Ein Nein signalisiert Souveränität
Was ist eine Auseinandersetzung? Streit, sagen manche, Zoff und Ärger. Wer so denkt, lässt sich in Auseinandersetzungen oft von seinen Gefühlen lenken. Dabei geht es doch um Austausch, um das Darstellen und Vermitteln der eigenen Position und das Verstehen anderer Positionen. Auf dieser Basis lässt sich verhandeln, ganz rational. Die Gefühle sind da, sicherlich, aber sie sollten weder den Ton noch den Verlauf der Verhandlung bestimmen – vor allem nicht das Ergebnis. Verhandlungen sind Auseinandersetzungen. Wer das erkannt hat, verhandelt viel entspannter, nimmt selbst eine Position ein und versucht herauszufinden, wo die andere Seite Position bezieht. Das ist besser, als voller Emphase aneinander vorbei zu reden. Und sich scheinbar konstruktiv auf Kompromisse einzulassen, die keiner Seite wirklich nützen.
„Nein ist das Wort der Wahl.“
Mit einem Nein signalisieren Sie erst einmal Souveränität – und vermitteln der anderen Seite die Chance, ebenfalls souverän zu agieren. Sie darf nämlich auch Nein sagen. Dann wissen alle Beteiligten, woran sie sind, und haben eine Basis, auf der sie verhandeln können. Wer sich zu einem Nein nicht durchringen kann, wer sich ein Nein offenbar nicht leisten kann, gibt hingegen mangelnde Souveränität zu erkennen, und die wird im Geschäfts- wie im Privatleben ausgenutzt. Wittert die Gegenseite Bedürftigkeit, neigt sie dazu, diese unterstellte Schwäche auszunutzen. Gute Verhandler schaffen erst Bedürftigkeit, um dann zuzuschlagen. Wenn die andere Seite meint, etwas zu brauchen, dann ist sie verwundbar. Umgekehrt greift das Muster genauso: Auf Verkäufer, die mit erkennbarer Bedürftigkeit etwas verkaufen wollen, reagieren potenzielle Käufer instinktiv ablehnend. Je verzweifelter der Verkäufer anpreist, desto steifer wird die Verteidigungshaltung.
Schweigen ist Gold
Es geht also darum, Bedürftigkeit nach Möglichkeit zu vermeiden, oder sie zumindest zu tarnen. Je mehr man redet, desto leichter fliegt die Tarnung auf. Deshalb: Sagen Sie so wenig wie möglich.
„Ein Nein befreit und schützt Sie.“
Die Zurückhaltung hat einen weiteren Vorteil: Sie können zuhören. Machen Sie sich Notizen, das zwingt Sie zu Aufmerksamkeit, und Sie können später auf das Geschriebene zurückgreifen. Beim Zuhören entwickeln Sie ein Gespür für Tonfälle, für das Ungesagte hinter dem Schwall an Worten. Das hilft, um Motive und eventuelle Bedürftigkeiten der anderen Seite zu entdecken – und darauf zu reagieren.
„Ein höfliches Neinsagen beleidigt niemanden.“
Eine verbreitete Bedürftigkeit besteht darin, gemocht werden zu wollen. Ein Nein wird persönlich genommen. Davon müssen Sie sich freimachen. Kein Verhandlungspartner kann einen Menschen zurückweisen – diese Macht besitzt er nicht. Es sei denn, sie wird ihm ohne Not eingeräumt. Die andere Seite kriegt sofort spitz, wenn Sie einen Beliebtheitswettbewerb gewinnen wollen, und sie wird entsprechend agieren. Ähnliches gilt, wenn jemand als besonders klug, besonders informiert oder besonders wichtig erscheinen will: Wer erkannt hat, wie diese Menschen ticken, kann sie manipulieren und instrumentalisieren.
„Ich brauche diesen Geschäftsabschluss nicht“
Die Gegenstrategie geht so: „Ich brauche diesen Geschäftsabschluss nicht.“ Wer das verinnerlicht hat, hält seine Emotionen auf Abstand und konzentriert sich auf das, worum es geht: ums Geschäft. Sagen Sie sich: Wenn’s nichts wird mit diesem Abschluss, geht das Leben weiter – egal wie sehr der Chef toben wird und wie wichtig dieser Kunde und dieser Vertrag angeblich sind.
„Um Ihre Ziele zu erreichen, müssen Sie immer nur Nein sagen.“
Wenn eine Bedürftigkeit vorliegt und schlecht wegargumentiert werden kann: Heraus damit! So schwingt sie nicht im Verborgenen mit und kann nicht instrumentalisiert werden, sondern beide Seiten wissen jetzt darum – und müssen sie entweder offen thematisieren oder bewusst ignorieren. Der Versuch, mithilfe der erkannten Bedürftigkeit den anderen zu manipulieren, ist nicht nur schwieriger umzusetzen – er wirkt schlichtweg armselig.
„Die meisten Verhandler bleiben Gefangene ihrer eigenen Emotionen.“
Es kann durchaus vorteilhaft sein, wenn der Verhandlungspartner sich überlegen fühlt. Das baut Vertrauen auf, während das Gefühl von Unterlegenheit für Unwohlsein und Misstrauen sorgt. Je sicherer sich die Gegenseite wähnt, umso positiver wird sie auf Ihre Vorschläge reagieren. Deshalb der Tipp: bloß nicht perfekt erscheinen! Zeigen Sie ruhig kleine Schwächen.
Nein ist nicht das Ende
Die Nein-Strategie erfordert ein radikales Umdenken: Es geht nicht darum, unbedingt zum Abschluss zu kommen, sondern im Gegenteil darum, sich um die eigenen Handlungen, das eigene Verhalten zu kümmern. Wer daran arbeitet und so allmählich zum souveränen Verhandlungsführer heranreift, der wird auch genügend Verträge abschließen – und wesentlich bessere als bedürftige Verhandler, die vorgegebenen (also kaum jemals erreichbaren) Quoten nachjagen. Noch mal: Das Nein ist nicht das Ende der Verhandlungen. Es signalisiert nur, dass die Beteiligten auf diesem Weg nicht weiter kommen und einen neuen finden müssen. Diese Aufgabe – die sich erst durch ein Nein eröffnet – lohnt ihren Einsatz.
„Das Verhalten ist entscheidend – vergessen Sie die Ergebnisse.“
Das übliche Nein in Verhandlungen ist in Wahrheit ein Vielleicht. Das hilft überhaupt nicht weiter. Ein Vielleicht gibt keinerlei Hinweise darauf, was die Gegenseite stört und wie alle Beteiligten zueinander finden könnten. Es hält bloß hin, und verschließt damit Möglichkeiten. Eine ähnliche Wirkung hat übrigens das Ja, das vor allem Zeit schinden soll – der Effekt ist derselbe.
„Eine Verhandlung ist nichts weiter als ein Versuch, der abgebrochen werden darf.“
Neue Wege zu erschließen fällt am einfachsten, wenn man weiß, was der Gegenseite wichtig ist, wo ihre Ziele liegen. Ohne Verständnis und Empathie geht das nicht. Die andere Seite muss die spezifischen Vorteile des Angebots erkennen können; es muss speziell auf sie zugeschnitten sein. Alles andere ist grob fahrlässig. Das eigene Angebot sozusagen „mit anderen Augen“ zu sehen, sorgt zudem dafür, sich über eigene Ziele – die von Verhandlung zu Verhandlung differieren können – klarer zu werden. Wer genaue Vorstellungen sowohl von den eigenen Zielen als auch von den Bedürfnissen des Verhandlungspartners hat, kann der anderen Seite dabei helfen, sich diese Bedürfnisse endlich zu vergegenwärtigen. Dort das Problem, hier die Lösung. Es zeichnet gute Verhandlungsführer aus, dass sie diese Vorstellung und die damit verbundenen Vorteile bildhaft wachzurufen können.
Erst fragen, dann zuhören
Wie bringt man den Verhandlungspartner dazu, sich über seine Bedürfnisse klar zu werden? Durch Fragen. Es gibt nichts Besseres, um das Vorstellungsvermögen zu beflügeln. Grundsätzlich haben Fragen den Vorteil, dass sich die andere Seite nicht zugetextet fühlt. Stattdessen wird erkennbar auf ihre Meinung, ihre Wünsche und Vorstellungen eingegangen. Das verlagert die Verhandlung generell auf die andere Seite – und dort gehört sie hin. Wer die Probleme der anderen Seite nicht kennt, kann sein Angebot nicht darauf zuschneiden.
„Ein Vielleicht versetzt jeder Verhandlung den Todesstoß.“
Gute Fragen regen zum Nachdenken an und rufen darüber hinaus eine bestimmte Vorstellungswelt wach. Weil sie mit den bekannten W-Wörtern (wer, was, wann, wo, warum, wie) beginnen, sind sie nie mit einem kurzen Ja, Nein oder Vielleicht zu beantworten. Gute Fragen sind offene Fragen. Und gute Fragen sind kurz und verständlich. Außerdem sollten Sie im Verhandlungsgespräch auf Folgendes achten:
- Wichtige Punkte sollten mindestens dreimal angesprochen werden, um dann als festgezurrt gelten zu können.
- Je sachlicher die Diskussion, desto besser. Selbst wenn das Pendel in die positive Richtung ausschlägt – später wird es sich wieder in die andere Richtung bewegen.
- Formale Präsentationen sind immer verzichtbar, denn wichtig ist nie die eigene Sicht, sondern die des Kunden.
„Fragen sind ein guter Weg, um schrittweise herauszufinden, was wirklich mit der Gegenseite los ist.“
Fragen Sie sich: Wer ist eigentlich der Kunde? Wer vertritt das Unternehmen? Wer trifft die Entscheidungen? Nichts ist nerviger als Runde um Runde mit Partnern zu verhandeln, die nicht entscheidungsbefugt sind. Das verzögert nicht nur, mitunter kann es die gesamte Verhandlung zum Erliegen bringen. Wirken Sie in jeder Verhandlungsrunde, in der keine Entscheider mit am Tisch sitzen, darauf hin, bei der Folgesitzung die nächsthöhere Instanz mit einzubinden. Das ist nicht immer leicht, denn überall in Unternehmen sitzen Blockierer, die den Entscheidern den Alltagskram abnehmen sollen (und damit ihr Ego füttern). Die beste Möglichkeit: den Entscheider erreichen und sich von oben an den Blockierer verweisen lassen. Dann weiß der: Der Boss weiß von den Verhandlungen und kann von der Gegenseite bei Bedarf wieder eingebunden werden. Blockieren ist so kaum noch möglich.
Die Tagesordnungspunkte 1–5
Jede Verhandlung sollte, um nicht im Meinungsgeplänkel zu versanden, eine mit der Gegenseite abgestimmte Tagesordnung haben, die folgendermaßen aussieht:
- Probleme: Gemeint sind nicht nur echte Probleme, sondern alles, was eine Seite dafür hält und was geklärt werden muss. Meistens kreisen sie um die Komplexe „Wer entscheidet?“, „Was sind unsere Ziele in dieser Verhandlung?“ und „Wie stellen wir uns die künftige Zusammenarbeit mit diesem Partner vor?“
- Eigener Ballast: Alles, was an Erfahrungen in eine Verhandlung hereingeschleppt wird – oft, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn die damit verbundenen Emotionen thematisiert worden sind, verliert sich einen Großteil ihrer Macht.
- Ballast der Gegenseite: Das ist der Punkt, wo Annahmen thematisiert werden. So erhält die Gegenseite die Gelegenheit, zutreffende von unzutreffenden Annahmen zu trennen. Natürlich ist das heikel. Aber ohne Ballast gehen die Verhandlungen fixer voran.
- Das Anliegen: Wer sich für eine Verhandlungsrunde kein konkretes Ziel setzt, verplempert Zeit und Energie – und die der anderen.
- Was geschieht als Nächstes? Keine Runde wird abgeschlossen ohne konkrete Vereinbarung, wann es wie weitergehen soll. „Wir melden uns“ taugt nichts.
„Als Verhandler müssen Sie sich in der Welt der Gegenseite auskennen, weil Ihr Verhandlungspartner dort seine Entscheidungen trifft.“
Die ersten drei Punkte können, wenn sie geklärt sind, von der Tagesordnung gestrichen werden. Punkt 4 und Punkt 5 niemals.
Um zielgerichtet vorzugehen, muss der Verhandlungsführer eine Checkliste mit sämtlichen wichtigen Punkten bereitstellen und direkt nach der Runde ein Protokoll aufsetzen, um festzuhalten, was herausgekommen ist – für die Checkliste der nächsten Runde. Der Aufwand lohnt sich. Falls Sie Zweifel haben: Probieren Sie es aus!