­nen. Den Abgaben und Sub­ven­tio­nen haftet der Beigeschmack staatlicher Eingriffe an. Ein typisches Beispiel für die Lizenzen ist der Handel mit Treib­haus­gase­mis­sio­nen auf Grundlage des Ky­oto-Pro­tokolls.

Der Re­bound-Ef­fekt

Leider haben Ef­fizien­zverbesserun­gen in der Ver­gan­gen­heit nicht zu einem geringeren Ressourcenver­brauch geführt. Stattdessen wurde der Ef­fizien­zgewinn in neues Wachstum investiert, was den En­ergie­ver­brauch wieder ankurbelte. Dieses Phänomen wird Re­bound-Ef­fekt genannt. Ein Beispiel sind die Auswirkun­gen des zweiten Ölpreiss­chocks von 1978. Weil das Öl immens teuer wurde, setzten die Menschen wieder vermehrt auf Kohle- und Kernenergie. Zudem verbesserten ord­nungspoli­tis­che Maßnahmen, wie die schwedis­chen Gebäud­e­standards oder die US-amerikanis­chen CAFE-Stan­dards (Corporate Average Fuel Economy), die En­ergieef­fizienz. Weil weniger Öl verbraucht wurde, ging dessen Preis ab 1982 zurück. In der Folge kauften vor allem die Amerikaner wieder größere, Benzin schluckende Autos und bauten vermehrt Häuser auf dem Land, da Fahrten in die Stadt ja nicht mehr viel kosteten.

„Staaten und in­ter­na­tionale Or­gan­i­sa­tio­nen können sich sehr wohl ohne Gesichtsver­lust mit den global operieren­den NGOs zusammentun und die For­mulierung, Vere­in­barung und Durch­set­zung globaler Regeln gemeinsam verfolgen.“

Auch wenn bisweilen das Gegenteil behauptet wird: Die Preise für natürliche Ressourcen sind seit zwei Jahrhun­derten immer weiter gesunken. Dennoch darf man nicht die Augen davor verschließen, dass gerade wichtige Ressourcen wie Öl knapp sind. Wenn diese Verknappung spürbar wird, könnten die Preise explodieren; auch Kriege um Ressourcen sind denkbar. In gewissem Maß haben steigende Preise aber durchaus den positiven Effekt, dass sie den Verbrauch drosseln.

„Fast ganz un­terge­gan­gen ist die uralte kulturelle Einsicht in die Möglichkeit von viel Glück mit wenig Verbrauch von Waren.“

Um dies zu erreichen, empfiehlt sich eine nationale En­ergi­es­teuer, die an in­ter­na­tional festgelegte Re­duk­tionsverpflich­tun­gen in Verbrauch und Emission gekoppelt ist. Das heißt: Wenn ein Land die Verpflich­tun­gen durch steigende nationale Preise einhalten kann, muss es nichts zahlen. Wenn es die Verpflich­tun­gen nicht einhält, muss es Emis­sion­slizen­zen auf dem in­ter­na­tionalen Markt kaufen und umgekehrt. Um Wirtschaft und Bevölkerung nicht zusätzlich zu belasten, können mit den Einnahmen aus der En­ergi­es­teuer andere Steuern gesenkt werden.

Mehr Staat, weniger Markt

Nachdem der Staat jahrelang verteufelt wurde, weil er den Markt verzerren und damit den Wohlstand bremsen würde, sind diese Stimmen nach der Finanzkrise 2008 leiser geworden. Dennoch brauchen wir nicht mehr Bürokratie und auch keinen Weltstaat, wohl aber in­ter­na­tionale Regeln, nach denen die Staaten handeln. Dazu eignen sich ex­istierende Or­gan­i­sa­tio­nen wie die Welthandel­sor­gan­i­sa­tion (WTO) oder die In­ter­na­tionale Ar­beit­sor­gan­i­sa­tion (ILO). Bislang hat sich die WTO zu stark für den Freihandel zulasten von nationalen Umwelt­nor­men eingesetzt. Das muss sich ändern. Eine tragende Rolle für die Förderung nach­haltiger Entwicklung könnten die Nichtregierung­sor­gan­i­sa­tio­nen (NGOs) spielen. Staaten und in­ter­na­tionale Or­gan­i­sa­tio­nen sollten mit ihnen bei der Entwicklung und Durch­set­zung kli­mafre­undlicher Regeln zusam­me­nar­beiten. Die NGOs könnten dabei als eine Art Kon­trol­linstanz fungieren.

Glücklich mit weniger

Energie- und Ressourcenef­fizienz führen nur dann zu nach­haltigem Wachstum, wenn die Menschen genügsamer leben. Dafür müssen sie nicht einmal auf ihre Leben­squalität verzichten. Schließlich steigern gefahrene Au­tok­ilo­me­ter von Beruf­spendlern nicht das Wohlbefinden, wohl aber den Umsatz mit Benzin. Näher an den Ar­beit­splatz zu ziehen, würde die Leben­squalität deutlich erhöhen und die Umwelt weniger belasten. Genauso führt der Verzicht auf Eiswürfel in einem Getränk auch nicht zu einem geringeren Wohlbefinden, hilft aber, Energie zu sparen. Ganz zu schweigen von einem bewussten und sparsamen Fleis­chverzehr, denn gerade Rinder verursachen große Mengen an Treib­haus­gasen. Mit solchen Maßnahmen würde das Brut­toin­land­spro­dukt, das in der Regel die fragwürdige Basis für Wach­s­tums­berech­nun­gen bildet, zwar sinken, der Wohlstand aber keineswegs.

Über die Autoren

Ernst Ulrich von Weizsäcker leitet das In­ter­na­tional Panel for Sustainable Resource Management. Zuvor war er Direktor des Instituts für Europäische Umwelt­poli­tik in Bonn und Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Außerdem war er von 1998 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und lehrte von 2006 bis 2008 an der University of California. Karlson Hargroves und Michael Smith sind Mitglieder des Natural Edge Project in Australien und betreiben Forschung zur Verbesserung der Ressourcenpro­duk­tivität.