Die neue Herausforderung
Die ökonomische Überlegenheit der USA schwindet. Die globale Wirtschaftsmacht verlagert sich nach Osten. Trotz der jüngsten Krise haben Staaten wie Russland, Brasilien, Indien und China Wachstum zu verzeichnen. Auch die Bedeutung afrikanischer und weiterer südamerikanischer Staaten nimmt zu. Diese neuen Akteure sind durch folgende Eigenschaften charakterisiert:
- Ihr Vorgehen fußt auf einer Kultur, die vollkommen anders ist als die westliche.
- Die Staatssysteme sind meist autoritär ausgerichtet.
- Oft treten sie sehr selbstbewusst und kritisch auf.
- Die Schwellenländer schließen sich zu neuen Allianzen zusammen und lassen sich dabei gerne von der Weltmacht China unterstützen.
„Werkzeuge, die bisher gute Dienste leisteten, können in einem anderskulturellen Zusammenhang stumpf werden.“
Unsere westlichen Geschäftsmodelle und -praktiken auf den Osten und Süden zu übertragen, kann aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Wurzeln nur misslingen. Wenn Sie davon ausgehen, dass die Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie, des Handels und der Kommunikation weltweit ähnlichen Strukturen unterliegen, ist das eine Fehleinschätzung, die Ihrem Erfolg im Weg steht.
Das Märchen vom globalen Dorf
Der Begriff „globales Dorf“ stammt ursprünglich aus der Medientheorie. Später wurde er auf das Internet bezogen und inzwischen verwendet man ihn auch im Zusammenhang mit der Wirtschaft, die weltweit zusammenwächst. Das Wort „Dorf“ assoziiert man mit Überschaubarkeit, Nähe und Vertrautheit. Damit wird der Blick für die tatsächlichen kulturellen Unterschiede verstellt. Die meisten Menschen erleben diese Annäherung und die Weltoffenheit nämlich nicht selber, sondern erhalten Informationen über fremde Länder nur durch die Vermittlung anderer. Die Globalisierung hat zwar zur Folge, dass sich die Konsum- und Denkgewohnheiten gewisser Schichten angleichen, es wäre aber fatal, diesen Umstand zu verallgemeinern. Die global agierenden Entscheidungsträger mögen sich einander anpassen, doch das gilt das nicht für die darunterliegenden Ebenen. Lassen Sie sich also nicht von Äußerlichkeiten täuschen. Geschäftsleute ziehen weltweit vielleicht ähnliche Mäntel und Anzüge an, aber manche von ihnen tragen darunter noch ihre traditionelle Kleidung – ein Symbol für ihre eigene Kultur, die sich von anderen fundamental unterscheiden kann.
Was ist kulturelle Intelligenz?
Erkennen Sie die Unterschiede zwischen den Kulturen und nutzen Sie die Potenziale, die in ihren Eigenheiten stecken. Interpretieren Sie Verhaltensweisen oder Umstände, die Sie in anderen Kulturen beobachten, nicht einfach mit der Sprache, die Sie von Ihrer eigenen kennen. Der Bericht von Afrikanern, die in Deutschland Gartenzwerge für ein Abbild von Verstorbenen hielten und daher glaubten, dass die Deutschen Ahnenkult betrieben, veranschaulicht die Gefahr der Fehleinschätzung. Unterscheiden Sie zudem, ob die Verhaltensweisen Ihrer Gesprächspartner persönlicher oder kultureller Natur sind. Ist Ihr Gegenüber beispielsweise zurückhaltend, könnte das sowohl mit seinem Charakter als auch mit der gesellschaftlichen Situation zusammenhängen. Kulturelle Intelligenz umfasst dreierlei: erstens das theoretische Wissen um die verschiedenen kulturellen Codes, zweitens die interkulturelle Kompetenz, d. h. die praktische Fähigkeit, sich in andere Kulturen und Denkweisen hineinzuversetzen, und drittens die Nutzung der kulturellen Vielfalt im Unternehmen.
Kulturelle Codes und interkulturelle Kompetenz
Wenn Sie über die Hintergründe von kulturspezifischen Werten Bescheid wissen, können Sie viel eleganter und selbstsicherer handeln, als wenn Sie nur die Dos and Don’ts auswendig lernen. Es ist außerdem hilfreich, die Selbstverständlichkeiten Ihrer eigenen Kultur zu hinterfragen, um zu erkennen, wie relativ sie sind. Verwenden Sie die Codes anderer Kulturen und ihre Hintergründe als Grundlage für Entscheidungen, Handlungsstrategien und Marketingkonzepte in den jeweiligen Ländern. Passen Sie Ihre Ziele und Konzepte der anderskulturellen Logik an. Berücksichtigen Sie neben der kognitiven auch die emotionale Ebene.
„Die Weltökonomie ist multipolar geworden. Neue Spieler demonstrieren neues Selbstbewusstsein.“
Folgende Qualitäten machen interkulturelle Kompetenz aus: Einfühlungsvermögen, Aufgeschlossenheit, Geduld, Gelassenheit, allgemeine Toleranz, Frustrations- und Ambiguitätstoleranz sowie die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Ambiguitätstoleranz bedeutet, dass Sie kulturell bedingte Widersprüche, Mehrdeutigkeiten und Unklarheiten aushalten können, ohne sie vorschnell zu bewerten und zu klassifizieren oder auf eine Lösung zu drängen. All diese Fähigkeiten sind u. a. für eine wirksame Motivation der Mitarbeiter von Bedeutung. Während Sie etwa in Europa mit höherem Einkommen oder Status des Einzelnen werben können, ist in China der Wohlstand und das Ansehen der ganzen Familie wichtig.
„Unsere Begriffe, Denk- und Handlungsmuster entsprechen noch längst nicht den globalen Maßstäben unserer Realität. Die technische Globalisierung kann geistig nicht eingelöst werden.“
Mitarbeiter, die Sie ins Ausland entsenden, sollten Sie entsprechend schulen, vor allem aber müssen Sie die richtigen Personen auswählen. Intolerante und unflexible Mitarbeiter sind hier fehl am Platz. Insbesondere für das Asiengeschäft ungeeignet sind überdies sowohl äußerst temperamentvolle als auch sehr introvertierte Charaktere. Empfehlenswert ist ein Coaching im Gastland. Kehren die Mitarbeiter in ihr Heimatland zurück, sollten Sie ihre Erfahrungen erfassen und auswerten, sodass diese in zukünftige Vorbereitungen einfließen können. Die Rückkehrer brauchen u. U. Reintegrationshilfen, weil sich ihr Gesichtskreis erweitert hat und die heimischen Gepflogenheiten ihnen ein Stück weit fremd geworden sind.
Kulturelle Vielfalt
Kulturelle Vielfalt im Unternehmen bezieht sich nicht nur auf die nationale oder ethnische Herkunft der Mitarbeiter, sondern umfasst auch Aspekte wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und Alter. Die Anerkennung und Nutzung all dieser Potenziale stellt einen Wettbewerbsvorteil dar. In Deutschland bereiten immer mehr Unternehmen ein eigenständiges Marketing für die türkische Bevölkerung im Land vor. Es versteht sich von selbst, dass an dessen Entwicklung sowie an der Kundenbetreuung Mitarbeiter der gleichen ethnischen Herkunft beteiligt sind.
„In Zukunft werden immer mehr Deutungsmuster miteinander konkurrieren.“
Die Frage ist, ob ein interkulturell orientiertes Unternehmen tatsächlich offen ist und ein Miteinander anstrebt oder ob die Hinwendung zu anderen Kulturen nicht unter der Vorherrschaft der alten Werte und des alten Rahmens geschieht. Coachingmaßnahmen beruhen meist unhinterfragt auf der Vorstellung des westlichen Individuums, das eigenverantwortlich handelt und seine Haltung freiheraus mitteilt. Das kann bereits ein Problem sein. So sind Asiaten eher gruppenorientiert, äußern sich weniger direkt und richten sich gern nach hierarchischen Ordnungen. Deutsche arbeiten sehr sachorientiert, während in anderen Ländern die Beziehungspflege und die Konversation über den Tätigkeitsbereich hinausgeht. Europäer nutzen das Gespräch, um sich selbst darzustellen, Asiaten dagegen sehen das Zuhören als wertvollere Kommunikationsqualität.
„Eine wichtige Aufgabe rationalen Denkens wird es sein, auszuwählen, welche Werte in welchem Zusammenhang die optimale Lösung bieten.“
Auch die Bedeutung von Begriffen kann von Land zu Land unterschiedliche Nuancen aufweisen. Ebenso unterscheidet sich die Art der Informationsvermittlung von Kultur zu Kultur. Während Vertreter der westlichen Welt meist ohne Umschweife auf den Punkt kommen, kreist der Asiate eine Angelegenheit langsam ein. Selbst das jeweils vorherrschende Schriftsystem hat Einfluss auf den Charakter der Menschen. Im Gegensatz zur abstrakten und lautmalerischen Buchstabenschrift bestehen die Schriften asiatischer Sprachen aus Bildern. Daher nehmen Asiaten Informationen besser auf, wenn sie durch Bilder, Grafiken, Filme oder eine bilderreiche Sprache veranschaulicht werden. Zweifellos führt auch die nonverbale Kommunikation zwischen unterschiedlichen Kulturen zu Missverständnissen: Sie ärgern sich wahrscheinlich, wenn Ihnen ein Missgeschick widerfährt und der Asiate dabei auch noch lacht. Er wiederum fühlt sich abgelehnt, wenn Europäer ernst dreinblicken, was er als grimmig oder böse interpretiert.
Fitness-Check für Ihre kulturelle Intelligenz
Prüfen Sie, ob die einzelnen Bereiche Ihres Unternehmens den Herausforderungen der internationalen Beziehungen standhalten:
- Corporate Identity: Sie beruht meist auf den Wertegrundlagen des Mutterlandes. Lässt sie sich modifizieren oder erweitern, indem sie die Perspektiven anderer Kulturen mit berücksichtigt?
- Einkauf und Beschaffung: Denken Sie bei der Auswahl der Lieferanten an die ethischen und ökologischen Ansprüche der Absatzmärkte. Qualifizieren Sie die Lieferanten für die Standards der Abnehmer.
- Verkauf und Vertrieb: In China gilt der Kunde als Gott. Entsprechend selbstsicher und fordernd verhält er sich. Im Westen verlaufen Geschäftskontakte sachlich und funktional, in Asien sind persönliche Beziehungen, deren Aufbau zeitintensiv sein mag, der Schlüssel zum Erfolg.
- Personalpolitik: Wählen Sie für fremde Märkte Mitarbeiter mit besonderen Qualifikationen und Charaktereigenschaften aus. Geld ist in Asien nicht die einzige Motivationsspritze, auch ein gutes Betriebsklima zählt. Asiatische Angestellte arbeiten und planen außerdem gerne nach Anleitung.
- Produktion im In- und Ausland: Meist haben die Mitarbeiter der inländischen Produktion keinen unmittelbaren Kontakt zu den Kunden im Ausland. Daher sollten sie hinsichtlich der Kundenbedürfnisse und -ansprüche in ausländischen Märkten sensibilisiert werden.
- Produktentwicklung: Passen Sie Ihre Produkte den Konsumgewohnheiten und Werten des betreffenden Landes an. Da Deutschland ein gutes Image als Hightech-Land mit gehobener Bildung hat, lassen sich sinnvolle Produkte durchaus hochpreisig absetzen. Bedienen Sie aber auch das in Asien außerordentlich beliebte untere und mittlere Preissegment.
- Marketing und Werbung: Die grafische Gestaltung ist in der Werbung oft wichtiger als der Text. Beachten Sie, dass Farben in fremden Kulturen mitunter andere Bedeutungen haben als zu Hause. Während die Farbe Weiß hierzulande mit Reinheit assoziiert wird, steht sie in Asien für Tod und Trauer. Unterschiedliche Bewertungen gibt es auch bei Symbolen. Das Schwein gilt im Islam und im Judentum als unrein, in China dagegen als Glücksbringer. Markennamen lassen sich nicht immer problemlos in andere Sprachen übertragen. Sie können dort lächerlich klingen, negative Assoziationen auslösen oder gar ein Schimpfwort sein. Asiaten betrachten Werbeanzeigen anders als Europäer: Während Letztere sich am Hauptobjekt orientieren und den Hintergrund und die Nebenaspekte weniger beachten, nehmen Asiaten Bilder und Grafiken ganzheitlich wahr. Sich vom Design her an Feng-Shui-Grundlagen zu orientieren, kann nicht verkehrt sein. Werbebotschaften müssen den kulturellen Rahmen und die gesellschaftlichen Werte berücksichtigen. Während im Westen die Werte Individualität und Freiheit hoch im Kurs stehen, sind die Asiaten gruppenverbundener. Für sie kann Freiheit sogar einen negativen Beigeschmack haben, weil in diesem Begriff die Bedeutung mitschwingt, sich sozialen Verpflichtungen zu entziehen.