Veränderungen systematisch begleiten
Ein Unternehmen, das sich nicht verändert, stirbt irgendwann, weil es vom Wettbewerb überrollt wird. Früher wurde viel Arbeit in die Strategieformulierung gesteckt, während man die Umsetzung von Veränderungsprozessen dagegen als Automatismus betrachtete: Man ging davon aus, dass die Zielerreichung, wenn das Ziel einmal feststand, im Unternehmensalltag nur noch reine Formsache war. Dem ist jedoch nicht so. Beim Change-Management geht es darum, den Wandlungsprozess möglichst optimal zu gestalten. Wandel kann extern ausgelöst oder vom Unternehmen selbst initiiert werden. Extern ausgelöster Wandel ist schon allein deswegen unvermeidlich, weil sich Unternehmen in einer dynamischen Umwelt befinden: Wirtschaft, Ökologie, soziodemografische Einflüsse, Politik, Institutionen und Technologie wirken von außen auf das System Unternehmen ein und zwingen es zu Veränderungen. Der Wandel kann aber auch hausgemacht sein, z. B. wenn ein vormals kleines, übersichtliches Unternehmen wächst. Ein gutes Beispiel ist eBay: Anfangs war der Auktionshauspionier ein informelles Unternehmen, in dem der Chef gerne mal mit den Angestellten eine Runde Softball spielte oder sie ins Kino einlud. Dann wuchs das Unternehmen, und professionelle Manager wurden angeheuert. Die Hemdsärmeligkeit schwand, die Anzugträger zogen ein.
Gründe für verschleppte Veränderungen
Obwohl Change-Management als Konzept bekannt ist und gemäß einer Studie aus dem Jahr 2008 von über der Hälfte der befragten Manager als wichtig oder sehr wichtig beurteilt wurde, scheitern Veränderungsprozesse häufig. Beispielsweise war bereits 2003 vielen Führungskräften der Loewe AG klar, dass sich das Geschäft langfristig von den Röhrenfernsehern weg- und zu den Flachbildschirmen hinbewegen würde. Die notwendigen Veränderungen fanden aber nicht statt, sodass das Unternehmen in den kommenden Jahren in eine schwere Krise geriet. Warum wurde nicht reagiert? Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle:
- Unternehmen werden von Menschen geleitet. Und Menschen vermeiden gern Gedanken, die sie als konfliktreich und spannungsgeladen betrachten – man nennt das kognitive Dissonanz. Stattdessen suchen sie Informationen, die sie in ihrer bisherigen Wahrnehmung unterstützen. Informationsquellen, die dissonante Informationen aussenden, werden systematisch ausgeblendet oder abgewertet. Erst wenn die ungeliebten Informationen klar in der Überzahl sind und nicht mehr ignoriert werden können, setzt meist ein radikales Umdenken ein.
- Eine starke Unternehmenskultur kann ebenfalls den Wandel behindern, weil sich in diesem Fall das ganze Unternehmen gegen Veränderungen sträubt und die Betriebsblindheit den Ton angibt.
- Schließlich können auch wirtschaftliche Ursachen den Wandel bremsen. Beim angeführten Loewe-Beispiel glaubten die Verantwortlichen auch deshalb wider besseres Wissen an die Zukunft der Röhre, weil sie gerade große Summen in neue Produktionsbereiche investiert hatten.
„Wandel zu unterlassen kann teuer werden und nicht selten existenzbedrohende Auswirkungen zeitigen.“
Oftmals ist das Gefüge zwischen einem Unternehmen und seiner Umwelt so komplex, dass sich die Führungskräfte einfach scheuen, das fragile Konstrukt an irgendeiner Stelle zu verändern. Viele Veränderungsprozesse scheitern, weil die Mitarbeiter den Wandel nicht mittragen wollen. In dem Fall gilt es herauszufinden, welche Gründe dafür verantwortlich sind und was die Entscheider tun können, um den Mitarbeitern ihre Ängste zu nehmen.
Das Erfolgsfaktorenmodell fürs Change-Management
Wie kann man Veränderungen so begleiten, dass sie ein Erfolg werden? Die Feldtheorie des Sozialpsychologen Kurt Lewin gibt einen passenden Ansatz vor. Lewin unterschied zwischen Kräften, die den Wandel unterstützen (akzelerierende Kräfte), und solchen, die ihn behindern (retardierende Kräfte). Beide Arten müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden, ansonsten droht Stagnation oder Überforderung der Mitarbeiter. Es gibt mehrere Erfolgsfaktoren, die auf den Wandel Einfluss nehmen.
Erfolgsfaktor Person
Ein Wandel bedarf starker Charaktere. Wenn eine Mannschaft sich auf einem sinkenden Schiff befindet, braucht sie eine Führungspersönlichkeit, die ihr sagt, was sie tun muss, um schnell noch aus den Planken und dem Segel ein Floß zu bauen.
„Die Notwendigkeit zum Unternehmenswandel kann extern wie intern verursacht sein.“
Personen, die den Wandel vorantreiben, nennt man transformatorische Führungskräfte. Was sie machen, wird auch als Leadership bezeichnet. Sie motivieren die Mitarbeiter dazu, sich mit auf den Weg zu machen. Solche Menschen sind Visionäre, die nicht als Befehlshaber auftreten, sondern die Angestellten coachen und ihnen Hilfe zur Selbsthilfe, konstruktive Kritik und positives Feedback geben.
„Berater bringen externes Wissen ein, sind idealerweise neutral, besitzen hohe Überzeugungskraft und steuern die Projekte routiniert und professionell.“
Sobald sich die Wandlung vollzieht, müssen dann aber auch Leader von anderer Couleur her: transaktionale Führungskräfte, die behutsam, analysierend und planend den Wandel gestalten und ihn in die richtige Richtung lenken. Beide Führungsstile sollten im Unternehmen vorhanden sein und in einem Change-Management-Team Hand in Hand gehen.
Erfolgsfaktor Vision
Visionen sind keine Utopien. Sie sind realistische und erreichbare Bilder der Zukunft und beschreiben, wie das Unternehmen einmal aussehen könnte. Im Unterschied zu Unternehmensleitbildern, die eher den Status quo wiedergeben, weisen Visionen eindeutig in die Zukunft. Damit sie wirksam sind, müssen sie ein möglichst konkretes Bild zeichnen und die Mitarbeiter wirklich motivieren. Wenn alle daran glauben, dass es sich lohnt, für eine Veränderung zu arbeiten, sind sie motiviert – und zwar intrinsisch, d. h. von innen heraus. Dadurch verbinden sie ihre Arbeit mit Sinn. Damit Visionen Veränderungen initiieren, müssen sie prägnant und passend für das Unternehmen formuliert werden. Auf keinen Fall sollten sie beliebig austauschbar sein. Sie müssen realistische Ziele erkennen lassen, die ggf. über Zwischenschritte erreicht werden.
Erfolgsfaktor Kommunikation
Eine wichtige Rolle im gesamten Veränderungsprozess spielt die Kommunikation. Sie ist gelebte Führung und damit der Katalysator, der Veränderungen beschleunigt, und schafft Orientierung und Transparenz. Je persönlicher das Gespräch, desto besser. In großen Unternehmen ist das normalerweise nicht per Betriebsversammlung zu bewerkstelligen, daher sollte man hier auf audiovisuelle Medien ausweichen, denn diese ermöglichen, dass Mimik und Gestik des Vorstandschefs transportiert werden. Ein Veränderungsprojekt per Massen-E-Mail anzukündigen, sollte tabu sein.
„Das Sensorteam ist eine Gruppe von Unternehmensangehörigen, die eine Art Hofnarrenfunktion ausübt.“
Eine kreative Methode, zu Beginn eines Veränderungsprozesses die Meinungen und Lösungsvorschläge der Mitarbeiter in Erfahrung zu bringen, ist das so genannte World Café: ein größerer Raum mit Kaffeehausatmosphäre, in dem mehrere Tische für jeweils sechs bis acht Personen stehen. Die Mitarbeiter werden in Kleingruppen aufgeteilt und lösen zusammen mit einem Tischmoderator verschiedene Arbeitsaufgaben, deren Ergebnisse direkt auf die Papiertischdecken geschrieben werden. Nach einer festgelegten Zeit wechseln die Mitarbeiter den Platz; der Moderator bleibt jedoch an seinem Tisch. Die neue Tischgruppe erfährt vom Moderator, was die Vorgruppe erarbeitet hat, und bringt neue Impulse ein. Wenn alle Gruppen alle Tische besucht haben, werden die Tischdecken mit den Ergebnissen wie in einer Vernissage ausgestellt und bei Musik und Kaffee allen zugänglich gemacht.
Erfolgsfaktor Partizipation
Partizipation bedeutet Teilhabe. Wenn die Mitarbeiter an den Veränderungen beteiligt werden, steigt ihre Unterstützung und Widerstände werden abgebaut. Zudem wird die Wissensbasis im gesamten Unternehmen breiter, wenn viele Mitarbeiter direkt in die Veränderungen involviert sind. Diese Einbeziehung kann schon im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung erfolgen, bei der die Meinungen des Personals zu Veränderungen eingeholt werden. Die Mitarbeiter sollten aber auch in Gruppenworkshops aktiv zur Problemlösung motiviert werden.
Erfolgsfaktor Integration
Bei Unternehmenszusammenschlüssen, einem Paradebeispiel für Veränderungen, sind die meisten Probleme vorprogrammiert. Aus zwei Unternehmen ein neues zu machen, ist eine Herkulesaufgabe, vor allem wenn sich keine Fraktion benachteiligt fühlen soll. Misslingt die Integration beider Belegschaften, drohen Spannungen, die wie Sand im Getriebe wirken. Kulturellen oder nationalen Konflikten kann durch Teambildung (z. B. gemeinsame Aktivitäten) und die Einrichtung von Miniteams (auch Zweierteams) entgegengewirkt werden. Für die Führungsebene haben sich Doppelspitzen bewährt: Zwar dauern Entscheidungsprozesse so wesentlich länger, dafür gleichen sich unterschiedliche Führungsansätze schneller an.
Erfolgsfaktor Reedukation
Unter Reedukation versteht man alle gezielten Personalentwicklungsmaßnahmen, mit denen die Mitarbeiter für die neuen und veränderten Aufgaben im Unternehmen fit gemacht werden sollen. Die Fortbildung zielt dabei sowohl auf mehr Wissen als auch auf mehr Können und eine veränderte Einstellung. Reedukation kann „on the job“ (Jobrotation, Mentoring, Coaching) und „off the job“ (Seminare, Schulungen, E-Learning) erfolgen.
Erfolgsfaktor Projektorganisation
Ohne eine funktionierende Projektorganisation kann Wandel nicht erfolgreich sein. Change-Management wird fast immer in Form von Projekten durchgeführt. Für diese sollten die fähigsten Köpfe im Unternehmen gewonnen werden – und nicht einfach diejenigen, die gerade nichts zu tun haben. Das bedeutet auch, dass den Projektmitgliedern ausreichend Zeit eingeräumt wird. Projekte, die den normalen operativen Tätigkeiten einfach hinzuaddiert werden, sind zum Scheitern verurteilt. Im Veränderungsprozess müssen verschiedene Teilprojektgruppen koordiniert werden. Jedes Projekt benötigt neben einem Projektleiter und einem Team auch so genannte Projektchampions: Dabei handelt es sich um Leistungsträger im Unternehmen, die Veränderungen als Erste anwenden und umsetzen. Idealerweise sind diese allgemein akzeptiert und entfachen somit einen überzeugenden Sogeffekt im Unternehmen.
Erfolgsfaktor Konsultation
Fast immer wird für die Steuerung eines Veränderungsprozesses externes Know-how benötigt. Berater von außen bringen Neutralität und Wissen aus unzähligen anderen Beratungsprojekten ins Unternehmen. Sie können sich zu 100 % ihrer Aufgabe widmen und werden nicht vom Tagesgeschäft abgelenkt, wie es bei Unternehmensmitarbeitern der Fall ist. Oftmals können auch Inhouse-Berater eingesetzt werden, die z. B. bei Konzernen allen Unternehmensteilen zur Verfügung stehen. Größter Vorteil: Sie kennen das Unternehmen besser als Externe. Größter Nachteil: Unabhängigkeit und fremder Input fehlen.
Erfolgsfaktor Evolution
Change-Management läuft umso problemloser ab, je stärker das Unternehmen von sich aus eine Wandlungskultur entwickelt. Wie kann man die erreichen? Ganz einfach: Veränderungen sollten kontinuierlich ablaufen und entsprechend gefördert werden. Richten Sie „Sensorteams“ ein, die alle Entscheidungen, Technologien und auch das Betriebsklima analysieren und kritisch hinterfragen. Diese Leute sollen ohne Rücksicht Schwachstellen und Tabus aufdecken und mit weit reichender Immunität für ihr Tun ausgestattet sein.