Eine kurze Geschichte der Spekulation

Buch Eine kurze Geschichte der Spekulation

Eichborn,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Es sind Szenen wie aus einem Wirtschaft­sthriller: vornehme Frauen, die für den Erwerb einer Aktie mit Börsenmaklern ins Bett steigen; betrügerische Banker, die der Auf­sichts­behörde Nägel unter den Goldmünzen als Ein­la­gen­sicherung andrehen; oder angesehene Politiker, die ihren guten Ruf an ein of­fen­sichtliches Pyra­mi­den­sys­tem verkaufen. Die vielen Geschichten, die John Kenneth Galbraith mit einer gewissen Genugtuung zum Besten gibt, sind traurig, aber wahr: Sie entlarven den Mark­t­teil­nehmer als gierigen, ir­ra­tionalen, ja oft sogar schwachsin­ni­gen Menschen, der partout nicht aus der jahrhun­derteal­ten Geschichte der Spekulation lernen will. Er müsste sich dann nämlich mit einer unan­genehmen Wahrheit abfinden: Nicht die Banker und Ganoven, die mangelnde Fi­nanz­mark­treg­ulierung oder die Naturge­wal­ten sind schuld daran, dass es in schöner Regelmäßigkeit knallt. Nein, wir sind es selbst, weil wir stets von Neuem der Verheißung einer wunderbaren Geld­ver­mehrung auf den Leim gehen. Der 2006 verstorbene Autor hat 1990 ein mitreißendes Buch mit prophetis­chem Charakter geschrieben. BooksInShort legt es allen ans Herz, die beim nächsten Knall nicht zu den Dummen gehören wollen.

Take-aways

  • Speku­la­tion­swellen laufen seit Jahrhun­derten nach dem gleichen Muster ab.
  • Steigende Preise locken Käufer an, die für noch höhere Preise und Gewinne sorgen.
  • Irgendwann platzt jede Speku­la­tions­blase, und das passiert immer mit einem großen Knall.
  • Warnzeichen werden übersehen, weil frühere Krisen schnell vergessen sind.
  • Jede Generation bringt neue ver­meintliche Fi­nanz­ge­nies und -in­no­va­tio­nen hervor.
  • Tatsächlich erfinden sie nur den Lever­age-Ef­fekt neu: Sie erzielen mit wenig eigenem Geld und hohen Schulden große Gewinne.
  • Anleger verbinden Reichtum irrtümlich mit Intelligenz und wirtschaftlichem Durchblick.
  • Nach dem Crash suchen sie überall die Schuld – nur nicht bei sich selbst.
  • Die Geschichte beweist, dass niemand gegen den Sog einer kollektiven Massen­hys­terie gefeit ist.
  • Ob beim Tulpen­schwindel 1637, dem Börsenkrach 1929 oder der Schrot­tan­lei­hen­blase 1987: Auf Hochmut folgt der Fall.
 

Zusammenfassung

Und es hat Boom gemacht

Spekulative Vorgänge in der Wirtschaft sind so of­fen­sichtlich wie das Aufblasen eines Luftballons: Irgendein In­vesti­tion­sob­jekt erregt das Interesse der Anleger, der Preis steigt, die wachsende Zahl von Käufern lockt immer mehr Käufer an, die dann weit­er­steigende Preise garantieren. Irgendwann aber platzt die Blase mit einem lauten Knall, wie der Ballon, in den unaufhörlich Luft geblasen wird. Es gibt zwei Gruppen von Spekulanten: Die einen glauben tatsächlich an den Wertzuwachs des Objekts und passen ihre Wirk­lichkeitswahrnehmung entsprechend an. Die anderen meinen die speku­la­tiven Vorgänge zu durch­schauen und rechtzeitig aussteigen zu können – bis der ideale Zeitpunkt verpasst ist. Denn das Reichwerden folgt einer ganz eigenen Dynamik: Jeder glaubt, seine Gewinne einem besonderen Durchblick oder seiner Intelligenz zu verdanken. Der Druck der öffentlichen Meinung macht aus an sich vernünftigen Individuen eine dumme Masse. Abweichler und Mahner werden als Sys­temgeg­ner ge­brand­markt oder gleich der Spekulation auf eine Baisse verdächtigt. Niemand wird während einer kollektiven Euphorie so gehasst wie der Zweifler.

Vier gemeinsame Nenner

Alle Speku­la­tions­blasen haben gemeinsame Merkmale. Jeder vernünftige Mensch sollte sich bemühen, sie zu erkennen und sich frühzeitig in Sicherheit bringen:

  1. Geld hat kein Gedächtnis: Wirtschaftliche Zusammenbrüche werden rasch vergessen. Wenn sich ähnliche Umstände wie vor dem letzten Crash einstellen, fabriziert eine neue Generation von „Fi­nanz­ge­nies“ Gründe, warum es dieses Mal anders kommen werde.
  2. Falsche Ehrfurcht vor dem Reichtum: Wer viel hat, ist intelligent – so ein weit ver­bre­it­eter Irrtum. In Wahrheit hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Bankenchefs etwa zeichnen sich eher durch überdurch­schnit­tlichen Machtin­stinkt als durch wirtschaftlichen Weitblick aus. Der Geruch des Geldes gibt ihnen eine Aura, die Anleger dazu verleitet, ihnen ihre Ersparnisse blindlings anzu­ver­trauen.
  3. Die Neuerfind­ung des Rades: Ver­meintlich innovative Fi­nanzin­stru­mente nähren die Illusion, dass der Traum von un­be­gren­ztem Wachstum wahr werden könnte. Wieder und wieder wird der Lever­age-Ef­fekt (die Hebel­wirkung) neu erfunden. Dabei läuft es immer auf dasselbe hinaus: Es werden Schulden gemacht, die die ihnen zugrunde liegenden Vermögenswerte um ein Vielfaches übersteigen.
  4. Un­ein­sichtigkeit am Morgen danach: Nach dem Knall werden Schauprozesse gehalten und einige besonders windige Zeitgenossen bestraft. Das Grundübel – die Spekulation selbst und der Optimismus, auf dem sie beruht – wird ignoriert. Der Glaube an einen perfekten Markt ohne sys­temim­ma­nente Fehler bleibt unange­tastet.

Über Tulpen und Blüten

In den 30er Jahren des 17. Jahrhun­derts geriet Holland wegen einer un­schuldigen Blume in Not. Aus dem östlichen Mit­telmeer­raum stammend, erregte die Tulpe die Fantasie der nüchternen Niederländer. Als die Preise ins Uner­messliche stiegen, war an den Börsen kein Halten mehr: Vom Dienstmädchen bis zum Adelsfräulein handelten alle mit Tulpen­zwiebeln. Eigentümer ver­schleud­erten ihre Häuser zu Spottpreisen, um Tulpe­nak­tien zu kaufen, und aus allen Teilen der Welt floss Geld in das Eldorado an der Nordsee. Tulpenkred­ite heizten den Speku­la­tion­s­mo­tor zusätzlich an. 1637 war der Spuk plötzlich vorbei: Einige Kluge oder Ängstliche verkauften, andere folgten ihnen nach und die Preise fielen ins Bodenlose. Tausende Bürger waren ruiniert, und das Land erlebte eine jahrelange wirtschaftliche Flaute.

„Es gibt nur wenige Bereiche des men­schlichen Handelns, in denen die Geschichte so wenig zählt wie in der Welt des Geldes.“

Der nächste Fall dreht sich um den Schotten John Law, einen Spieler und entflohenen Mörder. Er gründete 1716 in Frankreich die Banque Royale, in einer Zeit, als der Staat fast pleite war. Laws Bank gab Papiergeld heraus und übernahm damit die horrenden Staatss­chulden. Was fehlte, waren Werte zur Absicherung des Geldes. Man vermutete sie in Form von Gold im nor­damerikanis­chen Louisiana und gab fleißig Un­ternehmen­san­teile an der neu gegründeten Mississippi Company heraus, die dieses Gold fördern sollte. Anleger schlugen sich regelrecht um die Aktien. Frauen sollen sich pros­ti­tu­iert haben, um an die begehrten Papiere zu kommen. Doch die Verkaufserlöse flossen nicht in die Suche nach Gold, sondern in die Tilgung der Staatss­chulden. 1720 kam es, wie es kommen musste: Ein Prinz wollte seine Banknoten in Gold umtauschen, weil er keine Aktien kaufen konnte. Mehrere Anleger folgten ihm. Um sie zu beruhigen, stellte man Pariser Bettler ein, die mit Schaufeln durch Paris zogen, als seien sie auf dem Weg nach Louisiana. Doch der Sturm auf die Bank war nicht mehr aufzuhalten. Das Papiergeld wurde von heute auf morgen wertlos. 15 Menschen kamen in dem Gedränge vor der Banque Royale ums Leben. John Law, vom Outlaw zum Finanzgenie und wieder zurück, musste Frankreich fluchtartig verlassen. Als königlicher Beamter hatte er inzwischen einige Reformen durchgeführt.

Eine AG für jede Lebenslage

Etwa zeitgleich trieb die Dummheit in London neue Blüten. 1711 wurde die South Sea Company gegründet, mit dem Ziel, die ausufernden Staatss­chulden zu übernehmen. Der Staat zahlte 6 % Zinsen, verlieh dem Unternehmen das Recht, Aktien auszugeben, und sprach ihm die Verkehrs- und Han­del­srechte mit fast dem gesamten amerikanis­chen Kontinent zu – einschließlich aller von Spanien kon­trol­lierten Gebiete. In Wahrheit erlaubte Spanien der Gesellschaft nur eine einzige Fahrt pro Jahr. Danach fragte aber niemand. Im britischen Parlament saßen mehrere Direktoren der Gesellschaft und betrieben eifrig Lobbyarbeit. 1720 schnellte der Kurs der Aktie innerhalb weniger Monate von 128 auf 1000 £. Hunderte Trit­tbret­tfahrer gründeten ihrerseits Ak­tienge­sellschaften, die Pferde ver­sicherten, ein Perpetuum mobile en­twick­el­ten oder gar – ganz seriös – ein „lukratives Vorhaben“ durchführen wollten, „das niemand kennt“. Die Gründung solch absurder AGs wurde durch den so genannten Bubble Act verboten. Den Sturz der South-Sea-Com­pany-Ak­tien auf ein Siebtel des Höchstkurses konnte das Gesetz aber nicht verhindern. Das Volk verlangte, die South-Sea-Di­rek­toren zu hängen. Mit der eigenen Gier ging man jedoch nicht ins Gericht.

Im Land von Boom und Bust

Am Anfang der US-amerikanis­chen Geschichte war das Geld. Die Unabhängigkeit von Großbritannien wurde indirekt mit Papiergeld erkauft – allerdings mit ungedecktem: Die US-Soldaten erhielten so genannte Con­ti­nen­tals, die rapide an Wert verloren. Dieses Desaster sollte nicht wieder passieren, und so wachte fortan die Zentralbank darüber, dass sämtliche sich im Umlauf befindenden Banknoten in Edel­met­allen einlösbar waren. Sie machte sich damit allerdings so unbeliebt, dass ihre Konzession nicht verlängert wurde. Plötzlich schossen Banken wie Pilze aus dem Boden. Sogar Friseure und Barmänner verlegten sich auf das Drucken von Banknoten, die natürlich nur minimal durch Vermögenswerte gedeckt waren. Gle­ichzeitig stiegen die Preise, vor allem für Boden und Immobilien. 1819 platzte die erste Speku­la­tions­blase in der Geschichte der USA. In schöner Regelmäßigkeit ging es nun über 100 Jahre lang so weiter. Erst kamen In­vesti­tio­nen in Straßen und Kanäle, dann der Crash im Jahr 1837. Den zaghaften Reg­ulierungsver­suchen der Behörden stand ein schier un­be­gren­zter Ein­fall­sre­ich­tum der Geldhäuser gegenüber: In Michigan wurden ein und dieselben Gol­dreser­ven von Bank zu Bank trans­portiert, kurz bevor die Prüfer der Banke­nauf­sicht erschienen. Oder man füllte Nägel unter eine dünne Schicht von Goldmünzen. 1857 stürzte die Wirtschaft wieder ab. Nun kam die Eisenbahn, die – so glaubte man – unbegrenzte Möglichkeiten schaffen würde. Auch diese Hoffnung ging 1873 mit einem großen Knall in die Brüche. Inzwischen machte sich die Meinung breit, dass das ständige Auf und Ab der Kon­junk­turzyklen normal sei, ja der Wirtschaft langfristig sogar guttue. Die so genannte Wall-Street-Panik von 1907 ist heute nur noch eine Fußnote in der Geschichte. Sie wird überschattet von dem, was 22 Jahre später geschah.

1929

Die Katastrophe begann Mitte der 20er Jahre mit dem großen Im­mo­bilien­boom in Florida. Eine Anzahlung von 10 % genügte, um große Mengen an Land zu kaufen – dessen Wert sich eine Zeit lang binnen weniger Wochen verdoppelte. Als der Nachschub an neuen Käufern abbrach, kollabierte 1926 der Markt. An der New Yorker Börse stiegen die Kurse nach einem leichten Rückschlag weiter und erreichten schließlich so schwindel­er­re­gende Höhen, dass die Zentralbank im Frühjahr 1929 laut darüber nachdachte, die Zinsen her­aufzuset­zen, um den Boom zu bremsen. Die Kurse begannen zu sinken, doch der Chef der National City Bank protestierte und versprach, notfalls selbst Geld auszuleihen, um die Zentralbank zu torpedieren. Nun gab es kein Halten mehr. Käufer konnten Aktien mit einer Deck­ungssumme von nur 10 % erwerben und mussten dem Geldgeber der restlichen 90 % bis zu 15 % Zinsen zahlen. Geschlossene In­vest­ment­ge­sellschaften wie Goldman Sachs wurden dafür gefeiert, diese und andere Arten von Leverage ersonnen zu haben. Und die Mehrheit der Wirtschaftswis­senschaftler versicherte der Öffentlichkeit, dass diese Art wundersamer Geld­ver­mehrung im modernen Kap­i­tal­is­mus absolut normal sei. Am 21. Oktober eröffnete die Börse schwach. Die großen Banken versuchten, die Lage durch Stützungskäufe zu sta­bil­isieren. Vergeblich. Der 29. Oktober wurde zum bis dahin schwärzesten Tag in der Börsen­geschichte. Nichts konnte die Verkaufs­woge mehr aufhalten. Die Helden des Booms mussten sich vor Gericht ve­r­ant­worten, landeten im Gefängnis oder begingen Selbstmord.

„Finanzgenie ist man nur bis zum Bankrott.“

Wenn’s ums Geld geht, erinnert sich der Mensch in der Regel nicht weiter als 20 Jahre zurück. So lässt sich eine Katastrophe vergessen und man ist empfänglich für eine Neuauflage alter Tricks. Auf den Crash von 1929 folgte aber die Große Depression, und das Misstrauen gegenüber den Finanzmärkten hielt etwas länger an. Erst in den späten 50ern lebte der Glaube an wirtschaftliche Wunder wieder auf. Es war die Stunde der Investor Overseas Services (IOS), die nichts anderes waren als eine riesige Verkauf­spyra­mide: Jeder Verkäufer dieses In­vest­ment­fonds warb so viele andere Verkäufer wie möglich an, um von deren Verkäufen eine Provision einzus­tre­ichen. In Deutschland gab es am Ende sechs Hi­er­ar­chi­estufen, und fast alle Einlagen, von denen eigentlich Wertpapiere gekauft werden sollten, flossen in Provisionen. 1969 brach die Pyramide wie ein Kartenhaus in sich zusammen und hinterließ einen Schaden von mehreren Milliarden Dollar.

Schrott ist Schrott

In den 80er Jahren des 20. Jahrhun­derts sorgte eine neue Form von Leverage für Hochstim­mung an den Börsen: Gesellschaftsübernahmen und fremd­fi­nanzierte Übernahmen (Leveraged Buyouts). Damit waren Firmenübernahmen mit einem geringen Eigenanteil möglich, zum Preis hoher Schulden. Das Instrument hatte einen treffenden Namen: Junkbonds (Schrot­tan­lei­hen). Die Helden jener Zeit glaubten, sich unendlich lange verschulden zu können, ohne das Geld jemals zurückzahlen zu müssen. Der 19. Oktober 1987 ging als Schwarzer Montag in die Geschichte ein, mit dem größten Kurssturz in Prozenten, den es jemals gab. Einige machten das gewaltige Haushalts­de­fizit der USA ve­r­ant­wortlich. Andere sahen technische Fehler im com­put­ergestützten Handel oder das Fehlver­hal­ten einzelner Makler als Ursachen. Die Gier und die Spielsucht der großen Mehrheit wurden übersehen.

„Die Dummen werden, wie man seit Langem sagt, früher oder später von ihrem Geld befreit.“

Die Umstände, die Höhenflug und Absturz verursachen, sind seit vielen Hundert Jahren dieselben geblieben. Unverändert ist auch der Unwille der Beteiligten, sich die eigene Naivität oder die Un­vol­lkom­men­heit der Märkte einzugeste­hen. Nichts von all dem lässt sich durch Gesetze bekämpfen. Stattdessen sollten Sie ein gesundes Misstrauen kultivieren und aus der Geschichte der Spekulation zwei Lehren ziehen: Erstens steckt hinter übertriebenem Optimismus meist Dummheit. Menschen, die viel Geld verwalten, neigen zu Fehlern. Zweitens sollten Sie einen großen Bogen um einmalige Gele­gen­heiten machen. Wahrschein­lich handelt es sich nur um einmalige Gele­gen­heiten, Sie zu übertölpeln.

Über den Autor

John Kenneth Galbraith (1908–2006) war einer der weltweit bekan­ntesten Ökonomen. Der in Kanada geborene Wirtschaft­spro­fes­sor lehrte an den Universitäten Harvard und Princeton und beriet mehrere amerikanis­che Präsidenten. Er hat mehr als 30 Bücher geschrieben, darunter Die Ökonomie des un­schuldigen Betrugs.