Der Aufstieg der Emerging Markets
Unterschätzen Sie die Schwellenländer und die dort angesiedelten Unternehmen nicht! Dieser Markt wächst doppelt so schnell wie reife Volkswirtschaften und erholt sich rascher von der Finanz- und Wirtschaftskrise. In spätestens 30 Jahren wird das Bruttosozialprodukt der Schwellenländer größer sein als jenes der entwickelten Welt. Handys, Kühlschränke und Bier verkaufen sich in der Mittelschicht der Emerging Markets besser als bei uns. Was in Zukunft hip und trendy sein wird, bestimmen vielleicht nicht mehr wir, sondern etwa die Konsumenten in China.
„Da die Kluft zwischen reichen und armen Ländern schnell schwindet, werden die Industrienationen nicht mehr die Richter über Geschmacksfragen, Standards und Technologien sein.“
Unternehmen aus Schwellenländern sind längst nicht mehr nur Anbieter von Ramschware. Statt auf billige Arbeitskräfte setzen sie inzwischen auf Innovation, die Besetzung von Nischenmärkten, hohe Qualität, überragendes Design, eine überlegene Logistik und den Aufbau von starken Marken. Beispiel Samsung und Hyundai: Beide Unternehmen waren anfangs nur als günstige Hersteller bekannt und sind heute zu starken Marken herangewachsen. Viele Firmen in Schwellenländern mussten gegen Vorurteile ankämpfen, was ihnen weiteren Antrieb gab, zu den Besten ihrer Branche aufzusteigen. Nun ist Samsung (Südkorea) Marktführer bei Flachbildschirmen, Embraer (Brasilien) hält den größten Marktanteil bei Regionaljets, und bei Sport- und Freizeitschuhen hat Yue Yuen (China) die Nase vorn. Auch im Rohstoffbereich kristallisierten sich in den Schwellenländern einige Unternehmen heraus, die heute zur Weltklasse gehören, darunter die brasilianische Aracruz, der größte Zellstoffproduzent, oder die mexikanische Cemex, der drittgrößte Zementhersteller der Welt.
„Es herrscht weiterhin der Irrglaube, billige Arbeitskräfte seien ein typischer Wettbewerbsvorteil von multinationalen Unternehmen aus Schwellenländern.“
Eine Firma lässt sich dann als Weltklasseunternehmen bezeichnen, wenn sie Marktführer einer Branche ist. Zudem muss sie weltweit exportieren, sich an den Besten messen können, in mehreren Ländern zu den drei Unternehmen mit dem größten Marktanteil zählen und hinsichtlich des Preises, der Qualität, der Technologie und des Designs konkurrenzfähig sein. Weltklasseunternehmen haben sich von erprobten Strategien abgewandt und eigene entwickelt. Sie haben z. B. erkannt, dass das Kerngeschäft allein oft nicht ausreicht und man in der Wertschöpfungsleiter nach oben klettern muss. Oder dass man sich auf eine Nische konzentrieren muss, die von den Marktführern nicht bearbeitet wird.
Der Aufbau einer globalen Marke
Das 1969 gegründete Unternehmen Samsung Electronics glich einem Krämerladen. Von Versicherungen über Autos bis hin zu petrochemischen Produkten wurde alles angeboten. Rentabilität stand nicht im Vordergrund, stattdessen setzte die Firma auf Marktanteile. Die Asienkrise 1997/98 trieb Samsung beinahe in den Konkurs. Eine rigorose Umstrukturierung folgte. Die Mitarbeiterzahl wurde um ein Viertel gesenkt, Geschäftszweige verschwanden, neue Topmanager und Ingenieure wurden angeheuert, und statt der einfachen Elektronikartikel entwarf man komplexe Flachbildschirme und Handys.
„Für den Erfolg in der heutigen Geschäftswelt braucht man schlaue Firmen, die sich wie Chamäleons verhalten und ständig auf der Wertschöpfungsleiter nach oben klettern.“
Samsung schickte seine leitenden Angestellten zu großen US-Einzelhändlern. Sie sollten mit eigenen Augen sehen, dass die Produkte des Unternehmens als Billigartikel in den untersten Regalen verstaubten. Die Scham darüber sollte sie antreiben, aus der Firma einen Premiumhersteller zu machen.
Heute, einige Milliarden Dollar an Marketingausgaben später, ist die Marke Samsung bereits mehr wert als die Marke Sony. Samsungs Produkte heben sich von anderen durch ihr Design und ihre hochwertige Verarbeitung ab. Damit das so bleibt, investiert die Firma jährlich mehrere Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung.
„Der Aufbau einer globalen Marke ist nur zu leisten, wenn man von Qualität, Design und Technologie besessen ist.“
Was Sie von Samsung lernen können: Manchmal braucht es eine Unternehmenskrise, damit eine Firma unpopuläre Entscheidungen treffen kann. Streben Sie die Markenführerschaft in Schwellenländern an und machen Sie Ihre Marke aufgrund ihrer Qualität, ihres hervorragenden Designs und ihrer überragenden Technologie in etablierten Märkten bekannt.
Den Zufall strategisch nutzen
Der Aufbau einer Marke kostet Zeit. Wer die nicht hat, kauft eine bereits bestehende Marke. Das ist riskanter, geht aber schneller. Als Vorbild kann Chinas größter PC-Hersteller Lenovo dienen, der die PC-Abteilung von IBM erwarb. Eine dritte Option ist der Aufbau eines Kultimages. Dies ist dem mexikanischen Grupo Modelo mit ihrem Bier namens Corona gelungen. Das Getränk war zunächst ein beliebtes Mitbringsel amerikanischer Urlauber aus dem sonnigen Mexiko. Während diese Propaganda noch Zufall war, wurde die darauffolgende Marketingstrategie, mit der Corona zum Marktführer beim Importbier in den USA übernahm, genau geplant. Corona nahm zuerst den mexikanischen Markt für sich ein und wurde dann als globale Marke aufgebaut.
„Anfängliche Innovationen reichen nicht; sie sind konstant gefordert.“
Was Sie von Grupo Modelo lernen können: Ruhen Sie sich nach Zufallserfolgen nicht aus. Schaffen Sie eine globale Marke, mit der Sie weitere Märkte erobern können.
Von der Anonymität zum Global Player
Von den beiden Unternehmen Hon Hai und Yue Yuen haben Sie vielleicht noch nie gehört. Dabei produziert Ersteres weltweit die meisten Computer, Handys und Spielkonsolen, und zwar für etablierte Marken wie Dell, Sony und Nokia, während Letzteres Sportschuhe für Nike, Reebok und Adidas fertigt. Hon Hai nutzt Größenvorteile und bietet seinen Kunden Just-in-time-Lieferung. Statt sich auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren, sucht das Unternehmen immer wieder nach neuen Geschäftsbereichen und verlängert damit die Wertschöpfungskette. Yue Yuen verdankt seine Stellung nicht zuletzt der Bereitschaft, sich nach einem strengen Verhaltenskodex zu richten, der dafür sorgt, dass Arbeits- und Umweltstandards eingehalten werden.
„Noch vor einem Jahrzehnt hätten nur wenige Menschen vorausgesehen, dass eines Tages einige der größten Unternehmen der Welt Programmierer einsetzen würden, die Tausende von Meilen entfernt ihre Softwarelösungen entwickeln.“
Was Sie von Hon Hai und Yue Yuen lernen können: Nutzen Sie die Anonymität, um „das größte Unternehmen, von dem man noch nie gehört hat“, zu werden. Bieten Sie Ihren Kunden alles aus einer Hand, indem Sie neben dem Kerngeschäft immer weitere neue Services anbieten.
Innovation statt Imitation
Taiwanesische Technologieunternehmen hatten noch vor wenigen Jahren nicht viele Freunde. Sie waren als Imitatoren verschrien. Doch schließlich erkannten einige von ihnen, dass nicht das Klauen fremder Ideen, sondern eigene Innovationen die Lebensgrundlage eines Verbraucherelektronikunternehmens sind.
„Unternehmen aus Schwellenländern, die den Weltklassestatus anstreben, müssen mit ihrer Imitatoren-Vergangenheit brechen.“
Eine dieser Firmen ist die taiwanesische High Tech Computer Corporation (HTC), die sich im Gegensatz zu Original Equipment Manufacturers (OEM) – d. h. Herstellern von Geräten auf Basis des Kundendesigns – als Original Design Manufacturer (ODM) etabliert hat: Sie produziert Minicomputer und Smartphones nicht nur, sondern entwirft sie auch. HTCs Plan ging auf: Um in diese rasch wachsende Nische einzusteigen, holte man „Loser“ mit starken Markennamen an Bord. Für ein Handheldgerät nutzte man z. B. Microsofts Windows-CE-Betriebssystem und Intel-Chips. Beide waren zuvor beim beliebten Palm Pilot kaum zum Einsatz gekommen. 2003 verkaufte HTC bereits beinahe 1,5 Millionen Pocket-PCs.
„Der bisherige Braindrain hat sich umgekehrt: Die Intelligenz wird im Heimatland eingesetzt.“
Was Sie von HTC lernen können: Suchen Sie eine Nische, die Sie mit qualitativ hochwertigen Innovationen und stylishem Design bedienen.
Die Revolution der billigen Intelligenz
Bevor Regierungen wie jene Chinas beschlossen, Technologiezentren nach amerikanischem Vorbild zu bauen, liefen die besten Technikabsolventen schnurstracks von der Uni in eine US-Hightechfirma wie Microsoft oder Sun. Dieser so genannte Braindrain wurde beispielsweise im indischen Bangalore umgekehrt. Viele Unternehmer kehrten nach Erfahrungen im Ausland zurück und bauten neue Technologieunternehmen auf.
„Es ist zu der zentralen wirtschaftlichen Herausforderung unserer Zeit geworden, eine kreative statt einer defensiven Antwort auf diese dramatische und manchmal schmerzhafte Machtverschiebung zu formulieren.“
Von den jährlich 350 000 Personen, die in Indien ein Ingenieurstudium absolvieren, finden heute viele in ihrem Heimatland Arbeit. Die Globalisierung und die billige, schnelle Kommunikation trägt ebenfalls dazu bei: Unterstützende Aufgaben, aber auch immer mehr Forschung und Entwicklung in den Sektoren IT, Gesundheit und Finanzen werden von westlichen Unternehmen nach Indien ausgelagert. Intelligenz ist schließlich in vielen Teilen der Welt oft billiger als bei uns. Ein IT-Fachmann ist in Indien bereits für weniger als 10 000 $ pro Jahr zu haben, während er in den USA bis zu 100 000 $ verdient.
„Der Ruf nach Protektion ist ein Zeichen der Schwäche und nicht der Zuversicht.“
Ein Unternehmen, das davon profitiert, ist der IT-Dienstleister Infosys mit Sitz in Bangalore. Gegründet im Jahr 1981, hatte das Unternehmen alles andere als einen einfachen Start. Die Bürokratie war erdrückend, doch das kam Infosys letztlich zugute, da sich das Unternehmen dadurch keiner Konkurrenz vonseiten etablierter ausländischer Firmen gegenübersah – die hatten sich bereits wieder aus dem Markt zurückgezogen. Mit der Liberalisierung der indischen Wirtschaft 1991 wurde der Weg zum Wachstum schließlich frei. Infosys stellt nur Spitzenkräfte ein und legt Wert auf Transparenz und disziplinierte Einhaltung von Prozessabläufen. Die Mitarbeiter sind zu ständigem Lernen angehalten und werden mit Aktienbezugsrechten und mit Preisen für besondere Leistungen belohnt.
„Die höchsten langfristigen Erträge erzielt man, wenn man Unternehmen erwischt, die auf dem Weg zum Weltklassestatus sind.“
Was Sie von Infosys lernen können: Verbringen Sie viel Zeit damit, gutes Personal zu finden und zu halten. Transparenz und vorbildliche Corporate Governance zahlen sich aus.
Bedrohungen in Chancen verwandeln
Was tun, wenn Ihr Arbeitsplatz nach Indien outgesourct wird oder Ihre Produkte von asiatischen verdrängt werden? Protektionismus – das Bemühen, den eigenen Markt von fremden Firmen abzuschotten – ist nicht die Lösung. Er fördert nur die Mittelmäßigkeit. Sehen Sie Konkurrenz lieber als Ansporn und reagieren Sie auf Innovationen mit Innovation. Machen Sie Emerging-Markets-Unternehmen zu Partnern und zu Kunden. Bedenken Sie, dass nicht nur die Exporte aus den Schwellenländern steigen, sondern dass diese auch vermehrt Produkte importieren. Schwellenländer können Ihre Testmärkte sein und Ihnen Anregungen für neue Entwicklungen geben.
Worauf Anleger achten sollten
Stürzen Sie sich nun nicht blind auf die Aktien der vorgestellten Weltklasseunternehmen. Bei einigen ist dieser Status bereits eingepreist und sie sind nicht mehr billig. Und Sie wissen ja – aus vergangenem Erfolg an der Börse darf man nicht auf zukünftigen Erfolg schließen. Suchen Sie lieber nach Unternehmen mit einem zukunftsfähigen Wettbewerbsvorteil, deren Weltklassestatus noch nicht erkannt worden ist. Der beste Zeitpunkt, sich bei diesen Unternehmen einzukaufen, ist in Krisenphasen gekommen.
„Ehrgeizige Ziele, kluges Management, eine globale Einstellung, die Bereitschaft, die herrschende Meinung zu ignorieren, der Wille, sich mit den Besten zu messen, sind die Gütesiegel fast aller dieser erfolgreichen Unternehmen.“
Statt Trends hinterherzulaufen, sehen Sie sich besser die Fundamentaldaten der Firmen an – dabei ist gründliches Forschen angesagt. Weltklasseunternehmen haben Verbindungen zu anderen Firmen aus Schwellenländern und passen sich flexibel Branchentrends und Kundenwünschen an. Sie finden neue Lösungen, statt strikt den Lehrbuchmeinungen zu folgen, und halten nach Nischen und Innovationen Ausschau. Investieren Sie in Aktien, die unterbewertet sind, weil sie aufgrund der Unternehmenssitze in Emerging Markets von Anlegern gemieden werden.
Anstelle der Investition in Einzelaktien empfiehlt sich für Privatanleger der Kauf börsennotierter Fonds (ETFs), die in Schwellenländern anlegen. Setzen Sie niemals mehr als 10 % der Summe, die Sie für Emerging Markets vorgesehen haben, für einzelne Aktien ein.